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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

22. Sonntag nach Trinitatis, 01.11.2015


Predigt zu Matthäus 18:15-20, verfasst von Michael Nitzke

 


 15 Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. 16 Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit jede Sache durch den Mund von zwei oder drei Zeugen bestätigt werde. 17 Hört er auf die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner.
18 Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein. 19 Wahrlich, ich sage euch auch: Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel.
20 Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.  

Liebe Gemeinde,
das habe sicherlich viele von Ihnen schon einmal erlebt. Oder sollte ich sagen, einige nur haben es erlebt?
Wenn in der Gemeinde einmal bei einer Zusammenkunft oder einer Andacht nur ganz wenige erschienen sind, dann hat man schnell den Spruch auf den Lippen, mit dem der Predigttext geendet hat. Ja, wenn zwei oder drei im Namen Jesu Christi bei einander sind, dann sind sie nicht allein. Dann dürfen sie die Anwesenheitszahl um eine Person erhöhen, denn Jesus Christus selbst ist mit dabei.
Jesus selbst ist da sehr tolerant. Als hätte er die Not der kommenden Generation vorausgesehen. sagt er uns: Ihr seid nicht allein. Ich bin bei euch, wenn ihr Gottesdienst feiert oder euch im Gemeindehaus versammelt. Es soll euch nicht erschüttern, wenn ihr so wenige seid. Ich stärke Euch den Rücken. Ich bin mit dabei. Und selbst wenn ihr nur zu zweit seid, mit mir seid ihr schon drei.
Das Quorum für einen gelingenden Gottesdienst ist also bewusst niedrig angesetzt. Ich muss nur eine zweite Person finden, die mit mir feiert, und schon bin ich mit dem Herrn verbunden.

Im jüdischen Gottesdienst sind dazu mindestens zehn Personen nötig, und die meisten sagen sogar, dass man zehn Männer dazu braucht. Doch woher soll man in heutiger Zeit religiöse Menschen in einer bestimmten Anzahl hernehmen. Soll der Gottesdienst notfalls ausfallen, wie bei einer Reise, die nur stattfindet, wenn man mindestens einen dreißiger-Bus voll bekommt? Vielleicht fragt man seine Freunde, ob sie mitreisen, dann muss die Fahrt nicht ausfallen. Vielleicht fragt man auch mal Menschen, die einem nahestehen, ob sie mit einem Gottesdienst feiern. Und wenn man keinen findet? Dort wo man zehn Männer braucht, soll es auch schon mal vorgekommen sein, dass man jemandem etwas zusteckt, um die Motivation zum Beten zu erhöhen. Doch das muss kein Skandal sein, vielleicht ist es gut angelegtes Geld. Denn, wenn das Gebet zu Herzen geht, dann will der bezahlte Beter sicherlich irgendwann auch aus freien Stücken dabei sein. (Elke Wittlich, "Der zehnte Mann", in: Jüdische Allgemeine vom 20.11.2008.  http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/1854  abgerufen am 23.10.2015)

Auf jeden Fall sollten Christen in dieser Beziehung nicht überheblich sein. Denn fragt man junge Menschen, warum sie zur Konfirmation kommen, dann sagen manche ganz ehrlich: "Wegen der Geschenke!"

Wie kommt man auf die Idee mit den zehn Teilnehmern? Als Abraham hörte, dass die Städte Sodom und Gomorrha unter  einem Regen aus Schwefel und Feuer versinken sollten, verhandelte er hart mit Gott: 'Wenn fünfzig Gerechte Männer darin sind, dann verschone die Stadt.' Er traute jedoch seinem eigenen Vertrauen nicht, und ging mit der Zahl runter, 40, 30, 20, zehn. Doch auch die Zehn gerechten fanden sich nicht, nur sein Neffe konnte sich mit seiner Familie retten. Mit diesen zehn gerechten Männern, die sich doch nicht fanden, wird die Mindesteilnehmerzahl in der Synagoge in Verbindung gebracht.
(vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sodom_und_Gomorra abgerufen am 23.10.2015)

Und da sollten wir uns mit zwei oder drei begnügen, die im Namen des Menschensohnes versammelt sind? Warum hat Jesus die Schwelle so niedrig gesetzt? Entweder will er nicht mit uns verhandeln. Oder er hat aus der Geschichte von Sodom die Erfahrung mitgenommen, dass man wahrhaft Gerechte nur ganz selten findet, auch unter Gottesdienstbesuchern.

Vielleicht sollten wir einmal den Spieß umdrehen, und uns nicht mit zweien oder dreien zufrieden geben. Manche meinen ja auch, diese Regel sei schon erfüllt, wenn sich Pastor, Organist und Küster zusammen finden. Vielleicht sollten wir mehr fordern, zehn, dreißig oder fünfzig. Aber wer wollte 49 nach Hause schicken, nur weil der fünfzigste nicht gekommen ist. Freuen wir uns an denen die da sind, aber geben wir uns nicht damit zufrieden. Singen wir die fehlenden herbei mit den einladenden Worten Jesu:

Gemeinsamer Gesang mit Orgel:
:/ Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. :/   
EG-RWL 578
Text: Matthäus 18,20. Kanon für 2 Stimmen: Kommunität Gnadenthal 1972

Bisher habe ich das Pferd von hinten aufgezäumt und die Geschichte vom Ende her gelesen. Jesus gibt gar keine Regel für den Gottesdienstbesuch, das hat sich bei uns so entwickelt, nicht zuletzt vielleicht durch den schönen Kanon, der sicher nicht von ungefähr nur zweistimmig ist.

Wer den Anfang der Geschichte noch im Kopf hat, erinnert sich vielleicht, dass es da gar nicht um harmonisches Kanonsingen ging, sondern eigentlich um Probleme. Ich lese den ersten Satz einmal in einer anderen Übersetzung: "Wenn dein Bruder oder deine Schwester sich gegen dich verfehlt, geh’ hin und kläre den Konflikt zwischen euch unter vier Augen." (Bibel in gerechter Sprache. Ulrike Bail ua., Gütersloh 32007)

Ja, Konflikte kommen vor, auch und gerade in einer Gemeinschaft, die den Anspruch erhebt, harmonisch zu sein. Bevor Jesus dieses Lebensregel gibt, hat er die Geschichte vom verlorenen Schaf erzählt. Jedes Mitglied der Gemeinschaft ist ihm wichtig, er kann auch nicht auf eins verzichten. Und wenn das verlorene Schaf wiedergefunden ist, dann kommt es auch darauf an, es wieder in die Herde einzugliedern. Es geht darum, dass es mit den anderen gemeinsam weiden kann, ohne dass es ausgestoßen wird, oder sich selbst zurückzeiht. Ich weiß nicht, wie Schafe das unter sich regeln, aber Menschen haben die Gabe, miteinander zu reden. Und das sollte man tun, ohne sich anzublöken. Die moderne Übersetzung spricht hier von Konflikten, Luther hat da sogar von Sünden gesprochen, was nichts anders ist als ein Konflikt mit Gott. Ein Mensch mit solchen Belastungen in der Seele soll nicht allein gelassen werden, aber er soll auch nicht in der Öffentlichkeit vorgeführt werden. Es gibt eine abgestufte Konfliktlösungsstrategie: das Einzelgespräch, das Gespräch in der Kleingruppe, der Versuch, eine Lösung in der Gemeindeversammlung zu finden. Doch was passiert, wenn das Zerwürfnis nicht auszuräumen ist? Luther übersetzt die Worte des Matthäus: Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner.

Das kommt dem Ausschluss aus der Gemeinde nahe. Das klingt nach Kirchenzucht oder Dienstaufsichtsbeschwerde in einem. Wenn wir von autoritär geführten Gemeinschaften so etwas hören, dann rufen wir gleich nach dem Sektenbeauftragten, der vor solchen Zirkeln warnen soll.

Aber was ist hier wirklich gemeint? Soll hier wirklich jede Brücke abgebrochen werden, soll ein Mensch ausgestoßen werden? Soll das eben wiedergefundene verloren Schaf wieder ausgesetzt werden, damit mit es dann zu dem berühmten schwarzen Schaf wird, das man nicht zur Gemeinschaft zählt? Wenn hier von Heide und Zöllner die Rede ist, dann sind das biblische Personengruppen, um die man sich besonders bemüht. Die frohe Botschaft von Gottes Liebe geht über das enge Umfeld von Juda und Galiläa hinaus. Auch fremde Volksgruppensollen für den Glauben begeistert werden. Also auch Heiden sollen für Gott gewonnen werden. Und um einen Menschen zu gewinnen und wieder zugewinnen, darum geht es hier von Anfang an: 15 Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen.

Es geht darum, Menschen zu gewinnen und nicht zu verlieren. Und wenn ich an den Zöllner denke, mit dem der Mensch verglichen wird der nichts zur Konfliktlösung beiträgt, dann denke ich nicht nur an die korrupten Zollpächter, die mit der römischen Besatzungsmacht gemeinsame Sache machten, dann denke ich auch an solche darunter, die sich von Jesus begeistern ließen. Ich denke an Zachäus, der auf den Baum gestiegen ist, um Jesus zu sehen, bei dem sich Jesus eingeladen hat, um ihn zu gewinnen. Wenn da steht: so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner, dann muss das nicht das letzte Wort sein. Versuche von vorn zu beginnen. Versuche deinen Bruder oder deine Schwester zu gewinnen, damit sie neugierig werden auf Menschen, die nicht aufgeben. Neugierig auf Menschen, die miteinander im Gespräch bleiben wollen, die niemanden in seiner Traurigkeit allein lassen wollen, sondern den Weg zu einander suchen, damit man zu zweit über alles redet und zu dritt miteinander feiern kann, um vielleicht einmal in einem großen Chor miteinander zu singen. Versuchen wir es noch einmal:

Gemeinsamer Gesang mit Orgel:
:/ Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. :/   
EG-RWL 578
Text: Matthäus 18,20. Kanon für 2 Stimmen: Kommunität Gnadenthal 1972

Nun haben wir uns von zwei Seiten an den Text herangetastet. Zwei Verse bleiben noch in der Mitte übrig: 18 Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein.
"Was ihr auf Erden binden werdet...". Zunächst dachte ich, dass ein katholisches Amtsverständnis aus diesen Worten spricht. Ich hatte vom diesjährigen Rombesuch die Schlüssel des Himmels vor Augen, die an den dort allgegenwärtigen Papstwappen prangen. Aber von diesen Schlüsseln ist bei Matthäus zwei Kapitel vorher die Rede, als ein ähnlicher Satz zu Petrus gesagt wird. Auch was er mit den Schlüsseln bindet und löst, soll auf der Erde wie im Himmel gelten. In unserem Text ist aber nicht Petrus angesprochen, dem die christliche Kunst die Schlüssel in die Hand drückt, sondern alle Jünger sind gemeint, und damit die ganze Gemeinde. Auch ihr könnt binden und lösen. Und euer Handeln hat Konsequenzen auf Erden und darüber hinaus.
Binden und lösen. Beide Worte haben eine doppelte Bedeutung. Binden hört sich zunächst positiv an. Wenn Menschen verbunden werden, dann haben sie eine Basis, um zusammenzuhalten. Dann sprechen sie mit einer Sprache und kämpfen gemeinsam für die gerechte Sache. Eine Bindung soll lange halten und Gemeinschaft demonstrieren.
Aber eine Bindung kann auch etwas anderes bedeuten. Auch eine Fessel ist eine Bindung. Wenn meine Hände und Füße in einem Kerker an einen stählernen Ring gebunden sind, dann kann ich mich nicht mehr fei bewegen. Dann bin ich gebunden und nicht frei.
Ebenso geht es mit dem Lösen. Es hört sich hier zunächst negativ an. Wenn ich mich von jemandem löse, dann will ich nichts mehr mit ihm zu tun haben. Ich kann eine enge Bindung auflösen, dann verbindet mich nichts mehr mit diesem Menschen. Ich kann aber auf der anderen Seite auch eine Lösung für Probleme suchen. Ich kann daran bleiben und nicht aufgeben, bis ich eine Lösung gefunden habe, damit sich die Fesseln lösen, die der Konflikt uns aufgezwungen hat, damit wir wieder eine enge Verbindung zueinander bekommen. Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein. Das kann ich auch so hören: Die Fesseln, mit denen ihr euch an irdische Dinge gebunden habt, die werden euch auch die Beziehung zu Gott nicht leichter machen.  Die Lösung, die ihr findet, um Euch wieder miteinander zu verbinden, die ist ein Zeichen für die himmlische Erlösung, die Gott Euch schenkt.
 Ja, es geht nicht darum, um Beziehungen aufzulösen, sondern darum, Lösungen zu finden, um sich miteinander zu verbinden.
Und solch eine Erlösung ist die Gemeinschaft unter den Menschen, die sich Jesus, Gottes Sohn, verbunden fühlen. 19 Wahrlich, ich sage euch auch: Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel. Lassen Sie uns in diesem Sinne noch einmal singen:

Gemeinsamer Gesang mit Orgel:
:/ Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. :/   
EG-RWL 578
Text: Matthäus 18,20. Kanon für 2 Stimmen: Kommunität Gnadenthal 1972

Liebe Gemeinde,
vielleicht singen wir dieses Worte in Zukunft anders. Wir nutzen dann diese Worte nicht mehr, um uns damit zu beruhigen, dass unsere Zahlen kleiner werden. Es ist nämlich egal ob zwei oder drei oder zehn oder fünfzig zusammen singen. Es kommt darauf an, dass wir eine Gemeinschaft sind. Der Glaube im berühmten stillen Kämmerlein, ist eine wichtige Grundlage, aber er ist nicht alles. Glaube sucht nach Gemeinschaft und Gemeinschaft im Glauben beweg Gott zum Handeln:
19 Wahrlich, ich sage euch auch: Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel.

Das ist das wahre Binden und Lösen im Himmel und auf Erden.
Verbindet Euch zu einer Einheit auf der Erde, dann wird Euch Gott im Himmel eine Lösung für Eure Konflikte  schicken.
Wenn zwei oder drei sich im Glauben und Handeln einig werden, dann wird sich Jesus Christus mit ihnen vereinen. Er wird sie erlösen von ihren irdischen Bindungen, und zu einer wahren Einheit mit Gott, ihrem Schöpfer führen.
Amen.

 



Pfarrer Michael Nitzke
44229 Dortmund
E-Mail: michael.nitzke@philippusdo.de

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