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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

10. Sonntag nach Trinitatis, 05.08.2018

Jerusalem – Sehnsuchtsort des Friedens
Predigt zu Jesaja 62:2-6, verfasst von Wibke Klomp

 

O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden! Der HERR hat geschworen bei seiner Rechten und bei seinem starken Arm: Ich will dein Getreide nicht mehr deinen Feinden zu essen geben noch deinen Wein, mit dem du so viel Arbeit hattest, die Fremden trinken lassen, sondern die es einsammeln, sollen's auch essen und den HERRN rühmen, und die ihn einbringen, sollen ihn trinken in den Vorhöfen meines Heiligtums. Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker! Siehe, der HERR lässt es hören bis an die Enden der Erde: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her! Man wird sie nennen »Heiliges Volk«, »Erlöste des HERRN«, und dich wird man nennen »Gesuchte« und »Nicht mehr verlassene Stadt«. (Jes 62, 6-12)

 

Jerusalem 2018: Pilgerströme durchziehen die Altstadt. Menschen aus aller Herren Länder kommen in die Heilige Stadt. Sie suchen eine Begegnung mit dem Heiligen. Und jeder tut es auf seine Art: An der Klagemauer finden sich jüdische Männer und Frauen. Kleine Zettel mit Anliegen werden in die Zwischenräume der Mauer gesteckt. Intensiv ist das Gebet. Nicht weit weg strömen Muslime den Weg zum Felsendom hinauf. Ein eindrucksvoller Bau. Christen pilgern auf der Via Dolorosa. In der Grabeskirche staunt man über die Vielfalt der verschiedenen christlichen Konfessionen. Orthodoxe, Katholiken, Kopten, Äthiopisch-Orthodoxe Geistliche, um nur ein paar zu nennen, finden sich dort.

Jerusalem – ein Heiliger Ort. Durch alle Zeiten hindurch. Wer je dort war, liebe Gemeinde, weiß um die Faszination dieser Stadt: Die Rufe der Muezzine, der Klang der Glocken. Das Wirrwarr in der Altstadt: die Düfte des Souks, des Marktes. Der Klang der verschiedenen Sprachen. Orthodoxe Juden in langen Gewändern mit Schläfenlocken neben jungen Touristen in kurzen Hosen aus aller Welt.

Und überall: Bewaffnete Polizisten. Wächter ganz anderer Art.

Letzte Woche erst wurde der Tempelberg gesperrt. Nach israelischer Darstellung griffen Palästinenser die Sicherheitskräfte nach den Freitagsgebeten ohne Grund mit Steinen und Feuerwerkskörpern an. Von palästinensischer Seite hieß es dagegen, israelische Polizeikräfte hätten ohne ersichtlichen Anlass muslimische Gläubige attackiert. Palästinenser hätten Muslime angegriffen. Auseinandersetzungen gehören in Jerusalem zum Alltag. Jerusalem findet keinen Frieden. Dabei wäre das doch was: Jerusalem – die Heilige Stadt der drei monotheistischen Religionen als ein Ort des Friedens. Jerusalem – Ein Zeichen für die Völker.

Jerusalem, eine Stadt der Hoffnung durch alle Zeiten hindurch und zugleich ein Spiegel der Realität. Eine Stadt der Konflikte.

Unzählige Lieder sind auf die Stadt, die Tochter Zion, gedichtet worden. Auch unser Gesangbuch ist davon durchzogen. Lassen wir uns von ihnen ein wenig mitnehmen:

 

[EG 13, 1

1. Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem!

Sieh, dein König kommt zu dir, ja er kommt, der Friedefürst.

Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem!]

 

Der Friedefürst!? Ja, wo ist er? Die Sehnsucht nach einem Herrscher, der den Frieden bringt, ist noch heute groß. Bei Juden und Christen, auch bei den Muslimen. Manche Politiker versuchen sich an dieser Aufgabe und scheitern doch. Acht Kriege gab es zwischen dem vor 60 Jahren gegründeten Staat Israel und seinen Nachbarstaaten. Unzählige Konflikte zwischen den Israelis und Palästinensern. Im Camp David wurde vor 40 Jahren ein Friedensabkommen geschlossen, unzählige Friedensgespräche geführt. Friedensnobelpreise für Bemühungen verliehen. Sadat, Begin. Arafat. Peres. Rabin. Und doch herrscht kein Frieden. Nicht in Jerusalem, nicht in Nahost und weit darüber hinaus. Und doch bleibt Jerusalem ein Ort der Hoffnung. Die Wächter der Stadt werden nicht müde. Ihr Lied klingt weiter. Muss weiter weiterklingen…

 

[EG 147, 1

1. »Wachet auf«, ruft uns die Stimme der Wächter sehr hoch auf der Zinne,

»wach auf, du Stadt Jerusalem! Mitternacht heißt diese Stunde«;

sie rufen uns mit hellem Munde:

»Wo seid ihr klugen Jungfrauen? Wohlauf, der Bräut’gam kommt,

steht auf, die Lampen nehmt! Halleluja!

Macht euch bereit zu der Hochzeit, ihr müsset ihm entgegengehn!«]

 

„Wohlauf, der Bräut‘gam kommt…!“ Christen sehen in Jesus den Messias, den Bräutigam und Friedensfürsten. Jesu Botschaft hat zweifelsohne viele Menschen motiviert ein Leben zu führen, das den Mitmenschen im Blick hat. Wieder und wieder hat er gezeigt, dass gegenseitiger Respekt und Achtung vor dem Gegenüber die Grundvoraussetzung für gelingendes Leben sind. Insbesondere seine Bergpredigt motivierte Menschen wie Dietrich Bonhoeffer sich für Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen. Von ihm stammt das Zitat „Nur, wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen!“ Zum Glück erkennen wir heute, wie sehr die drei abrahamitischen Religionen miteinander verwurzelt sind. Nicht zuletzt die schweren Erfahrungen unserer Geschichte haben uns die Augen dafür geöffnet. In Yad Vashem in Jerusalem befindet sich die internationale Holocaust-Gedenkstätte. Ein Ort, der vor Augen führt, wozu Menschen fähig sind, wenn sie sich blind einem Herrscher anvertrauen. Darum heißt es auch für uns heute, dass wir mit wachen Augen auf das schauen, was um uns herum und in der Welt passiert. Und, dass wir genau hinschauen, wenn jemand sich uns als Heilsbringer und Messias verkaufen will und es ihm in Wirklichkeit nur um seine eigene Macht und Selbstdarstellung geht. Denn es gilt noch immer:

EG 14, 1

Dein König kommt in niederen Hüllen, ihn trägt der lastbarn Eslin Füllen,

empfang ihn froh, Jerusalem! Trag ihm entgegen Friedenspalmen,

bestreu den Pfad mit grünen Halmen, so ist’s dem Herren angenehm.

  

„Friedenspalmen“ – dieses Wort gefällt mir in diesem heißen Sommer 2018. Wenn wir das Lied im Advent singen, geht der Inhalt fast ein wenig unter.

Friedenspalmen – ja, wir dürfen und müssen sie bewusst hochhalten. Denn um den Frieden auf unserer Erde mache ich mir zunehmend Sorgen. Schienen früher die Konfliktherde dieser Welt weit entfernt, spüren wir nun auch in unserem Land deutlich die Folgen. Vor drei Jahren erreicht um diese Zeit die große Flüchtlingswelle unser Land. Viel ist seitdem passiert. Viele Menschen haben sich sehr engagiert. Viele waren hilfsbereit. Manche wurden enttäuscht. Ja, das ist so. Aber es wurde vor allen Dingen viel Politik damit betrieben. Es wurden bewusst Ängste geschürt.

Mich haben die Berichte derer, die zu uns in den Ort gekommen sind, berührt. Ein fünfzehnjähriges Mädchen aus Syrien hat im Kindergottesdienst bei uns vor den Ferien ihre Geschichte erzählt. Ein Grundschulkind fragte zurück: Ich verstehe nicht, warum du unser Land so friedlich findest. Wir streiten doch auch. Das Mädchen sagte: Oh, Streit ist etwas ganz anderes. Ich habe zu Hause immer solche Angst gehabt. Der Klang der Raketen. Die kaputten Häuser. Unsere Schule hat geschlossen. Ich wache hier auf und weiß: Hier ist Frieden – und ich danke Gott dafür.

Und für die, die weiterhin in den Krisengebieten dieser Welt leben? Ja, für sie bleibt und ist Jerusalem weiter ein Ort der Hoffnung. Als ein Ort des Friedens, ein Ort, an dem man von allem Leid und Schmerz befreit, leben wird.

 

[EG 150, 1

Jerusalem, du hochgebaute Stadt, wollt Gott, ich wär in dir.

Mein sehnend Herz so groß Verlangen hat und ist nicht mehr bei mir.

Weit über Berg und Tale, weit über Flur und Feld

schwingt es sich über alle und eilt aus dieser Welt.]

 

Walldorf 2018

Diese Sehnsucht nach dem himmlischen Jerusalem hier auf Erden, dürfen wir nicht aufgeben. Es liegt an uns, diese Sehnsucht wach zu halten und um ihre Konkretisierung miteinander zu ringen. Ganz konkret in unserem Alltag vor Ort. In unseren Kindergärten und Schulen, an unseren Arbeitsplätzen und auf den Plätzen unserer Städte. Wir begegnen einander als Christen, Juden und Muslime. Und unser Glaube sollte weiterhin öffentlich lebbar sein. Bewusst und gern. Ohne Angst, wie es bereits an manchen Orten in unserem Land der Fall ist.  Gemeinsam können wir zeigen, was unsere abrahamitischen Religionen verbindet: Unsere Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit. Unseren Respekt vor Gott, der uns alle verschieden geschaffen hat. Unsere Achtung vor unseren Mitmenschen.

Es liegt an uns, den Frieden im Hier und Jetzt gemeinsam zu suchen und das nicht nur für uns, sondern für alle Menschen auf dieser Welt. Darum sollten wir genau hinschauen, was auf unserer Welt geschieht und wach sein für das, was unserem Miteinander schadet. Das Miteinander in Jerusalem ist schwierig, fangen wir doch bei uns an, an unserem Miteinander zu arbeiten. Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, er leite uns dabei mit vollen Kräften. Amen

 

 

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Wibke Klomp, geb. 1975 in Bremerhaven, Pfarrerin der Evangelischen Landeskirche in Baden

 



Pfarrerin Wibke Klomp
Walldorf, Baden-Württemberg, Detuschland
E-Mail: klomp@eki-walldorf.de

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