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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 16.07.2017

Zeige mir Herr, wo Du bleibst.
Predigt zu Johannes 1:35-42, verfasst von Konrad Glöckner

Kanzelgruß:

Gnade sei mit Euch und Friede, von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus Amen.

 

Hören wir eine Begebenheit, wie sie uns im ersten Kapitel des Evangeliums von Johannes erzählt ist: (Lesung: Joh 1,35-42)

 

 

Liebe Gemeinde,

 „Es bleibt alles beim Alten.“  Weitläufig ist dieses Sprichwort bekannt,  aber vielleicht ist es besonders in unserem norddeutschen pommerschen Lande beheimatet, wo sich Veränderungen gemächlich vollziehen. Unterschiedliche Anklänge schwingen in diesem Wort mit, ein resignierender Ton: „ Ach, rechnet doch nicht mit Veränderung zum Guten.“, aber auch ein tröstender Ton: „So schlimm wird es schon nicht kommen.“

Wie immer man aber dieses Wort hören mag, in jedem Fall spricht es die Empfehlung, sich in bestehenden Verhältnissen einzurichten, der Kraft der Beharrlichkeit zu vertrauen. Und so wirkt es in unserer Zeit, in der wir erleben, wie sich Veränderungen immer rascher vollziehen, ein wenig veraltet und vorgestrig. Fast nostalgisch. Das Wort weckt Sehnsüchte nach der guten alten Zeit, in der alles noch Zeit hatte.

Sprichworte spiegeln Lebenserfahrung und tragen in aller Regel einen Kern Wahrheit in sich. Der Wahrheitskern unseres Wortes mag die Einsicht sein, dass unser Leben, so sehr es sich äußerlich ändern mag, in seinem inneren Wesen doch unveränderlich bleibt, nämlich dass es eine Suchbewegung ist und Fragen in sich birgt, die jede Generation, und auch ein jeder von uns immer wieder neu stellen und angehen muss: „Was macht mein Leben aus?“, Wofür stehe ich ein?“, „Welcher Glaube  verhilft mir dazu?“, „Welche Normen leiten mich?“

Diese Fragen brechen überall dort auf, wo unser Leben in seinen Fundamenten erschüttert ist, wo uns Leid und Tod aufschrecken, übermäßige Freude uns zum Staunen bringt, oder auch, wo wir Kinder erziehen und dabei nach der uns tragenden Hoffnung fragen. Erfülltes Leben, kann es dies geben in unserer endlichen und begrenzten Welt, begrenzt an Dauer, an Ressourcen, Verständnis und Freude? Gibt es Neuanfänge, die all dies überwinden und ist unsere immer schon alte Welt in der Lage, in dieser Weise ganz ursprünglich und neu zu sein?

Wie anders die Zeit heute im Vergleich zu der Zeit Jesu auch sein mag, darin, dass sie diese Fragen in sich trägt, darin ist sie ihr gleich. Und so stoßen wir im Evangelium des Johannes auf Menschen, die die Suche nach Leben umtreibt und sie hinausführt aus ihrem alltäglichen Umfeld, hinaus nach Bethanien, jenseits des Jordan zu Johannes dem Täufer, der den Christus verkündet und so dieses Fragen offenhält und Erwartungen weckt, nach einem erfüllten, gelingendem Leben. In Jesus von Nazareth erkennt er den erwarteten Heiland. Er sieht den Heiligen Geist auf ihn niederfahren und bekennt: „Siehe, das ist Gottes Lamm.“

„Siehe, das ist Gottes Lamm.“, so sagt es Johannes zweien seiner Jünger, als Jesus am folgenden Tag vorübergeht, und die beiden Jünger gehen Jesus hinterher. Dieser wendet sich um, sieht sie nachfolgen und fragt: „Was sucht Ihr?“

„Was sucht Ihr?“ Dies sind die ersten Worte, die Jesus im Johannesevangelium spricht und so sind sie voller Gewicht und treffen auch uns: „Was sucht Ihr? Was treibt Euch um? Warum kommt Ihr zu mir?“ Wir beginnen selbst nach einer Antwort zu suchen, die wir Jesus geben könnten. Und das ist genau das, was der Evangelist bezweckt. Mit unserem eigenen Leben sollen wir uns eingebunden wissen, in die Geschichte, die hier beginnt. Mit Neugier und Aufmerksamkeit sollen wir dem Evangelium von Jesus folgen – es geht um uns! Das Reagieren der ersten Jünger das uns nun vorgestellt wird, wird, wie sehr es auch eingebunden ist in deren eigene, damals konkrete Situation, zugleich uns zu einem Ur- und Vorbild möglichen Antwortens: „Rabbi, Meister, wo Du bleibst!“

„Wo Du bleibst!“ Hätten wir so erwidert? Diese Antwort ist überraschend. Und spannend. Auch in ihr schwingen verschiedene Ebenen mit, die voneinander unterschieden und doch nicht zu trennen sind. Vordergründig fragen die Jünger „Jesus, wo genau wohnst Du? Zeige uns Deine Herberge?“ Und zugleich stellen sie die Frage: „Meister, was erweist sich als bleibend, als tragend in Deinem Leben. Finden wir bei Dir, was der Eitelkeit und Vergänglichkeit des Lebens enthoben ist? Ist Dein Leben, so wie Du es führst, durchsichtig für das Geheimnis des Lebens, das erzählt, was Leben in Wahrheit ist und sein kann?

Bei ihrer Suche nach ihrem Leben, bleiben die Jünger nicht bei sich selbst, sondern fragen danach, was das Leben Jesu und seine Person ihnen anzubieten hat. Für den Evangelisten Johannes ist damit Jesus nicht allein als Weggenosse der Jünger gemeint, sondern zugleich als der auferstandene Herr. Dies wird im Fortgang seiner Erzählung immer deutlicher werden: „Was sucht Ihr?“, die gleiche Frage wird Jesus am Ostermorgen später Maria am Grabe stellen und sie wird sich ebenfalls zu ihm bekennen mit den Worten:  „Rabbuni, mein Meister“.

Wo Jesus bleibt, wollen die Jünger wissen und Jesus erwidert: „Kommt und seht!“ Ob Jesus tatsächlich Antwort auf die Frage nach unserem Leben bietet, kann nur erfahren, wer sich auf den Weg macht und seinen eigenen Lebensweg mit dem von Jesus verknüpft. Die Jünger wagen diesen Schritt. Sie kommen und sehen und bleiben den Tag bei ihm, so hören wir. Was „bleiben“ bedeutet und wie in dieser besonderen Zeit ihr Leben als Ganzes zum Tragen kommt, ist uns inzwischen geläufig. Dem Evangelisten ist es wichtig, dies zu bekräftigen und so fügt er ausdrücklich hinzu: „Es war aber um die zehnte Stunde.“ Seine Hörer damals verstehen, was er damit sagen will: die zehnte Stunde galt als die Stunde der Erfüllung, als die Stunde,  in der das Leben in seiner Fülle zur Geltung kommt.

Aufbrechen ist ein Wagnis. Immer wieder. Aufbrechen heißt, Gewohntes in Frage zu stellen, Veränderungen zuzulassen, deren Ausgang nicht abzusehen ist. Trauen wir uns, Jesu Weg ernsthaft als Anregung des eigenen Lebensweges zu sehen, die Verbindlichkeiten und die Freiheiten seines Lebens zu teilen? Wenn wir auf der Suche nach unserem Leben, seine Einladung vernehmen: „Kommt und seht“, so haben wir so haben wir zum Glück Zeugen, die uns ermutigen diesen Schritt zu gehen. Bereits die beiden Jünger, von denen wir gehört haben, hatten Johannes den Täufer als Zeugen und sie selbst wiederum werden zu Zeugen. Mit ihrer eigenen Glaubwürdigkeit stehen sie für das Erlebte ein und tragen die Einladung Jesu weiter: „Komm und sieh, wir haben den Messias gefunden“. Andreas, nun lernen wir den Namen des einen kennen, ruft seinen Bruder Simon hinzu. Es ist keineswegs nebensächlich, dass wir die Namen der Jünger erfahren, denn Jesus ruft sie beim Namen. Simon wird er von  nun an Petrus, also Fels nennen. Eine Bewegung beginnt, die hier einen Anfang nimmt und noch immer nicht aufgehört hat, lebendig zu sein.

Wir haben Zeugen! Doch wer oder was überzeugt uns, wenn wir bedrängt und gefangen von all den konkreten kleinen und großen Fragen unserer Tage uns in unserem Leben und unserer Zeit zurechtfinden wollen? Für mich sind es Menschen, die nicht leichtfertig die Antworten übernehmen, die ihnen angeboten werden, sondern die sich ernsthaft auf die Suche begeben nach dem, was Bestand hat im Leben und bleibt. Es sind für mich Menschen, die Grenzen akzeptieren können und anerkennen, dass es Bereiche im Leben gibt, die heilig sind und sich nicht ungestraft eigenen Interessen und Wünschen beugen lassen. Und es sind Menschen, die mit ihrem eigenen Namen einstehen für das, was ihnen wichtig ist und die doch nicht von sich selbst reden, weil sie dem Leben mit Demut und Liebe begegnen, weil sie Vertrauen haben zu Gott.

Es ist für mich erstaunlich, wieviel Kraft von solchen Menschen ausging und ausgeht, wie sie es vermochten und vermögen,  immer wieder neue Anfänge zu  setzen und das Leben aus Verkrustungen herauszuführen, wo es erstarrt war und ist, alt und verlogen und von seinen Wurzeln getrennt. Eigentlich mächtig sind diese Menschen, wie schwach und gebrochen sie auch erscheinen, denn sie verweisen auf Gott, als das Geheimnis des Lebens. Die vermeintlich Starken unserer Erde sind mächtig nur, wo sie selbst dieser Spur folgen. Wie schön, dieses zu wissen.

Menschen, die mir wichtig und in ihrem Zeugnis für mich glaubhaft sind, haben mich neugierig nach der Kraft solchen Lebens gemacht und mir die Gewissheit vermittelt, dass es mit Blick auf Jesu zu finden ist. Und ich selbst habe erlebt und möchte gerne auch mit meinem Leben bezeugen, dass es spannend ist und sich lohnt, sich immer wieder neu von der alten Frage bewegen zu lassen: „Zeige mir, Herr, wo Du bleibst, und wo Du heute Wohnung nimmst?“ Amen.



Pfarrer Dr. Konrad Glöckner
Hiddensee
E-Mail: Kloster@pek.de

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