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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Osternacht, 31.03.2018

Christus ist auferstanden
Predigt zu 1. Thessalonicher 4:13-14, verfasst von Rainer Stahl

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,

die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sei mit Euch allen!“

 

Liebe Leserin und lieber Leser!

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Der Gottesdienst zur Osternacht stellt uns die Frage nach unserem Osterglauben. In ganz dringlicher Art tut er dies.

 

Mich beschäftigt schon lange das Problem, wie gerechtfertigt allgemeine staatliche Feiertage zu religiösen Festen überhaupt und also auch zu unseren christlichen Festen sind. Wie berechtigt es ist, dass alle Ostern feiern – Eier verstecken, suchen und finden lassen, von Osterhasen phantasieren –, aber den eigentlichen Inhalt dieses Festes nicht kennen, ja: ablehnen, ja: verhöhnen. Das hat vielleicht eine lange und geadelte Geschichte:

 

            „Kehre dich um, von diesen Höhen

            Nach der Stadt zurückzusehen.

            Aus dem hohlen, finstern Tor

            Dringt ein buntes Gewimmel hervor.

            Jeder sonnt sich heute so gern.

            Sie feiern die Auferstehung des Herrn,

            Denn sie sind selber auferstanden,

            Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,

            Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,

            Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,

            Aus der Straßen quetschender Enge,

            Aus der Kirchen ehrwürdigen Nacht

            Sind sie alle ans Licht gebracht“

(Vgl. Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Der Tragödie erster Teil, Leipzig 1982, S. 45).

 

So hat Johann Wolfgang von Goethe um 1800 im Osterspaziergang seines „Faust“ diesen sagen lassen. Da ist der Inhalt von Ostern gerade eine Reminiszenz – „sie feiern die Auferstehung des Herrn“ – und liegt die Betonung ganz auf heutiger, diesseitiger, ja: gesellschaftlicher Befreiung – „denn sie sind selber auferstanden [...] aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, aus dem Druck von Giebeln und Dächern, aus Handwerks- und Gewerbesbanden“, ja: „aus der Kirchen ehrwürdigen Nacht“ –.

 

Ist es nicht sehr nötig, dass wir uns des eigentlichen Inhalts des Osterfestes bewusst werden? Dass wir bereit werden, uns diesen Inhalt innerlich anzueignen? Dass wir Wege finden, diesen Inhalt jenseits aller gesellschaftlichen Feiertage zu feiern? Wofür wir – so finde ich (wie gesagt) schon lange – die staatlichen Feiertage eigentlich nicht bräuchten. Da wären auch andere Regelungen denkbar:

 

In einer Gesprächsrunde in Russland Anfang März wurde mir dazu berichtet, dass große russische Wirtschaftsorganisationen neue Regelungen entwickeln: Unterschiedliche Feiertage für die Mitarbeitenden entsprechend ihrer religiösen Beziehung („Bindung“ will ich nicht sagen): Für Christen andere als für Muslime, als für Buddhisten, als für Juden usw. Das wäre doch auch für uns ein Weg!? Die Nichtreligiösen hätten dann zuerst den 1. Mai und den Tag der Deutschen Einheit – aber nicht Ostern, nicht Pfingsten, nicht Weihnachten... Natürlich müssten für sie noch weitere Feiertage vorgesehen werden, denn die Gleichheit aller vor dem Gesetz und in der Gesellschaft macht es unmöglich, für Religionsangehörige Feiertagsmöglichkeiten zu schaffen, aber für Religionslose keine Möglichkeiten vorzusehen...

 

Solche auf den ersten Blick vielleicht etwas bizarr wirkenden Überlegungen, aber auf den zweiten Blick doch ganz natürlichen Überlegungen (!) zeigen, was es für eine Herausforderung ist, Ostern zu feiern. Und genau diese Herausforderung bestätigt der Apostel Paulus mit seinem Briefabschnitt an die Gemeinde in Saloniki!

 

Er spricht die Not der Trauernden an. Ich muss bekennen, dass ich ganz persönlich solche Not der Trauer wegen des Verlusts enger Verwandter nicht empfinde. Mein Vater ist schon seit 48 Jahren tot, meine Mutter seit 23 Jahren. Ich kann mir nicht vorstellen, was es hieße, wenn sie noch leben würden. Dass sie „heimgerufen wurden“, wie ich jetzt absichtlich formuliere, ist in meinen Augen ganz richtig. Aber ich habe eine über 90-jährige Tante, deren Ehemann, den Bruder meiner Mutter, ich vor fast acht Jahren beerdigt habe. Sie – meine Tante – trauert weiter. Die Trauer um Verstorbene ist also ganz natürlich. Auf diese natürliche Trauer geht Paulus dezidiert ein.

 

Schon sein erster Begriff, der vielleicht verwundert, ist eine erste Antwort: Er will uns „nicht unwissend lassen über die, die schlafen / über die Schlafenden“ (Vers 13a). So, als sei der Tod nicht real. So, als würde bald ein Aufwachen kommen. Natürlich hat auch Paulus die Endgültigkeit des Todes gewusst und anerkannt. Aber, indem er von „Schlafenden“ spricht, legt er den ersten Samen der Hoffnung.

 

Nun aber ist ganz wichtig zu beachten, was Paulus hier nicht schreibt: Er schreibt nicht von einer unsterblichen Seele, die sich irgendwo aufhalte. Er schreibt nicht davon, dass die Leichen der Toten in einem „Gottesacker“ lägen, aus dem Gott die Toten geheimnisvoll wieder erwecken würde. Vielleicht noch gepaart mit dem Unsinn, dass Christen einen speziellen Friedhof für sich haben müssten, oder die absolute Spitze dieses Unsinns, dass auf einem Friedhof nur Christen einer christlichen Konfession beerdigt werden und Christen – ja: Christen (!) – anderer christlichen Konfessionen nicht. 1999 habe ich mit einer Reisegruppe eine Katakombe in Rom besucht. Fragt am Ende eine Dame den römisch-katholischen Kollegen, der uns geführt hat, wo denn die Protestanten lägen. Darauf dieser Amtsbruder: „Hier sind alle vereinigt.“ Denn die Katakomben waren ja allgemeine Beerdigungsstätten, und Christen waren gewiss in der Minderheit, auch wenn wir beim Besuchen vor allem auf christlich deutbare Zeichen und Bilder aufmerksam sind.

 

Paulus beantwortet die Herausforderung, indem er auf jede einzelne Person schaut, auf jede Tote, auf jeden Toten:         „Denn, wenn wir glauben,

               [ich darf ergänzen:]  denn, wenn die Verstorbenen, die Entschlafenen, im Leben

                                                geglaubt haben,

                                                dass Jesus gestorben und auferstanden ist“ (Vers 14a) –

                                                dann eröffnet sich Zukunft.

 

Alles hängt an unserem Osterglauben. Alles hängt daran, dass wir im diesseitigen Leben – ich formuliere ganz vorsichtig –  eine Beziehung des Vertrauens zur Osterbotschaft entwickelt haben. Eine Beziehung des Vertrauens zu der Botschaft, die im Matthäusevangelium die Botschaft eines Engels ist und im Lukasevangelium die Botschaft zweier Männer: „Er ist nicht hier; er ist auferstanden!“ (Matthäus 28,6a; Lukas 24,6a).

 

Sich dieser Botschaft zu öffnen, ist ganz entscheidend. Daran hängt alles. Daraus wird sich Hoffnung für die Verstorbenen und auch für uns ergeben. Auch hierbei formuliert Paulus ganz verhalten: „So wird auch Gott die Entschlafenen durch Jesus mit ihm / mit sich führen“ (Vers 14b). Mehr nicht. Das aber mit Überzeugung.

 

Voriges Jahr war ich zur Osternacht in einer russischen orthodoxen Kirche in der Nähe von St. Petersburg (damals zum selben Termin wie in unserer Kirche!). Aus ganzem Herzen habe ich beim dort üblichen nachmitternächtlichen Umzug um die Kirche mit der Gemeinde immer wieder gesungen:        „Христос Воскресе!“ – „Christus ist auferstanden!“

Und mir wurde bewusst, dass diese Worte mit derselben Melodie gesungen werden, wie in der Rumänischen Orthodoxen Kirche: „Hristos a ȋnviat!“ – „Christus ist auferstanden!“ – Wie ich den Hymnus von Ostergottesdiensten in der Kapelle des Martin-Luther-Bundes in Erlangen her schon kannte.

 

Da ist mir – über die Melodie! – die große Gemeinschaft bewusst und erfahrbar geworden, in der wir uns zu Ostern befinden. Jenseits aller staatlichen Feiertagsregelungen: In der Gemeinschaft der Osterglaubenden weit über unsere deutsche Kirche hinaus:

            „Christus ist auferstanden!“ – „Er ist wahrhaftig auferstanden!“

Amen.

 

„Und der Friede Gottes,

der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre Eure Herzen und Sinne bei Christus Jesus, unserem Herrn!“



Pfr. i. R. Dr. Rainer Stahl
Erlangen, Deutschland
E-Mail: rainer.stahl.1@gmx.de

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