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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Palmarum, 16.03.2008

Predigt zu Johannes 12:1-16, verfasst von Johannes Værge

Außer der Hauptperson Jesus treten zwei Nebenpersonen im ersten Teil der Erzählung auf, die wir hier gehört haben: Maria und Judas. Zwei Menschen, die zwei sehr unterschiedliche Haltungen vertreten. Und damit werden die beiden Elemente markiert, die Palmsonntag mit dem Einzug in Jerusalem zu einem zusammengesetzten Tag im Kirchenjahr machen: Der Sonntag bezeichnet einen Schritt hin zu Leiden und Tod Jesu, ausgedrückt in der Huldigung beim Einzug und davor durch die Hingabe, die Maria zeigt. Die zwei Elemente des Sonntags, die zwei Richtungen: Leiden und hingebungsvolle Begegnung.

            Zunächst ein paar Worte zu Judas, den Jesusjünger, Judas Iskariot, "der ihn verraten sollte".

            Judas wurde vor wenigen Jahren zu Stoff in den Medien, nachdem eine alte Handschrift veröffentlicht worden war, die - schlecht erhalten - einige Jahre zuvor in Ägypten gefunden worden war, nun restauriert und übersetzt: "Das Judasevangelium". Die Schrift wird auf die Zeit um 300 datiert, ist also weitaus später verfasst worden als die Evangelien im Neuen Testament. Sie unterscheidet sich auch dadurch von ihnen, dass sie nicht in großer Ausführlichkeit von dem handelt, was Jesus sagte und tat, sondern dass sie ausschließlich, wie ich es verstanden habe, einen Dialog zwischen Jesus und Judas darstellt. Und zwischen diesen beiden, Jesus und Judas, soll in diesem Dialog eine hohes Maß gegenseitigen Verstehens zum Ausdruck kommen.

            Während Judas Iskariot sonst meist als der Verräter dargestellt wird, der Jesus völlig verfehlt - und keinen Platz erhielt, als hier in unserer Kirche Jüngerstatuen aufgestellt werden sollten! -, wird im "Judasevangelium" ein ganz anderes und positives Bild von Judas und seiner Rolle gezeichnet.

            Dass Judas nicht nur aufgefasst werden kann als ein schrecklicher Schurke, als Inkarnation der Falschheit, wenn er seinen Meister mit einem Kuss verrät, das hat man als Sensation lanciert. Aber so sensationell ist das keineswegs. Ja, vielleicht in den USA, wo man von einer Neigung sprechen kann, die Wirklichkeit in schwarz-weißen Gegensätzen zu zeichnen - sowohl in der großen Politik als auch in fundamentalistischer Religion. Aber das Neue Testament macht es in Wirklichkeit möglich, dass wir ein nuancierteres Bild von Judas bekommen. Es ist sehr wohl möglich - darauf habe ich jedenfalls in einer Reihe von Predigten in den vergangenen Jahren hingewiesen -, Judas eher als eine tragische denn als böse Figur zu betrachten. Man kann sich vorstellen, dass Judas so glühende Erwartungen hegte, dass Jesus sich durchsetzen würde, wenn er dann nach Jerusalem käme - und dass er dann darüber enttäuscht war, dass Jesus nicht auf die machtvolle Art und Weise handeln wollte, wie Judas sich das gedacht hatte. Oder die Tat des Judas - seine Absprache mit den Machthabern der Stadt - kann darin ihre Ursache haben, dass Judas damit rechnete, dass Jesus in der Konfrontation, die die Konsequenz sein würde, gezwungen würde, den Mantel der Demut abzulegen und als derjenige aufzutreten, der nicht nur andere retten konnte, sondern auch sich selbst. Und zu spät wurde dann Judas klar, wie sehr er sich geirrt hatte, und er nahm sich aus Gram das Leben.

            Die neu-veröffentlichte Schrift, so hört man, bringt zum Ausdruck, dass Jesus und Judas sich einig gewesen seien, was Judas tun sollte. Ich weiß nicht, ob die Schrift an dem Schluss etwas ändert, den die Evangelien vom Leben des Judas zeichnen - kann Judas im Einverständnis mit Jesus handeln und sich dann das Leben nehmen? Ich warte auf genauere Informationen, wie sich die Schrift u.a. dazu verhält.

            Aber unter allen Umständen kann es interessant sein, dass man die etwas hastigen Deutungen biblischer Personen, die man hören kann, mit einem Fragezeichen versieht. Auch wie man es bei dem Evangelisten Johannes von heute sehen kann: an der Charakteristik des Judas als einer schlechten Person, getrieben von persönlicher Gier. Es war sicher mehr in Judas, mehrere Schichten - Jesus hatte ihn selbst ausgewählt, in seine nächste Umgebung hineingeholt. Judas zu einer vereinfachten comicartigen Figur zu machen, ist kaum angemessen - und überhaupt können wir Erzählungen wie die Leidens- und Auferstehungserzählungen, denen wir zu Ostern begegnen, nicht erst nehmen, ohne dem Rätselhaften Raum zu geben oder uns wenigstens fragend zu verhalten: Warum geschieht das, was da geschieht? Warum handeln die Personen so, wie sie es tun?

            Es ist ein wichtiger Zug am Christentum, dass dem Leiden Raum zuerkannt wird, dass das Leiden unumgänglich ist - und oft undurchschaubar. Es gibt keine schematische Antwort auf die Frage, warum das eine oder andere Böse eintrifft. Aber es gibt im Evangelium eine unzweideutige Aussage: Leiden und Tod halten Gott nicht weg. Tränen und Freude schließen einander nicht aus.

 

Das war das eine Element, die eine Palmsonntagsspur, die durch das Auftreten des Judas im Text markiert ist: Jesus auf dem Wege zu Leiden und Tod.

            Das zweite Element oder die zweite Spur ist durch Maria vertreten: die Hingabe. Die Palmsonntagserzählung als mehr als eine Erzählung über den Einzug in eine Stadt. Auch der Einzug in ein Menschenherz.

            Das Lied, das wir vorhin sangen, verwendete den Ausdruck von Jesus, dass er der König der Wahrheit ist. Und dabei ist an Wahrheit der Art gedacht, die eine Sache des Herzens ist. Eine Wahrheit, die die Fasern des Herzens in einem abgeklärten Punkt sammelt. Das Schwache stark macht, nicht notwendig im äußerlichen Sinne - war diese Maria stark? Vielleicht, vielleicht auch nicht - aber eine Schwäche kann stark werden, wenn sie in Gott ruht. Und so kann alles in einem Menschen Eingeschlossene hervorbrechen, ein Loch in die Schutzmauern brechen, von denen du geglaubt haben kannst, du müsstest sie zur Verteidigung errichten - und dann begegnest du hier dem Mann von Nazareth, der dich zugleich Gott begegnen lässt, und Herz und Gedanken öffnen sich in einem Strom der Hingabe.

            Nicht alle verstehen oder schätzen es, Zeugen dessen zu sein. Bei diesem Evangelisten entsteht von Judas das Bild einer Widerstandsfigur. Aber Maria ist in ihrer Schwachheit stärker, sie kommt in Hingabe zu ihrem Ziel, dort wo es Tränen und Freude gibt.

 

Marias Hingabe... Ich musste an Dantes Göttliche Komödie denken.

            Die göttliche Komödie ist ein riesiger Reisebericht in Versen, eine Reise in das, was nach dem Tode kommt, eine Reise zu Gott, zum erlösenden Licht hin. Eine Osterreise, eine Reise, die in der Dunkelheit am Karfreitag beginnt und im Licht am Ostersonntag endet.

            Dante verirrt sich Karfreitag in einem dunklen, unwegsamen Wald, wo ihm wilde Tiere in mythologischer Gestalt begegnen - ein Wink, dass wir in eine andere Wirklichkeit eintreten als die konkrete, alltägliche. Zu seinem Glück erhält Dante einen Führer, den Dichter der Antike Vergil, den Dante als seinen Meister in der Dichtkunst und Weisheit betrachtet. Vergil hilft Dante auf der Reise durch den Schlund der Hölle in die Tiefe, wo die verdammten Seelen kreisen. An der tiefsten Stelle im Zentrum der Hölle sitzt der Teufel selbst, festgefroren in der Kälte, die er selbst ausstrahlt, recht besehen eine jämmerliche Gestalt; Dante und Vergil klettern über ihn und gelangen zur nächsten Etappe der Reise, zum Berg des Fegefeuers, wo die nicht-verdammten Seelen eine Reinigung über sich ergehen lassen müssen. Viele Einsichten in das Menschenleben entstehen unterwegs, und zusammen gelangen Dante und Vergil auf die Bergspitze, wo die Wahrheit beginnen wird.

            Aber hier muss Vergil Dante verlassen. So weit und nicht weiter kann eine Weisheit wie die Vergils gelangen. Von da an tritt ein neuer Helfer hinzu als Führer in das Reich der Erlösten, es ist Dantes Jugendliebe Beatrice. Liebe reicht mit anderen Worten weiter als Weisheit.

            Mit der Hilfe Beatrices kommt Dante immer weiter zu dem strahlenden Licht bei Gott, zur Erlösung. Dante gewinnt weiterhin viele Einsichten, hat vor allem Demut zu lernen - aber auf dem allerletzten Teil der Reise ist selbst Beatrice als Führer nicht genug. Sie wird durch den großen Mittelaltertheologen Bernhard von Clairvaux abgelöst, den Stifter des Zisterzienserordens, aber vor allem den tiefblickenden Theologen, Mystiker - einen wahren Theologen der Hingabe. Und Dante kommt zum Innersten, das es gibt, Gottes Licht, dort wo der eigene Wille des Menschen, wie es heißt, mit "der Liebe, die die Sonne und die Sterne bewegt", vereint wird.

            Licht, Liebe - wie es auch der erste Johannesbrief im Neuen Testament sagt: Gott ist Licht. Gott ist Liebe. - Hier sammelt sich alles, und der Führer auf der letzten Etappe der Osterreise Dantes war ein Theologe der Hingabe.

            Daran musste ich denken: Marias Hingabe als Verbindungspunkt zum Leben-verändernden, Erlösenden, Ewigen, Lichterfüllten. Maria als Markör für das, was durch das Osterdrama mit seinem Leiden und Tod trägt, hindurchträgt zum Licht, zur Auferstehung.

 

Am vergangenen Sonntag: Marias Verkündigung, die Hingabe der Mutter Jesu an das überwältigende Schicksal, das ihr begegnete. Eine Maria als Gebärerin, gedankenvoll.

            Heute wiedrum eine Maria, wiederum eine Hingabe, jetzt, wo das Ganze, das mit Verkündigung und Geburt begann, seinem Höhepunkt ganz nahe ist. Hier eine Maria als Bild dessen, was durch das Osterdrama mit seinem Leiden und Tod trägt, hindurchträgt zum Licht, zur Auferstehung.

Amen



Pastor Johannes Værge
Hellerup, Dänemark
E-Mail: johs.v(a)mail.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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