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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

16. Sonntag nach Trinitatis, 20.09.2015

Bekenntnis zum Leben
Predigt zu Johannes 11:1-3.17-27.41-45, verfasst von Konrad Glöckner

Kanzelgruß:

Gnade sei mit Euch und Friede, von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus Amen.

 

Hören wir auf eine Geschichte, die uns im 11. Kapitel des Johannesevangeliums überliefert ist:

(Lesung: Joh 11,1-3.17-27.41-45)

 

 

Liebe Gemeinde,

Das Wochenende ist frei. Nun wo der Sommer sein Ende nimmt ist es wieder Zeit für die Sauna. Umgeben von Wärme lasse ich meine Gedanken schweifen. Sie fliegen voraus nach Spanien, wohin ich in den Ferien aufbrechen werde. Ich freue mich und fange leise an zu summen. Wie zufällig scheint die Sonne. Schön ist das Leben!

Mein Blick fällt auf das Haus auf der anderen Straßenseite. Ein leeres Haus. Die Familie zog fort, als der Familienvater verstarb. Das Haus aus Stein blieb zurück, aber wie ein Kartenhaus brach alles zusammen, was hier an Hoffnungen und Plänen zu Hause war. Gerade 40 Jahre war der Vater gewesen, als er der Krankheit erlag. Das Leben ist verschlungen vom Tod!

Der Tod ist das Ende. Er stellt alles in Frage. Was bleibt vom Leben, von uns Menschen und überhaupt von allem, was ist? Wird nicht irgendwann alles wie eine Seifenblase zerplatzen, dereinst, wenn Himmel und Erde vergehen? Und ragt der Tod nicht jederzeit schon mitten in unser Leben hinein? Täglich erreichen uns die Bilder vom Sterben unzähliger Menschen durch Hunger, Katastrophen, Seuchen und Kriegen. Wir wissen um die Macht von Hass und Gewalt. Wir sehen, wie schnell Zerstörung gelingt, wie Hoffnung und junges Leben ausgelöscht wird oder jahrtausende alte Kultur. Leben und Tod, wer hat die Macht, wer behält die Oberhand?

„Der Tod scheint das letzte Wort zu haben; die Bibel sagt uns, das letzte Wort hat der lebendige Gott.“ Bei jeder Beerdigung spreche ich diesen Satz, bevor ich Worte aus der Bibel verlese. Der Satz ermutigt die Hörer, die dann folgenden Worte nicht als Phrasen wahrzunehmen, als schöne aber leere Worte, die rituell dazugehören, sondern als ein Versprechen voller Kraft und Wahrheit. Trost, nicht Vertröstung in schwerer Stunde. Gottes Wort ist kräftiger. Er ruft uns ins Leben: „Komm! Komm heraus aus den Fängen des Todes ins Leben. Kommt her zu mir alle …“.

Im Evangelium bei Johannes gilt der Ruf dem Lazarus. Vor vier Tagen ist er gestorben; die Verwesung hat längst ihr Werk begonnen. „Er stinkt schon, löst sich auf ins Nichts.“ klagt Maria, seine Schwester. Gott aber, der das Seiende aus dem Nichts ruft, dass es sei, und einen jeden Menschen mit Namen, Gott aber ruft: „Lazarus, komm heraus!“

Und Lazarus kommt heraus aus seinem Grab. Nach vier Tagen steht Lazarus auf. Auferstehung! Dieses Ereignis erinnert an Ostern, wie sonst lässt sich dies Evangelium hören, geht dieses Geschehen auch im Verlauf der Erzählung der Auferstehung Jesu voran. Lazarus hat Anteil am Ostergeschehen. Wie Christus war er begraben in den Tod und wie er ist er auferweckt, um in einem neuen Leben zu wandeln.

Lazarus ist auferstanden wie Christus. Lässt sich das sagen? Ist nicht Christus gewissermaßen klinisch rein auferstanden, befreit von Leid und Erdenschwere und den Seinen engelgleich erschienen. Ist er nicht aufgefahren in ein ewiges Leben an der Seite des himmlischen Gottes? Lazarus hingegen wurde wieder hineingestellt in sein irdisches Leben. Er hat eine Schonfrist erhalten, eine kurze Zeitspanne, bis der Tod wiederum nach ihm greift. Malt nicht der Evangelist selbst dieses der Sterblichkeit-Verhaftet-bleiben des Lazarus bildhaft aus? Mit Grabtüchern an Füßen und Händen verlässt er das Grab.

Ja, der Einwand gilt, und doch gilt er nicht: beides geschieht! Lazarus setzt nur sein sterbliches Leben fort, aber dazu wurde er auferweckt von dem Tode, wie Jesus der Christus zum ewigen Leben. Das neue Leben und das alte durchdringen einander. Grenzen verschwimmen und unsere Bilder von dem, was Leben und von dem, was Tod ist, geraten durcheinander. Es ist nicht mehr so einfach zu trennen, hier die Leichtigkeit und das überschäumende Leben, dort die Krankheit und der allesvernichtende Tod. Und der Evangelist ist ein Meister der Erzählkunst. Immer wieder sorgt er dafür, dass sich unsere Wahrnehmung verschiebt:

Lazarus starb an einer Krankheit, so erfahren wir. Jesus hingegen sagt: „Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes, damit der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde.“ Verherrlichung tritt an die Stelle des Todes und überwindet den Tod. Wer Gott verherrlicht und an den Sohn Gottes glaubt, der wird leben – dies wird zur Quintessenz des Erzählten. Jesus selbst spricht es aus: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“

„Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“ Auch diesen Satz spreche ich bei jeder Beerdigung, dann, wenn ich am Grabe stehe und nach dem Erdwurf über dem Verstorbenen – „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub“ – den Blick wieder an die Gemeinde richte. Und unausgesprochen schwingt die Frage mit: „Glaubt Ihr das?“. Jeder muss sie für sich beantworten.

„Glaubst Du das?“ fragt Jesus Marta, die Schwester des Lazarus, die ihm entgegengeeilt war, um von ihm Hilfe zu erflehen. „Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.“ antwortet sie. Und dieses Glaubensbekenntnis der Marta steht im Zentrum der ganzen Geschichte und ist ihr eigentlicher Höhepunkt. Etwas ist mit Marta geschehen. Aus einem durch Tradition und religiöser Unterweisung gelerntem Glaubensbekenntnis an etwas, das Ihr Heimat und Halt gab in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter: „Ich glaube an die Auferstehung der Toten und das Ewige Leben“, wird in dem Moment, in dem Jesus sie anspricht, ihr ganz persönliches Bekenntnis: „Dir glaube ich Herr, dass Du der Christus bist“. Und dieses Bekenntnis führt sie ins Leben, denn in ihm erfüllt sich für sie, was Jesus zuvor sagt: „Wer an mich glaubt, der wird leben.“

Marta gewinnt das Leben. Sie wird auferweckt noch vor ihrem Bruder. Als Lebende gewinnt sie das Leben! Und die Krankheit, die ihren Bruder sterben lässt, führt diesen nicht zum Tode! Aber was ist mit Maria, der anderen Schwester, die in ihrer Trauer verharrte? Die Geschichte lässt es offen.

Unsere Vorstellungen von Leben und Tod geraten durcheinander. Wenn eine Krankheit, die uns sterben lässt, nicht zum Tode führt, wir aber das Leben erst mitten im Leben gewinnen können, dann kann nicht alles, was wir Leben nennen auch in der Tat Leben sein, und nicht alles, wo wir dem Tod begegnen, auch in der Tat von seiner Macht zeugen. Aber was ist dann Leben und was ist dann Tod? Und was eine Krankheit zum Tode?

Vielleicht ist die Krankheit zum Tode ein Leben, in dem wir unser Leben nicht dankbar als Geschenk aus Gottes Hand annehmen können? Vielleicht erliegen wir dem Tod, wenn wir versuchen unseren unendlichen Hunger nach Leben mit unendlich vielen vergänglichen Lebensgütern zu stillen aber dennoch verhungern, weil uns nicht hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit und der Liebe Gottes? Oder vielleicht erliegen wir dem Tod, wenn wir an ihn glauben und ihm so die Macht einräumen über unser Denken und Fühlen, und wenn wir das Maß unserer Hoffnung, unserer Liebe und unseres Menschseins an den von ihm gesteckten, endlichen Grenzen bemessen.

Fragen! Das Evangelium bietet uns anschaulich Antwort: Lazarus setzt sein sterbliches Leben fort, doch wurde er dazu von den Toten auferweckt – wie Christus. Wie Christus war er begraben in den Tod und wie Christus ist er auferweckt, um in einem neuen Leben zu wandeln – inmitten seines alten, sterblichen Lebens. Neues und Altes Leben zugleich, Ewiges im Jetzt, Heiliges im Alltäglichen, gerecht sein und Sünder zugleich. Lazarus verbleibt in den Grenzen seines endlichen, vom Tode gezeichneten Lebens, aber Maßstab seines Lebens ist ihm die unendliche Liebe Gottes geworden. Und genauso wie Lazarus lebt, so beschreibt der Apostel Paulus das Leben aller getauften Christen: „Oder wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln.“

Die Taufe wirkt nicht von selbst. Sie ist ein Versprechen, dass Gott uns bei unserem Namen gerufen hat, herausgerufen ins Leben: „Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist mein.“ Die Taufe entfaltet ihre lebendige Kraft, wenn wir diesem Versprechen glauben und darauf unser Leben aufbauen. Die Taufe entfaltet ihre lebendige Kraft, wenn Gottes unendliche Liebe auch zum Maßstab unseres Lebens wird. Dazu müssen wir uns von ihm ansprechen lassen und uns einlassen auf das Gespräch mit ihm. Jesus betet zu Gott als zu seinem Vater, bevor er den Lazarus wieder ins Leben ruft. Beten öffnet den Weg ins Leben.

Im Zentrum des Evangeliums steht eine Frage Jesu an Marta: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?“ und Martas Antwort, mit der sie ihr Leben gewinnt. Und: Im Zentrum des Evangeliums steht die Frage Jesu an einen jeden Hörer der frohen Botschaft: „Glaubst Du das?“ und um unsere Antwort darauf. Es geht um Leben und Tod. Amen.



Pfarrer Dr. Konrad Glöckner
Hiddensee
E-Mail: Kloster@pek.de

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