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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

19. Sonntag nach Trinitatis , 27.10.2019

Predigt zu Johannes 5:1-16(17+18), verfasst von Winfried Klotz

Text: Johannes 5, 1-18 (Gute Nachricht Bibel)

Die Heilung am Teich Betesda

5 1 Bald darauf war ein jüdisches Fest und Jesus ging hinauf nach Jerusalem.

2 Am Schaftor in Jerusalem befindet sich ein Teich mit fünf offenen Hallen. Auf Hebräisch wird er Betesda genannt.

3 Eine große Anzahl von Kranken lag ständig in den Hallen: Blinde, Gelähmte und Menschen mit erstorbenen Gliedern. 

Viele spätere Handschriften fügen hinzu: Sie warteten darauf, dass das Wasser Wellen schlug; 4 denn von Zeit zu Zeit kam ein Engel Gottes und brachte das Wasser in Bewegung. Wer als Erster in das bewegte Wasser hineinging, wurde gesund, ganz gleich, welche Krankheit er hatte.

5 Unter ihnen war auch ein Mann, der seit achtunddreißig Jahren krank war.

6 Jesus sah ihn dort liegen. Er erkannte, dass der Mann schon lange unter seiner Krankheit litt, und fragte ihn: »Willst du gesund werden?«

7 Der Kranke antwortete: »Herr, ich habe keinen, der mir in den Teich hilft, wenn das Wasser sich bewegt. Wenn ich es allein versuche, ist immer schon jemand vor mir da.«

8 Jesus sagte zu ihm: »Steh auf, nimm deine Matte und geh!« (5,8-9) Mk 2,10-11par

9 Im selben Augenblick wurde der Mann gesund. Er nahm seine Matte und konnte wieder gehen.

Der Tag, an dem dies geschah, war ein Sabbat. (Sabbat) 5,16.18; 7,21-22; 9,14; Mk 2,27-28S

10 Einige von den führenden Männern sagten deshalb zu dem Geheilten: »Heute ist Sabbat, da darfst du deine Matte nicht tragen!« Ex 20,8-10S; Jer 17,21-22 Wörtlich: Die Juden, ebenso in Vers 15.

11 Er antwortete: »Der Mann, der mich geheilt hat, sagte zu mir: 'Nimm deine Matte und geh!'«

12 Da fragten sie ihn: »Wer ist es, der dir so etwas befohlen hat?«

13 Aber er konnte keine Auskunft darüber geben; denn Jesus hatte den Ort wegen der vielen Menschen schon wieder verlassen. 6,15; 11,54; 12,36b; Mt 8,18; 13,36

14 Später traf Jesus ihn im Tempel und sagte: »Hör zu! Du bist jetzt gesund. Tu nichts Unrechtes mehr, sonst wird es dir noch schlimmer ergehen.« 8,11; Mt 12,45par; Jak 5,16

15 Der Geheilte ging fort und berichtete den führenden Männern, dass es Jesus war, der ihn gesund gemacht hatte.

16 Da begannen sie, Jesus zu verfolgen, weil er an einem Sabbat geheilt hatte.

17 Jesus aber sagte zu ihnen: »Mein Vater ist ständig am Werk und deshalb bin ich es auch.«

18 Daraufhin waren sie noch fester entschlossen, ihn zu töten. Denn Jesus setzte nicht nur die Sabbatvorschriften außer Kraft, er behauptete sogar, dass Gott sein Vater sei, und stellte sich so mit Gott auf eine Stufe. 7,1S; (Gott sein Vater) 3,35; 8,16.19; 10,17-18.29-38; 14,8-11.20.28; 15,9-10; 16,27-28; 17,1-26; 1,34S Wörtlich: sein eigener Vater; d. h. Vater in der herausgehobenen Bedeutung von 1,18.

Liebe Gemeinde!

Komm auf den Punkt! So sagt man manchmal in einer Diskussion, wenn jemand weitschweifig etwas erklärt und nicht klar ist, was denn nun Stein des Anstoßes oder Ziel der langen Rede ist. Komm auf den Punkt! Was ist denn nun der Punkt in dem uns für den 19. Sonntag nach Trinitatis gegebenen Predigttext aus Johannes 5, den ich auch noch eigenmächtig um zwei Verse erweitert habe?

Wir befinden uns mit Jesus in Jerusalem am Teich Betesda. Zum Teich Betesda heißt es in Reclams Bibellexikon (5. Aufl., Stuttgart 1992): „Doppelteich mit heilkräftigen Quellen, nördlich des Tempelplatzes in Jerusalem. Er war, wie neuere Ausgrabungen ergaben – von vier Säulenhallen umgeben, eine fünfte verlief zwischen den zwei Wasserbecken.“

Das entspricht dem, was Johannes 5 erzählt; dort aber erfahren wir noch, dass Betesda mit seinen Säulenhallen Sammelort für Menschen mit unterschiedlichsten Krankheiten war: Blinde, Gelähmte und Menschen mit erstorbenen Gliedern. Betesda war ein Ort der Hoffnung und Verzweiflung, Hoffnung auf Heilung durch das heilkräftige Wasser, Verzweiflung, wenn man auch hier keine Hilfe fand.

Verzweiflung oder auch völlige Lethargie begegnen Jesus dort. Er trifft einen Mann, der schon 38 Jahre krank ist. Wie er sich fühlt, eine heute auch in Interviews gerne gestellte Frage an Betroffene eines Unfalls, die ich oft als zu weitgehend oder auch überflüssig empfinde, wird uns nicht gesagt. Das ist offensichtlich nicht der Punkt, auf den es ankommt. Aus seelsorgerlicher Perspektive will ich aber anmerken, dass viele Menschen eine Belastung mit sich schleppen, die nicht wegzuradieren ist und ein ganzes Leben belastet. Manche bewegen sich dauerhaft im Gefühlsstatus minus eins, nur selten kann er/ sie so richtig aufatmen und sich freuen; manche haben ein Problem damit, ihre Gefühlsausbrüche in den Griff zu bekommen. Einer meiner Großväter war ziemlich cholerisch; es reichte ein falsches Wort in seiner Gegenwart, um ihn „auf die Palme zu bringen“. Es ist also gar nicht so selten, dass Menschen chronisch Not leiden, auch wenn die Not des Mannes in unserer Geschichte herausragt; er liegt 38 Jahre krank.

„Willst du gesund werden?“ fragt Jesus, eine Frage, die nicht überflüssig ist, denn an chronischen Schmerz gewöhnt man sich; er wird zu einem Einrichtungsgegenstand im Haus des Lebens. Zur Kenntnis nehmen müssen wir aus der Antwort des Kranken, dass Veränderung zum Guten unmöglich ist. Die Antwort ist realistisch, nicht kleingläubig. Jede gestandene Christin, jeder gestandene Christ weiß, dass auch bei heutiger medizinsch - therapeutischer Kunst Überwindung chronischer Not in manchen Fällen nur durch ein unverfügbares Handeln Gottes möglich ist.

„Willst du gesund werden?“ Ob der chronisch Kranke das will, wird uns nicht gesagt. Jesus aber spricht das rettende Wort: „Steh auf, nimm deine Matte und geh!“ Sogleich wird der Kranke gesund, er nimmt seine Matte und geht.

 Dass wir aus dem aussteigen möchten, was uns chronisch aufreibt, kann durchaus sein, aber es muss offen bleiben, in welcher Weise Gott in unser Leben eingreift. Jedenfalls ist bei Gott immer Hoffnung. Was Paul Gerhardt in dem Lied „Befiehl du deine Wege“ formuliert hat gilt:

Weg hast du allerwegen, an Mitteln fehlt dir’s nicht;

dein Tun ist lauter Segen, dein Gang ist lauter Licht;

dein Werk kann niemand hindern, dein Arbeit darf nicht ruhn,

wenn du, was deinen Kindern ersprießlich ist, willst tun. (EG 361,4)

Sind wir mit der Heilung eines chronisch Kranken am Zielpunkt unseres Bibelwortes? Und haben wir für uns die nötige Kraft und Perspektive gewonnen, um mit unseren chronischen Belastungen fertig zu werden? Wir hätten gerne eine klare Lösung für unsere Fragen, müssen aber erkennen, wir sind auf einen Weg gestellt und noch nicht am Ziel. Wir gehen nicht allein, wir sind nicht ohne Halt und Hoffnung, Jesus geht mit. Aber brauchen wir nicht mehr?

Zu Anfang meines Dienstes besuchte ich eine ältere Frau, die seit Jahren krank war. Sie bekannte mir und das durchaus mit Dankbarkeit: Ich kannte früher nur die Arbeit. Wenn ich nicht krank geworden wäre, hätte ich nie zum Glauben gefunden. Ist das die Antwort auf die Problemlage Deines, meines Lebens? Es ist jedenfalls eine wichtige Zwischenauskunft.

Unser Predigtwort führt uns noch weiter und es kann sein, dass wir diesen Raum gar nicht so gerne betreten. Aus dem Raum der Fragen um persönliche Belastung und Krankheit treten wir in den Raum öffentlicher Auseinandersetzung. Denn Jesus hat an einem Sabbat geheilt und dem Geheilten aufgetragen: „Steh auf, nimm deine Matte und geh!“ An einem Sabbat seine Matte durch Jerusalem tragen geht gar nicht! Das fällt auf und erregt bei denen, die für die Einhaltung der Ordnungen Gottes Verantwortung übernommen haben großen Anstoß. Das Sabbatgebot wiegt so schwer wie alle anderen Gebote zusammen! Ein kapitales Ärgernis! Wer ist schuld? Der Geheilte verweist auf den, der ihn gesund gemacht hat, seinen Namen kennt er nicht. Später trifft Jesus ihn im Tempel. Berichtet wird nur die Mahnung für den Geheilten: „Hör zu! Du bist jetzt gesund. Tu nichts Unrechtes mehr, sonst wird es dir noch schlimmer ergehen.“ Sie ist z. B. verständlich auf dem Hintergrund, dass ein Abhängiger um so tiefer fällt, wenn er zurückkehrt zur Sucht. Jetzt kennt der Geheilte den Namen und berichtet den führenden Männern, dass Jesus ihn geheilt hat, Auslöser für die Verfolgung Jesu. „Da begannen sie, Jesus zu verfolgen, weil er an einem Sabbat geheilt hatte.“

Es ist verständlich, dass die führenden Leute Jesus verfolgen. Er hat sich hinweggesetzt über eine bei allen, die fromm sein wollen, gültige Regel. Darf er das? Wer ist er, dass er als Herr über den Sabbat handelt?

Aus vielen Ländern unserer Erde kommen Berichte über die Diskriminierung und Verfolgung von Christen. Aus Nordindien - Indien garantiert in seiner Verfassung die Religionsfreiheit - höre ich von der Zerstörung von Kirchen und der Verhaftung von Pastoren. In muslimischen Ländern ist der Übertritt zum christlichen Glauben verboten und wird bestraft. Wir hier in Europa leben in großer Freiheit, können zum Gottesdienst gehen, unseren Glauben bekennen. Das ist eine Frucht der Aufklärung und in einem säkularen Staatswesen begründet. Das, was wir als Christen manchmal beklagen, nämlich den säkularen Geist der Zeit, stellt uns auch in eine erstaunliche Freiheit. Aber nutzen wir diese Freiheit auch? Bekennen wir Jesus als den, der als der Sohn mit und durch Gott, den Vater, wirkt?

„Jesus aber sagte zu ihnen: ‚Mein Vater ist ständig am Werk und deshalb bin ich es auch.‘“ (V. 17) Am Anfang habe ich den Satz zitiert: Komm auf den Punkt! Genau das ist der Punkt, auf den unser Abschnitt hinläuft! Jesus und der Vater, der Vater und Jesus, sie sind beständig am Wirken. Der das Gebot seinen Menschen gegeben hat, übertritt es selbst nicht, wenn er auch am Sabbat hilft und heilt. So haben auch die Schriftgelehrten von Gott gesagt. Unser Wort bezeugt: Der Vater und Jesus gehören zusammen, sie sind unterschieden und doch untrennbar eins. Deshalb ist Jesus der Herr, durch IHN geschieht Rettung, verbunden mit Ihm sind wir Kinder des himmlischen Vaters.

Das Zeugnis der Christen und Kirchen in Deutschland ist nach meinem Eindruck erstaunlich leise und unklar, wenn es um Jesus geht. Ist das öffentliche Bekenntnis zu Jesus, dem Herrn überflüssig? Braucht es keinen Streit mehr darüber „wer Jesus ist“? Reicht es, eine existenzielle „Bedeutung“ Jesu festzustellen, drängt der Heilige Geist im Bekenntnis nicht zur Behauptung (Assertio): Jesus ist mein Herr und Gott?! Manche halten gesellschaftspolitische Aussagen der Kirchen für viel wichtiger als das Bekenntnis zu Jesus. Die Heilige Schrift aber bekennt Jesus als den, der im Vater ist und mit dem Vater wirkt und fordert uns heraus zu solchem Bekenntnis. Das ist die Kraftquelle zu einem Leben im Unterschied, zu einem Leben, das nicht dem „IST“ recht gibt und sich anpasst, sondern der Zusage traut: „Siehe, ich mache alles neu!“ Wir verabschieden uns in die Bedeutungslosigkeit, wenn wir nicht den Streit darum führen, wer Jesus Christus für uns ist und was es heute bedeutet, ihm zu folgen. Allein in Jesus liegt Rettung. Amen.

Liedvorschläge:

EG 268, 1-5 Strahlen brechen viele aus einem Licht

Dass dein Wort in meinem Herzen starke Wurzeln schlägt (Jörg Swoboda/Theo Lehmann) Lebenslieder

EG 184, 1-5 Wir glauben Gott im höchsten Thron

Du bist der Weg und die Wahrheit und das Leben (Christoph Zehendner) Lebenslieder plus

 

Gebet / Fürbitten: Wir danken Dir, Herr Jesus Christus, Du hast uns mit dir verbunden durch Dein Wort. Du gibst uns Hoffnung und Geduld, Mut und Klarheit zum Bekenntnis zu dir. Aus deiner Kraft dienen wir dir in deiner Gemeinde und der Welt.

In der Heillosigkeit dieser Welt beten wir für die Menschen, die in besonderer Weise der Hilfe bedürfen:

Wir beten für alle, die in ihrem Leben die Orientierung verloren haben und nicht mehr wissen, woran sie sich halten können. Wir beten für die Menschen, die sich in Schuld verstrickt haben und die auf das Verzeihen und die Großmut anderer angewiesen sind.

Wir beten für alle, die taub geworden sind für die Nöte und Sorgen um sie herum und die nur noch ihren eigenen Vorteil kennen. Lasst uns in der Stille diese Anliegen vor Gott bringen! - Stille -

Wir bitten für alle, die Verantwortung tragen in Kirche und Gemeinde, dass sie den Weg des Glaubens gehen.

Wir bitten für alle, die für unsere Stadt und unser Land in Politik und Gesellschaft tätig sind, dass sie nicht ihren Vorteil suchen, sondern nach dem fragen und das tun, was gut ist und das Leben fördert. Allmächtiger, ewiger Gott, höre unsere Bitten durch ihn, den wir erwarten, Jesus Christus, unseren Herrn.

Wir beten weiter in der Stille und bringen unsere persönlichen Anliegen vor Gott.

Vater unser

 

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Winfried Klotz, Pfr., Jg. 1952, verh. 3 erwachsene Kinder

 



Pfr. i. R. Winfried Klotz
Bad König, Hessen, Deutschland
E-Mail: winfried.klotz@web.de

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