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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Exaudi, 08.05.2016

Predigt zu Epheser 3:14-21, verfasst von Dietz Lange

Liebe Gemeinde!

„Hauptsache gesund!“ Wie oft haben Sie das schon gehört oder selbst gesagt. In der Tat ist die Gesundheit ein hohes Gut. Wer einmal schwer krank war, weiß sie zu schätzen. Wer dagegen bisher meistens gesund gewesen ist, vergisst leicht, wie wenig selbstverständlich das ist, vergisst deshalb leicht die Dankbarkeit gegenüber Gott oder ist sogar stolz darauf, als ob er das sich selbst zu verdanken hätte. Hauptsache gesund – in dem Gebet des Epheserbriefs, in dem es doch wohl um die Hauptsache gehen soll, steht davon kein Wort. Oder denken Sie an einen jungen Mann oder eine junge Frau, die schrecklich nervös einer wichtigen Prüfung entgegenfiebert. „Hauptsache, du bestehst“, sagt man dann wohl. Aber auch vom Bestehen einer Prüfung und von der Leistung, die dazugehört, kein Wort. Stattdessen bittet der Schreiber des Briefes Gott darum, dass er die Menschen in seiner Gemeinde durch seinen Geist stärken möge und dass Christus in ihren Herzen wohne. Das klingt alles sehr feierlich und sehr schön, und als christliche Gemeinde von heute können wir auch schlecht etwas dagegen einwenden. Trotzdem scheint das doch reichlich weit weg von den drängenden Sorgen unseres Alltags. Was sollen diese frommen Wünsche jemandem helfen, der Angst hat sich anzustecken oder seine Prüfung zu vermasseln?

Um die verlesenen Sätze aus dem Epheserbrief richtig zu verstehen, müssen wir uns kurz klar machen, in was für einer Lage er geschrieben worden ist. Der Verfasser ist ein uns unbekannter Schüler des Paulus, der von seinem Lehrer viel gelernt hat, aber eine Generation später lebte. Die christliche Kirche hatte sich bereits über weite Teile der Alten Welt ausgebreitet, ist also über die Anfangssituation hinaus. Die ganz große Begeisterung der ersten Jahre ist verflogen, der Alltag hat die Regie übernommen. Da müssen die Menschen an das erinnert werden, was den christlichen Glauben ausmacht. Eine große Sorge des Verfassers ist die Spaltung der christlichen Kirche in Judenchristen und Heidenchristen. Wenn diese beiden Konfessionen auch sicher nicht wieder in einer einheitlichen Organisation zusammenkommen, so sollen sie sich doch der Einheit im Glauben bewusst sein, denn Gott ist ja der Vater ihrer aller. Bei allen Unterschieden zwischen den Konfessionen: die Kirche ist der eine Leib Christi. Sie müssen auch daran erinnert werden, was für ein praktisches Verhalten aus dem Glauben folgt. Deshalb folgt später im Brief eine Aufzählung von Verhaltensregeln.

Sie sehen: der Epheserbrief hat eine ganz weite Perspektive. Dass die über die ganze Welt verteilten verschiedenen christlichen Konfessionen letztlich doch in Christus zusammengehören, das mutet ganz modern an. Das ist die eine Seite. Die andere betrifft das persönliche Leben der einzelnen Christen. Darum geht es vor allem in dem Abschnitt, über den wir heute nachdenken.

Das betrifft zuerst und vor allem gerade das Verhältnis des Glaubens zum Alltag, das uns am Anfang dieser Predigt so weit weg zu liegen schien. Wer weiß, vielleicht haben die Leute damals auch schon gesagt: „Hauptsache gesund“. Aber was ist mit einem Menschen, der nicht gesund ist und auch nicht mehr gesund wird, sondern chronisch krank ist oder dement – ist dessen Leben nichts mehr wert? Und was ist mit einem Menschen, der im Alter trotz großer Anstrengungen nicht auf ein gelungenes Leben zurückblickt, sondern nur noch die Scherben zusammenkehren kann? Genau hier hat die Bitte des Briefschreibers, Gott möge die Glieder der christlichen Gemeinde, also uns, mit seinem Geist erfüllen, ihren Platz. Es ist der Geist, den das Johannesevangelium gern den Tröster nennt.

Die Bitte um den Heiligen Geist ist also weit mehr als bloß eine schöne liturgische Formulierung für den heutigen Sonntag vor Pfingsten. Sie hat einen ganz direkten Bezug zu unserem täglichen Leben. Damit rückt sie in die Nähe des 27. Psalms, der in der Alten Kirche an diesem Sonntag gebetet wurde: „Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe, sei mir gnädig und erhöre mich.“ Erhöre mich, lateinisch exaudi – daher der Name dieses Sonntags. Das hat einen dringenden Ton, denn hier geht es wirklich um die Hauptsache. Gottes Geist, das ist Gott selbst, so wie er in uns wirkt. Oder wie es hier auch heißt: das ist Christus, wie er in uns wohnt, sozusagen die geistig wirksame, heilende Berührung Christi mit unserem Herzen.

Gottes Geist soll uns erfüllen, wenn wir uns leer fühlen, uns stärken, wenn wir schwach und hilflos sind. Das erhellt die Dunkelheit schwerer Lebensschicksale, das gibt Zuversicht und neue Lebensfreude, wo unsere Augen nur Aussichtslosigkeit wahrnehmen. „Die Gesunden brauchen keinen Arzt“, hat Jesus einmal gesagt. Nicht zu denen, die sich auf ihre Gesundheit verlassen, ist Gott in die Welt gekommen. Nicht die Hochleistungsmenschen, die sich in dem ihnen von allen Seiten zuströmenden Lob sonnen, hat Jesus im Auge gehabt. Sondern die, welche sich ihrer Grenzen und ihres Versagens schmerzlich bewusst sind.

Das ist oft missverstanden worden, so als sei das Christentum eine Religion für Weichlinge und Faulenzer. Nein, Jesus – und mit ihm der Schreiber des Epheserbriefs – setzt schon voraus, dass seine Adressaten, also wir als christliche Gemeinde, uns alle Mühe geben. Aber wer gesund ist, muss sich darüber klar sein, dass er irgendwann doch krank wird und dann auf Hilfe, letztlich auf Gottes heilende Kraft angewiesen ist. Und wer eine respektable Lebensleistung vorzuweisen hat, weiß doch, wenn er ehrlich ist, dass er dafür einen Preis gezahlt hat. Die Leistung im Beruf ist auf Kosten der Familie gegangen, oder der volle Einsatz für einen Menschen hat einen anderen, der ebenfalls zu unserem Verantwortungsbereich gehört, leer ausgehen lassen. Die Vergebung Gottes brauchen wir alle, ob wir nun von Natur aus mit großen oder kleinen körperlichen Kräften ausgestattet sind, ob wir über eine große oder eher bescheidene Leistungsfähigkeit verfügen.

Wir bitten Gott um seinen Geist, damit er uns mit Zuversicht des Glaubens und Lebensfreude erfülle. Das ist das eine. Das zweite ist, dass er uns in der Liebe verwurzelt, wie es hier heißt. Auch die Liebe ist nicht unsere starke Leistung, sondern kommt von Gott. Liebe ist mehr als ein Gefühl der Sympathie oder Zuneigung. Die Kraft der göttlichen Liebe, die in uns wirkt, zeigt sich besonders da, wo jemand sich hingebungsvoll und über Jahre hinweg um den dement gewordenen Ehepartner kümmert, der nur noch ein Schatten seiner selbst ist und auch die nächststehenden Menschen nicht mehr erkennt. Oder wo jemand einem ehemaligen Freund, der ihn in der Not schäbig im Stich gelassen hat, dennoch verzeiht und so einen Neubeginn der menschlichen Beziehung ermöglicht.

Und schließlich nennt der Epheserbrief als allerwichtigste Gabe des göttlichen Geistes die Erkenntnis der Breite und Länge, der Höhe und Tiefe. Da hat man viel gerätselt, was damit wohl gemeint ist. Um ein Abmessen mit dem Zollstock geht es da sicher nicht. Irgendwie müssen diese Worte mit der Liebe Christi zusammenhängen, die gleich darauf ebenfalls als das genannt werden, was die Gemeinde erkennen soll. Ich glaube, es ist die Breite und Länge, Höhe und Tiefe des Himmels gemeint. Den hat man sich damals als eine Art riesigen Würfel vorgestellt. Natürlich ist der Himmel dabei als Gleichnis für die Gegenwart Gottes gemeint. Von der Gegenwart Gottes kann man ja nur in Gleichnissen, in Bildern reden, weil sie unsichtbar ist. Gott begegnet uns in dem Menschen Jesus. Durch ihn können wir etwas ahnen von den „Dimensionen“ Gottes, das heißt von der Tiefe des Geheimnisses, das wir Gott nennen. Darauf legt der Epheserbrief den Ton, das ist für ihn das Wichtigste.

Erkenntnis des Himmels (oder Gottes) ist kein Wissen über geheime Informationen oder Lehren für Eingeweihte. Es ist vielmehr die Glaubenserfahrung, dass die Kraft des göttlichen Geistes, die Zuversicht und Liebe in uns weckt, nicht etwas Beiläufiges ist, das man so nebenbei mitnimmt. Vielmehr bemächtigt sich Gottes Kraft unserer Herzen gerade dann, wenn äußerlich gesehen alles dagegen spricht. So begegnet uns Gottes Liebe ausgerechnet in dem Lebensopfer Jesu am Kreuz, das dem menschlichen Blick eher als äußerste Gottferne und Gottesfinsternis erscheint. Diese Tiefe der Liebe Gottes überwindet unsere innere Leere und unsere Verzweiflung, verwandelt unsere Lieblosigkeit und Abwehrhaltung in Liebe, erhebt und stärkt uns wider alle Erwartung. Das ist in der Tat ein Geheimnis, in das uns nur Gottes Geist selber eindringen lässt. Um diese lebensrettende Erfahrung zu bitten lassen Sie uns nicht aufhören. Amen.



Prof.Dr. Dietz Lange
Göttingen
E-Mail: dietzlange@online.de

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