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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Exaudi, 17.05.2015

Predigt zu Johannes 15:26 -16,4, verfasst von Suse Günther

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. AMEN

Joh 15,26-16,4

Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich Euch vom Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis geben von mir. Und auch Ihr seid meine Zeugen, von Anfang an bei mir gewesen. Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht abfallt. Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Es kommt aber die Zeit, dass wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit. Und das werden sie darum tun, weil sie weder meinen Vater noch mich erkennen. Aber dies habe ich zu euch geredet, damit, wenn ihre Stunde kommen wird, ihr daran denkt, dass ich es zu euch gesagt habe. Zu Anfang habe ich es nicht gesagt, denn ich war bei euch.

Gott, gib uns ein Herz für Dein Wort. Und nun ein Wort für unser Herz. AMEN

Liebe Gemeinde!Vor einigen Jahren habe ich am Kirchentag in Berlin teilgenommen. Alle zwei Jahre finden diese Großereignisse unserer Kirche in einer der Städte Deutschlands statt, die in der Lage sind, mehrere hunderttausend Menschen aufzunehmen. Politiker und Kirchenleute treten im Messegelände auf, Hallen und Straßenbahnen sind überfüllt. Für ein paar Tage gleicht die jeweilige Stadt einem riesigen Volksfest. Auch abseits der großen Veranstaltungen stehen die Kirchen offen, Gemeinden laden ein zu kulturellen Veranstaltungen, Diskussionen oder einfach nur zur Einkehr. Man kehrt im wahrsten Sinne des Wortes beseelt zurück. Seelisch gestärkt.

Dieser Kirchentag in Berlin war nicht mein erster. Und auch nicht mein letzter. Er ist mir aber in ganz besonderer Erinnerung geblieben. Ich war damals zu Gast bei einer befreundeten Pfarrerin, die eine Kirchengemeinde im Ostteil der Stadt betreut. Mitten in einer der klassischen riesigen Plattenbausiedlungen der ehemaligen DDR steht eine kleine, zeltförmige Kirche, in der am letzten Abend des Kirchentages ein Gemeindefest stattfand, beginnend mit dem Gottesdienst. Die Kirche war gut besucht, denn neben der katholischen und evangelischen Kirchengemeinde des Stadtteils nahmen auch die jeweiligen Partnergemeinden teil. Viele trugen zum Gottesdienst bei. Es war auch gar nicht so, dass viele Köche den Brei verderben, sondern aus vielen unterschiedlichen Beiträgen zu Liturgie, Musik und Verkündigung wurde ein bewegender Gottesdienst. Ob wohl Gott seinen Geist mitten hinein geschickt hat? Nach dem Gottesdienst ging es mit einem kalten Buffet weiter, zu dem jeder aus der Gemeinde etwas mitgebracht hatte, viele Helfer waren in der Küche und auf dem Gelände beschäftigt. Die Arbeit ging Hand in Hand, es wurde gesungen, getanzt und musiziert. Ein Bläserchor spielte geistliche und weltliche Lieder, auf einem Klavier erklangen geistliche Lieder zum Mitsingen.

Man konnte erkennen, dass rund um in den Plattenbauten allmählich die Fenster sich öffneten. Leute schauten heraus, hörten zu. Beschwert hat sich niemand. Im Gegenteil, nacheinander kamen die Menschen aus ihren Häusern herunter. Menschen, die nichts mit Kirche am Hut haben. Schon lange waren die Getränkekästen und auch das Buffet wie leergefegt. Wie ein Wunder erschien es, dass plötzlich jemand einen vollen Kasten, eine Schüssel mit Grillwürsten oder ein Brot mitbrachte. Es wurden immer mehr Menschen und hat irgendwie für alle gereicht. Aus der Küche kam immer wieder neu Geschirr. Und „der Mond ist aufgegangen“ konnten auch die mitsingen, die der Kirche sonst eher fern stehen. Als letztes Lied unterm Sternenhimmel erklang: „Ade nun zur guten Nacht, jetzt wird der Schluss gemacht.“ Ein schöner Abschluss. Und doch spürten die Menschen, dass noch etwas fehlte, ein Ruf wurde laut: Und jetzt noch der Segen. Da haben sich die anwesenden Pfarrer, Diakone und Pastoralreferenten versammelt und den alten jüdischen Segen gesprochen: Gott segne Dich und behüte Dich…

Für mich ein bewegendes Erlebnis der Ökumene, fernab von allen großen Diskussionen.

Und auch ein Zeugnis, wie es im Predigttext gefordert wird. „Ihr seid meine Zeugen“ sagt Jesus zu seinen Jüngern, „Ihr könnt meine Zeugen sein, weil Ihr selbst das Zeugnis durch den Heiligen Geist bekommen habt.“ Gebt Euch zu erkennen.

Lange Zeit hatte diese Aufforderung einen negativen Beigeschmack. Nicht nur den, dass es für die Christen damals und in vielen späteren Kulturen bis heute lebensbedrohlich sein konnte, erkannt zu werden. Jesus spricht das im Predigttext an. Sondern es konnte auch geschehen, dass Christen sich als solche zu erkennen gaben, um von anderen etwas einzufordern: „Auch Du musst Christ werden, wenn Du gerettet werden willst.“

Das Zeugnis an diesem Abend in Berlin hatte eine andere Botschaft: Wir sind Christen. Der Glaube an Gott ist das, was uns in der Welt hält und trägt. Es geht uns gut damit. Andere haben das als einladend empfunden, sahen sich aufgenommen und angenommen. Der Abend fand übrigens seine Fortsetzung: Die Pfarrerin und ihr Mann haben in der Gemeinde einen Tanzkurs angeboten. Walzer und Tango für die, die sonst den Abend in der Plattenbausiedlung vor dem Fernseher verbrachten. Man musste nicht getauft sein, um teilzunehmen. Aber ich habe mir berichten lassen, dass so manche ihre Kirche auf diese Weise zum ersten Mal betreten haben.

Wo einer sich eingeladen und aufgenommen fühlt, da kann er vielleicht auch anfangen, über sein Leben und das, was ihn bedrängt, nachzudenken. Und wenn er oder sie in dieser Gemeinde Menschen findet, die diesem Nachdenken zuhören und mit ihm nach Antworten suchen, dann wird er vielleicht auch Gott begegnen können. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Das können wir getrost Gott selbst überlassen. Getrost, im wahrsten Sinne: Getröstet durch den Tröster, den Jesus uns zusagt: Gottes guten Geist.

Einladen ins Leben. Im Predigttext spricht Jesus die umgekehrte Bewegung an. Ausgestoßen werden aus der religiösen Gemeinschaft, das ist das, was Jesu Freunden bevorsteht. Die neue Bewegung der Anhänger Christi macht Angst. Jesu Auftreten wird als Gotteslästerung bewertet und stößt bei vielen auf Unverständnis. Und mit dem, was man nicht verstehen kann und was einem Angst macht, geht man bis heute so um: Man grenzt es aus. Man schottet sich ab. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Ich will es gar nicht wissen und haben.

Wir sind in Deutschland und in Europa derzeit gezwungen, uns im Turbotempo mit neuen Kulturen und Religionen auseinanderzusetzen. Die Flüchtlingskatastrophe im Nahen Osten zwingt zum Handeln. Wir sind gefragt. Unser Zeugnis ist wichtig: Wo stehen wir, woraus beziehen wir unsere Kraft, wie können wir uns einsetzen.

Die Stadt Blieskastel ist dieser ganz neuen Problematik mit einem Aufruf in der Presse begegnet: Man hat auf höherer Stelle erkannt: Wir sind hier überfordert, aber vielleicht gibt es ja Menschen in unserer Stadt, die mehr wissen und es besser können. Es wurden Menschen gesucht, die sich in der Lage sahen, eine Art Patenschaft für Flüchtlingsfamilien zu übernehmen. Was keiner erhofft hatte, trat ein: Es fanden sich genug bereitwillige Menschen, die sich um Familien kümmerten, bei Ämtergängen halfen und den Anfang erleichterten. Die Deutschkenntnisse nahmen ständig zu, die Helfer trafen sich regelmäßig in Gruppen, in denen sie ihrerseits unterstützt wurden. Die Einheimischen lernen dazu – ich zum Beispiel musste mich erst einmal informieren, was Jesiden sind - altgediente Lehrerinnen unterrichten noch einmal Deutsch, Freundschaften entstehen, in kürzester Zeit konnten Familien integriert werden,   ein Mann, dessen großes Friseurgeschäft in Aleppo dem Erdboden gleichgemacht worden war, konnte schon nach zwei Monaten im Globusfriseurladen wieder anfangen zu arbeiten. Neue Hoffnung nach drei Monaten lebensbedrohlicher Flucht und Angst.

Auch hier: Ein Zeugnis, wie es Jesus fordert: Gebt Euch getrost, getröstet und zuversichtlich zu erkennen. Lebt das, was ich Euch vorgelebt habe. Lasst Euch von meinem Geist bewegen. Grenzt nicht aus, sondern öffnet Euch. Habt keine Angst vor dem, was Euch erwartet, denn mein Geist wird Euch begleiten. Ihr könnt voneinander lernen, miteinander in Bewegung geraten, miteinander leben.

Wir Christen sind Zeugen, Zeugen Gottes für andere. Wir sind Christen geworden, weil andere Zeugnis gegeben haben, uns vorgelebt haben, was sie in Bewegung bringt. Gott schickt seinen Geist unter die Menschen, immer wieder neu.

In wenigen Wochen beginnt wieder ein Kirchentag, dieses Mal in Stuttgart. Wie jedes Jahr macht sich eine große Gruppe Schüler/innen des Hofenfels Gymnasiums mit dem Rad dorthin auf den Weg. Begleitet von Lehrern, die durchaus nicht nur Religion unterrichten, freigestellt von einer Schulleitung, die das erkannt hat: Gottes Geist bringt in Bewegung. Und sei es auf dem Rad.

Unser pfälzischer ökumenischer Kirchentag, der über Pfingsten in Speyer stattfindet, ist leichter auch kurfristig zu erreichen: „Aufstehen zum Leben“ ist das Motto, unter dem wir Christen uns versammeln und zu erkennen geben.Reden und Handeln wir von dem, was uns trägt und bewegt: So können wir einladen: Unsere Tür steht offen. AMEN

 

 



Pfarrerin Suse Günther
Zweibrücken, Deutschland
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