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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Palmarum, 09.04.2017

Ein gutes Werk
Predigt zu Markus 14:3-9, verfasst von Eberhard Busch

Schon auf alten Bildern kann man sehen, wie vormals der Prophet Samuel dem Hirtenknaben Samuel ein Gefäß mit einer kostbaren Flüssigkeit über seinem Kopf ausleert und ihn damit salbt. Etwa aus der Synagoge von Dura Europos im Osten des heute so umkämpften Syrien kann man davon ein eindrückliches Wandgemälde aus dem 3. Jahrhundert sehen. Die Flüssigkeit ist ein wohlriechendes, teures, köstliches Öl; das ist mit dem Wort „Narde“ gemeint. Dessen Ausgießen über einem Haupt ist seit einstigen Zeiten ein üblicher Ritus, mit dem jemand zum königlichen Herrscher gesalbt und geweiht wurde Die damit zusammenhängenden Worte Messias oder Christus sind Fremdworte, deren Bedeutung auf deutsch eben „Gesalbter“ lautet. Man redet ja auch noch heute davon, dass eine Person zum Regenten gesalbt ist.

Und nun können wir im Bericht des Evangelisten Markus eine solche Salbung miterleben. Jesus ist bei einem gewissen Simon zu Tisch geladen. Der wird ein Aussätziger genannt. Solchen Kranken ist man aus dem Weg gegangen. Jesus ist zu ihm gegangen. Während der Mahlzeit bei ihm tritt eine unbekannte Frau herzu, und sie macht nun gerade das: „Sie hatte ein Glas mit ungefälschtem und köstlichen Nardewasser, und sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt.“ Wer ist diese Frau? Wo kommt sie her? Wer gibt ihr das Recht dazu? Das tut jetzt nichts zur Sache. Wichtig ist jetzt nur das Unerhörte, was sie mit dieser Handlung zum Ausdruck bringt. Denn das geschieht da, dass sie unter all den Tischgenossen im Hause jenes Simon diesen Einen ans Licht stellt: er ist der Messias, der Christus! Das bringt sie mit dem Ausgießen des Öls auf das Haupt dieses Gastes zum Ausdruck. Er ist dadurch als ein Gast sondergleichen gekennzeichnet, als eine hoheitliche Gestalt, die alle überragt.

Aber die Leute, die das sehen, freuen sich nicht darüber. Sie werden deswegen wütend und zornig. Sie schimpfen und protestieren lauthals. Und können wir sie nicht verstehen? Denn das Öl, das die Frau vergießt, ist ja nicht eins von der billigen Sorte. Die Kosten dafür betragen nahezu das Jahresgehalt eines Arbeiters. Und das wird jetzt in einem Augenblick diesem Jesus über den Kopf gegossen. Das nennt man Vergeudung. Und es tönt gut, wenn die Leute sagen, mit dem Geld hätte man so und so vielen Armen aus ihrer Not helfen können. Welcher anständige Mensch denkt nicht so wie diese Leute! Ist die Vergeudung jener Frau nicht ein Beispiel für die massenhafte Verschwendung heutzutage. Hierzulande wird fast die Hälfte aller produzierten Lebensmittel vor dem Gebrauch auf den Müll geworfen: 500 000 Lastwagen voll pro Jahr. Muss man da nicht die Tafeln unterstützen bei ihrem Kampf gegen die sinnlose Lebensmittelvergeudung?!

Aber Jesus in unserer Geschichte verteidigt überraschend jene Frau und nimmt sie in Schutz. Und er erklärt: „Lasst sie in Frieden! Sie hat ein gutes Werk an mir getan.“ Können wir denn nunmehr Jesus verstehen? Redet er da nicht richtig hartherzig und egoistisch? – und spricht dabei nicht von der Not der Armen, von der die Leute sagen, dass man etwas dagegen unternehmen sollte. Zum Beispiel jene Frau, die viel Geld zu haben scheint, die sollte zahlen. Nein, diese Annahmen und Fragen sind nicht zutreffend. Wir werden sehen, dass es anders ist.

Vielmehr deckt Jesus auf, dass diese Leute ihrerseits etwas Grundlegendes übersehen; und dadurch, dass jene Frau das nicht übersehen hat, hat sie „ein gutes Werk“ getan. Worin besteht es? Darin, dass sie verstanden hat, was Jesus als das vornehmste Gebot Gottes erklärt hat: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und ganzem Gemüt.“ Und: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mt 22, 37.39). Beides dürfen wir nicht auseinander reißen. Aber beides ist nicht dasselbe. Und wohlverstanden, es heißt hier zuerst: Liebe Gott! und erst danach: liebe deine Mitmenschen! Wie ja auch im Unservater-Gebet es zuerst heißt: „Dein Name werde geheiligt“ und erst darauf: „Unser tägliches Brot gib uns heute“.

Die Leute in unserer Geschichte lassen den vorangehenden ersten Teil des Liebes-Gebots außer Acht. Den hat jedoch jene Frau ernst genommen und danach gehandelt. Sie hat das getan: „Du sollst Gott lieben“, ihn von ganzem Herzen, ihn mehr als alles Andere. Gerade das ist ihr gutes Werk. Sie hat das getan mit dieser besonderen Salbung des Hauptes von Jesus. Das soll nie vergessen werden, sondern das soll uns auch heute eine Vorbild sein. Vermutlich hat sie mit dem Kauf des so teuren Öls alles weggegeben, was sie hatte, und hat sich damit auf Gedeih und Verderb in die Hand des Heilands begeben. Es passt wohl zu ihr das Gebet des in der Schweiz verehrten Bruder Klaus, der vor 600 Jahren alles hergeben hat, um Gott zu dienen: „Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu dir. Gib alles mir, was mich fördert zu dir. Nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir.“

Denn wie auch immer jene Frau sich des Näheren darüber im Klaren ist, in ihrem Tun zeigt sie, dass Gott und Jesus nicht sozusagen zwei verschiedene Adressen sind. In der Person Jesu wird der im Himmel verborgene Gott sichtbar. In dieser Person legt Gott sich darauf fest, wer er ist. Genau der ist Gott, der unter die Menschen kommt, der, der sich mit Geschöpfen von der Art jenes Simon an einen Tisch setzt, ein Parteigänger von Sündern, der, der in seiner Solidarität mit ihnen zeigt, dass er sich von ihnen nicht trennen will. Noch einmal: Christus ist der, der in seiner Liebe vom himmlischen Vater zu den Menschen, auch und gerade zu den verkehrten Menschen gekommen ist.

Und er ist unter ihnen umgekommen. Von jener Frau sagt Jesus nach Markus: „Sie hat getan, was sie konnte; sie ist zuvorgekommen, meinen Leib zu salben zu meinem Begräbnis.“ Das wird von der Salbung des David zum König durch Samuel nicht gesagt. Von der Salbung Jesu zum Herrscher und Hirten seines Volkes aber wird es gesagt und muss es gesagt werden: „gekreuzigt, gestorben und begraben“. Wie er nach dem Evangelisten Johannes es selber sagt: „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe“ (Joh 10,12) – nämlich um sie zu bewahren und zu retten vor dem Verderben.

In einem alten Passionslied von 1350 wird das zusammengesehen: Er, der anbetungswürdige Hohe, der sich tief herabbeugt, hingibt für die Verlorenen bis zum Tod: „Ehre sei dir, Christus, der du littest Not, an dem Stamm des Kreuzes für uns bittern Tod, herrschest mit dem Vater in der Ewigkeit: hilf uns armen Sündern zu der Seligkeit“ (EG 75). In der Musik der Johannespassion von Johann Sebastian Bach, die in diesen Tagen wieder zu hören sein wird, wird das gleich zu Anfang von dem Chor so vorgetragen: „Herr unser Herrscher, dessen Ruhm in allen Landen herrlich ist. Zeig uns durch deine Passion, dass du, der wahre Gottessohn zu aller Zeit, auch in der größten Niedrigkeit verherrlicht worden bist.“ Eben zu diesem Hohen gehört seine Niedrigkeit. In seiner Erniedrigung tritt er ein für all die Hilfsbedürftigen und Bösartigen. Er tut es, um sie alle zurechtzubringen. Und das raubt ihm nicht seine Ehre, sondern darin hat er seine Ehre und seinen Ruhm. Das ist die Krönung seiner Laufbahn.

Wenn wir das recht verstanden haben, so werden wir auch das Weitere recht verstehen, was Jesus sagt: „Ihr habt allezeit Arme bei euch; so oft ihr nur wollt, könnt ihr ihnen wohltun.“ Gerade er hat die Not in unserer Welt nicht übersehen. Gerade er nimmt die Armen noch viel ernster als die Leute, die so gern gewollt hätten, dass das Geld jener Frau statt für die Narde, besser für die Armen eingesetzt worden wäre. Gerade er redet nicht bloß wie die Leute über die Bedürftigen. Er tritt beherzt für die Menschen im himmel-schreienden Elend ein. Damit legt er sie uns ans Herz und macht uns für sie verantwortlich. Welch ein Missverhältnis herrscht nämlich heute zwischen unserer riesigen Vergeudung von Lebensmitteln auf der einen Seite und dem mörderischen Mangel an Nahrung in unserer Nähe und Ferne auf der anderen Seite! Ende Februar dieses Jahres haben die Vereinten Nationen offiziell den Hungernotstand ausgerufen in Südsudan, im Nordosten Nigerias, in Somalia. Dort bahnen sich Hungerkatastrophen an. Sie führen zu einem Massensterben Hunderttausender.

Bedenken wir, dass des Doppelgebot der Liebe auch besagt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Wer Christus ehrt, wird die von ihm geliebten Menschen nicht im Stich lassen. Zuweilen sind auch die Fremdesten unsere Nächsten. Denn unsere Nächsten sind jeweils die uns von Jesus Nahegelegten. Liebe Gott und liebe deinen Nächsten! Die namenlose Frau in unserer Geschichte weist uns in ihrer Salbung auf Jesus hin. Das ist das gute Werk, das sie auch an uns tut. Gott sei Dank für die Lehre, die uns heute diese Frau erteilt!

 



Prof. Dr. Eberhard Busch
Friedland
E-Mail: ebusch@gwdg.de

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