Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 19.07.2015

Das immergrüne Gras der Hoffnung
Predigt zu Johannes 6:1-15, verfasst von Michael Bünker

 

Liebe Gemeinde,

die Geschichte von der Speisung der Fünftausend hat bestimmt jeder und jede schon oft gehört, vielleicht nicht unbedingt fünftausend Mal, aber gewiss häufig genug, dass wir sagen können: Diese Geschichte ist bekannt. Sie kommt ja auch in allen vier Evangelien vor, bei Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Das ist schon etwas Besonderes, denn nicht viele Geschichten stehen bei allen vier Evangelisten. Wir können das als einen Hinweis nehmen: Diese Geschichte war weit verbreitet, oft erzählt und offenkundig so „typisch Jesus“, dass keiner der Evangelisten ohne sie auskommen wollte oder auskommen konnte.

Noch verwunderlicher finde ich, dass viele Details der Geschichte in allen vier Varianten gleich erzählt werden. Es geht einmal um die 5000, Männer, wie dazu gesagt wird. Dann um fünf Brote und zwei Fische und schließlich um die zwölf Körbe, die mit den Resten - nach dem alle satt geworden waren - noch gefüllt werden. Gleich ist in allen vier Varianten auch, dass Jesus mit seinen Jüngern diskutiert. Sollen die hungrigen Leute selber gehen und sich etwas zum Essen kaufen? Sollen das die Jünger für sie erledigen? Haben sie überhaupt genug Geld dabei, um ausreichend Brot kaufen zu können? Skeptische Realisten wie Philippus und vorsichtige Optimisten wie Andreas – unterschiedliche Meinungen. Jesus scheint sehr klar gewesen zu sein: Gebt ihr ihnen zu essen – so sein Auftrag bei Markus. Große Einmütigkeit herrscht über das Ende der Geschichte: Alle wurden satt. Von dort – vom Gras – von Jesus - ist niemand hungrig weggegangen. Hunger gestillt, Sehnsucht erfüllt. Halt, das nicht ganz. Denn die Leute wollten ihn ja zum König machen. Aber da spielt Jesus nicht mit. Er entweicht wieder auf den Berg, auf dem er bereits am Anfang gewesen war, diesmal aber nicht mit den Jüngern, sondern nur er – er allein.

Gemeinsam wird auch erzählt, dass Jesus das Brot nahm, dafür dankte, es gebrochen hat und es dann verteilte. Die Anklänge an das Abendmahl sind überdeutlich. Als sollte gesagt werden: Diese Speisung setzt sich fort, Sonntag für Sonntag, diese Geschichte wird immer weiter erzählt und die verschiedenen Meinungen gibt es bis heute: Es sind zu viele, die zu uns gekommen sind, die Not leiden und Hilfe suchen. Wir haben zu wenig, um allen helfen zu können und so weiter. Aber Jesus beharrlich: Gebt ihr ihnen zu essen. Und bis heute: Es ist genug für alle da. Alle werden satt.

Johannes unterstreicht das noch, indem er eine Zeitangabe macht, die man womöglich leicht überhört: Es war kurz vor dem Passa. Als wäre da eine Verbindung zu sehen: Passa, das Fest der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten. Die Wanderung durch die Wüste, Hunger und Durst und das Murren der Menschen, die lieber in sicherer Existenz und in Unfreiheit leben wollten – sie sehnten sich zurück nach den Fleischtöpfen Ägyptens – als das Wagnis der Freiheit zu tragen. Aber Gott hat sie versorgt. Ausreichend. Tag für Tag. Wir haben die Geschichte vom Man-hu, vom Manna, vom Himmelsbrot gehört. Denn Jesus setzt fort, was damals begonnen hat. „Ich bin das Brot des Lebens“ - so setzt er bei Johannes die Speisung fort (Joh. 6,35.48). Was immer wieder verheißen wurde. Was durch die Kirche in dieser Welt nicht mehr verstummen wird: Es ist genug für alle da. Alle werden satt.

Und dann ist da ein Detail, das bei Johannes anders erzählt wird als bei den anderen Evangelien. Das Kind. Es ist ein Kind hier, das hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Wo kommt dieses Kind her? Wohin ist es unterwegs? Es trägt mehr an Nahrung mit sich, als es selber für sich allein benötigt. In der wundersamen Speisung des Propheten Elisa viele Generationen vor Jesus kommt auch ein Kind vor (2.Kön. 4,42-44). Will Johannes daran erinnern? Ich weiß es nicht. Ich denke, das Kind kommt von einem nahegelegenen Dorf, einem Hof, und bringt vielleicht den Menschen, die irgendwo draußen arbeiten, die Schafe hüten oder ein Feld bestellen, das tägliche Brot. Wie es ja bei uns auch üblich ist, etwa zur Weinlese, dass die Mittagsjause hinausgebracht wird in den Weingarten und dann alle, die dort seit dem frühen Morgen gearbeitet haben, sich stärken können. Das Kind und sein Jausenpaket lassen auf einfache Verhältnisse schließen. Brot aus Gerstenmehl, das war das Armeleutebrot, das Alltagsbrot, das Vaterunserbrot, um das für jeden Tag gebetet wurde. Der Weizen, von dem es in Galiläa viel gegeben hat, viel mehr als Gerste, ging so gut wie ganz in den Export. Weizen war für die Einheimischen zu teuer. Und die zwei Fische. Im griechischen Text ist die Rede nur von „Eingemachtem“ oder „Eingelegtem“, es werden wohl geräucherte oder gepökelte Fische gewesen sein, das weiß man, dass das am See Genezareth üblich gewesen ist. Aber wie gerät dieses Kind in unsere Geschichte? Hat es seinen Auftrag vergessen und ist einfach mit der Menge mitgelaufen? Oder ist es einfach rein zufällig des Weges gekommen und in die Schar geraten, die sich dort am Gras ausgebreitet hatte? Ich weiß es nicht und werde es wohl nie erfahren. Es muss genügen, wenn Andreas sagt: Es ist ein Kind hier, das hat ein wenig von dem, was unser Problem lösen würde. Aber bestimmt nicht genug. Jesus hat es anders gesehen: Mit dem Kind und dem Wenigen, das es bei sich hatte, war der Anfang gemacht, war sogar die Entscheidung gefallen: Jetzt sollen sich alle lagern auf dem grünen Gras. Jetzt ist es klar und eindeutig, wie die Geschichte weitergehen kann und weitergehen muss. Andreas sieht die fünf Brote und zwei Fische und sagt: Zuwenig! Jesus hingegen sieht die fünf Brote und zwei Fische und sagt: Genug! Einstellungssache. Hoffnungssache. Rechnen in Kalorien oder Rechnen in Gottesverheißung. Deshalb trägt ein Kind diese Hoffnung. Weil sie nach so wenig, ja nach gar nichts aussieht. Aber aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hat sich Gott eine Macht zugerichtet, heißt es im achten Psalm. Und Gott wird Mensch nicht als Erwachsener, sondern als Kind. So stellt auch Jesus den Seinen das Kind in die Mitte und sagt: Wer das Reich Gottes nicht aufnimmt wie ein Kind wird nicht hineinkommen. Im Kind begegnet uns unsere eigene Zukunft. Schau dem Kind in die Augen und dann sage mit Andreas: Zuwenig. Gott lehrt uns mit Jesus dem Kind in die Augen zu sehen und immer zu sagen: Genug! Auf jeden Fall! Ohne jeden Zweifel! Es ist genug für alle da. Alle werden satt.

Zwölf Körbe bleiben übrig. Nichts wird weggeworfen. Das Kind nimmt sich wohl wieder, was es gegeben hat und es ist mehr, als es vorher gewesen war. Seltsam, wie auf dem Acker der Solidarität, wie auf dem Feld der Mitmenschlichkeit, dem immergrünen Gras der Hoffnung das Geteilte wächst und sich vermehrt.



Bischof Michael Bünker
1180 Wien, Österreich
E-Mail: bischof@evang.at

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