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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

13. Sonntag nach Trinitatis, 15.09.2019

Erwachsen werden im Glauben
Predigt zu Markus 3:31-35, verfasst von Suse Günther

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. AMEN

Mk 3,31-35

Und es kamen zu Jesus seine Mutter und seine Geschwister und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, Deine Mutter und Deine Geschwister draußen fragen nach Dir.

Jesus antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Geschwister? Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreis saßen und sprach: Siehe, das sind meine Mutter und meine Geschwister.

Denn wer Gottes Willen tut, der ist mir Bruder, Schwester und Mutter.

 

Gott, gib uns ein Herz für Dein Wort und nun ein Wort für unser Herz. AMEN

 

Liebe Gemeinde!

Einmal mehr präsentiert uns unsere Bibel mit dem heutigen Predigttext eine Geschichte, die so mitten aus dem Leben heraus gegriffen ist.

Ich fühle mich erinnert an so manches Gespräch, das ich im Krankenhaus mit Menschen im fortgeschrittenen Alter führe. Ich frage oft, auf der Suche nach Erfahrungen, die diese Menschen aufmuntern könnten, nach Kindern und Enkelkindern. Und bekomme meistens die Antwort: ja.

Und dann im Nachtrag den Satz. „Ich habe gute Kinder, sie kümmern sich. Aber sie haben wenig Zeit. Sie haben ihr eigenes Leben und müssen ja auch arbeiten.“

Ja, so ist das. Menschen in der Lebensmitte müssen vielen Aufgaben gerecht werden. Und dafür haben Eltern viel Verständnis. Sie haben Lebenserfahrung und wissen, dass jeder seinen Weg gehen muss, seine eigene Entwicklung machen muss.

Ich erinnere mich gut daran, dass meine Töchter, als sie so im Kindergartenalter waren, großartige Pläne entwickelten, sie würden später mal einen Bauernhof kaufen und dann würden wir immer alle zusammen bleiben. Heute können sie gar nicht weit genug reisen und können Fragen nach dem, was sie so gerade treiben, nicht wirklich gut finden.

Jesus lebt sein eigenes Leben. Das betont er immer wieder.  Den Beruf des Zimmermanns hat er wohl gelernt, aber sich dann auf seinen eigenen Weg gemacht. Josef und Maria haben das hingenommen. Maria wird immer wieder als Mutter geschildert, die sehr viel Verständnis aufbringt für die Entscheidungen ihres Sohnes, die manchmal mit harten Worten verbunden sind.

Wie mag sie sich gefühlt haben bei dieser  Antwort Jesu: Die da draußen? Meine wirkliche Familie ist hier bei mir, die die Gottes Willen tun, die sind mir Mutter, Bruder und Schwester.

Noch heftiger reagiert Jesus in einem Bericht des Johannesevangeliums (Joh 2). Bei der Hochzeit in Kana geht der Wein aus, Maria kommt zu Jesus mit der Nachricht: „Sie haben keinen Wein mehr“ Und Jesus antwortet: „Frau, was geht es Dich an, was ich tue?

Harte Worte, zumal im Kontext einer orientalischen Gesellschaft, wo älteren Menschen bis heute sehr viel Respekt entgegengebracht wird.

Harte Worte, die man auch nicht entschuldigen kann mit vielleicht einer Entwicklungsphase, der Pubertät, wo sich junge Menschen von ihren Eltern lösen und auch mal im Ton vergreifen. Denn Jesus ist in der Zeit, in der die Bibel von ihm berichtet, so etwa 30 Jahre alt.

Harte Worte, die auch die Seite von Jesus zeigen, die fromme Bilder gerne unter den Tisch fallen lassen. Nämlich einen Jesus, der sehr genau wusste, was er wollte und so manchen Kampf auch ausgefochten hat.

Josef und Maria haben früh lernen müssen, dass ihr Sohn einen eigenen Kopf hat. Denken sie an den Bericht vom 12 jährigen Jesus im Tempel (Lk 2,41ff). Als Jesus beim Passahfest sich von der Menschenmenge und seinen Eltern entfernt und im Tempel bei den Priestern in theologischen Diskussionen Rede und Antwort steht.

Als die Eltern ihn endlich gefunden haben, sagt Maria „mein Kind, wir haben Dich mit Schmerzen gesucht.“ und Jesus wehrt ab: „Muss ich nicht in dem sein, was meinem Vater gehört“? Maria kann das nicht verstehen, wen meint Jesus, wenn er „mein Vater“ sagt? Sie behält diese Worte und denkt darüber nach, auch als alle wieder zurück in Nazareth sind und das Familienleben erst einmal scheinbar normal weitergeht.

Früh zeigt sich, dass Jesus beide Seiten in sich vereint: Die menschliche und die göttliche. Das worüber sich Theologen zu allen Zeiten die Köpfe zerbrochen haben, dass Jesus wahrer Mensch und wahrer Gott ist, das hat Jesus gelebt.

Und jeder, der das einmal gespürt hat in sich selbst, dass es ihn in zwei Richtungen zieht, der weiß, dass das einen geradezu zerreißen kann. Immer fühlt man sich zwei Herren verpflichtet. Und, auch das weiß die Bibel: Man kann nicht zwei Herren dienen (Mt 6,24). Mit der Zeit wird man Entscheidungen treffen und sich für eine Seite entscheiden müssen. Vielleicht mit schlechtem Gewissen und Verlustängsten, aber doch mit dem Gefühl, dass es der ganz eigene Weg ist. Der Weg mit dem es einem irgendwann gut gehen wird. Der Weg, der für einen selbst vorgesehen ist.

An diesem Punkt befindet sich Jesus im heutigen Predigttext. Er hat seine Entscheidung getroffen. Familie ist wichtig im Denken eines Menschen im Orient. Jesus behält daher dieses Denkmuster bei: Familie ja. Die, die mir wichtig sind, für die ich verantwortlich bin. Aber er füllt dieses allgegenwärtige Bild „Familie“ mit neuen Menschen.

Nun ist Familie nicht mehr die Gruppe derer, mit denen er per Geburt zusammengehört auf dieser Welt. Sondern Familie sind die, die mit ihm unterwegs sind in die ewige Heimat. Das können ja durchaus auch seine Geschwister und seine Eltern sein – Josef lebt wohl zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr – Aber sie sind es eben nicht automatisch.

Jesus setzt neue Maßstäbe. Immer mehr gewinnt die göttliche Seite in ihm Raum. Und immer mehr verblasst die menschliche. Dass er doch bis zum Schluss immer auch Mensch geblieben ist und die Seinen im Blick behalten hat, zeigt eine Szene, die uns Johannes (19,26f) von der Kreuzigung berichtet: Ganz zum Schluss, unmittelbar vor seinem Tod, denkt er noch an seine Mutter und was der nun zugemutet wird. Maria steht unter dem Kreuz, ebenso wie einer seiner Jünger. Jesus wendet sich an Maria und vertraut ihr, die nun ihren Sohn verlieren wird, diesen Jünger an, es könnte jeder und jede von uns sein, indem er sagt: „Maria, siehe, Dein Sohn“. Ebenso sagt er zu dem Jünger: „Siehe, Deine Mutter“ Jesus hat seine Mutter im Blick, trotz allem, was er ihr im Laufe seines Erdenlebens so zugemutet hat. Er versteht, wie schwer ihr der Tod ihres Sohnes werden wird. Und vertraut ihr einen Menschen an, der ihm am Herzen liegt.

Da finden beide Familien dann zusammen, die Herkunftsfamilie und die frei gewählte Familie aus Freunden und Freundinnen. Die menschliche und die göttliche Familie. Am Ende schließt sich der Kreis. Jesus kommt wieder da an, wo er angefangen hat. Bei seinem himmlischen Vater.

Inzwischen hat Maria verstanden, was sie damals, als ihr Sohn 12 Jahre alt war, nicht verstehen konnte. Sie weiß nun, dass Jesus in dem sein muss, was seinem Vater gehört. Und sie weiß, wen er meint, wenn er von seinem Vater spricht: Er meint seinen himmlischen Vater.

Die katholische Kirche leitet sich aus diesem Satz - „Siehe, Mutter, Dein Sohn“ – bis heute ihren Marienglauben ab. Sie deutet diesen Satz so, dass Jesus selbst die Menschen Maria anvertraut hat als ihre Kinder. Und den Kindern Maria als ihre Mutter.

Wir Evangelischen können doch zumindest das anerkennen: Jesu Familie ist größer, als wir uns das vorstellen können und es sich mit unseren menschlichen Begriffen fassen lässt.

Mit jedem Kind, was wir taufen, wird Jesu Familie größer.

Aber jedes Kind, das wir taufen, wird auch selbst einmal die Entwicklung durchmachen, die Jesus durchgemacht hat. Die Entwicklung des Erwachsenwerdens. Und damit dann der eigenen Entscheidung: Zu welcher Familie möchte ich gehören? Möchte ich zu Jesu Familie gehören und mit ihm glauben? Oder entscheide ich mich für einen anderen Weg.

Wenn heute viel über Kirchenaustritte gesprochen wird, so zeigt mir das doch trotz allem auch das andere: Menschen entscheiden sehr bewusst, ob sie zur Familie Jesu gehören möchten oder nicht. Kaum einer oder eine gehört mehr einfach so dazu, weil es immer schon so war oder ihm von seiner Herkunftsfamilie so mitgegeben wurde.

Menschen entscheiden zunehmend selbst in unseren Tagen. Jeder möchte sein Leben so individuell wie möglich gestalten. Und das bedeutet im Umkehrschluss, dass wir als die, die wir immer noch zu Jesu Familie gehören möchten, sehr deutlich ausdrücken müssen, warum. Was bringt es mir, Mitglied dieser Familie zu sein? Warum möchte ich dazu gehören? Und wie kann ich das so vermitteln, dass es einladend ist?

Jeder und jede von uns wird darauf ihre eigenen Antworten haben. Und für die, die auf der Suche sind, stehen wir in Jesu Familie gerne Rede und Antwort.

Vor kurzem habe ich einen Patienten, der Doktor der Biologie ist, danach gefragt, was ihn als Wissenschaftler bewegt, sich im christlichen Glauben beheimatet zu finden. Er antwortete mir: Weil ich in aller Forschung auf so viele Fragen stoße, auf die die Wissenschaft keine Antwort hat. Leben und seine Entstehung ist und bleibt ein Wunder.

Eine wunder-schöne Antwort.

Wir, die wir uns doch immer noch versammeln hier in dieser Kirche oder den verschiedenen Treffen rund um diese Gemeinde, haben sehr bewusst entschieden, dass wir dazugehören wollen. Wir sind nicht zufällig Mitglied von Jesu Familie. Wir haben unsere Gründe. Und unsere Hoffnungen. Wir sind einander anvertraut. Bruder und Schwester Jesu. Kinder und Eltern füreinander. Wir sind miteinander unterwegs. Wir sind mit Jesus unterwegs. Seit damals und in Zukunft. AMEN

 

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Lieder:

406 (Bei Dir Jesus will ich bleiben)

391 (Jesu, geh voran)

 



Suse Günther
Zweibrücken, Rheinland-Pfalz
E-Mail: Suse-guenther@posteo.de

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