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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2.Sonntag nach Epiphanias, 14.01.2018

Hoffnung im Gekreuzigten
Predigt zu 1. Korinther 2:1-10, verfasst von Stefan Knobloch

 

Uns wird einiges abverlangt, wenn wir heute in Sätze abtauchen sollen, die der Apostel Paulus Mitte der 50er Jahre des ersten christlichen Jahrhunderts an die Christengemeinde von Korinth schrieb. Es mag zu diesem Brief verschiedene Anlässe gegeben haben, die je auf ihre Weise darauf hinweisen, dass die Christengemeinde von Korinth nicht durchweg eine Gemeinde von „Heiligen“ war, wie wir uns das bisweilen von den ersten christlichen Gemeindeanfängen vorstellen. Sie standen nicht anders als wir mitten im Leben, mitten in den Herausforderungen, die das Leben damals an die Menschen stellte und heute an die Menschen stellt.

 

Die wahre Wirklichkeit: Gottes Einsatz für die Menschen

Paulus erinnert an sein erstes Auftreten in Korinth, bei dem ihm beinahe das Herz in die Hose gerutscht wäre. Oder aber er erweckt bewusst diesen Eindruck persönlicher Verzagtheit, seines Herzklopfens, ja, von Zittern spricht er sogar, um davon umso deutlicher die andere Wirklichkeit seiner Botschaft abzusetzen: die Wirklichkeit, dass sich Gott in Jesus Christus in göttlicher Weisheit für die Menschen eingesetzt hat. Paulus kam, so erinnert er sich, damals nicht mit großspurigen Worten, nicht mit dem Anschein großer Gelehrsamkeit nach Korinth. Er trat vor die Korinther mit einer Botschaft, die sie im ersten Moment und auch im zweiten Moment für nichts anderes hätten halten können als eine einzige Zumutung: In Jesus Christus, dem Gekreuzigten, habe sich das Interesse Gottes an den Menschen gezeigt!

 

Wenn man das derart in einen einzigen Satz presst, kann er eigentlich nur missverstanden werden und auf Ablehnung stoßen. Zumindest bei uns, wenn wir mit diesem Satz sogleich die uns abstoßende Frage verbinden, ob es denn tatsächlich so gewesen sein soll, dass Gottes Absicht auf den Kreuzestod Jesu hinauslief? Soll das der Inhalt der Verkündigung des Paulus an die Korinther gewesen sein? Dann hätten wir wohl alles Verständnis, wenn sich Paulus dabei übel gefühlt hätte, wenn ihn das Zittern und ein Schwächezustand überfallen hätten. Wie also war das? Was trug er ihnen vor?

 

Er war sich der kritischen Situation seines Auftretens bewusst, in dem Moment alles zu verspielen. Deshalb die mehrfache Erwähnung, er habe nicht aufgeblähte Worte in den Mund genommen, er habe nicht über den vermeintlich dürftigen Inhalt seiner Botschaft hinweggetäuscht, um die Leute gewissermaßen hereinzulegen. Nein, Paulus wusste, es hing jetzt nicht von ihm ab. Er durfte sich schwach fühlen und zittern. Denn seine Botschaft war von Gottes Weisheit und Kraft erfüllt. Er wollte die Korinther nicht zu einem Glauben verführen, der in menschlicher Weisheit gründete. Paulus war kein Scharlatan. Er hatte einen Glauben vorzutragen, in dem Gottes Weisheit, Gottes Liebe und Gottes Interesse an den Menschen aufblitzte. Allerdings in einem Aufblitzen, dem zu vertrauen, dem sich anzuvertrauen keine Selbstverständlichkeit war.

 

Schwere Kost

Offensichtlich trug er die Botschaft von der Weisheit Gottes, die eine Weisheit des Kreuzes Christi war, manchen in Korinth vergeblich vor. Und zwar jenen, die sich im Leben für so gereift, für so lebenserfahren hielten, dass sie über die Weisheit des Kreuzes nur mit dem Kopf schütteln konnten.  Genauso wenig konnten die Mächtigen der Welt dieser Weisheit etwas abgewinnen. Sie vertrauten lieber ihrer eigenen Weisheit, die aber, betont Paulus mit einem ironischen Unterton, keinen Bestand haben werde.

 

Nein, Paulus spricht vom Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes, die in Christus das Leben der Menschen erhellen sollte. Und eben diese Erhellung kam bei den Mächtigen der Welt nicht an. Sie durchschauten die Absichten Gottes nicht.

 

An der Stelle lässt Paulus einen entscheidenden Satz folgen: Hätten die Mächtigen der Welt die Absichten Gottes damals erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Ein entscheidender Satz! Wer lenkte es demnach damals so, dass Jesus am Kreuz hingerichtet wurde? Wer betrieb seine Kreuzigung? Paulus macht an dieser Stelle die Mächtigen der damaligen Welt für die Kreuzigung Jesu verantwortlich. Nach dieser Stelle lägen wir also falsch, wenn wir Gott für die Kreuzigung „haftbar“ machen würden, wenn wir davon ausgingen, der Sohn Gottes sei nur deshalb Mensch geworden, um am Kreuz zu sterben. Diese verkürzte Sicht schwingt sogar im Apostolischen Glaubensbekenntnis etwas mit: Jesus Christus – geboren - gekreuzigt -  gestorben - begraben (homo factus – crucifixus – passus – sepultus). Als sei es die primäre Aufgabe des Menschgewordenen gewesen, am Kreuz zu verbluten.

 

Gott ist für uns gewiss ein unauflösbares Geheimnis, weshalb sich heute manche mit ihm nicht mehr beschäftigen. Wir können weder in der einen noch in der anderen Richtung über Gott befinden, es sei denn, der Geist Gottes führt uns in die Tiefen Gottes ein. Wie auch immer, an unserer Briefstelle wird deutlich, dass wir das Sterben Jesu am Kreuz nicht einfach Gott in die Schuhe schieben können. Jesus lebte nicht, um am Kreuz zu sterben.

 

Eine andere Perspektive

Im Bereich der katholischen Kirche war es vor mehr als fünfzig Jahren ein interessanter Durchstoß, als das damalige Konzil in der Offenbarungskonstitution Dei verbum (DV) die Menschwerdung des Gottessohnes aus einer Perspektive würdigte, die im Kreuzestod Jesu nicht mehr das Hauptmotiv seiner Menschwerdung erblickte. Die Offenbarungskonstitution formulierte damals so: „Gott hat in seiner Güte und Weisheit (!) beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis (!) seines Willens kundzutun: dass die Menschen durch Christus, das menschgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur. In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde und verkehrt mit ihnen, um sie in seine Gemeinschaft einzuverleiben und aufzunehmen“ (DV 2). 

 

Wie passt das aber dazu, dass Paulus in Korinth nach seinen eigenen Worten nichts anderes kannte als Christus, den Gekreuzigten? Stellte für ihn nicht doch der Kreuzestod Jesu den eigentlichen Zugang zum Verständnis des Jesusereignisses dar?

 

In der Tat. Aber aus einer Perspektive, wie sie die Offenbarungskonstitution zum Ausdruck bringt. Es ging nicht um einen blutrünstigen Gott-Vater, der versöhnt werden musste. Das Gottesmotiv der Menschwerdung bestand in der göttlichen Güte und Weisheit, sich selbst den Menschen zu offenbaren, sie als Freunde anzureden. Dies aber in einer Weise, die zunächst in keinen menschlichen Kopf will. Gott wird Mensch, er wird unser Mit-Mensch. Er teilt mit dem Menschen jede menschliche Erfahrung. Er teilt mit ihm die Erfahrung, verachtet, geringgeschätzt zu werden, verleumdet und von Morddrohungen bedroht zu werden, wie man in verschiedenen Zusammenhängen in den Evangelien lesen kann. Er wird um der Religion willen als Gottesleugner bis aufs Messer gehasst. Er wird schließlich mit Hilfe eines seiner Jünger den Schriftgelehrten und Pharisäern in die Hände gespielt, die ihn weiterreichen an den Hohenpriester, der den Verhafteten schließlich zur Aburteilung an Pontius Pilatus weiterschickt. Es folgt eine Hinrichtungsart, in der sich die ganze Verachtung und Grausamkeit des Menschen austobt. Jesus durchleidet die erbärmlichsten, grausamsten, ihn zum letzten Dreck machenden Erfahrungen. Er geht als menschgewordener Gottessohn durch diese Hölle.

 

Er macht sich zum Opfer aller menschlicher Verruchtheit, aller menschlicher Verworfenheit, allen menschlichen Zynismus‘, aller menschlicher Herzlosigkeit, um so deutlich zu machen, dass sich in ihm Gott nicht von den tiefsten Tiefen und Abgründen des Lebens fernhält. Ja, er verwirft diese Tiefen und Abgründe nicht. Er nimmt sie an und schafft ihnen Zugang zu Gott, seinem Vater.

 

So verkündete Paulus Christus den Korinthern als den Gekreuzigten. Als den, der als Gekreuzigter zum Vater erhöht ist. Das war und ist für manche bis heute unverständlich, restlos unverständlich. Der Gekreuzigte sei keine Antwort auf die Frage, warum die Lebensverhältnisse auf der Erde so sind, wie sie sind. Warum es so viel Hunger auf der Erde gibt, für Mensch und Tier. Warum hungernde Kinder, die Hungers sterben, ihr Kinderleben auf Erden als einzige Qual erleben. Warum es so viel Gewalt, so viel Unrecht, so viel Zynismus gibt. Der Gekreuzigte sei auch keine Antwort auf die Frage, warum vor zwei Jahren die Kinderleiche des dreijährigen Ailan Kurdi aus Kobane wie weggeworfenes Spielzeug an die türkische Küste angeschwemmt wurde.

 

Oder ist es doch ein Ansatz einer Antwort, wenn der Glaube daran festmacht, dass Gott im Menschgewordenen alle diese Situationen, all diese Verzweiflungsschreie an sich genommen hat und ihnen Zugang zum Vater verschafft?

 

Oder ist auch das wieder nur Zynismus? „Gott ist größer als unser Herz, und er weiß alles“ (1 Joh 3,20).  



Prof. em. Dr. Stefan Knobloch
Passau
E-Mail: dr.stefan.knobloch@t-online.de

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