Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiszere, 04.03.2007

Predigt zu Johannes 8:21-29, verfasst von Karsten Matthis

Liebe Gemeinde,

 

wenn um den richtigen Weg gestritten wird, dann geht es hart zur Sache. Politiker im Wahlkampf sind da nicht zimperlich, aber auch am Arbeitplatz eskalieren schnell Diskussionen. Mit mehr und weniger guten Argumenten, die mit rhetorischen Tricks aufgeladen werden, stehen sich Parteien gegenüber.

 

Disputationen und Streitgespräche haben in der christlichen Religion eine lange Tradition. Oft ging es in diesen Lehrgesprächen um Leben oder Tod: Johann Hus vor dem Konzil in Konstanz, später Luther, der sich vor Cajetan, Eck und schließlich sogar vor dem Kaiser verteidigen musste. Aber auch innerevangelisch gab es heftige Streitgespräche: Ich denke an das Marburger Religionsgespräch. Als sich Luther und Zwingli mit ihren jeweiligen Gefolgsleuten über die Frage der leiblichen Anwesenheit Christi beim Abendmahl nicht einigen konnten, da kanzelte Luther die Kontrahenten mit den Worten ab: „...so reimet sich unser Geist und euer Geist nicht zusammen, sondern ist offenbar, dass wir nicht einerlei Geist haben." (1) Philipp von Hessen, der einladende Fürst, sorgte dafür, dass das Gespräch zu Marburg 1529 ein halbwegs versöhnliches Ende nahm. Philipp versuchte sich gleich einem geschickten Moderator unserer Zeit.

 

Dem Moderator Frank Plasberg gelingt es in seinem  populären Politik-Talkmagazin „Hart, aber fair", die Dinge auf den Punkt zu bringen. Aktuelle Reizthemen werden im WDR Fernsehen sachlich ohne Verletzungen diskutiert. Dem Moderator ist es zu verdanken, dass Politiker im Zaum gehalten und die Argumente sachlich ausgetauscht werden. Fragen werden gestellt, ohne dabei jemanden vorzuführen. Es wird nachgehakt, ohne jemanden zu verletzen. Als Fernsehzuschauer habe ich das gute Gefühl, hier geht es konsequent um die Sache, aber auf faire Art und Weise.

 

Im heutigen Predigttext aus dem Johannes Evangelium wird wohl niemand behaupten, bei der Auseinandereinsetzung zwischen Jesus und „den Juden", wie Johannes schreibt, ginge es hart aber fair zu. Nein, im Tempel wird nicht mit Samthandschuhen gekämpft, sondern es wird ganz unverhohlen auf Konfrontation gesetzt. Die Kontrahenten hören sich nicht an. Nachdem Jesus seinen Zuhören sagt, er werde bald fortgehen, da vermuten seine Gegenüber seinen baldigen Selbstmord. Ohnehin ist es beschlossenen Sache unter den religiösen Führen Israels, Jesus bald ohne viel Aufsehens durch die Römer aus der Welt zu schaffen.

 

Die Positionen sind so verhärtet, da ist keine Hoffnung auf Annäherung.  „Ihr seid von unten her, ich bin von oben. (....) So habe ich euch denn gesagt, dass ihr in euren Sünden sterben werdet." Jesus redet schroff mit „den Juden", sagt ihnen ihr Ende voraus, weil sie nicht an ihn glauben.

 

Da möchte man als Zuschauer eingreifen: „Stopp meine Herren, bitte beachten sie die Spielregeln der Fairness." Aber kein Streitschlichter greift ein, das religiöse Gespräch über Gott und die Welt verläuft mit größter Härte. Geschulte Psychologen vermögen Hintergründe für Streitigkeiten in Familien und in Betrieben aufzudecken und vielleicht auch aufzulösen. Sie arbeiten als Mediatoren für Beratungseinrichtungen und Unternehmensberatungen und führen Supervisionen durch, um Konflikte zu entschärfen. Aber hätte ein Vermittler in diesem Gespräch um Glaube und Unglaube, ja schließlich um Leben und Tod eine Chance zu schlichten, wohl kaum.

 

Wenn Jesus von sich selbst sagt: „Ich bin das Licht der Welt", dann ist darüber zu streiten. Und wenn er sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben", dann ist eine Nachfrage noch möglich, wie dies zu verstehen ist. Aber Jesus sagt es hier anders: Ich bin es und glaubt an mich, und wer nicht an mich glaubt, der wird in seinen Sünden sterben.

 

Dieser Satz geht den frommen Juden entschieden zu weit, da können sie nicht folgen. Nach jüdischer Frömmigkeit darf sich niemand mit Gott gleich stellen. In der Nähe Gottes ist jeder Mensch verloren, niemand darf Gott erblicken. Moses, welcher wie kein Mensch je zuvor Jahwe so nahe gekommen ist, durfte nur einen Hauch von ihm spüren.

 

Nun kommt aber ein Mann aus Nazareth, der sagt, er kenne den Vater, da er von ihm komme und zu ihm gehen werde. Er kündigt von ihm als Gott der Liebe, der die Sünde und den Tod durch ihn überwinden wird. Und dieser Jesus behauptet sogar: „Ich und der Vater sind eins." Dies kann ein frommer Jude nicht fassen. Der Gläubige kann nur sagen: „ Dass darfst du, Jesus aus Nazareth, nicht sagen, ja nicht einmal denken. Du hast kein Recht so sprechen, wie einst Jahwe zu Mose gesprochen hat: „Ich bin, der ich bin."

 

Auf  ihr Unverständnis und ihre Empörung reagiert Jesus hart: „Was rede ich überhaupt noch mit euch." Er sieht seine Gegenüber gefangen in ihren Traditionen und Dogmen. Er sagt ihnen ins Gesicht, was schon längst heimlich beschlossen haben, dass sie ihn ans Kreuz bringen werden. „Mit euch kann ich nicht mehr reden, denn ihr hört mir nicht, ihr wollt gar nicht zuhören. Euren Starrsinn werdet ihr teuer bezahlen."

 

Liebe Gemeinde, redet Jesus nur über die damaligen Menschen? Dürfen wir in der distanzierten, bequemen Zuschauerrolle bleiben, uns über den schlechten Stil der Kontrahenten empören. Jesus sogar in seiner Kritik „an den Juden" überzogen finden. Hand aufs Herz: Finden wir Jesu Worte nicht sehr steil? Wir sind doch geneigt, die Ansprüche an unseren Glauben nicht zu hoch anzusetzen. Wir sehen Jesus gerne als idealen Menschen, der viel Gutes tat und ein Freund der Menschen war. Erleichtert stimmen wir zu, wenn viele Menschen bei Umfragen sagen, dass auch heute noch der irdische Jesus ein Vorbild sein könne, ja vergleichbar mit Buddhas Weisheit und Friedfertigkeit.

 

Wir wissen, dies ist nur ein Teil der Wahrheit. Ja, es ist wahr, Jesus liebte die Menschen. Er weckte Verständnis für die Kinder. Er stellte sich vor die Ehebrecherin und hatte keine Berührungsängste gegenüber Aussätzigen und fürchtete nicht den Kontakt mit den Verachteten der Gesellschaft. Wir billigen anderen Weltreligionen ehrlich zu, dass sie eine menschenfreundliche Ethik haben, aber Ethik ist noch nicht befreiender Glaube.

Wenn wir genauer hinhören, dann erkennen wir, dass er mit uns redet. Beim zweiten Hinschauen auf den Text merken wir: Wir sind nicht nur interessierte Zuschauer eines Streitgespräches, sondern hier geht es auch um uns. Wir Christen sind hier gefragt.

 

Ganz gewiss sind wir nicht vergleichbar mit den Menschen, die mit Jesus im Tempel disputieren. Wir können uns nicht mit Jesu Zeitgenossen auf eine Stufe stellen, weil wir auf Tod und Auferstehung Jesu zurückblicken können. Wir können seinen Weg ans Kreuz verfolgen und zurückschauen auf was in Jerusalem einst geschah. Mit Hilfe der Zeugnisse der frühen Christen versuchen wir seine Passion zu begreifen. Wir wissen darum, dass mit Jesu Erhöhung sein Weg ans Kreuz gemeint ist.

 

Johannes legt uns Jesu Worte vor: Jetzt ist der Glaube an der Zeit, verpasst diesen Moment nicht. Jesu Wort „Ihr werdet in euren Sünden sterben", ist so radikal gemeint, wie es im Evangelium steht. Droht hier Jesus nicht nur seinen Zeitgenossen, sondern auch uns? Schleudert er uns hier ein hartes Wort entgegen? Also verkündet er hier also das Gesetz: Kehre um, sonst....

 

Ich versuche, seine Worte so zu verstehen: Erkennt, dass ich Gottes Sohn bin. Wenn ihr nicht durch mich, den Christus, die Distanz zu Gott überbrückt, dann werdet ihr nie erfahren, dass Gott die Liebe ist.

 

Paulus sagt es uns so: Christus ist das Ende des Gesetzes (Röm. 10,4). Weil er das Gesetz erfüllte, schließt sein hartes Wort das Evangelium ein, denn nur durch ihn kommen wir zum Vater. Durch ihn erkennen wir Gott als den Gott der Liebe. Mit den Geboten allein wird es uns nicht gelingen. Die Zehn Gebote verhelfen Menschen zu einem erträglichen Leben, jedoch überbrücken sie nicht die Distanz zu Gott. Dies ist der Sinn des unschuldigen Leidens Jesu: Jesu Sterben und Auferstehung überwinden die Trennung zwischen Gott und uns Menschen.

 

Der Text endet mit einer Verheißung: „Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt", wird die Menschheit ihn erkennen. Jesus hat es gehofft, dass auch sein Volk schließlich ihn als den Menschensohn annehmen wird. Wann dies geschehen wird, können wir nicht beantworten, denn der Zeitpunkt bleibt ein Geheimnis.

 

Liebe Gemeinde, seine Erhöhung ans Kreuz ist einerseits das Gericht über die Welt. Anderseits zieht Jesus die Menschen zu sich. Seine Erhöhung schließt Israel und uns mit ein. So wie er es seinen Jüngern und uns verheißen hat: „Ich aber, wenn ich erhöht bin von der Erde, werde ich alle zu mir ziehen" (Joh. 12,32). Amen

Dipl. Theol. und Prädikant Karsten Matthis
Wachtberg bei Bonn
E-Mail: nc-matthika7@netcologne.de

Bemerkung:
(1) zitiert nach Walther Köhler: Huldrych Zwingli, Neuausgabe hrsg. von Ernst Koch, Leipzig 1983, S. 200

Literatur zur Predigt:

Richard Engelhardt: Reminiscere, 11. März 2001, Predigt über Johannes 8,21-29 Göttinger Predigten im Internet

Johannes Schneider: Das Evangelium nach Johannes, ThHK , Berlin 3. Aufl. 1985, S. 176-178



(zurück zum Seitenanfang)