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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate, 10.05.2015

Im Gespräch bleiben
Predigt zu Johannes 16:23b-28.33, verfasst von Marion Werner

Liebe Gemeinde,

 

Gnade sei mit euch und Frieden von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.

 

Man spricht nicht mit sich selbst im Gebet, sondern mit Gott. Für die Aussenwelt kann das aber so aussehen, als würde man ein Selbstgespräch führen. Das sagte mir eine unserer Konfirmandinnen letzte Woche. Ich habe in den letzten Monaten zwei sehr gute Gespräche zum Thema Gebet gehabt, einmal mit 14-15 jährigen Konfirmandinnen und Konfirmanden und ein weiteres mit einer jungen Frau, die sich auf ihre Taufe vorbereitete. An den hier geäusserten Gedanken möchte ich sie gerne teilhaben lassen.

Beten, das lässt uns erkennen, dass wir an Grenzen kommen. Wir beten, wenn wir nicht mehr weiter wissen, Angst haben, Sorge um andere Menschen, wenn wir Schuld auf uns geladen haben. Wenn wir nicht mehr weiter wissen. Es bringt uns auf den Boden der Tatsachen, wenn wir auf den Himmel sehen.

Wir beten wenn wir uns freuen und wenn wir dankbar sind. Leider aber seltener in diesen Augenblicken. Viel eher drängen uns Angst und Sorge zum Gebet.

Das Gebet verändert. Wir verändern uns, wenn wir mit Gott sprechen. Wir werden ruhig. Wir haben plötzlich neue Gedanken und Ideen. Ausserhalb von uns verändert sich nicht immer etwas. Aber in uns drin. Wir können Dinge aus einer andern Perspektive sehen. Bekommen neue Hoffnung. Mut. Können verzeihen.

Gott hört uns zu, das ist sicher. Wir können zu Gott beten. Dann sprechen wir miteinander. Wir können aber auch vor Gott beten. Dann denken wir vor Gott über unser Leben und verschiedene Dinge nach.

Gebet bringt nicht nur zur Ruhe, es regt auch auf. Wenn man über Dinge, die einen ärgern vor Gott spricht, dann regt man sich manchmal noch mehr auf.

Und was ist wenn Gott schweigt? Manchmal antwortet er nicht. Gar nichts passiert. Es scheint unerträglich wenn wir bitten und schreien und es passiert nichts. Nichts in mir drin und nichts draussen. Das ist sehr hart.

Man muss Gott eben nicht direkt um etwas bitten „Lass meinen kranken Freund gesund werden!“, sondern man muss beten „Gott hilf ihm das durchzustehen!“ Und Gott vertrauen, dass er das richtig macht.

„Das Gebet ist ein Dialog mit Gott. Manchmal ein Schrei: Ich kann nicht ohne dich, ich verzweifle. Manchmal der letzte Ausweg, weil kein anderer in Aussicht scheint. Es kann auch als Beschwerde vorgebracht werden. Es ist Teil des Christseins. Oder Teil des Menschseins? In vielen Kulturen und Religionen ist es tief verwurzelt“.

Wenn das Gebet in Gemeinschaft benutzt wird, für ein gemeinsames Ziel, beispielsweise das Beten für Frieden, Schutz von geschundenen Bevölkerungsgruppen, gegen Armut, Hass, etc., ist es ein kraftvolles Mittel, das einem in der Gruppe Zuversicht gibt und das Gefühl, gemeinsam etwas bewegen zu können, gemeinsam mit Gott für etwas Gutes einzustehen.

Und als Letztes noch die Gedanken zu Luthers Aussage: „Eines Christen Handwerk ist beten!“ Dieser Spruch hat Gefallen gefunden. Wenn Beten ein Handwerk ist, dann heisst es, man beherrscht es, es ist Teil des Alltages und man kann immer besser darin werden, man kann aber auch Misserfolge und Tage des Schwächelns erleben. Es ist etwas Praktisches und Wirkungsvolles. Man kann das Praktizieren vernachlässigen, es verliert aber niemals an Notwendigkeit/Nützlichkeit.

Liebe Gemeinde, ich erzähle ihnen von diesen Gesprächen, weil sie mich überrascht haben und mir gleichzeitig Mut und Hoffnung gaben. Diese jungen Konfirmandinnen und Konfirmanden sind keine erfahrenen Christen. Sie haben einiges gehört. Anderes selber ausprobiert. Und wiederum wissen sie etliches aus ihren Familien. Gleichzeitig sind es ganz normale junge Leute mit all den gewöhnlichen Freuden und auch Wünschen dieses Alters. Jedoch so offen, dass sie sich auf ein Gespräch mit ihrer Pfarrerin eingelassen haben. Ich hatte das Gefühl, meine Konfirmandinnen und Konfirmanden haben begriffen worum es geht: um das Gespräch mit Gott. Schlicht und einfach. Ein Gespräch, das offen ist für alle unseren Gedanken und Gefühle, unsere innigsten und privatesten. Ein Gespräch, das mal intensiver geführt wird und auch mal sporadischer. So wie das im Leben manchmal ist. Ein Gespräch, das sich aber immer der Nähe und Zu-Neigung Gottes sicher sein kann. Er leiht mir immer sein Ohr und ist mit seinem Herzen nahe.

Ich kenne auch andere Gespräche über Gott und das Beten mit Konfirmanden. Da wird über das Gebet gespottet bei Tag und in der Nacht dann doch für die kranke Mutter gebetet. Da sagt mir ein junger Mann „Ich glaube nicht an Gott. Es gibt ihn nicht. Ich bin nur hier, weil meine Eltern das wollen“. Und dennoch, obwohl sein Verstand Gott verleugnet, wendet sein Gefühl sich an ihn. Denn die Frage, wann er betet, hatte er mit der gefährlichen Operation des Vaters beantworte. Das ist alles nicht konsequent, ich weiß, aber es ist menschlich. Und manchmal denke ich, Gott hat tief in uns Menschen die Sehnsucht nach Gespräch und nach Begegnung gesetzt. Und diese Sehnsucht sitzt so tief, dass sie noch da ist, wenn der Glaube längst vergangen ist. Man kann Gott den Rücken kehren und sich dennoch nach Gott sehnen.

Der heutige Sonntag trägt den ganz einfach Namen „Rogate“, das heisst „Betet“. Ein Befehl? Eine Aufforderung! Eine Einladung! Mehr nicht. Es wird nichts von Vorleistungen, von Formulierungen, von Gefühlszuständen oder Körperhaltung gesagt. Nichts von Glauben oder Unglauben, sondern schlicht und einfach gesagt „Betet!“ „Sprecht mit Gott“.

Kann man das so einfach sagen?

Man kann es, weil Jesus es konnte.

Das Johannesevangelium erzählt lang von dem Abschied zwischen Jesus und seinen Jüngern. Abschiede kennen wir: Am Bahnhof oder Flughafen, vielleicht sogar am Totenbett. Da überlegt man, was man noch sagen soll und will: „Pass auf dich auf“, „Ruf mich an“ oder „Ich liebe dich“. Je nachdem, ob ein Abschied kurz, lang oder gar für immer ist, überlegt man sich: Was will ich dem andern noch mitgeben? Jesus verabschiedet sich von seinen Jüngern. Und das, was er ihnen sozusagen als Testament hinterlässt, ist eine Aufforderung zum Gebet. Das Gebet, dieses neue Gebet „in meinem Namen“, „an den Vater“ soll ihnen im Leben helfen. „Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er es euch geben. … Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen wird“

Ein sehr mutiger Satz, denn wir alle haben es bereits erlebt, dass Gott nicht all unsere Gebete erhört. "O Lord, won't you buy me a Mercedes Benz", sang Janis Joplin einst – jedoch funktioniert das nicht. Er erfüllt nicht selbstverständlich all unsere Wünsche – das zeigt unsere Erfahrung. Und es ist zuweilen furchtbar, wenn Gott dann nicht antwortet und helfend einschreitet, wenn die Not am grössten scheint. Wenn unsere Bitte doch nichts anders als das Gute und sinnvolle Hilfe für den anderen im Blick hat. Wieso heilt er das krebskranke Kind nicht? Wieso kehrt nicht endlich Frieden ein in den ganzen Kriegsgebieten?

Hat also Jesus geschwindelt, wenn er gesagt hat: Bittet und es wird euch gegeben?

Was bedeutet es „in Jesu Namen“ zu beten? Ich stelle mir das so vor: Ich lasse mich auf Gott ein, auf eine Begegnung, ein Gespräch. Ja, ich bringe meine Anliegen vor Gott, ich schreie sie ihm zuweilen ins Gesicht. Aber dann, dann versuche ich von mir weg zu sehen. Hin zu ihm. Hin auf ihn. Wie sieht er die Dinge? Was meint er dazu? Ich werde still. Ich höre. Ich poche nicht auf das Meine, als die einzig richtige Lösung. Ich vertraue ihm. Ich lasse los. Ich lasse mich berühren von seinem Geist. Erfüllen mit seiner Energie. Mit seiner Liebe. Mit seinem Licht. Ich fasse Mut mich im Sinne Jesu für andere einzusetzen. Ich lasse mich fallen. In seine Hand. Ich bin geboren und bete: „Nicht mein Wille Herr, sondern dein Wille geschehe“. So wie Jesus einst im Garten Gethsemane. Sein Leidensweg ist ihm nicht erspart geblieben. Und ob er am Kreuz von Schmerz geplagt den Sinn seines Leidens gesehen hat, weiss ich nicht. Jedoch ist seine Auferstehung der Sieg des Lebens schlechthin gewesen. Er hat uns den Weg zu Gott wieder geöffnet. Die Türe ist nun offen, die Liebe Gottes gilt uns und nichts und niemand kann sie wieder schliessen.

Im Namen Jesu beten – das heisst Gott vertrauen, dass er es gut meint und gut macht. Gleich oder erst in einigen Wochen oder vielleicht erst in einigen Jahren.

Im Namen Jesu beten – das heisst mich von Gott ausrüsten lassen, sich in seinem Sinn in dieser Welt einzusetzen: für die Armen, für die Fremden, für diejenigen, die unsere Gesellschaft lieber nicht haben will.

„Das habe ich zu euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“.

Amen

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus unserem Herrn



Pfarrerin Dr. Marion Werner
Zürich
E-Mail: pfarrerin@luther-zuerich.ch

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