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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Exaudi, 08.05.2016

Erwachsenwerden im Glauben und der Größe Gottes trauen
Predigt zu Epheser 3:14-21, verfasst von Sibylle Rolf

Liebe Gemeinde,

wir stehen zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Der auferstandene Jesus Christus hat sich entzogen, und der Heilige Geist ist noch nicht angekommen. Es ist wie ein Erwachsenwerden im Glauben. So stelle ich es mir für die ersten Jünger vor. Auf einmal sind sie wieder auf sich selbst gestellt. Und auch für uns gilt ja: Wir müssen unseren eigenen Weg finden, auf eigenen Füßen in den Glauben und durchs Leben gehen. Die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten ist eine Zeit des Abschieds und des Neubeginns – mit allem, was Abschied und Neubeginn, mit allem, was Erwachsenwerden für Gefühle mit sich bringen: Freude, Erwartung, Trauer und Unsicherheit. Es wird anders werden als es vorher war. Ich werde mich manchmal allein fühlen. Aber ich darf auch für mich selbst Verantwortung übernehmen, meinen eigenen Weg suchen und finden.

Geschichten vom Erwachsenwerden und vom eigenen Weg sind manchmal Abschiedsgeschichten und Trennungsgeschichten. Vielleicht steigen Bilder vor unserem Auge auf. Die Konfirmanden und Konfirmandinnen, die wir vor zwei Wochen gesegnet haben. Sie sind durch die geöffnete Tür getreten, haben die Schwelle zum Erwachsenwerden überschritten. Sie gehen eigene Wege im Glauben, und es wird sich zeigen, ob ihr Glaube sie auch als Erwachsene trägt. Der Nachbar, der vor einigen Jahren aus der Kirche ausgetreten ist. Vielleicht war es das Geld, vielleicht auch eine Äußerung der Pfarrerin, die ihn zu diesem Schritt bewogen hat. Vielleicht passt der Glaube nicht mehr ins Leben, ist nicht mitgewachsen, widerspricht dem Gefühl vom Leben, das jetzt passt. Der Glaube wird manchmal nicht mit erwachsen, hält die eigene Verantwortung nicht aus. Bei einer Begegnung auf der Straße erzählt der Nachbar davon. Und ich?, frage ich mich nachdenklich, als ich meine Haustür aufschließe. Was ist mit meinem Glauben?

Geschichten vom Erwachsenwerden sind auch Glaubens- und Zweifelgeschichten. Menschen aus unserer Gemeinde bemühen sich nach Kräften als Christen zu leben und stoßen dabei ab und zu an ihre Grenzen. Wie viel Mühe macht das Christsein manchmal. Manche Menschen fühlen sich richtiggehend allein gelassen. Verzagt. Erwachsener Glaube kostet etwas. Wir müssen unseren Mann, unsere Frau stehen. Wir müssen Position beziehen. Aber wer sagt uns, was richtig ist? Was bedeutet es für unseren Glauben, wenn Menschen als Flüchtlinge zu uns kommen? Was sagen wir Christen, wenn wir hören, dass andere hier nicht willkommen sind, mit ihrer Religion, ihrer Kultur, ihrer Sprache und ihrer Prägung? Es macht manchmal Mühe und kostet Kraft. Wo ist eigentlich der richtige Weg? Und erreichen wir überhaupt jemanden mit dem, was wir tun?

Glaubensgeschichten sind auch Geschichten unserer Kirche. Eine Kirche, die erwachsen wird, auf eigenen Füßen steht, hat es nicht immer leicht. Schrumpfende Mitgliederzahlen. Wir müssen uns verkleinern, vielleicht Räume oder ganze Gebäude abgeben. Wir verlieren an Einfluss und Mitteln. Manche fragen sich: Was wäre, wenn wir mehr Ressourcen hätten? Mehr Geld, mehr Einfluss, mehr Menschen? Wenn wir größer wären? Und was ist jetzt, da wir weniger werden? So manch einer singt schon vom Untergang des christlichen Abendlandes.

So schön es ist: es kostet Kraft, selbst Verantwortung zu tragen. Erwachsen zu sein. Wir könnten viele Sorgen zusammentragen, wenn wir sie alle sammeln würden.

 

Mir hilft ein Blickwechsel. Ich lasse jemanden zu Wort kommen. Der Apostel Paulus hatte Schüler, deren Namen wir nicht kennen. Sie haben Briefe geschrieben, im ähnlichen Schreibstil wie Paulus selbst. So, als wollten sie sich an Paulus, ihr großes Vorbild anhängen. Einer dieser Schüler schreibt an die christliche Gemeinde in Ephesus, in der heutigen Türkei. Dort lebt eine große und bedeutende christliche Gemeinde. Ob die Epheser gewusst haben, von wem der Brief kommt? – das ist gar nicht wichtig. Vermutlich hätte es sie gar nicht interessiert. Sie waren so sehr mit sich selbst beschäftigt. Sorgen waren eingekehrt, wie es eben ist, wenn man erwachsen wird. Die große Zeit des Neuaufbruchs war vorbei, Alltag war eingekehrt und auch ein Stück Verzagtheit. Der Glaube wurde angepasst, so, als wollte die Gemeinde klein denken. Was können wir schon tun? Wir werden verfolgt, wir verlieren an Bedeutung. Manche haben sich schon wieder verabschiedet. Es ist schwer, im Glauben erwachsen zu werden. Unsere Sorgen sind groß. Da kommt der Brief gerade recht. In ihm heißt es:

 

Epheser 3, 14-21

Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid. So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle. Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

 

Wenn die Sorgen groß sind, helfen ein Blickwechsel und eine Unterbrechung. Ein Gebet unterbricht das Kreisen, es weitet den Blick. Das weiß der Briefschreiber und betet. In der Mitte des Briefs, von der ersten bis zur letzten Zeile. Von den Knien bis zum jubelnden Mund, von Kopf bis Fuß, mit Leib und Seele. Er findet große Worte, die zum Mitsprechen und Einstimmen einladen, vor allem am Ende: Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Schon fast automatisch, wie im Reflex sprechen wir: Amen. Und mit dem gemeinsamen Amen sind wir mittendrin im Beten, haben uns unterbrechen lassen, lassen unseren Blick zum Himmel gehen.

Wir hören überschwängliche Worte zum überschwänglichen Wirken Gottes. Sag Gott nicht, dass du große Sorgen hast – sag deinen Sorgen, dass du einen großen Gott hast! Dem großen Gott, der mehr wirkt als wir verstehen oder sogar erbitten können, wird die Gemeinde anvertraut: vertraut doch darauf: er will und wird in euch wirken! Das ist Hoffnung gegen die Verzagtheit, sogar gegen den Augenschein. Es ist ein Gebet, das Menschen stärkt und ihnen Kraft und Zuversicht gibt, indem es sie von neuem zu Gott führt. Betend baut der Briefschreiber Menschen auf, indem er ihnen Gottes Größe vor Augen stellt. Manchmal brauchen wir das. Dringend.

So wichtig ist das Gebet für die Gemeinde in Ephesus, dass es den Beter nicht auf den Füßen hält. Er kniet nieder. Wer kniet, macht sich klein. Er neigt sich zu, verbeugt sich. es ist ein Zeichen der Achtung und des Respekts, manchmal auch ein Schuldeingeständnis. Denken Sie an Willy Brandts Kniefall in Warschau. Wer kniet, sammelt sich und liefert sich aus. Er (oder sie) hält inne, kann sich nicht ablenken, sondern konzentriert sich, richtet die ganze Aufmerksamkeit auf den Moment. Eine starke Geste, die nicht viele Worte braucht. Die Älteren unter ihnen haben vielleicht das Abendmahl am Karfreitag noch im Knien erhalten. Wer kniet, kann nicht weglaufen. Auch im Knien wird der Blick gewendet. Von außen nach innen. Vom Klagen ins Empfangen.

In diese starke Geste nimmt das Gebet uns hinein. Mit seinem ganzen Sein und Handeln, mit ganzem Körpereinsatz bittet der Beter für die Gemeinde in Ephesus, deren Menschen verzagt im Glauben geworden sind. Und er schließt alle ein, deren Glauben erwachsen geworden ist. Mit seiner großen Geste stellt er ihnen Gottes große Liebe vor Augen. Ein Gebet verändert. Menschen, die wissen, dass ich für sie bete, berichten mir, dass allein das Wissen um das Gebet ihnen hilft. Ich merke das selbst: ich fühle mich getragen durch die Fürbitte anderer. Andere tragen meinen Namen, meine Geschichte, meine Sorgen vor Gott. Ich bin damit nicht allein. Schon dieses Wissen stärkt mich. Das, was mich beschäftigt und bewegt, so groß es mir erscheint – Gott ist größer. Gott ist so groß, dass wir vor ihm auf die Knie fallen, uns ihm ausliefern und ihm anvertrauen. Und er ist gewiss größer als alles, das mir auf meinen Schultern lastet.

Was soll Gott denn tun? Er soll Kraft geben nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, damit wir stark werden am inneren Menschen. Vielleicht ändert sich außen gar nichts. Vielleicht bleibt bestehen, was mir Sorgen macht. Ich kann die Uhr nicht zurückdrehen, ich bleibe erwachsen im Glauben – mit allen Herausforderungen, die das mit sich bringt. Aber mein innerer Mensch kann eine andere Haltung dazu gewinnen. Der innere Mensch, der Personkern, der mich ausmacht. Hier sitzt meine Stärke. Hier schlägt mein Herz. Die Kraft des inneren Menschen hält mich in der Spur, lässt mich meine Zuversicht bewahren und darauf vertrauen: Gott gibt mir für alles, was mir begegnet, Kraft genug. Er räumt nicht alles aus meinem Weg. Aber er hilft mir, es zu ertragen. Und ich spüre: es hängt nicht von mir ab, ob mein Leben gelingt.

Wer sich auf die Knie begibt, macht sich klein. Im Gebet erwarte ich Großes von Gott, nicht von mir selbst – für mich und für andere. Ich frage mich: was bedeutet es für meinen Nachbarn, wenn ich für ihn bete, dass Gott seinen Glauben stärkt? Was bedeutet es für unsere Kirche, wenn wir Großes für sie erwarten – nicht weil wir so großartige Konzepte und Ideen für sie haben, sondern weil wir sie dem großen Wirken Gottes anvertrauen? Was bedeutet es für andere, wenn ich ihre Sorgen vor Gott trage und ihnen davon erzähle, dass ich Gott um die Kraft ihres inneren Menschen gebeten habe?

Wir stehen zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Im Glauben erwachsen, stehen wir auf unseren eigenen Füßen. Erwachsen werden im Glauben, das heißt auch: nicht alles selbst tun wollen. Bewusst Verantwortung abgeben, dorthin, wo sie hingehört. Wir sind nicht verantwortlich dafür, dass Menschen Glauben finden oder dass unsere Kirche wächst. Wir können uns der Kraft Gottes in den Weg stellen und sie hindern, das ist wahr. Aber wir können sie nicht machen, das wäre vermessen. Sich miteinander und füreinander im Gebet vor Gott versammeln, darin liegen ungeahnte Kräfte – für uns, für unsere Kirche und sogar für unsere Gesellschaft. Sag Gott nicht, wie groß deine Sorgen sind, sondern sag deinen Sorgen, wie groß Gott ist. Amen.



Pfrin. Prof.Dr. Sibylle Rolf
Heidelberg
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