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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Palmarum, 25.03.2018

Predigt zu Johannes 12:1-16 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Christiane Gammeltoft-Hansen

Das Ziel hatte schon lange festgestanden. Das Ziel ist die Großstadt Jerusalem. Es ist als fordere die Dichte der Erzählung über die Osterereignisse eine dichtbevölkerte Stadt. Hier sollen wir nicht auf dem offenen Land sein. Wir sollen dort sein, wo es eng zugeht. Und es ist vielleicht auch so: Die Bedingungen, Weltgeschichte zu machen, werden besser, wenn Menschen sich in einem abgegrenzten Gebiet befinden, wo alle mehr oder weniger alle kennen und alle damit auch zu allem Stellung nehmen können.

Nun kommt er, Jesus, reitend auf einem Esel, in die Stadt – in die übervölkerte, chaotische, ungesunde, aber zweifellos auch lebendige Stadt. Eine Stadt wie ein geistiger Druckkessel, wo ein kleiner Funken genügt, und die Volksmassen werden entweder von Begeisterung oder Hass ergriffen.

„Geh nicht weg, geh nicht aufs Land, bleibe hier“, so muss es in die Straßen geklungen haben, als das Gerücht sie erreicht, dass Jesus auf dem Wege zu ihnen ist. Es gilt, hier zu sein, denn hier geschieht die Begegnung zwischen Gott und den Menschen am Palmensonntag. Das galt damals, und das gilt heute. Denn überall wo es eng zugeht, befinden sich noch immer diese Kreuzwege, an denen sich das Alltägliche und das Heilige begegnen und wo Gott bei uns Einzug hält.

Es mag sehr wohl sein, dass wir heute Morgen keinen Reiter auf einem Esel hatten hier in Kopenhagen. Aber andere Bilder kann man auch verwenden, um den Einzig Gottes bei uns zu beschreiben. Der Einzug des Frühjahrs zum Beispiel. Der Frühling, der mit seinen übernatürlich hellgrünen Farben seinen Einzug hält. Oder der Einzug eines kleinen Kindes in der Kirche, das zur Taufe getragen wird. Große und kleine Treffpunkte zwischen dem Alltäglichen und dem Großen, zwischen Hoffnung und Erfüllung, zwischen Menschen und Gott. Kreuzwege, cross-over zwischen unserer Welt und einer größeren Wirklichkeit.

Und die Stadt, sie gleicht sich selbst. Sie ist genauso eng im Norden wie damals im Süden. Jerusalem und Kopenhagen, gleich lebendig, kompakt. Mit Türmen, Gossen und offenen Plätzen. Mit schmalen Straßen, dichtem Verkehr und Freiräumen.

Königs-Hafen und Königswohnung singen wir von unserer Hauptstadt, und fahren fort mit Beschreibungen der Stadt als einem Experimentarium für Gemeinschaft. Ein Ort, wo die Begegnung zwischen Menschen gute Bedingungen hat, denn es lässt sich nicht vermeiden, dass wie hier aufeinander stoßen. Ein großer lebendiger Organismus, wo die Möglichkeiten, die in den Menschen verborgen sind, sich entfalten können.

Eine Stadt für die Maria’s, die instinktiv tun, was sie können, und ausgeben, was sie haben, während sie ihre Herzen und Türen öffnen, so dass der andere und Gott einziehen können. Aber auch eine Stadt mit entgegengesetzten Vorzeichen. Wo sie nicht mehr das Experimentarium für Gemeinschaft ist, sondern vielmehr Destruktion und Zusammenbruch. Eine Stadt, die sich in sich selbst einschließt, klaustrophobisch wird. Ein kleines zugesperrtes Loch, wo es schwerfällt Luft zu atmen. Eine Stadt für Judasse, die sich berechnend zu anderen verhalten, und wo man die Tür vor den Fremden zumacht und sie nach Hause schickt, auch wenn sie kein anderes Zuhause kennen als eben diese Stadt.

Jeder Versuch, einen Überblick zu bekommen, scheitert in dieser Stadt. Den einen Augenblick sind wir Teil eines lebendigen Organismus, begegnen einander, kommen ins Gespräch, bewegen uns gemeinsam. Im nächsten Augenblick ist die Stadt wie tot, ohne Leben, und wir sind allein mit uns selbst.

Vielleicht ist es deshalb, dass die Begegnung am Palmensonntag in der Stadt geschieht. Weil die Stadt als Rahmen für die Existenz dient. Nicht nur Teile von ihr, sondern die ganze Stadt. Hier entfaltet der Mensch seine Möglichkeiten nicht nur, um Gutes zu tun, sondern auch Böses. Da sind die Masse und das Individuum unter einem Dach. Da ist der Kontrast zwischen den Existenzen der Straße und dem Zentrum der Macht. Da ist alles in einem.

Und zu all dem kommt Gott.

Man kann keinen Überblick über die Stadt bekommen. Aber vielleicht ist es möglich, etwas Zusammenfassendes zu sagen von dem Augenblick, wo das Heilige und das Gewöhnliche, Gott und Menschen sich am Tor nach Jerusalem begegnen und auch dort, wo sich die Kreuzwege sonst befinden. Vielleicht ist es möglich, etwas Zusammenfassendes zu sagen, auch wenn diese Begegnung mehr aufwirbelt, als einzelne Sätze und bestimmte Deutungen erfassen können.

„Er kommt“, klang es in die Straßen Jerusalems. Und sie setzten sich sofort in Bewegung, denn sie haben ihn erwartet. Sie haben den erwartet, der ihr Leben sammeln sollte und die Stadt zu neuen Höhen und alten Vorhersagen führen sollte. Sie haben einen Führer erwartet, der in die Stadt einreitet, die Macht übernimmt und sie unter einem mächtigen Gottesreich vereint.

Sie bekommen nicht das, was sie erwartet haben. Statt höhere Mauern um die Stadt herum zu errichten, die Macht zu konsolidieren, fallen die Mauern im geistigen Sinn. Es ist wie ein Signal für ein neues Verständnis vom Menschsein und ein neues Bild von dem, wer Gott ist.

Gott ist der, der kommt. Nicht in einer donnernden Machtdemonstration. Nicht wie ein Bulldozer durch die Stadt, der die verwinkelten Gassen zu geraden Boulevards macht. Gott kommt auf einem Esel geritten.

Das sieht vielleicht nach einer Abschwächung ihrer Erwartungen aus, aber in Wirklichkeit handelt es sich um eine Erhöhung dieser Erwartungen. Eine neue Dimension wird der Stadt gegeben, indem Gott in sie hineinreitet. Sie bekommen eine Freiheit mitten in dem Chaos und dem Durcheinander. Eine Freiheit, neu zu beginnen, wenn einen der Sinn des Judas übermannt. Eine Freiheit, miteinander auf gleicher Ebene zu reden. Eine Freiheit auf mehr au hoffen als das, was möglich ist, dass man die Träume nicht nur bestimmen lässt von der gegenwärtigen Situation.

Gott kommt, und wenn man versuchen sollte, zusammenfassend etwas über diesen Augenblick zu sagen, wo es geschieht, so dies, dass die Erlösung in eben dieser Begegnung stattfindet. Von hier aus sind wir nicht mehr allein, wenn wir unsere Stadt gestakten und sie mit Leben füllen.

Und es mag wohl sein, dass wir sind wie eine Schar von Leuten wie Christoph Kolumbus, wenn unser Blick so sehr an dem hängt, was wir erwarten, so dass wir nicht sehen, dass wir hier etwas ganz Neues vor uns haben. Aber das ändert nichts daran, dass Gott kommt, wie der Frühling kommt, ob wir nun einen Blick dafür haben oder nicht. So wie wir von der Gnade der Taufe und dem Segen Gottes leben, ganz gleich ob wir nun etwas damit verbinden oder nicht.

Das Neue setzt sich durch. Es kommt von außen und in einer Art und Weise, die uns hin zu Ostern und zu neuem Leben trägt. Auch wenn es von außen vielleicht sehr wohl so aussehen mag, als sei das nicht wahr: Die Stadt gleicht nicht mehr sich selbst. Sieh nur auf all das Grün, siehe das Kind, das gerade getauft ist. Eine größere Wirklichkeit ist in die Stadt eingeritten. Und dann ist es so, dass der Ruf wieder erklingen kann: Geht nicht aus der Stadt, bleibt hier. Wir wollen uns an den Kreuzwegen treffen. Amen.



Pastorin Christiane Gammeltoft-Hansen
Frederiksberg, Dänemark
E-Mail: cgh(at)km.dk

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