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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Himmelfahrt, 30.05.2019

Wo wohnt Gott?
Predigt zu 1. Könige 8:22-28, verfasst von Sven Keppler

I.„Wo wohnt Gott?“ Über diese Frage wollen die vier Freunde heute sprechen. Sie geben sich etwas Zeit zum Nachdenken. Und dann erzählen sie sich von ihren Erfahrungen. Gibt es einen Ort, wo ich Gott suchen kann? Wo ich mit seiner Gegenwart rechne? Eine Wohnung Gottes?

Als Erste ergreift Christine das Wort: „Für mich wohnt Gott in einer kleinen Kirche im Norden von Dänemark. Sie steht hoch über den Sandklippen bei Lønstrup. Dort weht immer ein frischer Wind. Der Blick geht in die Ferne übers Meer. Die Welt ist dort ganz ursprünglich. All die Kräfte, die in der Natur am Wirken sind. Wenn ich dann in die mittelalterliche Kirche gehe, fühle ich mich total geborgen. Und gleichzeitig kann ich ganz frei atmen und meine Lebendigkeit spüren. Durch beides merke ich, dass Gott mir nahe ist. Deshalb ist die Mårup Kirke für mich der Ort, wo Gott wohnt.“

Ein Moment Schweigen. Dann sagt Michael etwas zögerlich: „Wenn Gott hier in der Gegend wohnt, dann im Jugendzentrum. Da war immer was los. Da haben wir schon vor 30 Jahren gesessen und über Gott diskutiert. Ich bin ja eher so kritisch. Aber es gab immer wieder so Momente, da hab ich glaub ich was von Gott kapiert. Und dann war das auch immer ein Ort, wo man hingehen konnte. Wenn man’s nirgendwo anders aushalten konnte und alle einen nervten. Im Jugendzentrum warst’e immer willkommen. Das war echt göttlich.“

Renate ist älter als Christine und Michael. Ihr Blick geht in die Vergangenheit. „Mein Elternhaus, wo ich geboren bin. Der große Garten mit den alten Apfelbäumen. Das Wohnzimmer mit den schweren Dielen und der großen Standuhr. Der Sessel, wo Großvater saß und mir die alten Geschichten erzählte. Der Speicher, wo man sich zwischen den ausgedienten Möbeln verstecken konnte und wo es nachts unheimliche Geräusche gab. Die großen Fenster auf den Fluss, auf dem sich abends das Mondlicht spiegelte. Da hat damals auch Gott gewohnt. Wo er heute wohnt, das weiß ich gar nicht so genau.“

„Für mich wohnt Gott in keinem Gebäude. Auch in keiner Kirche. Wenn in der Kirche die Lichter aus sind, ist da auch kein Gott.“ Claudia guckt etwas verlegen zu Christine. „Ich will Dir nicht widersprechen. Aber ich finde, Gott wohnt direkt in uns. In unseren Herzen. Wenn wir ihn da nicht spüren, wenn da keine Verbindung ist, dann hat es auch keinen Sinn. Manchmal spüre ich ganz viel Liebe in mir. Eine ganz große Weite. Dann sind mir Menschen plötzlich nah, die mir sonst ganz egal sind. Dann ist glaub ich etwas von Gott in mir. Sagt Paulus nicht auch, dass wir ein Tempel Gottes sind?“

II.Christine sieht zu Claudia und denkt nach. „Du hast ja recht. Mit den Gebäuden, das hat so seine Grenze. Als ich vor Jahren wieder einmal zu meinem dänischen Kirchlein fahren wollte, war es nicht mehr da. Nur noch eine Erinnerungstafel: Hier stand die mittelalterliche Mårup Kirke. Weil die Klippen immer weiter landeinwärts wandern, musste sie abgetragen werden. Jetzt ist sie irgendwo im Landesinneren wieder aufgebaut. Aber von dem Wind und der Weite wird man nicht mehr viel spüren. Jetzt ist es gut, dass ich die Erinnerung in mir trage.“

Renate stimmt zu: „So geht es mir ja auch. Mein Elternhaus gibt es schon lange nicht mehr. Am Ende des Krieges mussten wir es verlassen. All die alten Familienstücke zurücklassen. Und einen Teil von Gott habe ich dort auch zurückgelassen. Ich weiß nicht, wo er heute wohnt. Vielleicht in meiner Erinnerung. In der Sehnsucht nach ihm.“

„Vielleicht müssen wir auch mehr kämpfen für diese Gotteshäuser.“ Michael will sich nicht damit abfinden, dass die Häuser nach und nach aufgegeben werden und Gott in der Innerlichkeit einziehen muss. „Von Schließung und Abriss kann ich bald nichts mehr hören. Das Jugendzentrum steht ja angeblich auch auf dem Prüfstand. Aber wenn es solche Häuser nicht mehr gibt, dann ist das eine Katastrophe. Die Jugendlichen, die dort nicht mehr hingehen können, werden doch nie was von Kirche hören. Und dann kann Gott auch nicht in ihre Herzen kommen.“

„Traust Du da Gott nicht ein bisschen wenig zu?“ fragt Claudia zurück. „Gott kann überall einziehen, wo er will. Er öffnet selbst die Herzen für sich.“

III.Liebe Gemeinde, kann es ein Haus geben für Gott? Einen Ort auf der Erde, wo man ihm begegnen kann? Ist es überhaupt möglich, dass der ewige Gott in einen begrenzten, endlichen Raum einzieht?

Diese Fragen stellte sich auch der König Salomo im alten Israel. Sein Vater David hatte Jerusalem erobert und den richtigen Platz für den Tempel gefunden. Salomo hatte diesen Tempel erbaut, mit edlen Hölzern und prächtigem Gold. Doch bei der Einweihung war es, als ob er selbst vor der Idee erschreckte, für den Schöpfer des Himmels und der Erde ein Haus zu bauen. Hören Sie seine Worte bei der Einweihung des Tempels: [lesen: 1.Kön 8,22-24.26-28]. So steht es im ersten Buch der Könige, im 8. Kapitel.

IV.Mir leuchtet die Frage Salomos sofort ein: Der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? So groß, so unendlich ist der Unterschied zwischen mir und Gott. Aber es müsste ja gar nicht so sein, dass Gott nur in einem einzigen Haus wohnt und nicht gleichzeitig auch woanders ist. Könnte es nicht sein, dass Gott in einem Haus regelmäßig zu Gast ist? Ich könnte immer wieder in diesem Haus vorbeischauen, und vielleicht ist Gott ja auch gerade da. Ob ich ihm begegne, das stünde nicht in meiner Macht. Aber es wäre ein Ort, wo es passieren kann.

Unsere Häuser sind ja nicht nur räumlich beengt. Sie sind ja auch so furchtbar vergänglich. Das Elternhaus, das Jugendzentrum. Ja sogar die Kirche aus dem 13. Jahrhundert. Selbst wenn wir die Erfahrung machen, dass wir mit bestimmten Orten Gottes Nähe verbinden – diese Orte sind vergänglich. Und die Gefahr ist groß, dass Gott in unseren Augen von der Vergänglichkeit angesteckt wird. Wenn ich Gott mit Erfahrungen aus meiner Kindheit verbinde – was ist dann, wenn die Symbole dieser Kindheit verloren gehen? Geht Gott dann mit verloren? Wird zu einem Kindergott?

Oder was ist, wenn kirchliche Gebäude abgebaut werden müssen? Wenn ein Jugendzentrum, ein Gemeindehaus geschlossen wird? Viele wenden sich dann voller Trotz oder Schmerz von der Kirche ab. Meine Anliegen sind wohl nicht so wichtig. Ich bin den Entscheidern da oben wohl egal. Und mit der Abkehr von der Gemeinde geht dann schnell auch die Beziehung zu Gott in die Brüche – für eine Zeit zumindest.

Und wie ist es mit dem eigenen Herzen als Gotteshaus? Das Herz kann genauso unstet sein wie eine Kirche auf den Klippen. Sorgen, Zweifel, aber auch andere starke Eindrücke oder Ansprüche können das Herz besetzen. Im Herzen ist ständiges Kommen und Gehen: Was für Blut und Sauerstoff gilt, gilt genauso für Herzensangelegenheiten. Dass unsere irdischen Häuser zu klein für Gott sind, ist also gar nicht das größte Problem. Dass sie so wechselhaft und vergänglich sind, wiegt oft viel schwerer.

V.Zwei Gedanken im Gebet Salomos sind mir deshalb ganz wichtig. Zum einen: Salomo weiß, dass Gott beständiger ist als wir. Als unsere Häuser und unsere Herzen. Du, Gott, hältst den Bund und die Barmherzigkeit. Du erfüllst, was du zusagst. Auf Dich ist Verlass. Auch wenn Du in unseren Kindheitserinnerungen zu verschwinden scheinst. Auch wenn die Gotteshäuser aufgegeben werden müssen. Auch wenn unsere Gefühle schwanken. Du, Gott, bist beständig, auf dich ist Verlass.

Und zum anderen: Salomo erinnert Gott an dessen alte Zusagen: Gott Israels, lass Dein Wort wahr werden, das Du Deinem Knecht zugesagt hast. Wende Dich zu unseren Gebeten und zu unserem Flehen.

Gott hat uns Menschen immer wieder zugesagt, uns zu schützen und uns nahe zu sein. Diese Zusagen gelten auch heute. Gott hat sich selber festgelegt. Grundsätzlich könnte der unendliche Gott immer auch anders. Aber er hat sich selbst festgelegt. Für uns Christinnen und Christen ist die entscheidende Festlegung zu Ostern geschehen: Gott wird uns nicht dem Vergehen überlassen. Auch, wenn unsere Häuser zu Bruch gehen. Ja selbst, wenn unsere Herzen brechen. Er bleibt uns nahe und lässt sich von uns an seine Zusagen erinnern.

Es wird wohl kaum einen Menschen geben, dessen Glaube nicht auch Verluste erfährt. Die Himmelfahrt Jesu ist ein Symbol dafür: Jesus verlässt die Seinen und kehrt zu Gott zurück. Es ist ein bisschen, als wäre er nun doch gestorben. Und diesmal endgültig. Auch Gotteshäuser werden oft zum Symbol für solche Verluste: verfallende Kirchen, geschlossene Gemeindehäuser, verlorene Elternhäuser, zerbrochene Herzen.

Eins jedoch geht nicht verloren. Die Zusage Gottes, uns nahe zu sein. Uns zu begleiten und zu bewahren. Wir brauchen kein Dach über dem Kopf, um uns an diese Zusage zu erinnern. Wir können das im Freien genau so gut, wie in einer Kirche. Liebe Gemeinde, ich möchte es gern bildlich sagen: Diese Zusage Gottes ist sozusagen das unvergängliche Haus, in dem Gott wohnt. Sein Evangelium ist das beständige Haus, in dem wir ihm immer neu begegnen können. Es ist groß genug, um ihn zu fassen. Und fest genug, um die Zeiten zu überdauern. Amen.

 

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Sven Keppler, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen. Seit 2010 Pfarrer in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Versmold. Autor von Rundfunkandachten im WDR.

 



Pfarrer Dr. Sven Keppler
Versmold, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
E-Mail: sven.keppler@kk-ekvw.de

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