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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Kantate, 29.04.2018

Singen sprengt Mauern
Predigt zu Apostelgeschichte 16:23-34, verfasst von Thomas Muggli-Stokholm

Kantate! Singt!

Der heutige, vierte Sonntag nach Ostern erinnert uns an einen zentralen Auftrag:

Dem Gott, der in Jesus Christus den Tod besiegt hat, sollen wir unser Loblied singen,

damit es ausstrahlt, die Welt erfüllt, Menschen berührt und sie öffnet für das Osterwunder.

 

Kantate! Singt!

Als Landeskirche tun wir uns schwerer als auch schon, diesen Auftrag zu erfüllen.

Längst haben wir im Bereich der Religion das Monopol verloren.

Wir sind noch ein Anbieter unter vielen und fragen uns verzagt,

wie wir uns im Markt der Weltanschauungen Gehör verschaffen können.

 

Wie bringen wir die Osterbotschaft heute noch zum Klingen?

Wie singen wir unsere Lieder so, dass sie attraktiv bleiben und Wirkung erzielen?

 

Wegen dieser Fragen sind wir im Moment stark mit uns selbst beschäftigt.

Sowohl auf der Ebene der Landeskirche wie auch der Gemeinden investieren wir viel Zeit und Energie in die Entwicklung von Visionen, Leitbildern, Konzepten und Strategien.

Sie sollen uns wieder fit machen für die Gegenwart und die Zukunft.

Dabei laufen wir Gefahr, dass wir vor lauter Plänen und Konzepten das Eigentliche,

die Osterbotschaft, aus den Augen und den Ohren verlieren.

 

Kantate! Singt!

In der Geschichte, die Lukas uns im heutigen Predigttext erzählt,

wirkt das Singen Wunder – so scheint es jedenfalls:

Paulus und Silas wurden in Philippi, wo sie das Evangelium verkündigten,

verhaftet, gefoltert und in die finsterste Zelle des Gefängnisses geworfen.

Sie lassen sich aber nicht unterkriegen:

Tapfer beten sie und singen Gott sogar Loblieder,

was nun doch etwas merkwürdig scheint.

Gott erbarmt sich und lässt die Erde beben.

Darauf stehen die Gefängnistüren offen.

Paulus und Silas ergreifen nun aber nicht die Freiheit.

Zuerst führen sie den Gefängniswärter zum Glauben.

Sie taufen ihn und feiern ein Festmahl mit ihm.

Erst dann verlassen sie das Gefängnis,

um draussen mit der Verkündigung des Evangeliums weiterzufahren.

 

Was für eine schöne Geschichte – bestens geeignet für die Sonntagschule!

Genauer betrachtet ist sie aber weit weniger harmlos als es scheint.

Das fängt schon beim Wunder an:

Zunächst scheint es so, dass Gott ein Erdbeben bewirkt,

um seine beiden treuen Zeugen frei zu bekommen.

Im grösseren Zusammenhang ergibt dies aber keinen Sinn:

Paulus und Silas verlassen das Gefängnis ja nicht.

Ausserdem erzählt Lukas, wie sich am nächsten Morgen herausstellt,

dass die Haft der beiden ohnehin ein Justizirrtum war.

Die Richter müssen sich bei Paulus und Silas öffentlich entschuldigen

und sie persönlich in die Freiheit begleiten.

Warum inszeniert Gott dann überhaupt ein Erdbeben?

Ich erkenne zwei Gründe:

Zum einen erinnert mich das Erdbeben an eine Geschichte aus dem ersten Buch der Könige.

Der Prophet Elija ist auf der Flucht vor Königin Isebel, die ihn umbringen will.

Nun lagert er am Gottesberg Horeb und klagt Gott an, dass er ihn alleine lasse.

Gott inszeniert als Antwort zuerst einen Sturm, dann ein Erdbeben, dann ein Feuer –

Am Ende aber begegnet er Elija im Flüstern eines sanften Windhauchs.

 

In unserem Text wiederholt sich das.

Auch hier ist Gott kein Hexenmeister,

der die Probleme von Silas und Paulus mit Gewalt und Hokuspokus löst.

Das Wunder liegt nicht vor Augen.

Es ereignet sich sanft und flüsternd in den unerwarteten Wendungen der Geschichte.

 

Damit bin ich beim zweiten Grund für die Schilderung des Erdbebens.

Lukas schafft damit den Bezug zu Ostern.

Auch hier bebt die Erde – zum Zeichen dafür, dass Gott die Mauern des Todes sprengt

und mit der Auferstehung Jesu seine neue Schöpfung begründet.

 

Es fällt überhaupt auf, wie viele Parallelen unsere Gefängnisgeschichte mit Ostern hat:

Pauls und Silas beten und singen um Mitternacht.

Auch Ostern geschieht im Übergang von der Nacht zum Tag.

Nachdem der tonnenschwere Stein weggerollt ist, steht das Grab Jesu offen –

so wie sich in unserer Geschichte durch das Erdbeben die Türen des Gefängnisses öffnen.

Und während Jesus von seinen Leichenbinden befreit wird,

fallen bei Paulus, Silas und ihren Mitgefangenen die Fesseln.

An Ostern auferweckt Gott Jesus – nun wacht der Wärter auf.

Die Frauen, welche den Leichnam Jesu salben wollen, sehen eine gleissende Lichtgestalt –

der Wärter verlangt nach Licht und bekommt es auch  –

obwohl er doch in dieser Nacht alleine am Arbeiten ist.

 

Mit alldem wird unser Text zur Ostergeschichte.

Schauen wir uns ihre Akteure genauer an.

Auf der einen Seite steht der Gefängniswärter als Handlanger der Mächtigen dieser Welt.

Den Befehl, Paulus und Silas sicher zu verwahren,

führt er gewissenhaft aus und wählt die radikalste Variante:

Zelle im innersten Teil des Gefängnisses, Füsse im Block, Ausbrechen unmöglich.

Das Leben des Wärters sieht gleich gnadenlos aus wie die Verhältnisse im Gefängnis.

Da gibt es nur Gehorsam, sich ducken, das Befohlene tun und möglichst nicht auffallen.

Er weiss: Wenn die Gefangenen fliehen, dann fällt ihre Strafe auf mich zurück und ich bin geliefert.

 

Paulus und Silas stehen auf der anderen Seite:

Gesellschaftliche Zwänge und Normen kümmern sie nicht. Sie gehorchen Gott mehr als den Befehlen weltlicher Herrscher. In der Nachfolge Jesu verkündigen sie begeistert das Evangelium.

In Philippi erzielen sie damit eine gewaltige Wirkung, die im übertragenen Sinn einem Erdbeben gleicht. Zuerst kommt die hoch angesehene Purpurhändlerin Lydia völlig unerwartet zum Glauben. Dann befreit Paulus auch noch eine Sklavin von ihrem Wahrsagegeist. Damit bringt er ihre Besitzer um eine wichtige Einnahmequelle.

Nun wittern die Tonangebenden endgültig Gefahr: Wenn das so weitergeht, bleibt in Philippi kein Stein mehr auf dem andern. Paulus und Silas müssen unschädlich gemacht werden. Die Mächtigen führen sie darum vor die Richter – nicht ohne vorher noch das Volk gegen sie aufgewiegelt zu haben. Diese lassen sie schlagen und wegsperren.

All das erinnert fatal an Karfreitag: Das Evangelium, die gute Nachricht der Liebe und Vergebung stösst auf den Widerstand der Mächtigen. Und sie schaffen die Störung aus der Welt – damit alles bleibt, wie es ist.

 

Die Lage von Paulus und Silas in der finstersten Zelle des Gefängnisses ist hoffnungslos.

Was sollen sie nun tun? Und haben wir heute im Vergleich zu ihnen nicht Luxusprobleme?

Wenn wir das Evangelium verkündigen; wenn wir beten und singen, dann werden wir vielleicht belächelt oder missachtet. Aber gewiss nicht so brutal verfolgt wir Paulus und Silas.

Sind wohl unsere Worte, Lieder und Taten zu schmalbrüstig und verzagt, um noch wirklich anzuecken?

 

Wie würden wir uns an der Stelle von Paulus und Silas verhalten?

Vielleicht würden wir Konzepte und Strategien entwickeln, wie wir möglichst elegant wieder freikommen. Wie erwähnt hätten die beiden ja durchaus Gründe dafür: Sie wissen, dass sie zu Unrecht sitzen und haben als römische Bürger einen Trumpf in der Hand, der ihnen viele Türen öffnet. Vielleicht würden wir auch zu diskutieren beginnen, welche Lieder sich in der momentanen Situation am besten eignen:  Popsongs oder klassische Lieder, charismatische Gesänge oder etwas aus Taizé?

Paulus uns Silas halten sich nicht mit solchen Fragen auf.

Sie kennen nichts anderes als die Psalmen, uralte Lieder,

die sich beim Volk Gottes bewährt haben als Medizin gegen die Verzweiflung.

Es kann gut sein, dass sie den Psalm 22 singen, aus welchem Jesus am Kreuz zitiert:

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.

Dieser Psalm gibt nicht nur ihrer Verzweiflung eine Sprache.

Er führt sie am Ende zu dem, was uns beim ersten Hören ihrer Geschichte merkwürdig vorkommt:

Sie singen Gott nicht ohne Grund Loblieder. Schon der Psalm 22 bekennt nämlich:

Du, Heiliger Gott, thronst auf den Lobgesängen deines Volks.

 

Im finstersten Teil des Gefängnisses, in grösster Gottverlassenheit, verwundet und geschunden, singen Paulus und Silas gegen die Verzweiflung an

und finden durch die Klage zum österlichen Lob Gottes.

 

Kantate! Singt!

Paulus und Silas laden uns ein, in ihren Gesang einzustimmen.

Sie laden uns ein, inmitten einer Welt,

die durch Unrecht und Gewalt zum Gefängnis verkommt,

in Gottes Osterlied einzustimmen.

Dann fallen Mauern und Fesseln lösen sich.

 

Paulus und Silas singen nun aber nicht nur Osterlieder.

Sie handeln auch danach:

Als die Mauern fallen, brechen sie nicht aus.

Sie leben ihre Freiheit im Glauben, indem sie in irdischer Hinsicht darauf verzichten.

Damit öffnen sie dem Gefängniswärter die Tür

und führen ihn ins Licht von Ostern – Schritt für Schritt:

Zitternd fragt der Wärter: Grosse Herren, was muss ich tun, um gerettet zu werden?

Paulus und Silas weisen weg von sich auf den wahren Herrn

und weg vom Tun auf den Glauben allein:

Glaube an Jesus, den einen und einzigen Herrn, und du wirst gerettet werden.

 

Rettung aus Glaube allein – das kennen wir.

Die Geschichte setzt nun aber nochmals einen überraschenden Akzent:

Der Glaube des Wärters trägt bereits Früchte, bevor er sich taufen lässt:

 

Noch vor zwölf Stunden befolgte er gewissenhaft Befehle

und sperrte Unschuldige grob in den Block ein.

Nun wendet sich der Wärter den Gefangenen zu

und tut alles, um ihr Leiden zu lindern:

Er wäscht Paulus und Silas die Wunden –

und wird danach in der Taufe selbst reingewaschen.

Damit endet die Geschichte, die so dunkel begann, licht- und hoffnungsvoll:

Menschen, die am Abend zuvor noch

durch dicke Mauern getrennt waren voneinander,

sitzen am gleichen Tisch, feiern die Gemeinschaft mit Gott

und freuen sich am österlichen Leben.

 

Kantate! Singt!

Lukas lädt uns zum Mitsingen ein.

Er erzählt eine Geschichte, die gerade darum immer wunderbarer wird,

weil das Wunder, das vor Augen liegt,

durch das eigentliche Wunder, das sich in den Herzen ereignet,

Schritt für Schritt überboten wird:

 

Das Erdbeben, welches die Grundmauern des Gefängnisses erschüttert,

ist nichts gegen das Wunder,

welches der Gefängniswärter in der Begegnung mit Paulus und Silas erlebt.

Er findet das neue Leben, Zukunft und Hoffnung

bei Christus, dem auferstandenen Herrn der Welt.

 

Von ihm sollen wir singen, je an unserem Ort, mit Worten und Taten.

Trauen wir der neuen Melodie, die Gott an Ostern zur Welt bringt,

dann fallen Mauern von Selbstzweifeln und Ängsten.

Fesseln von Sachzwängen und Sorge lösen sich.

Wir finden zur Freiheit Gottes,

die sich gerade darin zeigt, dass wir im Namen der Liebe auf sie verzichten können.

So, wie Paulus und Silas im offenen Gefängnis sitzen bleiben,

um dem Wärter den Zugang zu Ostern zu eröffnen.

So sind wir vom Zwang befreit, uns unsere Stellung und unseren Besitz zu sichern.

Und wir dienen einander in der Liebe.

 

Stimmen wir ein ins Loblied Gottes,

erfahren wir sein Wirken –

so überraschend wie die Geschichte im Gefängnis sich entwickelt.

Ja, Gott greift ein in unser Leben als Einzelne wie als Kirche. Nicht mit Hokuspokus, Stürmen, Erdbeben und Feuer. Nicht mit Marketingstrategien und Kommunikationskonzepten. Dafür aber mit seinem Geist, der uns wieder und wieder sanft und flüsternd zum Eigentlichen zurückführt, zur Liebe und Vergebung, dem Lied Gottes, das Leben schafft und an Ostern die Mauern des Todes sprengt. Amen.



Pfr. Thomas Muggli-Stokholm
Wolfhausen, Schweiz
E-Mail: thomas.muggli@zh.ref.ch

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