Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 29.09.2019

Bleibt Normal!
Predigt zu 1. Petrus 5:5b-11, verfasst von Christine Hubka

Alle aber miteinander bekleidet euch mit Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. 6 So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. 7 Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.

8 Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. 9 Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass ebendieselben Leiden über eure Brüder und Schwestern in der Welt kommen.

10 Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. 11 Ihm sei die Macht in alle Ewigkeit! Amen.

 

Also gleich vorweggesagt: Ich glaube nicht an den Teufel.

Als eine Art Gegenspieler von Gott, der beinahe so stark und so mächtig ist wie Gott und sich mit ihm immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen liefert, deren Ausgang ungewiss ist.

Ich glaube nicht an den Teufel, der angeblich schuld ist, wenn Menschen tun, was sie nie tun sollten.

Ich bin überzeugt, dass wir Menschen es ganz allein, ohne Beihilfe eines mystischen Wesens schaffen, alle denkbar möglichen Grauslichkeiten zu begehen.

 

Der Teufel, von dem hier die Rede ist, ist aber ganz und gar nicht dieses merkwürdige gehörnte, geschwänzte, glutäugige und pelzige Wesen, das spätere Zeiten gemalt haben.

Dieser Teufel damals ist sehr real. Er steht für das römische Reich mit seinen immer wieder hier und dort aufflammenden Verfolgungen von Menschen, die sich zu Jesus Christus bekannt haben. Flächendeckend war das selten. Aber immer, wenn es in einer Provinz Probleme gab, eine Dürre mit anschließender Hungersnot, eine Seuche mit tausenden Toten, mussten dort die Christen als angebliche Verursacher und Sündenböcke herhalten.

(Ähnliches hat dann später die Christenheit gegen die Menschen jüdischen Glaubens aufgeboten: auch sie wurden beschuldigt, Brunnen vergiftet und die Pest übers Land gebracht zu haben.)

 

Die Gefahr ist also real, in der sich die Empfänger des Briefes befinden.

Es ist nicht eine eingebildete Bedrohung.

 

Spannend finde ich, dass der Briefschreiber sich nicht damit abgibt,

„die Ängste der Menschen zu verstehen“,

wie das neuerdings hierzulande Mode geworden ist.

 

Angesichts der Bedrohung gibt er ihnen eine recht klare und handfeste Anleitung, wie sie sich verhalten sollen.

Bevor wir uns ansehen, was er empfiehlt, möchte ich kurz schauen,

welche Ratschläge heutzutage so daherkommen würden:

 

Die Problemlage ist so, dass die Christinnen und Christen mit ihrem Glauben und dem durch diesen Glauben geprägten Lebensstil auffallen. Sie machen manches anders als die Mehrheitsbevölkerung.

Sie versammeln sich z.B. am Sonntag am Abend, nach Sonnenuntergang zu ihren gemeinsamen Gottesdiensten.

Die Mehrheitsbevölkerung besucht die Tempel ihrer Götter bei hellem Tageslicht.

Was also machen diese Christen in der Finsternis. Man munkelt, dass da Blut im Spiel sei. Da hat wohl irgendwer einmal durchs offene Fenster ein paar Worte gehört: „Das ist mein Blut für euch vergossen, mein Leib, für euch gegeben. Nehmt und esst. Nehmt und trinkt.

Schon läuft die Mär, dass sie irgendwelche furchtbaren kannibalischen Riten vollführen.

Und noch was fällt der Mehrheitsgesellschaft unangenehm auf: Männer und Frauen, Sklaven und Sklavenbesitzer nehmen gemeinsam an diesen vermutlich blutigen Riten teil. Das widerspricht der gewohnten gesellschaftlichen Ordnung.

 

Also was könnten wir ihnen empfehlen, damit sie nicht mehr angefeindet werden?

Die gängige Empfehlung an Minderheiten heute ist wohl mehr eine Forderung:

Passt euch an.

Das würde heißen:

Feiert eure Gottesdienste auch tagsüber.

Nur leider geht das nicht, denn die Sklaven mussten ja von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang an sieben Tagen in der Woche arbeiten.

Na gut, dann wäre das Problem ja auch gleich mit gelöst, dass hier alle gesellschaftlichen Schichten sich gegen den herrschenden Brauch gemeinsam versammeln.

Dann lasst halt einfach die Sklaven draußen aus euren Gottesdiensten und schon ist ein Stein des Anstoßes beseitigt.

Und man könnte ja auch, wie es alle anderen machen, Feiern für Männer und für Frauen getrennt veranstalten.

Und das mit dem Blut, also das müsst ihr schon sein lassen, denn das ist einfach inakzeptabel …

 

Wenn die kleine christliche Gemeinde damals alle diese heute wohl möglichen Ratschläge befolgt hätte, wäre am Ende nichts mehr von ihrer Eigenart und ihrem Glauben übriggeblieben. Und wir würden heute hier nicht miteinander Gottesdienst feiern in eben der Tradition jener Gemeinde:

Also: alle miteinander, ganz gleich welcher gesellschaftlichen Gruppe wir entstammen.

Immer noch hören wir die Worte „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut. Nehmt und esst.“

Nur die Uhrzeit hat sich geändert.

 

Welcher Rat, den sie offensichtlich befolgt haben, war also so zielführend, dass die bedrängten Christen ihren Glauben bis zu uns herauf weiter geben konnten trotz aller Angst und Verfolgung.

 

Der Rat ist kurz und knackig: Seid demütig.

Das ist kein Begriff, der so einfach zu übersetzen ist.

Ich deute diese Aufforderung jetzt mit dem ganz Alltäglichen: bleibt normal!

Demütig oder eben normal benimmt sich einer,

der sich nicht besser vorkommt, als die Leute, die anders leben und anders glauben.

Demütig, also normal, bleibt jemand, der sich nicht in die Opferrolle begibt.

Demütig, also normal, ist jemand, der weiß, wieweit er selbst für seine Sicherheit sorgen kann, und ab wann es im Leben halt keine Sicherheiten geben kann und es allein in Gottes Hand liegt, was geschieht.

Diese letzte Variante von demütig sein, also normal sein, bekommen wir dann noch ein wenig ausgeführt:

 

Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.

Das aber heißt auch, von den Ängsten sich zu trennen.

Sich damit nicht weiter zu befassen, was morgen und übermorgen alles passieren könnte.

Sondern heute getrost und zuversichtlich den Tag anzugehen, im Vertrauen darauf, dass Gott heute für unsere kleine Minderheitskirche und jede und jeden einzelnen hier sorgt.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

Pfrn. i.R. Dr. Christine Hubka, Gefängnisseelsorgerin

1160 Wien



Pfrn. Dr. Christine Hubka
Wien, Österreich
E-Mail: christine.hubka@gmx.at

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