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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstsonntag, 04.06.2017

Predigt zu Johannes 16:5-15, verfasst von Wolfgang Winter

Liebe Gemeinde,

der Pfingstgeist kann Menschen treffen wie ein gewaltig brausender Wind und sie wunderbar erfüllen mit den vielfältigen Gaben des Geistes, z.B. mit der Gabe, sich anderen verständlich zu machen. Von solchem Pfingstwunder erzählt die Apostelgeschichte (Apg. 2,1-18).

Eine andere Pfingstgeschichte wird im 16. Kapitel des Johannesevangeliums erzählt. Hier kommt der Geist nicht von außen als überwältigende und mitreißende Macht. Hier geht es um eine innere Erfahrung des Geistes, nämlich dass Menschen Trost erfahren angesichts einer Betrübnis und wieder Mut finden, ihr Leben trotz allem aktiv in die Hand zu nehmen.

 

Unser Text ist Teil der sogenannten Abschiedsreden, in denen Jesus seine Jünger auf die Trennung vorbereitet: „Ich gehe hin zu dem, der mich gesandt hat.“ Aber dann merkt er, dass niemand auf den Gedanken kommt, näher nachzufragen: Wohin gehst Du? Die Jünger sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt, nämlich mit ihrer Trauer über seinen Fortgang.

Und da reagiert Jesus ganz seelsorgerlich: Er stellt seine eigene Erwartung zurück und läßt sich auf die Befindlichkeit der Jünger ein. Nicht mehr das Wohin?, sondern das Warum? seines Fortgehens steht nun im Vordergrund des Gesprächs. Allerdings rätselhaft sagt er ihnen: „Es ist gut für euch, dass ich hingehe; denn wenn ich nicht hingehe, kommt der Tröster nicht zu euch.“ Ja, das ist logisch, aber warum sollte das gut sein?

Vielleicht hilft zum Verstehen unsere Lebenserfahrung. Wenn ein Vater seine fünfjährige Tochter zum Kindergarten bringt und eine Straße zu überqueren ist, dann wird er der Tochter erklären, auf welche Weise man eine Straße überqueren muss: erst links schauen, dann rechts schauen, und erst dann, wenn alles frei ist, schnell über die Straße gehen. Er tut das, damit das Kind später allein zum Kindergarten gehen kann. Irgendwann ist es so weit, dann ist es gut für das Kind, wenn er wegbleibt. Es hat aber etwas vom Vater dabei auf seinem Weg: seine Anweisungen und sein Vorbild. So ist es nicht gänzlich von ihm getrennt, sondern hat ihn sozusagen als inneren Begleiter in sich aufgenommen. Und dieser Begleiter kann dann auch trösten, wenn die alte Kinderangst vor dem Alleingelassen-Sein sich wieder einstellen sollte. „Du kannst das schon“, das hat er ihr wahrscheinlich öfter gesagt. Und daran kann seine Tochter sich im Krisenfall dann erinnern.

Allerdings: Jesus ist nicht wie ein Vater, der dann doch immer wieder real verfügbar ist. Jesus geht endgültig fort, nämlich in den Tod. Und die Trauer der Jünger hat nicht nur mit einer leichten Trennungsangst zu tun, sondern ist die tiefe Trauer über den endgültigen Verlust der fühlbaren, realen Gegenwart eines geliebten Menschen. Solche Trauer läßt auch sonst Menschen in sich selbst versinken.Die Trauer hält sie gefangen. Trauer braucht Zeit.

 

Was führt aus dem Schmerz der Verlassenheit heraus? Jesus sagt: „Ich will den Tröster zu euch senden.“ Das ist ein tröstlicher Zuspruch. Die Trennung ist nicht purer Abbruch einer tragenden Beziehung, sondern diese Beziehung findet ihre Fortsetzung, aber in verwandelter Form. Im Tröster bleibt Jesus selbst gegenwärtig, aber nicht mehr real und direkt verfügbar, sondern nun indirekt, im Innern, als tröstender und Halt gebender Geist. Man kann vielleicht sagen: Von nun an wird er himmlischer Beistand in irdischen Bedrängnissen sein.

So ist dieser seelsorgerliche Zuspruch eine Zu-Mutung im doppelten Sinn: den Jüngern wird zugemutet, die Realität irdischen Lebens selbständig zu bestehen. Magische Eingriffe von oben wird es nicht geben. Aber zugleich spricht Jesus ihnen Mut zu, weil er in Gestalt des Trösters ihnen innerlich nahe bleibt und in der Kraft seines Geistes ihnen in den Bedrohungen des Lebens beisteht.

Das griechische Wort Parakletos (Luther: Tröster) bedeutet ursprünglich Fürsprecher und Beistand vor Gericht. In Zeiten der Verfolgung trösteten sich die frühen Christen damit, dass vor jüdischen oder römischen Gerichten der himmlische Tröster ihnen beistehen würde. Auch das Johannesevangelium, etwa im Jahr 100 geschrieben, weiß von Verfolgungen von Christen.

 

In der inneren Verbundenheit mit dem Geist Jesu steckt aber noch mehr als tröstliche Nähe in Bedrängnissen. „Der Tröster wird der Welt die Augen auftun über die Sünde, über die Gerechtigkeit und das Gericht.“

So geht das Gespräch weiter. Anfangs waren die Jünger noch ganz in sich versunken und hatten keine Augen für die Welt. Nun mutet Jesus ihnen zu, in einer neu gefundenen, neu gegründeten Selbst- und Gottesgewißheit  die Augen aufzutun und zu sehen:

Zuerst die Sünde. Bei Johannes ist das der Unglaube, genauer: die Weigerung, teilzunehmen am Leben im Geiste Jesu, d.h. im Geist der Liebe zu den Menschen.

Der Gegenbegriff zur Sünde ist die Gerechtigkeit. Ein paar Kapitel vorher im Johannesevangelium übergibt Jesus in einer anderen Abschiedsrede den Jüngern ein Vermächtnis: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, gleich wie ich euch geliebt habe... Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ (Joh. 13,34f.).

Nicht allein ein innere Gewissheit, sondern die gelebte Praxis der Liebe: das ist die Gerechtigkeit und diese verbindet mit dem Geist und dem Vermächtnis Jesu. Und in der Praxis der Liebe wird zugleich der Fürst der Welt gerichtet, genauer: überwunden. Das Gericht über ihn findet also nicht erst in ferner Zukunft statt, sondern schon gegenwärtig, wenn Liebe gegen Hass, Menschenfreundlichkeit gegen Feindseligkeit stehen und sich die Liebe als stärker erweist.

 

Liebe Gemeinde, das ist ein hoher Anspruch: in unserem Verhalten   sollen wir der Welt zeigen, was es heißt: mit Jesus im Geist verbunden sein, in seinem Geist leben. Nicht allein um persönliche Glaubensgewißheit geht es hier, sondern um unsere nach außen sichtbare Lebenspraxis.

Einander lieben -  und der Hass soll draußen bleiben?

Wir wissen - oder ahnen doch  -  wohl alle, dass der Hass auch in uns selbst ist, -  freilich tief verborgen und unbewußt, aber immer bereit, an die Oberfläche zu drängen, wenn er gereizt wird. Vor allem, wenn wir uns verletzt und gekränkt fühlen durch Geringschätzung und Demütigungen. Dann kommen oft Zorn, ja Wut, Hass und Rachegefühle in uns auf und klingen nur sehr langsam wieder ab. Der Fürst der Welt ist nicht nur da draußen, sondern auch in uns selbst. Vor 100 Jahren, mitten im ersten Weltkrieg, schrieb Sigmund Freud sogar: Der dünne Firnis derZivilisation ist im Krieg zersprungen, und wir haben uns als „eine Rotte von Mördern erwiesen“.  (Zeitgemässes über Krieg und Tod, 1915).

Ich denke, auch wir Heutigen können uns nicht sicher sein, ob nicht bei bedrohlichen außen- oder innenpolitischen Entwicklungen auch in uns destruktive Impulse die Oberhand gewinnen und wir kollektiv die Beherrschung verlieren. Der Abstand zwischen der unbedingten Liebe Jesu und unserer doch sehr bedingten und von günstigen Umständen abhängigen Liebe ist groß.

 

Den nun folgenden Vers empfinde ich deshalb als außerordentlich entlastend, weil er - einfühlend - die tatsächliche Verfassung der Jünger ernst nimmt. Jesus sagt : Ich habe euch noch viel zu sagen. Aber ihr könnt es jetzt nicht tragen.“

Er sieht die Grenzen der Tragfähigkeit der Jünger. Man kann auch sagen: Die Herausforderung des Liebesgebotes übersteigt das für die Jünger erträgliche Maß. Und wiederum, im nächsten Satz, verwandelt Jesus die Szenerie und zeigt einen Weg, der über das bloße Verharren in der Begrenztheit hinausführt. Er sagt: „Wenn aber jener Tröster, der Geist der Wahrheit kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit führen.“ Das Bild des Weges - im  Griechischen wird der Geist „Weggeleiter“ genannt -  zeigt an, dass die Praxis der Liebe im Geiste Jesu ein Unterwegs-Sein ist und wir auf ständige Ermutigung und sichere Führung angewiesen bleiben.

Führer auf dem Weg: das heißt auch, dass der Geist der Wahrheit immer wieder als eine Unterbrechung unserer gewohnten Alltagsroutinen wirkt, die uns innehalten läßt und einen Perspektivwechsel einleitet: dann erscheint möglicherweise der lästige Nachbar, der unsympathische Konkurrent, der fremdartig-bedrohliche Flüchtling plötzlich vor unserem inneren Auge als ein Mensch wie wir selbst und von liebevoller Zuwendung abhängig wie wir selbst. Mit dieser anderen Sicht können wir dann auch versuchen, unser Alltagshandeln zu überdenken und neu zu orientieren.

 

Ich denke, solche Unterbrechungen sind eher situative Erfahrungen, sie ereignen sich bei ganz konkreten Herausforderungen und sind nie endgültig abgeschlossen. Wir sind auf einem Weg.

In diesem Sinn habe ich eine Kontroverse verstanden, die auf dem Kirchentag in Berlin zwischen dem Ratsvorsitzende der EKD und der Bundeskanzlerin stattfand. Er versuchte mehrfach, mehr Einfühlung in die Situation von geflüchteten Menschen hierzulande anzumahnen und forderte von der Politik Verbesserungen für sie. Die Kanzlerin dagegen verwies ihn ebenso mehrfach auf die Grenzen des realpolitisch Möglichen, innerhalb derer schon viel verbessert worden sei. Beide sind Christen und dem Liebesgebot Jesu verpflichtet.

Ich meine, hier wird zweierlei deutlich: Zum einen unterbricht der Geist der Liebe das realpolitische Handeln und stört es notwendigerweise. Liebe im Geist Jesu ist nicht Harmonie um jeden Preis. Zum anderen: Unsere Liebesfähigkeit ist real begrenzt. Der Geist der Wahrheit führt uns auf einem Weg, aber wir sind noch längst nicht am Ziel. Wir bleiben oft hinter der Liebe zurück und werden mitschuldig am Leiden vieler Menschen, in dieser Zeit besonders am Leid vieler flüchtender Menschen. Es wäre gut, wenn wir uns und anderen diese Schuld offener eingestehen würden, als es manchmal zu hören ist.

Was bleibt am Ende? Ich meine,es ist die Zu-Mutung unseres Textes, sich trotz aller verständlicher und ernstzunehmender Begrenztheiten und Beharrungstendenzen immer wieder auf den Weg des Geistes einzulassen und immer wieder den Perspektivwechsel zu wagen Der Zuspruch des Trösters und Weggeleiters ist uns jedenfalls sicher.

Poetisch hat die Heidelberger Dichterin Hilde Domin das Wagnis so ausgedrückt: „Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug.“

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen

 



Pastoralpsycholge Pastor Wolfgang Winter
Göttingen
E-Mail: wolfgang-winter@gmx.de

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