Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

19. Sonntag nach Trinitatis / Erntedank, 07.10.2018

Macht Glaube klug?
Predigt zu 1. Timotheus 4:4-5, verfasst von Wolfgang Schmidt

Liebe Gemeinde,


welche Pracht ist das, wenn einmal im Jahr die Erntegaben die Kirche schmücken! Wie kostbar und wundervoll, was die Bäume und Felder, was die Erde auch in diesem Jahr hervorgebracht hat und immerzu hervorbringt!


„Und Gott sah an alles, was er geschaffen hatte, und siehe, es war sehr gut!“
Unwillkürlich fallen mir diese Worte aus der Schöpfungsgeschichte ein, wenn ich an den reich gefüllten Obst- und Gemüseständen in der Nähe des Damaskustores vorbeikomme und die Vielfalt der Gaben bewundere, die dieses Land seinen Bewohnern schenkt! Avocado, Mango, Trauben, Bananen, frische Datteln, Granatäpfel. Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut – um es mit den Worten des heutigen Predigttextes zu sagen.


Und doch – bei aller Schönheit der Gaben des Feldes besteht die Gefahr, dass der Erntedanktag eine Wirklichkeit romantisch verklärt, die alles andere als romantisch ist. Das Erntedankfest selbst wurde ja vor Zeiten einmal von der Obrigkeit ins Leben gerufen und den Kirchen verordnet, als der Mangel groß war. Es waren jene Zeiten, wo jede einigermaßen ergiebige Ernte als Glücksfall und als ein ungewöhnliches Geschenk empfunden werden musste. Und die Christen sollten das Ihre zum Gelingen beitragen, indem sie für günstigen Wind und ausreichend Regen beten sollten und Gott für das Gelungene das Dankopfer bringen durften.


Heute kennen wir in den westlichen Breiten den Mangel kaum noch. Und selbst wenn es einmal zu Missernten wie etwa in den USA kommt, verhungert dort keiner. Hier im Land ist dank moderner Anbaumethoden die Ernte weitgehend gesichert. Dafür sind die Nöte heutzutage andere geworden. Die modernen Anbaumethoden haben ihren Preis. Bodenverdichtung durch schwere Maschinen. Pestizide bedrohen die Existenz der Bienenvölker. Nahrungsmittel und schlimmer noch das Ackerland sind in den vergangenen Jahren in großem Maßstab Gegenstand von Milliarden-Spekulationen an den Börsen dieser Welt geworden. Die Klimaentwicklung trägt zur Versteppung ganzer Landstriche bei. Und auf die weltweite Hungerproblematik hat die Gemeinschaft der Staaten bisher keine wirkliche Antwort gegeben.


Wie feiert man Erntedank in einer Welt, die den Mond erobert hat, aber Hunger und Durst der Erdbewohner nicht zu stillen vermag? Der heutige Predigttext gibt uns eine Ahnung davon, in welche Richtung es gehen könnte. Der Brief an Timotheus legt uns eine Haltung nahe, die heilsam sein könnte.


„Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird, denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“ Im Hintergrund dieses Bibelwortes steht eine Diskussion, die uns heute nur noch am Rande beschäftigen muss. Sind bestimmte Speisen – und übrigens auch die Ehe, um die es damals ging – mit dem christlichen Glauben vereinbar? Das musste mit Judenchristen diskutiert werden, die von ihrem Herkommen an bestimmte Speisegesetze gebunden waren. Da musste aber auch mit gnostischen Esoterikern diskutiert werden, die sich schon halb im Himmel wähnten und alles Irdische geringachteten. Dogmatiker der Ernährung. Natürlich gibt es sie auch heute. In allen Richtungen der Ernährung und des Ernährungsverzichts finden wir Menschen, die ihre Ansicht missionarisch vortragen und mit religiöser Inbrunst vertreten. „Nichts ist verwerflich!“ könnten wir mit dem Timotheusbrief antworten. „Alles was Gott geschaffen hat, ist gut.“ Doch heutigen Ernährungskritikern geht es weniger um die Nahrungsmittel, die aus Gottes Produktion stammen, sondern um jene, die von Menschenhand entwickelt wurden: Genmanipulierte Lebensmittel, künstliche Aromen, Fertigspeisen mit hohem Salzgehalt oder Getränke mit zu viel Zucker. Kritik ist angebracht. Zurecht. Denn fragwürdig ist eine Haltung, die Lebensmittel zu einer ökonomischen Verfügungsmasse macht – ohne Achtung, ohne Wertschätzung gegenüber dem, was uns von der Natur gegeben ist.

 

An diesem Punkt kann uns nun der Predigttext inspirieren. Ein Wort gegen die Geringachtung unserer natürlichen Lebensgrundlagen: „Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird, denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“

 

Wie gedankenlos gehen wir doch zumeist mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen um: Das Wasser kommt aus der Leitung im Überfluss. Das Brot kommt aus dem Supermarkt so viel wir wollen. Das Gemüse aus der Tiefkühltheke.  Wir danken nicht. Wir bezahlen. Die Dinge mit Danksagung empfangen, gibt der Sache eine erste Wendung. Wer dankt, denkt nach. Raus aus der Routine! Raus aus der Schlaraffenlandmentalität! Nicht ist selbstverständlich! Alles ist uns gegeben!

 

Für den Benediktinerpater David Steindl-Rast ist Dankbarkeit so etwas wie der Grundton eines Lebens in Zufriedenheit. Gratefulness auf Englisch. Der gebürtige Österreicher lebt seit Jahrzehnten in den USA. Er hat die Dankbarkeit als ein geistliches Lebensprinzip entdeckt und vertieft, das eine ganz neue Sicht auf die Welt eröffnet. Er hat damit das Europäische Netzwerk „dankbar leben“ inspiriert. „Gratefulness“ und „dankbar leben“ kann man auch im Internet finden.

 

Wer danken kann, geht einen ersten Schritt in die Bewusstheit. Aus dem Verbraucher wird ein Empfänger. Aus dem Nutzer ein Beschenkter. Im Danken öffne ich meine Hände und nehme bewusst entgegen, was mir zukommt. Es steht mir nicht einfach zu. Es kommt mir vielmehr zu als eine Gabe, ein Geschenk. Das ist das Geheimnis der Dankbarkeit: ich nehme mich wahr als beschenkt. „Danke“ ist ein kleines Wort mit großer Wirkung.

 

Denn „Danke sagen“ eröffnet eine Beziehung. Ganz von selbst kommt im Danken ein Gegenüber in den Blick. Im Danken stelle ich die Dinge in einen Kontext – in den Kontext Gottes nämlich, dem ich nicht nur alles, sondern am Ende auch mich selbst verdanke. Zum Wesentlichen habe ich nichts dazu getan: dass ich bin, dass ich geschaffen bin, sein Geschöpf. Das ist alles eine Gabe!

 

Und so wird Danken zugleich zu einem Bekenntnis: Du bist es, der mich beschenkt! Dir verdanke ich alles! Dir verdanke ich mich! Du bist mein Gott!


Und schließlich und endlich gewinnen auch die Dinge selbst, für die ich dankbar bin, einen neuen Charakter. Im Danken würdige ich eine Sache: sie wird zur Gabe, zur Wohltat, zum Geschenk. Sie gewinnt ein besonderes Gewicht, einen Wert über jeden materiellen Wert hinaus. Sie bekommt eine Würde. Das Danken entreißt die Dinge ihrer Oberflächlichkeit und Banalität.

 

„Nichts ist verwerflich, was mit Dankbarkeit empfangen wird, denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“ Das Stück Brot, für das ich Gott danke, ist nicht mehr nur ein gebackener Teig aus Wasser und Mehl. Das Stück Brot, für das ich Gott danke, wird seiner Banalität entkleidet und wird zur Gabe des Schöpfers an sein Geschöpf, an mich, wird zum Geschenk, mit dem er das Leben erhält, dass er geschaffen hat. Das Stück Brot, für das ich Gott danke, wird geheiligt. Denn Gott, in dessen Kontext ich das Stück Brot stelle, ist heilig. Und alles, was mit ihm zu tun hat, ist ebenfalls heilig. Geheiligt heißt: Ausgesondert aus dem Alltäglichen und mit Gott in Beziehung gesetzt. So gesehen kann jedes Essen und Trinken zu einem heiligen Mahl werden. Denn alles wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet, wie es heißt. Das Dankgebet gibt dem Essen seine Würde.


Und damit wird der Erntedanktag zugleich zu einem Tag des Sinnenwandels:

Abkehr von der Gedankenlosigkeit, mit der wir unsere Lebensmittel konsumieren;

Abkehr von der Selbstverständlichkeit, mit der wir erwarten, dass Essen und Trinken unsere Speisekammern füllt;
Abkehr von der blinden Routine, mit der wir zwischen den Seiten der Morgenzeitung unseren Kaffee schlürfen;
Abkehr von der Oberflächlichkeit, mit der oft Lebensmittel zubereitet werden;
Abkehr von der ruhelosen Hast, mit der im Fast Food Restaurant Hunger und Durst gestillt werden; Abkehr von der Skrupellosigkeit, mit der Geschäftemacher degenerierte oder auch gesundheitsgefährdende Nahrungsmittel vermarkten;
Abkehr von der Achtlosigkeit, mit der Essen und Trinken weggeworfen oder überproduziert und vernichtet wird.


Eine Haltung der Dankbarkeit gegenüber Gott für die elementaren Dinge des Lebens eröffnet einen vertieften Blick auf das Leben selbst. Das Dankgebet öffnet mir die Augen für die Güte Gottes und seine Gaben und für den Wert und die Würde, die sie als solche haben.
Essen und Trinken ist eben nicht nur essen und trinken.

 

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Wolfgang Schmidt, geb. 1960, Pfarrer der Evangelischen Landeskirche Baden

Seit Juli 2012 Repräsentant der EKD im Heiligen Land mit Sitz an der Erlöserkirche Jerusalem



Propst Wolfgang Schmidt
Jerusalem, Israel
E-Mail: propst.schmidt@redeemer-jerusalem.com

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