Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 28.07.2019

Anfänger
Predigt zu 1. Petrus 2:1-30, verfasst von Eberhard Busch

„Neu anfangen zu können, ... ein einziges Mal wenigstens! Ein Neuer sein dürfen, das ist's!“, so hat einst ein Dichter geträumt. Und dann hat er nach wenigen Zeilen abgebrochen, um traurig zu gestehen, dass das gar nicht geht. Und hat er nicht recht: dieser Traum ist ein bloßerTraum? Wir können ja das nicht schaffen, neu, tatsächlich ganz und gar neu anzufangen. Wir können nur in dem Bisherigen fortfahren, auch wenn wir hie und da einmal die Tapete wechseln. Wir können einen anderen Beruf ergreifen oder eine neue Bindung eingehen oder an einen anderen Ort ziehen, aber wir können nicht ganz von vorne neu anfangen.

Oder hat jener Dichter in seinem Traum nicht doch heimlich etwas ganz Wahres geahnt? Hat er wohl mit Gott gerechnet? Denn Gott kann in der Tat einen fabelhaft neuen Anfang bei uns schaffen. Traumhaft, aber wahr. Ja, Gott kann uns eine neue Geburt bescheren. Und das ist das Neue: ein Leben mit Gott, in seiner Hut, als sein Kind, in seiner Welt. Damit, dass Gott uns das widerfahren lässt, ist allerdings nicht alles fertig bei uns. Im Gegenteil, jetzt geht es erst recht los. Was da neu angefangen hat, ist eben bloß ein Anfang. Wir dürfen uns jetzt als Kinder Gottes wissen, doch wir sind allererst so etwas wie Säuglinge, wie uns das Bibelwort sagt. Das sind kleine Wesen, die viel verschlafen und die, wenn sie wach sind, zappelig herumstrampeln, Menschlein, die ständig der Hilfe, der Pflege, der Zuwendung bedürfen. Immer wieder brauchen sie Stillung ihres Hungers und Durstes. Menschlein, die verloren sind, wenn ihnen nicht Schutz zuteil wird.

Solche Menschen werden wir, wenn Gottes Wort mit uns einen neuen Anfang macht: solche unbeholfenen und hilfsbedürftigen Wesen, Leute, deren Augen warten, „ dass du (Gott) ihnen ihre Speise gebest zu seiner Zeit; du tust deine milde Hand auf ernährest alles, was da lebt, mit Wohlgefallen“ (Psalm 145,15). Bevor Gott einen solchen Neuanfang bei uns geschaffen hat, hat man gemeint: ich komme irgendwie schon selbst durch; mir hilft ja sonst keiner. Jetzt ist einem dieser Wahn verflogen. Jetzt heißt es: „Ich kann alleinnicht gehen, nicht einen Schritt", nicht ohne eine helfende Hand.

Es gibt jedoch Menschen, die fassen ihren Glauben anders auf. Die meinen, sie seien damit zu Schiedsrichtern des lieben Gottes geworden und dann auch zu Verwaltungsbeamten ihrer Mitmenschen. Für sie ist das Wort „Anfänger“ fast ein Schimpfwort: "Keine Ahnung!" rufen sie denen nach. Sie sind damit auf dem Holzweg. Unser Bibeltext sagt, dass wir durch den von Gott gemachten neuen Anfang genau das geworden sind: Anfänger, Säuglinge, die der Milch bedürfen.

Es ist zwar wahr: Die uns nötige Pflege wird uns gegeben, damit wir wachsen. Wie Gott bei uns für einen neuen Anfang sorgt, so sorgt er auch für das Wachsen seiner von ihm geschaffenen Kinder. Er sorgt dafür, dass wir dabei zunehmen. Doch das widerfährt keinem von uns so, dass wir eines Tages nicht mehr seiner Hilfe und seiner Nahrung bedürften. Aus Gottes Kinderstube wächst keiner heraus. Im Grunde wird hier alles Zunehmen darin bestehen, dass wir wachsen im Staunen darüber: Er, der Heilige und Ewige, Er „unser Vater im Himmel“ und wir seine Kinder. Bei allem Zunehmen wachsen wir in der Einsicht, dass wir Anfänger sind – solche, wie es Nikolaus von Zinzendorf hübsch sagte: „die fröhlich wissen, dass sie Schüler sind und lernen müssen“.

Darin dürfen und sollen wir zunehmen, sagt unser Text: darin, im Begehren nach der „vernünftigen, lauteren Milch" – oder anders übersetzt: Wie Säuglinge nach Milch, so sollt ihr nach klarer Vernunft begehren. Wie interessant, dass es uns die Bibel so sagt: Darin sollt ihr Kinder Gottes zunehmen, dass ihr Vernunftannehmt! So manches Christentum besteht eher in Unvernünftigkeit, und man kann es zuweilen hören, dass der Glaube eher in vernunftfreien Gefühlen bestehe. Doch Gottes Geist ist nicht gegen die Vernunft. Er arbeitet an uns, dass wir vernünftig werden, daran, dass wir es begreifen lernen, was das heißt, dass Gott unser verständnisvoller Freund ist und wir seine mündigen Gesprächspartner sind.

Dabei ist es so: Wir nehmen nicht zu in solcher Mündigkeit, wenn wir nicht zugleich lernen, mit allerhand Unfug aufzuhören. So wie es Paulus einmal sagt: „Als ich ein Mann wurde, legte ich ab, was kindisch war“ (1Kor 13,11). Ein Kind hat halt oft auch allerhand Flausen im Kopf. Es kann nicht zur Vernunft kommen, wenn es nicht allerlei Ungezogenheiten verlernt. Unser Bibelwort mahnt dazu: „So legt ab alle Bosheit.“ Doch halt, das tönt noch stärker als die Rede von „Flausen im Kopf“. Dielassen sich in der Regel bagatellisieren. Aber hier geht es um etwas, was nicht zur Natur eines Gotteskinds gehört, was mit nichts gutzuheißen ist.

Bosheit! Bosheit tatsächlich auch bei denen, die Fromme sind? Bosheit so, dass man ernstlich zweifeln muss, ob sie wirklich neu geboren sind zu Kindern Gottes? Auch sie sind verkehrte Menschen? – Fragezeichen! Ja, sie bedürfen nicht nur der Nahrung und Pflege. Sie bedürfen auch der Vergebung. Vergebung Gottes heißt, dass jedenfalls er ihre Verkehrtheit auf die Seite legt. Aber Gott will daraufhin auch, dass wir sie unsererseits ablegen. Er will, dass auch wir an uns bestreiten, was unserer Berufung zu Gotteskindern widerstreitet.

Und weil der Begriff „Sünde" so ausgedünnt tönt, fasst uns der Text an der Hand und erläutert mit vier Begriffen, um was es da geht. Einmal, das ist's – Betrug. Betrug heißt, dass man Andre über’s Ohr schlägt, dass man sie aufs Kreuz legt, zum eigenen Vorteil. Betrug meint ein Tun, bei dem man offen oder heimlich alles behandelt unter dem Gesichtspunkt: Was habe ichdavon! Was nützt mirdas! – Und dann das andere: Eure Schattenseite besteht in Heuchelei! Heuchler verbergen hinter einer schönen Fassade, dass es ihnen um Schädigung Anderergeht. Heuchler sind wie im Märchen der Wolf im Schaftspelz, der sich so verstellt: „damit ich dich besser fressen kann“. – Drittes Wort: Neid! Neid ist Missgunst: ich gönne dem Anderen nicht, was ihm zusteht. Ich will ihm wegnehmen, was er doch selber braucht zum Leben und zum Überleben. – Und das vierte Wort: Verleumden! Andere packen bei dem, wo sie eine Schwäche haben.  Und das macht man mit Vorliebe, wenn diese Anderen nicht dabei sind und sich nicht wehren können.  Verleumden heißt, ihre Wehrlosigkeit schamlos ausnützen. Und indem ich den Andern schlecht mache, verschaffe ich mir ein gutes Gewissen für das, was da Neid und Betrug heißt.

Das sind so Beispiele für das, was Bosheit heißt. Wir können täglich davon in der Zeitung lesen. Und wer sich im Licht des Gottesworts prüft, kann nicht anders, als dass er an seine eigene Brust schlägt: „Ach Gott, ich benehme mich nicht wie dein Kind und behandle so viele Andere nicht als meine Brüder und Schwestern. Vergib mir." Und bitte ich darum, dann heißt es sofort: „Leg ab das Verkehrte. Es passt nicht zu dir. Es gehört dir nicht.“

Wie schafft es denn Gott, dass das geschieht: dass wir Verstand annehmen und dass wir das Verkehrte weglegen? Das geschieht, wird uns gesagt, „wenn ihr geschmeckt habt, wie freundlich der Herr ist“. Das ist die geschmackvolle Kost, mit der er uns aufpäpppeln und zurechtbringen will: dass er freundlich ist, die Freundlichkeit selber. Sie macht, dass wir trotz allem seine Kinder sein dürfen. Sie macht, dass wir auch mühsame Mitmenschen als unsre Geschwister akzeptieren, als unsre Genossen und Genossinnen. So einfach ist dieses schier Unbegreifliche.

Wie das zugeht, davon erzählt eine Geschichte von dem Basler Dichter Johann Peter Hebel. Ein Sturmwind und der Sonnenschein stritten sich, wer einen Wanderer am ehesten dazu bringt, dass er seinen dicken Mantel abzieht. Zuerst probierte es der Sturmwind. Er riss und zerrte an dem Mann, wie er nur konnte. Doch vergebens. Der Wanderer wickelte sich immer nur noch mehr in sein Gewand. Dann kam der Sonnenschein. Da wurde es dem Manne wohl und warm, und bald zog er wie von selbst den Mantel ab.

Wir verstehen: Solange man einem Menschen mit dem erhobenen Zeigefinger kommt: „so darfst du nicht sein, du musst dich bessern!!“, solange wird sich nichts ändern, solange verwickelt er seine Bosheit in immer neue Ausreden und in Anklagen gegen Andere, die auch nicht besser seien. Aber wo die Sonne aufgeht, die Sonne der Menschenfreundlichkeit, da wird mir warm. Da lege ich gern den zu heiß gewordenen Mantel meiner Verkehrtheit ab. Da atme ich auf, dass ich das darf. Und wenn ich es nicht gerade mit einem Ruck mache, so öffne ich wenigstens den Mantel.

Indem es mir wohl wird unter Gottes gütiger Sonne, beginne ich es zu ahnen, das Wunderbare, das doch ganz wahr ist: dass wir Gottes Kinder sind – unser Bibelwort redet ja davon strikt in der Mehrzahl. Also sind die anderen neben mir meine Schwestern und Brüder. Sie sind nicht ausgeschlossen. Wie kann ich da noch ichsüchtig an mich denken und zu ihrem Nachteil? Wie sollte ich da nicht ihnen Gutes gönnen und geben? Und machen sie mir Ärger, nun, da gilt das gleiche Verfahren: Fahre ich sie im Sturm an, dann werden sie nur noch zugeknöpfter. Aber unter den Strahlen der Liebe werden sie sich allmählich öffnen. Wie heißt es doch in der Bibel: „Überwinde das Böse mit Gutem!“ (Röm 12,21)

 



Prof. Dr. Eberhard Busch
Friedland, Niedersachsen, Deutschland
E-Mail: ebusch@gwdg.de

(zurück zum Seitenanfang)