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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Weihnachtstag, 25.12.2016

Weihnachten gilt auch uns!
Predigt zu Micha 5:1-4a, verfasst von Andreas Pawlas

Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Israeliten. Er aber wird auftreten und sie weiden in der Kraft des Herrn und in der Hoheit des Namens des Herrn, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden bis an die Enden der Erde. Und er wird der Friede sein.

 

Liebe Gemeinde,

Wie oft haben wir schon im Kerzenschimmer der Heiligen Nacht dieses uralte Bibelwort gehört! Jedes Jahr sind diese Sätze des Propheten Micha sorgsam und eindrücklich wiederholt worden. Und wir haben sie in uns aufgenommen, weil sie eben mit in den Kranz der weihnachtlichen Worte, Gesänge und Gebete gehören, wie sie seit Jahrtausenden überliefert sind. Wohl dem, der das große Fest derart in dieser kostbaren Umhüllung feiern und erleben kann. Wohl dem, der so mitsingen und mitbeten kann und der ganz erfüllt wird von allen guten Gaben der Weihnachtszeit.

Allerdings stelle ich mir vor, dass genau derjenige nun auch gern und fröhlich im stillen Gebet Anfragen und Bedenken begleiten kann, die jetzt inmitten aller weihnachtlichen Freude von so manchen anderen kommen, die im Mitsingen und Mitbeten etwas zurückhaltend und weniger fröhlich sind. Denn irgendwie gehört es doch auch zum Kern des weihnachtlichen Geschehens, dass man gern alle mit hineinnehmen möchte in das, was da Gott Wunderbares an uns Menschen tut.

Insofern darf selbst mitten im schönsten Fest die Frage nicht übergangen werden, was mit all denen an diesem hohen Weihnachtsfeiertag ist, denen sich der Verstand oder die Lebensumstände verweigern, hier einfach mitzusingen und mitzubeten. Oder was auch mit noch anderen ist, die weder etwas von Micha gehört haben noch etwas mit Bethlehem anfangen können. Und wie ist das wiederum mit noch anderen, die sich durch Worte an Israel und die Israeliten überhaupt nicht angesprochen fühlen? Wobei man ihnen sogar zugestehen müsste - wenn man hier ausschließlich den direkten Wortlaut gelten lassen wollte -, dass sich diese Prophetenworte tatsächlich so anhörten, als handele es sich um eine Botschaft allein für Israel und die Israeliten. Denn immerhin heißt es ja von Bethlehem, „aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei“ und weiter heißt es, dass der „Rest seiner Brüder wiederkommen“ wird zu den Israeliten, die dann geweidet werden „in der Kraft des Herrn“.

Allerdings, wenn damit tatsächlich diese Botschaft allein auf Israel und die Israeliten beschränkt sein sollte, müsste sich dann nicht eigentlich jeder Mitteleuropäer fragen, was das alles mit ihm zu tun haben könnte? Vielleicht würde dann mancher sogar bitter sagen: „Als Nichtisraeliten wären wir alle weihnachtlich nicht mit dabei.“ Oder: „Weihnachten fällt damit aus für uns! Alles umsonst gebetet, gesungen, gehofft!“

Aber, Gott sei Dank, ist das ja nicht so! Ja, Gott sei Dank, ist alles ganz anders! Dabei ist es jedoch durchaus richtig, dass der Prophet damals zu seiner Zeit, nur das Alte Gottesvolk Israel in seiner damaligen Gestalt vor Augen hatte mit diesem winzigen Ort Bethlehem - jedoch doch keinesfalls, damit es in Palästina, diesem unbedeutenden Teil der Welt, ein selbstgenügsames Leben fristen sollte. Sondern es war doch das Volk Gottes, des Schöpfers der ganzen Welt, dessen Gedanken und Wirken und Fügen alle Welt umschließt, und nach dessen Willen dieses Volk die Quelle der Erfüllung, der Ursprung des Heils für diese ganze Welt werden sollte. Und genau das stand dem Propheten sehr wohl vor Augen. Und in diesem Sinne zielt bereits alles das, was der Prophet im Namen Gottes sagt und erst recht dann das Weihnachtsgeschehen, sehr wohl auch auf uns andere Völker und auch auf uns Nachgeborene. Und in diesem Sinne lohnt es sich dann auch heute am Weihnachtstag, genauer auf dieses Prophetenwort zu hören.

Und dabei muss zunächst eins auffallen: Denn heutzutage sind wir doch gewohnt, wenn es um weltumspannende Fragen geht, dass man dann sinnvollerweise auf die eindrucksvollen Hauptstädte schaut, also auf die Orte, in denen die politische Macht und die wirtschaftliche Kraft ihr Zentrum haben. Und von dort erwarten wir verständlicherweise für unseren persönliches Leben und für das Leben unseres Volkes Weisung und Hilfe, Orientierung und Unterstützung, eben, dass ein Volk „geweidet“ wird, so wie man es damals in der Zeit des Propheten ausdrückte.

Aber vor diesem, nicht nur für die heutige Zeit völlig selbstverständlichen Hintergrund ist jedoch jetzt das, was der Prophet ankündigt, schlicht lächerlich. Denn welche mächtige politische Bewegung sollte wohl in Bethlehem ihr Zentrum haben? Welche Konzern-Zentralen oder Produktionsanlagen waren und sind denn wohl in diesem winzigen Bethlehem angesiedelt, von dem selbst der Prophet bekennt, „Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda"?

Allerdings können wir sicher sein, dass hier dem Propheten in seinem Wort kein zufälliger Irrtum unterlaufen ist. Vielmehr weist uns dieser Kontrast darauf hin, dass es damals wie heute in unserer Wirklichkeit eine Dimension gibt, die nur bedingt mit den großen bewegenden Fragen der Völker und der Weltgeschichte zu tun hat. Eine Dimension, die jedoch meist als viel drängender und persönlicher empfunden wird, weil sie jeden Einzelnen direkt betrifft.

Zu dieser Dimension gehört einerseits die Erfahrung von allem persönlichem Glück und Gelingen, die wir so leicht als selbstverständlich hinnehmen, die wir uns aber für die Weihnachtszeit auch gerade so sehr wünschen. Andererseits gehört jedoch zu dieser Dimension auch die Erfahrung von persönlichem Leid und Versagen, das Erleiden von Unglück und Hilflosigkeit, die Bedrückung durch Schuld und Krankheit, das Umhergetriebenwerden durch unheilbaren Krankheiten, zehrendes Siechtum oder gar den Tod.

Was für ein gewaltiges Gewicht hat in dieser Dimension und hat zu allen Zeiten die Frage nach dem, der alles dieses Leid beenden kann, der ein Leben wirklich heilen und vollenden kann. Und diese Frage wird bange und angstvoll gestellt, aber auch so hoffnungsvoll und sehnsüchtig.

Und genau inmitten dieser Hoffnung und Erwartung tritt der Prophet Micha auf. Ihm ist es aufgetragen, im Namen unseres Gottes zu sprechen, im Namen des Schöpfers des Himmels und der Erde, dessen Gedanken, Wirken und Fügen nicht nur damals alle Welt umschließt sondern genauso heute, und das auch von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Aber warum weist nun der Prophet Micha auf den Ort Bethlehem hin, wo es doch dort weder politische Zentren noch Konzern-Zentralen oder Fabriken und noch nicht einmal richtige Krankenhäuser gibt? Doch weil nach Gottes Willen genau von dort, aus der Stadt Davids, der herrliche Erlöser kommen soll, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist, und der dann in der Kraft des Herrn und in der Hoheit des Namens des Herrn, seines Gottes, alle „weiden“ soll, also alle heilen, trösten, vollenden. Ja, genauso glauben, bekennen und besingen wir es an diesem hohen Weihnachtsfeiertag wie die Christenheit seit alters her.

Und dennoch wird es doch genügend geben, denen der Bezug auf Gottes Willen nicht reicht und die kritisch fragen, wie das denn gehen soll, wo dieser besungene Erlöser weder über politische noch wirtschaftliche noch wissenschaftliche Macht verfügt. Aber hier wird wiederum ein Kontrast zur Botschaft: Denn Micha verkündet, dass dieser Erlöser, in Bethlehem nicht in Pracht und Herrlichkeit eine Residenz beziehen soll, nicht in üblichem Prunk und gehörigem Abstand zu uns normalen Leuten. Sondern er soll schlicht unter uns geboren werden, mit allen Schmerzen und Plagen, genauso wie es bei uns Menschen so ist, in Ohnmacht und Armut. Und deshalb feiern wir doch auch zur Weihnachtszeit genau diese Geburt des Erlösers in dem Kind in der Krippe! Und das heißt, dass uns unser Gott uns und unserem Geschick in diesem Erlöser ganz nahe kommen will und so werden will wie wir, ja, gerade so wie wir sind, wenn uns Schmerzen und Plagen zerreißen wollen, wenn wir nicht über diese Welt triumphieren, sondern an ihr leiden.

Aber genau, weil er uns in dem Kind in der Krippe zu Bethlehem so nahe kommt, deshalb kann er uns dann auch wirklich bewegen. Denn, da geht es nicht darum, welche klugen Gedanken wir einmal wieder haben, um uns Vorteile zu verschaffen, um Geld, Güter oder Macht zu raffen, oder wie raffiniert wir geplant haben, unseren Nächsten hinter uns zu lassen. Sondern in dem geheimnisvollen Geschehen der Heiligen Nacht sollen wir ja in ganz anderer Weise bewegt werden.

Und das geschieht eben nicht in der Weise, wie es die Großen und Mächtigen üblicherweise mit uns tun. Dennoch ist uns die Art und Weise bekannt und weist uns wieder auf die vom Propheten angekündigte Geburt: Denn wem ist es noch nie so gegangen, dass er beim Betreten des Zimmers eines Neugeborenen unwillkürlich inne gehalten hatte und still geworden ist? Wer kennt es nicht, wie er beim Blick auf ein Neugeborenes in seinem Herzen tief bewegt wurde, oder wie angesichts des Neugeborenen unter allen, die sich auf Zehenspitzen nähern, mit einem Male Frieden einkehren will?

Es ist diese unwillkürliche Macht der Liebe, die uns in der Geburt des Christuskindes bewegen soll, darf und wird. Es ist diese Macht der Liebe Gottes, die uns eigentlich bestimmt ist. Ja, wir dürfen uns fest darauf verlassen, dass Gottes Gedanken über uns selbst, über alle Lieben und über den ganzen Kosmos gute Gedanken der Liebe sind.

Warum? Einmal, weil Gott schlicht Liebe ist. Sodann aber, weil wir ihn anders nicht verstehen. Denn nachdem alles, was uns Gott sonst an Zeichen seiner Güte, an Weisung, Regeln und Orientierungen gegeben hat, uns kaum erreicht hat, taucht er eben selbst als das in Bethlehem geborene Kind in der Krippe in unser Menschsein ein. Er lebt mit uns, leidet mit uns, ja, stirbt dann als erwachsener Mann Jesus Christus für uns, um danach aufzuerstehen, und uns damit zu zeigen, dass Gottes Liebe stärker ist als alles auf der Welt, ja, sogar stärker als der Tod! Was für ein Frieden muss darum unter uns wachsen, wenn diese Liebe herrschen kann, so, wie es der Prophet verkündet!

Allerdings, wer von allen denen, die sich damals um die Krippe versammelten, wird das alles schon richtig verstanden haben? Die Hirten dürften mit ihrem Staunen viel zu beschäftigt gewesen sein und die Könige mit ihrer Himmelskunde und selbst die fromme Maria bewegte alles nur „in ihrem Herzen“.

Jedoch dürfen wir hier um Gotts willen nachsichtig sein mit allen, die damals ergriffen an der Krippe standen - und mit uns selbst. Denn die weihnachtlichen Verheißung und das weihnachtliche Geschehen sind einfach größer als alles, was unsere Vernunft verstehen kann.

Und ich glaube, dass auch später die Jünger Jesu, obwohl sie doch immer direkt bei ihm sitzen und ihm zuhören und von seiner göttlichen Kraft ergriffen werden konnten, auch nicht alles gleich begriffen hatten. Vermutlich haben sie wohl erst so richtig nach Jesu Kreuzigung, Sterben und Auferstehen verstanden, dass genau er der erwartete und vom Propheten verkündigte Erlöser ist, der wirklich heilen und erretten kann.

Und warum kann er das? Doch weil er in Gottes Namen dafür steht und bezeugt, dass unser Leben und das Leben unserer Lieben sich nicht in dem Körperlichen und in unseren Alltagsfragen erschöpft, sondern eingebettet ist in Gottes gute Gedanken der Liebe über einen selbst, über alle Lieben und über den ganzen Kosmos. Darum durften die Jünger sich auch sicher werden und darauf vertrauen, dass sie selbst, wenn sie dann sterben müssten und alles Vergängliche vergehen würde, genauso in das Unvergängliche auferstehen würden wie er, dass sie genauso wie er von Gottes Liebe durchströmt werden und bleiben würden wie er und damit alles Schlimme überwinden. Ja, wie klein müssen deshalb einfach manche riesig scheinende Sorgen und Probleme werden, ja selbst Kränkung und Vergänglichkeit, angesichts solcher Perspektive der Ewigkeit!

Aber es ist eben genau eine solche Perspektive der Ewigkeit, in der nach der Verkündigung des Propheten in heiliger Zeit das Kind in der Krippe herrlich werden wird bis an die Enden der Erde, und uns ergreifen, verändern und vollenden will, jetzt und bis in Ewigkeit. Gott sei Lob und Dank! Amen.



Pastor i. R. Dr. Andreas Pawlas
25365 Kl. Offenseth-Sparrieshoop
E-Mail: Andreas.Pawlas@web.de

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