Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis , 01.09.2019

Ist Gott ungerecht?
Predigt zu Hiob 23:1–17, verfasst von Dietz Lange

Liebe Gemeinde!

Das Buch Hiob ist eines der großartigsten im ganzen Alten Testament. Wir wissen nicht, wer der Dichter des Buches war. Er war jedenfalls einer der tiefsten Denker in der Bibel. Dabei schreibt er keine philosophische Abhandlung, die man erst verstände, wenn man 10 Semester studiert hat, sondern er erzählt ein Lebensschicksal, das den Helden der Erzählung auf die Probe stellt. Das kann jeder verstehen.

Hiob war ein reicher Gutsbesitzer und ein tiefreligiöser Mensch, der ein vorbildliches Leben führte. Eines Tages aber bricht Unglück über ihn herein. Dann geht es Schlag auf Schlag. Da kommt ein Feuer vom Himmel und tötet Hiobs Knechte und seine Schafe. Dann rücken die Chaldäer an und töten und verwüsten alles, was übrig ist. Danach bricht ein Unwetter herein, in dem die Kinder Hiobs umkommen. In kürzester Zeit ist alles verloren. Zuguterletzt wird er auch noch selbst mit einer schmerzhaften Hautkrankheit geschlagen. Hiob bleibt zunächst standhaft in all seinem Leid: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Der Name des Herrn sei gelobt.“ Drei Freunde kommen und trauern mit ihm. Aber allmählich gewinnt bei Hiob die Verzweiflung die Oberhand. Er verflucht den Tag seiner Geburt, er würde am liebsten gar  nicht mehr leben.

Da wird es den Freunden zu viel. Das ist ja Gotteslästerung! Einer nach dem anderen wirft Hiob sträflichen Hochmut gegenüber Gott vor. Er habe doch bestimmt Schuld auf sich geladen und bekomme jetzt die Strafe dafür. Er solle sich lieber vor Gott demütigen und zu ihm beten, dann werde alles wieder gut. Damit gießen sie Öl ins Feuer. Hiob ist sich keiner Schuld bewusst, die ein so schreckliches Schicksal rechtfertigen würde. Er wird immer wütender. Diese frömmelnden, sogenannten Freunde verstecken doch nur ihre eigene Hilflosigkeit auf seine Kosten! Er würde sie am liebsten zur Hölle schicken. Nachdem einer von ihnen mit Namen Elifas zum dritten Mal getönt hat, hält Hiob die Rede, die heute unser Predigttext ist:

                                          Verlesung des Textes Hiob 23,1–17

Das ist eine dramatische Abrechnung mit Gott. Zuerst möchte Hiob bei ihm sein Recht einklagen. Da ist er sich noch sicher, dass Gott ihm zuhören würde, denn er, Hiob, hat sich ja nichts vorzuwerfen. Gott würde ihm sicher rechtgeben und ihn fortan besser behandeln. Aber dann stellt er fest: Gott ist gar nicht da. Ich erreiche ihn nicht. Er entzieht sich mir. Und am Ende zieht er die bittere Schlussfolgerung: Gott macht einfach, was er will, ohne Rücksicht auf Verluste. Er ist allmächtig, niemand kann etwas gegen ihn ausrichten. Seine Allmacht ist pure Willkür. Er ist schlimmer als jeder weltliche Despot. Vor ihm kann man nur erschrecken und den Kopf einziehen. Die Geschichte endet einige Kapitel danach mit gewaltigen Reden Gottes. Darin bezichtigt dieser Hiob der Anmaßung und verlangt von ihm, sich reumütig und gehorsam seiner Majestät zu beugen. Warum er all das Unheil über ihn hat hereinbrechen lassen, lässt er unbeantwortet.

Die Leser haben das nicht ausgehalten. Man hat darum die Dichtung eingespannt in eine alte Rahmenerzählung. Demnach hat Gott den Hiob durch all die schrecklichen Leiden nur pädagogisch ein wenig auf die Probe gestellt. Die hat Hiob bestanden, Dafür bekommt er am Ende alles doppelt zurück. Aber das ist ein so märchenhafter Schluss, und er passt so wenig zu der Härte der großen Dichtung, dass er nicht zu überzeugen vermag.

In der Geschichte seither haben sich viele Menschen den Kopf zerbrochen, wie man Gott besser verteidigen kann als die Freunde Hiobs und als die treuherzige Lösung durch ein happy end. Einen der menschlich anrührendsten Versuche hat der bedeutende jüdische Philosoph Hans Jonas gemacht. Er musste 1933 vor den Nazis fliehen, emigrierte zunächst nach London, dann nach Israel. 1945 erfuhr er bei einem Besuch in Deutschland, dass seine Mutter in Auschwitz ermordet worden war. Diesen Schlag und darüber hinaus das grenzenlose Grauen der Konzentrationslager vor seinem inneren Auge wird er von der Frage bedrängt: Wie kann ich da noch an einen gütigen Gott glauben? Da fällt ihm eine alte jüdische  Kabbala-Lehre ein: Gott hat auf seine Allmacht verzichtet und die Verantwortung für das Weltgeschehen den Menschen übertragen. Sie sollen dafür sorgen, dass Gott seine Schöpfung nicht gereut. Das ist ein sympathischer Gedanke. Denn wir machen es ja nur allzu gern bequem und wälzen unsere Verantwortung einfach von uns ab. Gerade bei den Nazi-Verbrechen war das ja fast die Regel. Trotzdem bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Was hilft die Antwort von Jonas, wenn doch die leidenden Menschen ihr grauenhaftes Schicksal ganz und gar nicht zu verantworten haben? Wenn Gott da einfach auf seine Allmacht verzichtet und Millionen unschuldiger Häftlinge sehenden Auges ins Verderben stürzen lässt, kann man ihn dann noch gütignennen?

Spätestens an diesem Punkt können wir nicht länger bloße Zuschauer bleiben. Spätestens jetzt wird klar, was für eine Zumutung dieser Predigttext heute morgen für uns ist. Hiob ist weit weg. Auch die klugen Gedanken von Hans Jonas helfen uns nicht wirklich weiter. Solange wir nur um die Frage rotieren, wie man Gott verteidigen kann, sind wir immer noch bei den Freunden Hiobs. Denen hat Hiob selbst unwiderlegbar klargemacht, dass sie sich in einer Sackgasse befinden. Warum Gott unschuldiges Leiden zulässt oder sogar verursacht, das ist und bleibt, wenn man so allgemein und so theoretisch fragt, ein unauflösbares Geheimnis.

Befragen wir stattdessen lieber unsere eigene Lebenserfahrung. Wir, die wir heute morgen hier sitzen, haben ganz verschiedene Lebensschicksale. Es gibt Menschen, die sich fast immer auf der Sonnenseite des Lebens befunden haben. Die allermeisten von uns aber haben im Lauf ihres Lebens Nackenschläge bekommen. Die waren vielleicht nicht so extrem wie bei Hiob, aber schlimm genug, um mit der gleichen Leidenschaft wie er nach Gottes Gerechtigkeit zu fragen. Es reicht ja schon, wenn  ein einziger Mensch, dem unsere ganze Liebe gehört hat, unter Qualen von uns gehen muss, und wir können nichts tun, um ihm zu helfen. Da lassen auch wir uns nicht verbieten, Gott unser Leid zu klagen. So weit sind wir als Christen ganz auf Hiobs Seite.

Auch Jesus hat Gott geklagt, als ihm der Tod bevorstand, und ihn gebeten, er möge ihm das doch ersparen. Auch er ist unschuldig, aber er pocht nicht darauf. Er nimmt Gott gegenüber nicht den Rechtsstandpunkt ein, obwohl er das, menschlich gesprochen, sehr wohl könnte. Vielmehr schlägt seine Bitte um Verschonung um in den Satz: „Aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Wir werden nicht annehmen können, dass ihm das leicht gefallen ist. Er hat ganz sicher Angst gehabt. Er wird mit Gott gerungen haben. Denn wie kann ein Mensch diesen Abgrund, der so sinnlos erscheint, dennoch aus Gottes Hand annehmen? Da muss Gott selbst ihn gehalten haben.

Jesus war in seinem Leben und Sterben trotz allem ganz eins mit Gott und seiner Liebe zu uns. Wenn wir im Glauben Jesus nachfolgen, bekommen wir Zutritt zu diesem Verhältnis zu Gott. Das nimmt uns unsere Lasten nicht ab, beantwortet auch nicht die Frage nach deren Sinn. Aber es macht unsere Versuche, Gott zu rechtfertigen, gegenstandslos. Denn Gott hat uns „gerechtfertigt“ oder zurechtgebracht. Seine Liebe bringt uns zum Einverständnis mit ihm.

Das schlägt sich in unserer Glaubenserfahrung nieder. Nicht selten geschieht das, wenn wir am Ende einer harten Lebensphase den Blick zurücklenken. Da öffnet uns Gott die Augen, und wir stellen verwundert fest, dass wir anders geworden sind, reifer, nachsichtiger mit anderen, verständnisvoller. Durch unsere normale Lebensführung, durch treue Pflichterfüllung hätten wir das nicht geschafft. Manchmal braucht es tatsächlich den Gang durch einen Abgrund, um einen Charakter nach Gottes Willen zu formen. In diesem tiefen Sinn ist die Feststellung des Paulus zu verstehen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.

Schließlich sollten wir nicht vergessen, dass wir als Christen nicht jeder für sich auf einer einsamen Insel existieren, sondern eine Gemeinde bilden. Den Hiob haben damals seine Freunde besucht. Bevor die ihre penetranten Moralpredigten losgelassen haben, haben sie ja erstmal gefühlsmäßig ganz angemessen reagiert. Sie haben zusammen mit Hiob geschwiegen und mit ihm getrauert. Das hat natürlich seine Kinder nicht ins Leben zurückgebracht und auch seinen Besitz nicht wiederhergestellt. Aber Solidarität in der Not ist eine starke Kraft. Die Freunde damals haben bloß nicht durchgehalten, sondern sind in die 08/15-Frömmigkeit zurückgefallen, die besagt: Wenn es du dich anständig verhältst, wird dich Gott belohnen, wenn es dir schlecht geht, ist das Gottes Strafe. Eine Solidarität aber, die sich aus der Liebe Gottes nährt, kann durchhalten und muss nicht in billige Vertröstung oder Rechthaberei umkippen. Sie kann viel dafür tun, einen am Boden zerstörten Menschen wieder aufzurichten. Sie kann in ihm sogar den Sinn dafür wecken, dass Gott in der harten Probe, auf die er ihn stellt, insgeheim mit seiner Liebe am Werk ist. So werden wir zu Handlangern von Gottes Versöhnung.

 

                                                                                                         Amen.

 

____________

Dietz Lange, geb. 1933, bis 1998 Prof. für Systematische Theologie in Göttingen, seit 1988 hier tätig als ehrenamtlicher Prediger an St. Marien



Prof. em. Dr. Dietz Lange
Göttingen, Niedersachsen, Deutschland
E-Mail: dietzclange@online.de

(zurück zum Seitenanfang)