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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 17.02.2019

Ja ja, nein nein. Jeden Tag.
Predigt zu Der Prediger Salomo 7:15-18, verfasst von Wolfgang Petrak

7,15 Dies alles hab ich gesehen in den Tagen meines eitlen Lebens: Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit.

16 Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest.

17 Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit.

18 Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.

 

Liebe Gemeinde,

ja, es sind Worte voller Weisheit, die wir gehört haben. Ihr Hintergrund, ihre Situation, aus der sie heraus formuliert sind, sind verdeckt und bleiben für immer verborgen. Wir sehen uns direkt angesprochen und müssen uns dazu verhalten – oder auch nicht. Am liebsten würde ich meinen einsamen Platz hier auf der Kanzel verlassen und Euch danach befragen, wie ihr diese Worte aufgenommen habt, meine ich doch allein schon beim Vorlesen erstaunte Gesichter, leises zustimmendes Kopfnicken gesehen zu haben, aber auch kritische Stirnfaltenbildungen und sich zusammenziehende Augenbrauen, weil – also mir geht es ja auch so, und ich muss meine Ratlosigkeit eingestehen, wenn ich höre, dass es gut ist, sich an das eine zu halten, das andere aber nicht außer Acht zu lassen: das klingt nach einem liberalen, ja geradezu goldenen Mittelweg, auch nach therapeutischem Ratschlag: Kluges Auspendeln der begegnenden Ambivalenzen (das Eine tun und das andere nicht lassen); ja, und außerdem  erinnert es an die Parole „Anything goes“, mit der sich die nunmehr zurück liegende Zeitspanne der Postmoderne einzuläuten suchte. Die Problemstellungen unserer Zeit, man mag sie gar nicht immer wieder holen, fordern immer wieder unsere Bereitschaft zu klaren Entscheidungen ohne Wenn und Aber heraus. Aber: Ist es damit schon genug? Ist das alles, was wir brauchen?

Ja, es wäre gut, wenn hinter den Worten den der Weisheit eine Person zu erkennen wäre. So könnte man sich vorstellen, mit ihr - auch über die Zeiten hinweg- einen Bezug zu bekommen. Man könnte sich überlegen, sie zu befragen und ein gedachtes Gespräch zu wagen; man könnte sich auseinandersetzen und annehmen oder auch absetzen. Auf jeden Fall gäbe es grundsätzlich eine persönliche Beziehung. Deshalb wurden in der jüdischen Tradition die Psalmen dem König David zugeordnet: das Hohe Lied dem jungen Salomo, Davids Sohn, und die Sammlung der Sprüche und die Worte des Predigers, besser: der Versammlung dem alten, weisen Salomo. So erhielten diese Wortsammlungen, die sich von den Büchern der Tora und der Propheten dadurch unterscheiden, dass sie keinen Bezug zur Heilsgeschichte Israels haben und keinen Bezug zum Gesetz reflektieren, eine personale und damit geschichtliche Anknüpfung. Wie eine Illustration. Übrigens: 1866 veröffentlicht der französische Maler Gustave Dore´ seine biblischen Illustrationen und stellt den weisen Salomo dar. Er ist allein. Kein Mensch, kein Lebewesen in seiner Nähe. Nichts und niemand. mit langem Bart und faltigem Rock, sit in einer Steinnische zwischen zwei in die Wand eingelassenen Säulen sitzend. Über seinem Kopf als Verzierung erkennbar die Darstellung einer Sonnengottheit, so wie sie vor allem in Mesopotamien üblich war: die Weisheit hat universale Bedeutung. Die Krone auf seinem Haupt weist ihn als Richter aus (2.Chron.1,10); seine rechte Hand, in der er einen langen Griffel hält, lehnt auf einem Steinsockel. Der linke Arm hängt fast erschlafft herunter, die zu beschreibende Schriftrolle in der Hand. Neben sich und auf dem Boden weitere, halb entrollte Schriftstücke, fast so, als ob sie achtlos, ja auch wütend weggeworfen sind. Das Gesicht ist hager und ausgezehrt. Sein stechender Blick geht ins Weite. Weisheitliche Überlieferung ist kein geschlossenes System, das hohen ästhetischen Ansprüchen zu genügen gedenkt; sie ist vielmehr grundsätzliche Auseinandersetzung und zeitigt konfliktreiche Verwerfungen. In der weisheitlichen Spruchsammlung heißt es zum Beispiel: „Lässige Hand macht arm; aber der fleißigen Hand macht reich“ (Spr.10,4). Das ist eine Regel, die auf einer unmittelbaren Beobachtung beruht, die sich unzählige Male wiederholen kann und in ihrer Plausibilität bestätigt wird. Genauso wie die Regel „Wer im Sommer sammelt, der ist klug; wer aber in der Ernte schläft, wird zuschanden“ (Spr.10,5). Ursache und Wirkung. Klar. Auf der gleichen formal-logischen Ebene begegnet der Satz, der das zu erwartende Handeln Gottes wie in einem zu beobachtendem Kraftfeld, und das ist der Tun – Ergehen - Zusammenhang ansagt: „Der Herr lässt den Gerechten nicht Hunger leiden; aber die Gier der Gottlosen stößt er zurück“ (Spr.10,3). So soll es sein. So wird es sein. Ursache und Wirkung. Was aber, wenn nicht? Was, wenn zu beobachten ist, und gewiss nicht nur einmal, dass der Gerechte verhungert, und was, wenn ein Gottloser herrlich und in Freuden und obendrein noch lange lebt, während der Glaubende… „Welchen Evolutionsvorteil bietet eigentlich die Religion?“, fragte Richard Dawkins in seinem Buch „Der Gotteswahn“. Nun, Dawkins ist Biologe und kein Philosoph, wenngleich sein Denken auf den einfachen philosophischen Grundannahmen von Ursache und Wirkung bzw Kosten- Nutzen- Beziehung beruht. Gleichwohl ist seine Frage die Herausforderung des Glaubens, wenn er sich in seinen Grundannahmen hinterfragt sieht. Wie der Blick Salomos ins Weite geht, wie nach einer Auseinandersetzung Blätter auf dem Boden und neben ihm liegen! Sie sind verworfen, die angefangene Schriftrolle ist halb leer. Und er, der Weise, ist vollständig allein. „ ‚Es ist alles ganz eitel‘, sprach der Prediger“ (Pred. 1,2), wobei das Eitle übrigens zwanzigmal in diesem Buch wiederkehrt, allein sechsmal in diesem Vers und eigentlich als Hauch, genauer noch: als Ausdünstung übersetzt werden sollte, weil nicht die ätherische Leichtigkeit des Seins gemeint ist, sondern der Geruch abstoßender Ausgrenzung.

Nein. Oft konnte ich neben ihm auf der Bank sitzen, abends, wenn die Glocken geläutet hatten. „Dann muss die Arbeit ruhen“, hatte er gesagt, „auch bei ihnen. Nun setzen sie sich man“.  Er war unser Küster und wurde von allen Onkel Otto genannt. Wir aber blieben beim förmlichen Sie. Er holte aus dem Kasten neben dem Kaninchenstall zwei Herrenhäuser, entkorkte sie mit seinem Messer und sagte“ Proust, Herr Pasta“. Und so saß ich neben ihm, mit langen Haaren und langem Bart und den Jeans mit Schlag der Siebziger, er aber hatte immer sommers wie winters seine grüne Joppe an und die Schirmmütze mit dem Hornknopf auf dem Kopf. Er schob sie in den Nacken, wischte sich den Schweiß ab, blinzelte in die Sonne und sagte: „Ich will je moal wat wiesen, je mut küren, wat de olen lüe seggt“ („Ich will ihnen mal was erklären. Sie müssen aufpassen und zuhören, was die alten Leute sagen“). Und dann erzählte er, mehr als einmal, wie er Ziegeleiarbeiter war und die Lehmziegel geschultert: „Wie die Kinder Israels“, wie er dann bei der Bäckerei als Fahrer gearbeitet hatte; und wie er als Sani mit dem Wagen an der Front gefahren war, ihnen aber nichts passierte; und wie er mal auf Urlaub war, da hätte ihm das Pastor gesagt, er solle gleich die Hecke am Pfarrhaus schneiden, das hätte er aber nicht gemacht, und wie er schon als Neunjähriger barfuß die Glocken geläutet hatte, „am Strang“. Immer wieder konnte ich ihm zuhören, diese Zeiten, diese Erfahrungen, auch der Stolz und das lachende Zwinkern mit den Augen. Gerede über andere gab es nicht, Kritik auch nicht. „Moaket se man, Herr Pasta“ („Machen sie man, Herr Pastor), auch wenn nun das neue Gemeindehaus nicht nur für den Frauenkreis, sondern auch für die Jungens und Mädels mit Lederjacke und Moped offen war und es danach auch so aussah. Und jedem neuen Konfirmandenjahrgang erklärte er den Kirchturm und die Glockenstube, schaltete auf volles Geläut wie am Heiligabend oder zur Konfirmation und erklärte den Mädchen und Jungen, deren Ohren 'Ten Years After' und 'Slade', später dann 'Queen' gewohnt waren, die Bedeutung der Klänge, wies auf die Taufglocke und die Sterbeglocke und auf die alte Hauptglocke, die die Nazis nicht gekriegt hatten. „Und wisst ihr, was darauf steht“? Es musste dann immer eine oder einer das Kaugummikauen unterbrechen und mühselig lesen - es ist schon schwer genug, aus der Bibel vorzulesen, noch schwieriger aber ist es, von einer Glocke abzulesen: „Fülle uns frühe mit deiner Gnade“. „Goad. Und wisst je denn, wat Gnoade is“? Schweigen, völlige Stille bei denen, die so unbändig laut sein konnten. „Gnade ist: jeden Tag, den Gott werden lässt“.

Nein, Kein Leistungsanspruch, kein Abwägen und kompromissvolles Angleichen, vor allem kein erhobener Zeigefinger und kein fixiertes und zu korrigierendes Weisheitskompendium, sondern nichts anderes als: die Zeitansage Gottes hören. Undogmatisch, aber direkt. Jeden Tag. Diese Weite. Diese Nähe. Sein Geist, wie ein Hauch, der jeden umfängt und keinen ausschließt.

Ja, ja. Nein, nein. So soll unsere Rede sein. Weil er anders ist. Weil er unsere Tendenz, sich abzuschließen und zurückzuziehen, durchbricht: Das ist zum Fürchten. Ja, das sagt die Weisheit, die sich mit Salomo verbindet. Ihre Worte sind der Versuch, von Gott zu reden, wenn unsere Möglichkeiten der berechnenden Logik versagen. Wenn Gott ins Denken einfällt. Der jüdische Philosoph Emanuel Levinas hat es einmal so gesagt:„Die Nähe des Anderen ist Bedeuten des Antlitzes.  Aber dieses Gegenüber des Antlitzes in seinem Ausdruck - in seiner Sterblichkeit - zitiert mich vor Gericht, fordert mich, beansprucht mich“ .

Ja, es ist dann so gewesen, Onkel Otto schwer erkrankte. Die kleine Stube wurde zum Krankenzimmer und das Sofa wurde zur Bank vor dem Haus. Nein, es war nicht leicht, es war oft genug so, dass dieses „Warum“ über die Lippen kam, von ihm, seiner Frau, seinen Freunden und auch von mir. Ja, es war aber auch so, dass er sagen konnte: „Ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen“. Jeden Tag.

Das ist Gnade.

Amen

 

 

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Liedverse nach der Predigt: EG 289,3+4 „Wie sich ein Mann erbarmet)

 

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Literatur:

Richard Dawkins, Der Gotteswahn, 2016

Emmanuel Lévinas Wenn Gott ins Denken einfällt, München 1999 , S. 250 ff.

Markus Witte, Prediger/ Predigerbuch, WiBiLex 2006

 

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Und ein Bild:

Gustave Dore´, Solomon. La Grand Bible De Tours, en.wikipedia.org

 



Pastor im Ruhestand Wolfgang Petrak
Göttingen, Niedersachsen, Deutschland
E-Mail: w.petrak@gmx.de

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