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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

12. Sonntag nach Trinitatis, 14.08.2016

„Radikale Verwandlung“
Predigt zu Apostelgeschichte 9:1-20, verfasst von Winfried Klotz

1-2 Saulus führte weiterhin einen wütenden Kampf gegen die Jünger des Herrn. Er drohte ihnen mit dem Tod und war entschlossen, die Gemeinde auszurotten. A Auch in Damaskus wollte er die Anhänger der neuen Lehre B aufspüren, um sie alle – Männer wie Frauen – in Ketten nach Jerusalem zu bringen. Zu diesem Zweck wandte er sich an den Hohenpriester und bat ihn um Briefe ´mit einer entsprechenden Bevollmächtigung`, die er den Synagogen in Damaskus vorlegen wollte. A) W 1-2 Saulus aber schnaubte immer noch Drohungen und Mord gegen die Jünger des Herrn. B) W des Weges.

3 Als er nun nach Damaskus unterwegs war und die Stadt schon fast erreicht hatte, leuchtete plötzlich vom Himmel her ein Licht auf. Von allen Seiten umgab ihn ein solcher Glanz,

4 dass er ´geblendet` zu Boden stürzte. Gleichzeitig hörte er, wie eine Stimme zu ihm sagte: »Saul, Saul A, warum verfolgst du mich?« - A) Die hebräisch-aramäische Namensform weist darauf hin, dass die Stimme hebräisch/aramäisch mit Saulus sprach (so ausdrücklich in Kapitel 26,14). Siehe dazu die Anmerkung zu Kapitel 21,40.

5 »Wer bist du, Herr?«, fragte Saulus. Die Stimme antwortete: »Ich bin der, den du verfolgst; ich bin Jesus.

6 Doch jetzt steh auf und geh in die Stadt! Dort wird man dir sagen, was du tun sollst.«

7 Die Männer, die mit Saulus reisten, standen sprachlos ´vor Bestürzung` dabei; sie hörten zwar die Stimme, sahen aber niemand.

8 Saulus richtete sich vom Boden auf und öffnete die Augen, aber er konnte nichts sehen. Seine Begleiter mussten ihn bei der Hand nehmen und nach Damaskus führen.

9 Drei Tage lang war er blind, und er aß nichts und trank nichts.

10 In Damaskus lebte ein Jünger ´Jesu` namens Hananias. Zu ihm sagte der Herr in einer Vision: »Hananias!« – »Ja, Herr?«, erwiderte Hananias.

11 »Geh in die Gerade Straße«, befahl ihm der Herr, »und frage im Haus des Judas nach einem Saulus aus Tarsus. Du musst Folgendes wissen: Saulus betet,

12 und in einer Vision hat er gesehen, wie ein Mann namens Hananias in sein Zimmer tritt und ihm die Hände auflegt, damit er wieder sehen kann.«

13 »Herr«, entgegnete Hananias, »von den verschiedensten Seiten habe ich erfahren, wie viel schreckliche Dinge dieser Mann in Jerusalem denen angetan hat, die zu deiner Gemeinde gehören A. A) W in Jerusalem deinen Heiligen angetan hat.

14 Außerdem ist er von den führenden Priestern dazu ermächtigt, hier in Damaskus alle zu verhaften, die sich zu deinem Namen bekennen A.« A) W die deinen Namen anrufen.

15 Aber der Herr sagte: »Geh ´trotzdem` zu ihm! Denn gerade ihn habe ich mir als Werkzeug ausgewählt A, damit er meinen Namen ´in aller Welt` bekannt macht – bei den nichtjüdischen Völkern und ihren Herrschern ebenso wie bei den Israeliten. A) Od Denn gerade er ist mir ein überaus nützliches Werkzeug.

16 Und ich will ihm zeigen, wie viel er ´von jetzt an` um meines Namens willen A leiden muss.« A) Od für sein Bekenntnis zu mir.

17 Da machte sich Hananias auf den Weg und ging in jenes Haus. Er legte Saulus die Hände auf und sagte: »Saul A, mein Bruder! Der Herr selbst – Jesus, der dir auf deiner Reise hierher erschienen ist – hat mich geschickt. Er möchte, dass du wieder sehen kannst und mit dem Heiligen Geist erfüllt wirst.« A) Vergleiche die Anmerkung zu Vers 4.

18 Im selben Augenblick war es, als würden Schuppen von Saulus' Augen fallen: Er konnte wieder sehen! Saulus stand auf und ließ sich taufen.

19 Und nachdem er etwas gegessen hatte, kehrten seine Kräfte zurück. Saulus war erst einige Tage bei den Jüngern in Damaskus,

20 da begann er auch schon A, in den Synagogen der Stadt zu verkünden, dass Jesus der Sohn Gottes ist. A) Od Saulus blieb einige Tage bei den Jüngern in Damaskus, 20 und er begann sofort.

Liebe Gemeinde!

Am letzten Sonntag war uns ein Abschnitt aus dem Epheserbrief als Predigtwort gegeben. Da heißt es in Kap. 2: Noch einmal: Durch ´Gottes` Gnade seid ihr gerettet, und zwar aufgrund des Glaubens. Ihr verdankt eure Rettung also nicht euch selbst; nein, sie ist Gottes Geschenk. Sie gründet sich nicht auf ´menschliche` Leistungen, sodass niemand ´vor Gott` mit irgendetwas großtun kann. (VV. 8-9) Heute ist uns mit dem Predigtwort aus Apg. 9 das dazu passende Beispiel gegeben. Zugegeben, ein extremes Beispiel, das kaum unseren Erfahrungen entspricht. Aber es besteht kein Grund, sich deshalb abzuwenden und den Bericht von der Bekehrung des Saulus, griechischer Name Paulus, der überschießenden Frömmigkeit und Phantasie urchristlicher Prediger zu zuschreiben.

Paulus selbst bezieht sich auf dieses Geschehen, durch das er von einem glühenden Verfolger der Jesusgläubigen zu einem leidensfähigen Prediger des gekreuzigten Jesus wurde, an verschiedenen Stellen seiner Briefe. Für die, die nachlesen möchten, nenne ich Galater 1, Philipper 3, 1. Korinther 15.

Galater 1, 13-15a spiegelt die radikale Verwandlung des Paulus und macht deutlich, dass sie allein Gottes Tat war:

„Ihr habt doch gehört, wie ´radikal` ich früher den jüdischen Glauben praktizierte: Ich verfolgte die Gemeinde Gottes mit äußerster Härte und tat alles, um sie auszurotten. 14 Ja, was ´den Eifer für` den jüdischen Glauben angeht, übertraf ich viele meiner Altersgenossen in meinem Volk, denn ich war ein besonders leidenschaftlicher Verfechter der ´religiösen` Überlieferungen meiner Vorfahren. 15 Doch dann hat Gott beschlossen, mir seinen Sohn zu offenbaren.“

Paulus beschreibt keinen Denkprozess, vielmehr geht es um ein Widerfahrnis, um eine handfeste, nicht zu leugnende Wirklichkeit.

Apostelgeschichte 9 berichtet: Saulus war auf dem Weg nach Damaskus, um dort die Anhänger des neuen Weges, so wurden die bezeichnet, die in der Synagogengemeinde an Jesus, als den Messias glauben, aufzuspüren und als Gefangene nach Jerusalem zu bringen. Er war dabei von der Richtigkeit seines Tuns völlig überzeugt. Hätte ihn jemand gefragt, warum er das tut, hätte er geantwortet: Gott will, dass ich das tue, denn die Anhänger von Jesus machen den zum Messias, der es nicht sein kann und der mit Recht hingerichtet wurde durch die Römer. Jesus hat das Gesetz Gottes gebrochen, seine Anhänger sind gottlose Gesetzesbrecher, die dieselbe Strafe wie er verdienen. Das uns von Gott durch Mose gegebene Gesetz muss gehalten werden, der Sabbat, die Unterscheidung von rein und unrein, der Opferdienst im Tempel. Jesu Anhänger behaupten, er sei durch sein Sterben am Kreuz das Opfer für die Sünden der Welt, deshalb brauche es keine Opfer im Tempel mehr, das ist gotteslästerlich. Die Überzeugung, Jesus sei von Gott auferweckt worden und damit habe die Erneuerung der ganzen Welt - auch der gottlosen, unreinen Heidenvölker- begonnen, ja, damit sei Gottes Herrschaft angebrochen, ist ein Hirngespinst. Gottes Herrschaft bricht dann an, wenn ganz Israel Gottes Gesetz, vor allem den Sabbat hält, so wie wir Pharisäer das tun.

Ja, Paulus war völlig überzeugt, dass die Verfolgung der Anhänger Jesu Gottes Wille ist. Unser Bericht sagt: „Saulus führte weiterhin einen wütenden Kampf gegen die Jünger des Herrn.“ Fanatisch, voller Zorn durchkämmte er die Synagogengemeinden, um die Abweichler, die Messias-Gläubigen aufzuspüren. Sie lebten als Mitglieder der Gemeinden.

Diesem Paulus, der im denkbar größten Gegensatz zu Jesus und seiner Gemeinde steht, stellt sich Jesus selbst in den Weg, nicht um ihn aufzuhalten oder auszuschalten, sondern um ihn zu seinem Boten und Werkzeug zu machen. Unser Bericht sagt:

„Als er nun nach Damaskus unterwegs war und die Stadt schon fast erreicht hatte, leuchtete plötzlich vom Himmel her ein Licht auf. Von allen Seiten umgab ihn ein solcher Glanz, dass er ´geblendet` zu Boden stürzte. Gleichzeitig hörte er, wie eine Stimme zu ihm sagte: »Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Wer bist du, Herr?«, fragte Saulus. Die Stimme antwortete: »Ich bin der, den du verfolgst; ich bin Jesus. Doch jetzt steh auf und geh in die Stadt! Dort wird man dir sagen, was du tun sollst.“

Saulus wird mit seinem hebräischen Namen Saoul (Shaoul), Saul, angeredet und das könnte darauf hinweisen, dass Jesus mit ihm hebräisch spricht. Jesus spricht mit ihm in der heilige, nicht der profanen Sprache. Für den aus der Diaspora, aus Tarsus, im Süden von Kleinasien, stammenden Juden Paulus war griechisch die Umgangssprache, hebräisch/aramäisch die Sprache der Heiligen Schriften, des Gottesdienstes, des Glaubens und seines Volkes.

Paulus, durch die Erscheinung niedergeworfen, fragt: „Wer bist du, Herr?“ „Ich bin der, den du verfolgst; ich bin Jesus“, antwortet die Stimme. Das ist schon eine grundsätzliche Veränderung, wenn der seiner selbst gewisse, mit Fanatismus und Stolz erfüllte Paulus, von dem zu Boden geworfen wird, den er für einen Gesetzesbrecher, für einen Gotteslästerer hält. Der ihm in göttlichem Lichtglanz erscheint und in der heiligen Sprache, der Sprache der Bibel, anredet. Paulus wollte die Anhänger eines hingerichteten, eines toten Verbrechers gefangen nehmen, der aber begegnet ihm lebendig in Gottes Weise, Herrlichkeit und Macht. Es wird sichtbar: Paulus hat nicht gegen Menschen, sondern gegen Gott gekämpft, indem er die an Jesus Gläubigen fanatisch verfolgte. Ich habe zutiefst gottlos gehandelt, muss Paulus erkennen. Mit bestem Gewissen, im Vertrauen auf meine tadellose Erfüllung des Gesetzes (Phil. 3), habe ich gegen Gott gehandelt. In Jesus Christus, dem Auferstandenen, ist mir Gott in den Weg getreten und hat gesagt: Was verfolgst du mich? Für Rebellion gegen Gott gibt es keine Gnade, sondern nur Gericht. Aber Jesus vernichtet Paulus nicht, und darin erkennt Paulus die alle Maße übersteigende Gnade Gottes in Jesus. Nach 1. Tim. 1, 15f sagt er:

„Ja, Jesus Christus ist in die Welt gekommen, um Sünder zu retten. Auf dieses Wort ist Verlass; es ist eine Botschaft, die vollstes Vertrauen verdient. Und einen größeren Sünder als mich gibt es nicht! Doch gerade deshalb hat sich Jesus Christus über mich erbarmt: An mir als dem größten aller Sünder wollte er zeigen, wie unbegreiflich groß seine Geduld ist; ich sollte ein ermutigendes Beispiel für alle sein, die sich ihm künftig im Glauben zuwenden, um das ewige Leben zu erhalten.“

Und noch etwas ist wichtig: Paulus bekommt keine Belehrung über den Gott Israels, an den er ja glaubt, sondern begegnet ihm in Jesus. Christlicher Glaube ist kein allgemeiner Gottglaube, sondern Zugang zu Gott durch Jesus. Wenn Jesus für uns Nebensache ist, wenn wir meinen, ein inneres Wissen um Gott sei schon Frieden mit Gott, oder, wie im römischen Katholizismus, Maria zur Türöffnerin zu Jesus und Gott geworden ist, dann hat eine problematische Verschiebung stattgefunden und die allein in Jesus erschienene Gnade Gottes ist ungewiss geworden. Wir waren vor kurzem in Tirol: Wie viele Kirchen heißen dort Maria Himmelfahrt, in wie vielen Kirchen hängt im Chorraum ein großes Kruzifix, aber davor, auf dem Boden, nahe an den Menschen, steht Maria. Ich will die evangelischen Kirchen keineswegs demgegenüber als positive Beispiele rühmen. Ich nehme wahr, auch hier steht Jesus an zweiter Stelle, er darf die menschliche Existenz erhellen, aber Gott in Jesus, Versöhnung durch sein Sterben, ist Nebenthema oder wird geleugnet.

Die Umwandlung des Paulus von einem Verfolger zu einem Bekenner Jesu geschah nicht in einem Augenblick, wie wir dem Fortgang der Geschichte entnehmen. Paulus ist nach der Begegnung mit Jesus blind, er muss geführt werden. Drei Tage isst er nicht und trinkt er nicht. Er ist lahmgelegt wie einer, der eine schwere Krankheit hat, in ihm kämpfen alt und neu miteinander. Kann das wahr sein, was ich gesehen und gehört habe? Ist es vielleicht eine Anfechtung des Teufels? Ist Jesus wirklich der Herr, so dass ich meine Knie vor ihm beugen muss?

Nach diesen drei Tagen schickt Jesus seinen Jünger Hananias zu Saulus. Begründung: „Du musst Folgendes wissen: Saulus betet.“ Paulus hat auch früher gebetet. Gemeint ist hier: er betet Jesus an, er beugt seine Knie vor ihm. Jesus ist für ihn Herr und Christus, Versöhner, Brücke zu Gott. Paulus Verbindung zu Gott ist Jesus.

So geht Hananias zu Paulus. Er legt Saulus die Hände auf und sagt: „Saul mein Bruder! Der Herr selbst – Jesus, der dir auf deiner Reise hierher erschienen ist – hat mich geschickt. Er möchte, dass du wieder sehen kannst und mit dem Heiligen Geist erfüllt wirst.“ So geschieht es, nachdem die innere Blindheit überwunden ist, wird auch die äußere geheilt und Paulus die Zusage des Heiligen Geistes gegeben. Er lässt sich taufen, isst und trinkt, lebt in der Gemeinde Jesu mit und bezeugt schon bald in der Synagogengemeinde, dass Jesus Gottes Sohn ist. Es wird schon hier sichtbar, was Jesus zu Hananias in Bezug auf Paulus gesagt hat: „Denn gerade ihn habe ich mir als Werkzeug ausgewählt, damit er meinen Namen ´in aller Welt` bekannt macht – bei den nichtjüdischen Völkern und ihren Herrschern ebenso wie bei den Israeliten.“ Bekehrt und in Dienst gestellt. Amen.



Pfarrer Winfried Klotz
Bad König/Odenwald
E-Mail: winfried.klotz@web.de

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