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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 07.07.2019

Gott wird uns, in all unserem Nichtverstehen, durch Jesus verständlicher.
Predigt zu 1. Timotheus 1:12-17, verfasst von Berthold Haerter

12 Ich danke dem, der mich ermächtigt hat, Christus Jesus, unserem Herrn, dafür, dass er mir sein Vertrauen geschenkt und mich in seinen Dienst gestellt hat,

13 mich, der ich zuvor ein Gotteslästerer war und andere verfolgte und misshandelte. Doch ich habe Erbarmen gefunden, weil mir, da ich noch im Unglauben war, nicht bewusst war, was ich tat. 

14 Überreich aber zeigte sich die Gnade unseres Herrn und mit ihr Glaube und Liebe in Christus Jesus.

15 Zuverlässig ist das Wort und würdig, vorbehaltlos angenommen zu werden: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um Sünder zu retten – unter ihnen bin ich der erste.

16 Doch eben darum habe ich Erbarmen gefunden: An mir als Erstem sollte Christus Jesus die ganze Fülle seiner Geduld zeigen, beispielhaft für alle, die künftig an ihn glauben und so ewiges Leben finden.

17 Ehre und Herrlichkeit sei dem König der Ewigkeit, dem unvergänglichen, unsichtbaren und einzigen Gott, in alle Ewigkeit, Amen. 

 

Liebe Gemeinde

 

  1. Gotteslob: Warum und wie

 

Das folgende Gedicht hat als Titel eine Empfehlung: „Täglich zu singen“.
Es beginnt so:

 

     

„Ich danke Gott, und freue mich

wie 's Kind zur Weihnachtsgabe,

dass ich bin, bin! Und dass ich dich,

schön menschlich Antlitz! habe;“

 

Vielleicht kennen Sie diese ersten Zeilen von Matthias Claudius.
Er dankt in diesem Gedicht Gott für alles Schöne, das er immer wieder im Alltag entdecken kann.

Es ist ein nachvollziehbares, verständliches Gotteslob.

 

Ein überschwängliches, kaum verständliches, zunächst auch nicht nachvollziehbares Gotteslob haben wir soeben als letzten Bibelsatz gehört.

Ehre und Herrlichkeit sei dem König der Ewigkeit, dem unvergänglichen, unsichtbaren und einzigen Gott, in alle Ewigkeit, Amen.

 

Über dieses Gotteslob müssen wir erst nachdenken, um es ansatzweise zu verstehen.

Gott ehren, dass verstehen wir.
Wir ehren Gott indem wir z.B. hier zusammen kommen, im Wunsch, etwas von und über Gott zu erfahren.

Herrlichkeit ist kein Begriff unseres Alltags, aber wir spüren, da ist eine Ehrfurcht gegenüber Gott, ein Rühmen und Staunen.

Wenn vom unvergänglichen, unsichtbaren Gott die Rede ist, drückt dies aus, was wir alle selbst erleben: Mit unseren menschlichen Sinnesorganen können wir Gott nicht erfassen.

Er ist einzigartig und ewig, nicht beschreibbar, von ihm kommen wir her und zu ihm werden wir wieder hinkommen.

Er hat Macht wie ein guter Herrscher, wie einem der Menschheit und jedem einzelnen wohlwollenden König.

Und jetzt ist dieser Satz schon etwas verständlicher:

Ehre und Herrlichkeit sei dem König der Ewigkeit, dem unvergänglichen, unsichtbaren und einzigen Gott, in alle Ewigkeit, Amen.

 

Aber immer noch klingt der Satz nach etwas „too much“, etwas übertrieben.

Da ist mir die Frau sympathischer, die mir 2 Jahre nach dem Brand ihres Hauses hier im Dorf ganz nüchtern sagte: „Wenn ich nicht den Glauben an Jesu Liebe zu mir gehabt hätte, ich weiss nicht, wie ich das durchgestanden hätte.“

 

  1. Warum und wie lobe ich Gott

 

Es stellt sich mir daraus die Frage: Warum und wie loben wir Gott?

In welcher Situation erinnern wir uns daran, Gott zu danken (denn unser Bibelabschnitt beginnt schon mit einem Dank).

 

Daher habe ich eine Bitte an Sie.

Ich möchte Sie bitten einen Moment darüber nachzudenken, wann Sie Gott, Jesus Christus oder Gottes Geist im Leben danken.

Ich gebe ihnen ein paar Minuten Zeit.

 

Nun möchte ich Ihnen Beispiele aufzählen, die ich in den letzten Wochen gehört habe.

Da dankt jemand Gott, dass die Ärztin nach einer Jahreskontrolle negativen Bescheid gibt.

Alles ok, momentan keine Gefahr für eine erneute Erkrankung.

Da erzählt mir ein Konfirmierter begeistert: „Ich danke Gott, meine Bewerbung ist angenommen worden, ich habe die Lehrstelle als Automechaniker.“

Da jubelt jemand: „Bachelor bestanden, Gott sei Dank.“

Da höre ich im Gespräch: „Es ist wohl nochmals an uns vorbei gegangen, kein Krieg mit Iran – da regiert noch ein Anderer.“

 

Sie merken es, es sind alles sehr kurze Dankesworte.
Sie haben alle eine sachliche Begründung.

Im Timotheusbrief wird aber so überschwänglich Gott gelobt, dass es mich stutzig macht und ich mich frage:
Warum?

 

  1. Gotteslob wegen des mir geschenkten Glaubens

 

Menschen, die Paulus wahrscheinlich erlebt haben, die Paulus beeindruckend fanden und auch deshalb zu Christen, zu Theologen und Leitern von christlichen Gemeinden wurden, haben von Unsicherheiten in verschiedenen anderen Gemeinden gehört.

Sie wollen diese ermuntern am christlichen Glauben festzuhalten.

Sie schreiben diesen ersten Timotheusbrief.

Sie kennen Paulus‘ Weg, wie er vom Verfolger von christlichen Gemeinden zu einem glühenden Fan von Jesus Christus geworden ist.

Sie stellen Paulus als Vorbild für Christinnen und Christen in Sachen Glauben da.

 

Unser Vikar hat mir einmal erzählt, dass er immer am Meisten von Menschen beeindruckt war, die Christen waren und danach auch lebten.

Sie haben ihn geprägt.

Hier wird uns Paulus als Vorbild in Sachen Glauben an Jesus Christus vorgestellt, der danach lebte und beeindruckte.

 

  1. Die Glaubensformel

 

  1. Die Glaubensformel

Die glühenden Anhänger des Paulus erklären uns am Beispiel des Paulus aber eigentlich eine Glaubensformel:
Im 1. Jahrhundert nach Christus muss dieser Satz so bekannt gewesen sein wie bei uns heute das Unser Vater oder Bonhoeffers „Von guten Mächten...“ .

Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um Sünder zu retten.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie diesen Satz hören?

Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um Sünder zu retten.

 

Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um uns zu zeigen wie Gott zu uns ist und wie Gott durch uns hindurch wirken kann – das verstehen wir noch annähernd.

Aber fühlen oder fühlten sie sich als Sünder oder Sünderinnen, die gerettet wurden oder noch gerettet werden müssten?

 

Karl Barth, der bei uns im Ort ja inzwischen wieder bekannte weltberühmte Theologe und Feriengast, hat im Alter am Liebsten im Gefängnis gepredigt.

Manchmal denke ich, die Gefangenen haben die biblische Sprache eben noch verstanden.
Es betraf und betrifft sie direkt.

Wenn da im Timotheusbrief von Paulus gesagt wird, und wir hörten es ja in der Lesung (Apostelgeschichte 9, 1-22), dass er ein Gotteslästerer war, andere verfolgte und misshandelte, so versteht das jemand, der deshalb oder wegen eines ähnlichen Delikts im Gefängnis ist.

Aber haben Sie Gott so gelästert, indem sie Andersgläubige, in dem Fall Christen, verfolgt und bekämpft haben?

Das ist wirklich auch in unseren Augen, Schuld, es ist Unrecht, es ist ein Handeln gegen Gottes Gebote und seiner Liebe zu den Menschen.

 

  1. Bin ich ein Sünder?

Umso mehr ich aber über das Wort Sünde nachdachte, umso mehr merkte ich, wo überall wir bewusst oder auch unbewusst (was für Paulus ja hier entschuldigend eingefügt wird) gegen Gotte Liebe handeln.

Wir denken global und unsere Vergehen gegen Gott und die Menschen sind global.

Die derzeitigen Hitzerekorde erinnern uns daran:

Es findet eine Klimaveränderung statt.

Und wer will es verleugnen, da seriöse und politisch unabhängige Wissenschaftler es nachweisen können, dass die Menschen daran sehr stark beteiligt sind?

 

An der Konfirmation wurde uns durch CB ganz deutlich gezeigt, dass die viele private Fliegerei – und ich füge die Kreuzfahrten noch hinzu – einen so hohen CO2 Ausstoss verursachen, der den nachfolgenden Generationen das Leben unmöglich machen bzw. stark einschränken könnte.

 

Die Organisation Oceancare, mit Sitz im Nachbarort Wädenswil, beweist, wie unser Plastikmüll, den ich selbst verursache wenn ich eingepacktes Biogemüse kaufe, oder Lokalprodukte in Einweg- Plastiktüten mitnehme, wie es das Leben der Meerestiere zerstört.

 

Es gäbe weitere Beispiele, wie unser und mein ganz persönlicher Wohlstand, der uns unsere Wirtschaft ermöglicht, auf Kosten anderer gedeiht.

 

Nun können wir sagen, dass ist ein gesellschaftliches Problem.

Aber ich entdecke nur schon an diesen Beispielen, wie wir unbewusst – wie Paulus – uns „versündigen“ gegenüber Gottes guter Schöpfung, anderen Menschen, nachfolgenden Generationen.

 

Es ist wohl das Beste, was uns passieren konnte, dass uns ein kleines Mädchen darauf so nachdrücklich aufmerksam machte, dass erst Jugendliche und nun auch fast alle unsere politischen Parteien dieses Problem ernsthaft angehen wollen.

 

Denke ich weiter, sehe ich aber auch meine persönliche Schuld, „meine Sünde“, von der ich gern befreit werden möchte.

Wenn ich eben abends nicht den Fernseher einschalte und über mein Leben nachdenke, dann kann das schmerzhaft werden, denn ich merke, wo ich jemanden heute bewusst nicht beachtet habe, jemanden aus dem Weg ging, die Wohnungstüre bewusst deshalb später aufmachte, geschwiegen oder jemanden zu Munde geredet habe, obwohl ich es eigentlich als Christ anders hätte machen sollen.

Es scheint mir Sünde, Schuld gegenüber Gott, den Menschen, der Schöpfung geschieht, aber oft sehr versteckt und unbewusst.

 

  1. Die Bedeutung von Jesus Christus

Im ersten Timotheusbrief ist nun von der Langmut und dem Erbarmen die Rede, die Jesus Christus mit uns hat, uns aufzuwecken und erkennen zu lassen, wo und wie wir Sünderinnen und Sünder sind.

Jesus Christus nimmt uns quasi die Scheuklappen weg, lässt uns sehen, was wir da tun.

Aber das lähmt uns nicht, sondern wir sind befreit dennChristus Jesus ist in die Welt gekommen, um Sünder zu retten.

Somüssen wir uns mit ihm beschäftigen, um diese Befreiung neu zu verstehen.

 

Jesus Christus zeigt uns nämlich einen Gott der liebt.
Der gar nicht anders kann und will als uns zu lieben, durch alle Zeiten hindurch.

Jesus Christus ist Gottes Ankommen bei uns Menschen.

Gott wird uns, in all unserem Nichtverstehen, durch Jesus verständlicher.

 

Wir wissen es aber auch aus der Bibel: An Jesus Christus scheitern die Menschen.
Seine Jüngerinnen und Jünger, seine Freundinnen und Freunde, alle Gutmenschen wie auch seine Feinde.
Sie scheitern, denn keiner ist so wie Jesus.

Jesus ist nämlich Gottes Menschsein unter uns.

Aus unserem eigenen Antrieb heraus können wir wohl Gutes wollen, aber wir scheitern.

Es klappt nur, wenn wir Gott durch uns hindurch wirken lassen.

Nicht mein, sondern sein Wille soll durch mich geschehen.
Das ist ein Öffnen und Hören auf Gott im Alltag.

 

Und wenn dann jemand mir ganz ernsthaft sagt: Ja, aber auch dann mache ich Fehler, lade ich mir Schuld auf, begehe ich – biblisch gesprochen – Sünde.

So antworte ich: Ja.

Jesus Christus war ja mehr als nur ein Hinweis auf Gott.

Gott hat durch ihn für unsgehandelt.

 

Deshalb leuchtet das Kreuz hier in unserem Kirchenfenster hinter mir – gerade bei diesem strahlenden Sonnenschein – durch die Christusfigur hindurch.

 

Jesus stirbt.

Gott weckt ihn auf.
Da siegt etwas gegen alles Niederdrückende, Schwere, uns Belastendene, über Schuld und Sünde, das stärker als dies alles ist.
Es ist die Liebe.

Die Liebe, die von Gott kommt.

Durch Gott, durch seine Liebe wird alles Dunkle, schuldig Machende besiegt.

Das ist Vergebung, Auslöschen der Schuld.

Deshalb die Auferstehung.

Schuld, die wir im Alltag wie in der globalisierten Welt immer wieder tun, ist hier durch die Liebe Gottes durchkreuzt und besiegt.
Sie ist uns nun bewusst, aber wir können ihr getrost ins Auge sehen.

Wir müssen ihr nicht ausweichen.

Denn wir wissen: Gott liebt mich eben als Sünderin und Sünder.

Gott handelt mit seiner Liebe durch mich hindurch.

Ich kann mit einem Glauben ihm antworten, der mich immer wieder offen für Gott, für Jesus, für seine Geistkraft macht.

Gott hilft mir, in seinem Sinne versuchen zu leben.
Wenn ich scheitere, bin ich doch sein Kind, Jesu Schwester und Bruder, der gar nicht anderes will, als mich liebend, wie der Vater des verlorenen Sohnes, immer wieder in seine Arme zu schliessen.

 

  1. Brausendes Gotteslob

 

Gott geht ganz anders mit uns um als in der Welt üblich.

Nicht mit Macht und Gewalt und Zurechtweisung sondern mit und aus unerschöpflicher Liebe.
Es ist der ganz Andere, der unvergängliche, unsichtbare, einzige Gott der seine Unvergänglichkeit, seine Unsichtbarkeit und Einzigartigkeit in Jesus Christus einmalig sichtbar gemacht hat.

 

Und nun verstehe ich den Abschnitt aus dem Timotheusbrief mitten in meinem Leben, auch wenn es heisst:

Überreich aber zeigte sich die Gnade unseres Herrn und mit ihr Glaube und Liebe in Christus Jesus.

Und ich höre mit Freude dieses begeisterte, überschwängliche Gotteslob, in das uns das Orgelspiel hinein nehmen will nach dem Motto:

Ehre und Herrlichkeit sei dem König der Ewigkeit, dem unvergänglichen, unsichtbaren und einzigen Gott, in alle Ewigkeit, Amen.

 

____________

Gebet:

 

Gott,

Dich zu erfassen, zu begreifen, zu verstehen – wir scheitern damit.

 

Aber schauen wir Jesus Christus an,

beschäftigen wir uns mit ihm,

dann erleben wir deine menschliche Nähe zu uns,

dann bemerken wir deine unendliche, grosse Liebe,

die uns annimmt,

ja zu uns sagt,

uns versteht,

uns befreit.

 

Unser Gott,

es ist gut im Leben um dich zu wissen,

Dir nahe zu sein,

Dir in uns selbst Raum zu geben.

Es ist gut, zu wissen,

dass Du uns gebrauchen kannst

an dem Ort im Leben,

an dem wir gerade stehen –

als liebende, handelnde, betende Menschen.

 

Unser Gott,

wir bitten für die Nöte in der Welt,

wir beten um Lösungen, bei den Problemen,

die wir mit dem Klima, mit deiner Schöpfung, mit den Menschen

in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft haben.

 

In der Stille kommen wir mit unseren Bitten zu Dir.

 

Alle unsere Gebete sammeln wir in dem Gebet, dass Jesus uns gelehrt hat:

 

Lieder:

Herr Jesus Christ, dich zu uns wend

Gelobet sei der Herr

Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt

Jesus, meine Freude

Der Du allein der Ewge heisst

 

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Berthold W. Haerter, geb. 1963, aufgewachsen in der DDR, seit 1990 in der Schweiz und seit 1993 Pfarrer der Zürcher Landeskirche, seit 2005 in Oberrieden



Pfarrer Berthold Haerter
Oberrieden, Zürich, Schweiz
E-Mail: Berthold.haerter@bluewin.ch

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