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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 02.09.2018

Dankstelle Glauben
Predigt zu 1. Thessalonicher 1:2-10, verfasst von Jörg Coburger

Hurra, Deutschland ist Weltmeister! Na gut, sagen wir einmal: Zumindest Weltmeister in Nörgeln und Unzufriedenheit. Nun, Einspruch nehme ich gern entgegen, denn das alleine ist sicherlich zu kurz gegriffen, aber jene, die so karikieren, haben ein Problem erkannt.

Dass solche unzufriedenen Töne, die wir gerne kritisch nennen, reflexartiger kommen als dankbare Worte. Die Dankbaren hingegen und alle, die sagen „Ich bin zufrieden“, geraten schnell unter Verdacht und Rechtfertigungszwang, wie sie nur so reden könnten, schnell werden sie als naiv und einfältig belächelt. Es werden ihnen Sattheit und Konfliktscheuheit unterstellt, ebenso eine partielle Blindheit, gar eine „bürgerliche Doppelzüngigkeit“ bekommen sie attestiert, denn wer mit den bestehenden Verhältnissen zufrieden ist, mit dem stimme etwas nicht. Das etwas verräterisch verkoppelte Klischee von „bürgerlich“ und „doppelzüngig“ stammt allerdings nicht von mir.

 

Vom Thema „Dank“ist der Anfang 1. Thessalonicherbrief geprägt. Der Anfang desselben ist heute unser Predigttext. Ungefährt um 45-50 n. Christus, so früh also, hatte Paulus von Philippi kommend, eine Gemeinde gegründet, die ganz offenbar einen erfreulichen Aufschwung genommen hatte. In Apostelgeschichte 17,1-9 erfahren wir, wie er und seine Gehilfen zwar Erfolg hatten, aber dies auch Gegnerschaft hervorruft und üble Burschen und Schläger gegen den Apostel auf den Plan ruft. Schneller als dem Apostel lieb war, musste er dort, wie z.B. auch in Ephesus, wieder verschwinden. Seinen Wunsch, erneut zu kommen, sah er vereitelt. Deshalb sandte er von Athen aus seinen Mitarbeiter Timotheus, um Erkundigungen nach dem Ergehen der jungen Gemeinde dort einzuholen. Dieser kann von ermutigenden Glaubenserfahrungen (3,1ff.) berichten. Auch von Verfolgungen und Fragen nach Sterben und Tod im Zusammenhang einiger, die inzwischen verstorben waren, ist am Ende des Briefes die Rede. Deshalb schreibt Paulus mit Silvanus von Korinth aus.

 

Es ist auch wichtig, was der Apostel nichtbenennt. Merk-würdig ist in diesem Abschnitt, dass Paulus keinerlei Zahlen benennt; auch nicht, wie sich die Gemeinde sozial zusammengesetzt hat. Freilich war sie kein wilder Haufen (5,12), sondern mit Kompetenzen und einer Struktur.

 

Wir müssen nicht den Anfang von Matthäus, also vom „Salz der Erde“, gegen das Ende desselben Evangeliums vom Taufauftrag und missionarischer Bevollmächtigung ausspielen. Das Salzwort heißt nicht, sich in mickrigen Zahlen einzurichten, Wachstum darf durchaus auch sein. Wie schön und dankenswert ist es, wenn „Leben in der Bude“ herrscht. Nichts Schöneres gibt es in diesen Tagen als Kindergewusel in allen Gemeinde- Räumen, denn wo die sind, sind auch die Eltern nicht weit. Den Weg zueinander finden und in lebendigen Beziehungen einander stärken. Aufeinander acht haben und sich umeinander in einem geistlichen und sozialen Netzwerk kümmern, öffnet möglichem Segen viele Türen. Dort ist ein „Geheimnis“ aus Thessaloniki bis heute für uns alle. Die Gemeinde braucht Gesichter! Wem kann ich denn meine Freude als auch meine Niederlagen und Unzufriedenheiten anvertrauen – ohne gesagt zu bekommen: „Anderen geht es noch viel schlechter“ oder ähnlich? Wir jammern zu viel, wir klagen zu wenig. Ich fürchte mich nicht vor anderen Strukturen, aber vor solch riesigen Mega- Kombinatsbildungen in unserer Kirche, an denen, zwar nicht als einzige Ursache, schon die DDR zugrunde gegangen ist. Diese Ost-Erfahrung hätten wir in die EKD einzubringen.

 

Dank muss ausgesprochen werden. Paulus macht das. Er dankt für das „Werk des Glaubens“ in der Gemeinde. Dank entgiftet die Bitterkeit. Danken entgiftet offenbar vor allem Konkurrenzdenken, Argwohn und Neid.

 

Woran messen wir den Dank?Das dürfen gewiss auch die Zahlen sein, aber bitte nicht nur die Zahlen, denn dann wird es hartherzig und eng. Wie schön ist es zu sehen, wenn durch Baugeschehen ganze Gemeinderegionen zu Zuzugsgebieten werden, weil junge Familien dort ansässig werden wollen und die Gemeinde darauf mit Angeboten für Familien reagiert. Dass diese jungen Familien in der Kirchgemeinde eine Heimat finden, ist kein Selbstläufer. Über die Erfahrungen des Besuchsdienstes an den Haustüren derer, die ausgewiesen zur Kirche gehören, ist an anderer Stelle zu reden. Wir treffen doch an den Haustüren auf viele antikirchliche Ressentiments und eine Gottvergessenheit, die uns frösteln lässt. Wenn dann aber etwas mit „Werken des Glaubens“ weiterwachsen kann, ist das wohl ein Grund, Gott dafür zu danken. Ich sehe aber auch die Gegenden, in den fast nur noch Alte wohnen – oft aktive Gemeinden und eine Menge Gelassenheit und Erfahrungen im Glauben. Dort leben meine „Propheten und Seelsorger“. Was da mitunter in schlichten Nebensätzen durchklingt, trägt mich eine ganze Woche. Ich bin dankbar, dass es diese Alten gibt. Besuche bei ihnen sind fast immer ein starkes Erlebnis. Stets gehe ich gesegnet davon. Grund zum Danken.

 

Dank ist auch immer etwas wehrlos.Dank wird oft geschmälert. Nicht alle können oder wollen sich mitfreuen, winken ab und reduzieren, weil blind, alles auf die Dinge, die nicht mehr oder nur mangelhaft funktionieren. Dank wird allzu schnell entzaubert. Der Apostel vergleicht auch nicht miteinander und untereinander. Das Vergleichen macht uns krank. (Darüber gibt es eine eigene Geschichte bei Lukas 18,9ff). Das ist für den Apostel jedoch keine Strategie, sondern es geht um den Blick auf Gott und dessen Möglichkeiten. Das Vergleichen macht uns krank. Dabei verzetteln wir uns und werden hochmütig, wo wir die anderen mickriger wähnen oder schnell neidisch, weil wir uns benachteiligt anschauen, weil es andere angeblich besser haben. Verglichen werden doch vor allem die Zahlen, also was wir zählen können. Er sagt: „Werke des Glaubens“ Aus Dankbarkeit heraus sich einsetzen und handeln.

 

Wer dankt, handelt. Danken ist das schönste Sprachhandeln des Menschen.

Da ist jetzt gerade noch etwas Geduld nötig, denn ich möchte Dank nicht sofort mit Wertschätzung gleichsetzen, weil es dann wieder nur immer um uns geht und wie wir miteinander umgehen usw. Dank (Eucharistie) hält den Blick himmeloffen. Ich verstehe Paulus so: Im Danken selbst schon reagieren wir auf Vorfindliches. Gott ist die treibende Kraft. Werke des Glaubens sind eine Reaktion und meinen das, was Jesus Christus in uns freigesetzt hat. (2. Thess. 1,11) Nicht aus Zwang oder weil mich jemand dazu verdonnert hat, sondern weil ich Freude daran habe und gehalten bin, besonders in Widerständen, von denen die Apostel viel erlebt hatten.

 

Gott danken ist Freude. Allein aus Dankbarkeit können wir tun, was auch ziemlich nüchtern Geschäftigkeit heißen kann. Im Römerbrief (12, 1ff) ist einmal der „vernünftige Gottesdienst“ beschrieben. Was dann genannt wird, sind ganz praktische Äußerungen unseres Glaubens. Es ist von den Reformatoren angemessen und klug, das Thema „Die guten Werke“ unter dem Titel „Von der Dankbarkeit“ einzuordnen. Dann gehört aber auch unabdingbar für unseren Gemeindeaufbau dazu, von dem zu zeugen, wo wir Gottes Spuren in unseren Leben entdeckt haben.

 

Danken hat etwas Zeugnishaftes. Wer Dank sucht, muss die Augen und Herzen für die guten Gründe des Dankes öffnen wollen. Aus der Gedankenlosigkeit kommt kein Dank, sondern eher als Kritik verkaufte Nörgelei. Anlässe zum Dank werden hier benannt. Nicht umsonst ist von der Verkündigung des Evangeliums die Rede. Welche Möglichkeiten hält Gott bereit? Zur Sprache zu bringen und sich danach auszustrecken, wofür wir einst blind waren. Der fordert nicht zuerst andere zur Dankbarkeit auf, sondern legt selbst authentisch Zeugnis ab: „Ich danke Gott…“ Das ist nicht wenig, sondern sehr viel! Dank muss ausgesprochen werden.

Ich habe auf einer Party erlebt, wie versteinert alle Gäste waren, Fassungslosigkeit über Minuten hinweg, weil mir so etwas wie Dank an Gott herausrutschte, so, als hätte ich einen obszönen Witz erzählt; dabei hatte ich doch nur das Krankenhaus verlassen war seufzend froh und dankbar, wieder dabei sein zu dürfen. Meine Aussage „Ich danke Gott“ wurde nun diskutiert, gar bewertet. Es bildete sich ein Pro und Contra heraus, einer plädierte für Toleranz mir gegenüber, ein Ehepaar, das für mich gebetet hatte, getraute sich gar nichts mehr zu sagen. Komische Zeit, in der ich lebe; wenn einer an Krebs stirbt, war es der „liebe Gott.“ Gesundet er, mehr oder minder, waren es die Ärzte. Hier stimmt etwas nicht! Danken lässt offenbar aufhorchen.

 

Er kann sogar eine Pro-Vokation sein, wie das Wort es sagt. Auffällig ist, dass gerade beim Stichwort„Werke des Glaubens“ ein Kampf um die Deutungshoheit ausgebrochen ist. Hypertrophie der Kritik müssen wir nicht mehr trainieren, das können wir. Wir finden das Haar in der Suppe, garantiert! Gerade bei „Werken des Glaubens“ gibt es Streit. Wir scheinen immer alles ohne Gott geschafft zu haben. Nur ein kurzes Beispiel, auch wenn es sich im Augenblick um dies Thema etwas beruhigt hat. Damit denke ich an den Herbst 1989 in meiner Leipziger Heimat und die jahrelangen Friedensgebete.

 

Kurze Zwischenbemerkung: Der historischen Genauigkeit und menschlichen Fairness halber muss ich richtigstellen, dass die Friedensgebete nicht erst in St. Nikolai Leipzig in den sog. Wendzeiten begannen, sondern bereits seit Herbst 1978 unter Leitung von Probst Heino Falcke in Erfurt und noch viel früher, den genauen Beginn wissen wir nicht mehr, nämlich zum Friedenseminar in Königswalde, gelegen zwischen Werdau und Zwickau in Westsachsen.

 

Aber zurück zu den Glaubensdingen. Der Dank, weil es in der Zeit der Wende Herbst `89 keinen Bürgerkrieg und Blutvergießen gab, scheint der kleinste gemeinsame Nenner in der Bewertung der Ereignisse um den 7. Oktober 1989. Als siebzigtausend Menschen friedlich ein positiven Satz bezeugten: „Wir sind das Volk“ Aber was sollten denn die Ereignisse im Herbst ´89 mit Gott zu tun haben? „Nichts“, sagen die einen, „eine zufällige Verkettung von Missverständnissen.“ Aber ich sage: Gott war mit uns auf der Straße, in der Angst, in der Ratlosigkeit, in der Wut, in der Sprachlosigkeit mancher Gebete, in der Gewaltlosigkeit, und ich danke Gott, das wir das erlebt haben. Seine Kraft war in uns Schwachen mächtig. 2. Kor.12,9 Dankstelle des Glaubens. Einen Höhepunkt bis zur Verzerrung hin erhielt solch neue Mythenbildung als Monate später – die innerdeutsche Grenze, die Mauer war längst offen – ein hoher Stasi-Offizier veröffentlichte, es sei an der Zeit, auch ihnen, den sog. „bewaffneten Organen“ einmal zu danken, weil sie die Waffen gegen die Bevölkerung zurückgehalten hätten. Mit den Augen Gottes gesehen, aber nur so (!) könnte er sogar, ganz anders als gewollt, Recht haben.

 

Weil in solchem Danken die falsche Alternative von Menschenwerk und Gottes Kraft überwunden ist, was wir so gern gegeneinander stellen. Ob nun wir Menschen etwas selbst bewirkt haben oder ob es am Ende vielleicht doch Gott gewesen sein könnte. Das ist hier für den Apostel absolut keine Option. Das sind seit dem Zeitalter des Rationalismus unsere engsichtigen Probleme. Gott handelt und wirkt in unsere Geschichte und dort lässt er seine Liebe Gegenstand werden; Hand und Fuß, Ereignis und Gemeinde in der Hafenstadt Thessaloniki. Dass Gemeinde gebaut wird, haben wir nie selbst geschafft. Wo Dank diese Richtung behält, kommt auch die Anerkennung und Wertschätzung an die Mitarbeitenden nicht zu kurz. Auch gilt: „Es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott.“EG 508,2



Jörg Coburger
Zschopau, Sachsen, Deutschland
E-Mail: joerg.coburger@gmx.de

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