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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

21. Sonntag nach Trinitatis, 16.10.2016

Predigt zu Epheser 6:10-19, verfasst von Tom Kleffmann

Gnade sei mit euch, und Friede von Gott, unsern Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

Und diese Gnade von Gott, diesen Frieden, haben wir auch nötig! – wir, die christliche Gemeinde, die Kirche.

Es scheint fast, die Zeichen stehen auf Krieg für uns – natürlich kein äußerer Krieg mit äußerer Gewalt, aber eine echte, ernste, tiefe, feindliche Bedrohung. Es ist, als rollt eine Front auf uns zu – oder hat sie uns schon längst überrollt? Und es ist, als müssten wir uns endlich rüsten, uns verteidigen, die Gefahr abwehren, Bollwerke des Glaubens aufbauen.

Nicht in der Kirche zu sein ist heute fast selbstverständlicher als in der Kirche zu sein. Zu sagen: Es gibt keinen Gott, und niemand hilft dir, und nach dem Tod ist nichts – das ist das anerkannt Vernünftige. Und wer sagt: ich bin Atheist: ist sympathisch ehrlich und nicht allein.

Aber das eigentlich Schlimme ist: die Gefahr kommt nicht zuerst von außen: die Anderen, die austreten, - sondern sie kommt von innen. Denn wenn Gott fraglich ist, Christus, Heil und Ewigkeit, dann fehlt uns selbst allzu oft die Sprache. Und wir schweigen. Weil wir selber kaum sagen können, was wir glauben: Christus ist für unsere Sünden gestorben? Jüngstes Gericht? Auferstehung der Toten?

Umso bedrohlicher mag dann die Entschiedenheit, die Klarheit, die Frömmigkeit der Anderen sein – der wachsenden Zahl von Moslems in unserem Land. Ach wenn uns dies doch herausforderte, uns auf unsere Mitte zu besinnen. Die Christen aber, die dann wirklich klar und gewiss scheinen – manchmal sind gerade sie kein Vorbild. Denn es gibt auch eine Überzeugtheit, die dumm ist, weil engherzig, weil sie nicht mehr zuhört und nicht mehr nachdenkt. Eine äußere Glaubens-Sicherheit, die aus innerer Angst kommt. Glauben, der Ideologie ist. Das können wir auch nicht wollen! Das, worauf wir vertrauen, muss doch freieste, klarste, tiefste Überzeugung sein. Sonst ist es nicht von Gott.

„Ach Gott, vom Himmel sieh darein, und lass dich des erbarmen, wie wenig sind der Heilgen dein, verlassen sind wir Armen. Dein Wort man lässt nicht haben wahr, der Glaub ist auch verloren gar bei allen Menschenkindern“ (EG 273). Das werden wir nachher singen, mit Kraft hoffentlich, und auch mit Grund. Aber dass Luther es gedichtet hat, im Jahr 1524, das kann uns auch noch auf andere Weise stutzig machen. Und dass er es Psalm 12 nachgedichtet hat, der noch viel früher entstand, lange vor Christus. Das heißt doch: ja, es ist Ernst, es ist ein echter Kampf um die Wahrheit, dem wir nicht ausweichen dürfen. Schon deshalb nicht, weil wir nicht nur Kämpfer sind, sondern vorher schon selbst Schauplatz des Kampfes. Aber: der Kampf ist alt. Er kehrt immer wieder. Luther und die Seinen haben ihn gekämpft, und schon die Psalmbeter standen in diesem Kampf. Und auch in der frühsten Zeit des Christentums, in der Zeit des Paulus war es so. Deshalb kann Paulus uns auch in diesem Kampf etwas sagen.

Den Predigttext haben sie heute schon gehört: aus dem 6. Kapitel des Epheserbriefes. [Lesung Eph. 6,10-19]

Auf den ersten Blick scheinen diese Bilder des Kampfes fast zu stark für unsere Ohren. Die entscheidende Frage scheint zu kurz zu kommen: stark sein im Herrn: wie geht denn das? Die Waffenrüstung Gottes ergreifen, um zu überwinden: wie geht denn das? Sich mit Wahrheit umgürten: wie geht denn das? Den Schild des Glaubens ergreifen? Ich werde später eine Antwort darauf suchen.

Auch die Bedrohung, wie Paulus sie beschreibt, riecht nach unserem Geschmack etwas zu viel nach Schwefeldampf und Dämonen. Andererseits: Teufel heißt auf Griechisch „Verwirrer“. Und ich behaupte einmal auf Probe: wir sind wirklich den Methoden eines universalen, namenlosen Verwirrers ausgesetzt, nämlich der Macht einer kollektiven Verdrängung dessen, was uns vor Gott führt. Eine kollektive Macht der Lebenslüge, die ihre Wahrheit stets versteckt, die nie offensichtlich ist. In der Tat: Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen. Die Herren dieser Welt, die das Leben beherrschenden Mächte, die immer in Finsternis wirken, die nicht offen auftreten und sagen wer sie sind - das ist ein weltumspannendes System der Lebensblindheit, der falschen Selbstsicherheit, der Selbstgerechtigkeit, deren Wortführer nur ihre mächtigsten Sklaven sind. Nicht mit Fleisch und Blut kämpfen wir – mit versteckter Lebensleere, Verzweiflung und Angst, mit Unwahrheit und Lebenslüge, mit der großen Verwirrung, in der die Menschen garnicht spüren, was fehlt. ‚Das Leben läuft doch!: die Wirtschaft floriert, der Wohlstand wächst, alles wird gut.‘

Also: ziehen wir an die Waffenrüstung Gottes, damit wir bestehen gegen die Verwirrung. Es ist ja kein äußerer Kampf. Kirchenkampagnen, Strukturreformen, Kreuzzüge helfen da nicht weiter. Wir selbst sind ja zuallererst der Kampfplatz. Das Stark sein, das Bestehen, das Überwinden, der Widerstand, auf den es ankommt – das geschieht nicht mit äußerer, materieller Kraft. Sondern mit leiser Wahrheit. Mit Gerechtigkeit. Mit Glauben.

Aber woher kommt der sprachmächtige Glauben, wenn er doch selber in Frage steht? Woher kommt das: dass Gottes Gegenwart frei und erlösend die Gedanken durchdringt und die Welt noch einmal verstehen lässt: im Licht seines Geheimnisses? Wie geht das: die Waffenrüstung Gottes anziehen? Sich mit Wahrheit umgürten? Den Schild des Glaubens ergreifen?

Das im wörtlichen Sinn Entscheidende ist: nehmt das Schwert des Geistes, welches das Wort Gottes ist. - Ich verstehe das so: zuerst müssen wir die Fragen, die uns verunsichern, wirklich stellen. Wo bist du Gott? Wo ist deine Ewigkeit?

Die Kirche auf Ethik zu reduzieren, ist erbärmlich. Oder wenn ein flauschiger Kirchenmantel von Liebe und Segen alles zudeckt. Kein Leben ohne Tod, keine Wahrheit ohne Streit! In Furcht und Zittern müssen wir nachdenken, suchen, dicke Bretter bohren. Aber - - das Schwert des Geistes ist das Wort Gottes, sagt Paulus. Du erfährst es erst dann – vielleicht – wenn  Gott dein Gegenüber ist. Wenn Gott im Menschen redet. Wenn du ihn ansprichst und zugleich zuhörst. Betet [...] für alle Heiligen und für mich, dass mir das Wort gegeben werde, - und dass es euch gegeben werde.

Für den der betet, der sich verlässt auf den unsichtbaren Gott, der ihn anspricht – für den ist das Entscheidende schon da. Aber es ist kein Besitz. Die Wahrheit, mit der wir uns umgürten müssen an unseren Lenden, ist kein Besitz. Sie erfüllt uns dann, wenn wir uns verlassen. Denn das Wort Gottes, das das Schwert des Geistes ist: das sagt: du für dich allein bist nichts. Und es sagt: Du gehörst zu mir, denn ich bin ein Mensch geworden und habe deinen Tod und dein Nichts geteilt.

In uns allein finden wir nicht die Stärke, sondern den Tod. Seid stark in dem Herrn. Nehmt das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes. - Dann wird auch das Weitere kommen (und wenn es noch 100 Jahre dauert): das Verstehen. Die Sprache. Die Kraft.

 - - -

Ist die Bedrohung der christlichen Kirche heute größer als früher? Ja, sie ist sehr groß. Wir spüren es in unserer eigenen Unsicherheit. Sie ist so groß, wie sie es zur Zeit des Epheserbriefes war, und sie ist so groß wie zu der Zeit, als Luther das Lied schrieb, das wir gleich singen werden.

Wer wird das Feld behalten? Werden wir bestehen können? Kann das sein, dass aus unserem klein gewordenen Haufen neue Kraft für Viele wächst? - Sag du es!

Stark sind wir nicht in uns, sondern im Herrn. Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Lied: EG 273 Ach Gott vom Himmel sieh darein

 



Prof. Dr. Tom Kleffmann
Kassel
E-Mail: kleffmann@uni-kassel.de

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