Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, 17.11.2019

Herr, wir stehen Hand in Hand
Predigt zu Hiob 4:1-6, verfasst von Andreas Schwarz

Von einem meiner Predigtlehrer im Studium habe ich die Regel gelernt: Wenn Sie die Kanzel betreten, haben Sie der Gemeinde den Gruß des Auferstandenen zu verkündigen: Friede sei mit dir!

Eine wunderschöne Empfehlung, an die ich mich gern erinnere und die ich ebenso gern beherzige.

Was kann es schöneres im Pfarrerberuf geben, als der Gemeinde das gute Wort Jesu zu sagen, dass Friede herrscht zwischen Gott und uns, dass wir Menschen des Lebens sind? Der Tod besiegt es nicht mehr, nie mehr, seit Jesus Christus ihn besiegt hat und uns diesen Sieg schenkt.

 

Wie gern hätte Hiob das wohl gehört.

Dass ihm jemand Frieden zusagt; Frieden mit Gott.

Davon sieht er nichts in seinem Leben, gar nichts.

„Ich allein bin entronnen, dass ich’s dir ansage“, (Hiob 1.15), der Refrain der Boten, die Hiob grotesk anmutende Schicksalsschläge mitteilen, erst den wirtschaftlichen Totalverlust an Rindern, Knechten, Schafen und Kamelen und dann den Tod seiner zehn Kinder.

„Als der noch redete, kam ein anderer und sprach: …“ (Hiob 1,16) … Und am Ende sitzt Hiob auf dem Aschenhaufen, der von seinem Leben übriggeblieben ist und kratzt seine juckende Haut mit den Scherben seines Glücks.

Ich erinnere mich an meinen Großvater, den ich nur als alten Mann von über 80 Jahren erlebt habe. Auf seinem Schoß habe ich gesessen. Eine Ruhe lag in seinem Wesen, eine Altersmilde, aber auch eine Traurigkeit in seinen Augen und Worten.

Meine Mutter erzählte mir von seinem Leben, wie er seine Frau und alle seine drei Söhne verloren hat. Die Hiobsbotschaften erreichten ihn, eine nach der anderen und wie Hiob hat er reagiert: ‚Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen‘. Und doch hat ihn seine Traurigkeit bis an sein Lebensende nicht verlassen.

Wer sollte sie ihm auch nehmen?

Wie sollte er getröstet werden?

 

Für Hiob kommt es noch schlimmer, denn jetzt kommen die Freunde. Hiob fehlt es nicht an Menschen, die ihm nahe sein wollen, die Anteil nehmen an seinem Schicksal, die ihm zur Seite stehen, leider weniger mit Tat, sondern vor allem mit Rat.

Dabei sind Menschen an der Seite von unschätzbarem Wert.

Der Posaunenchor drückt das mit dem Lied aus, das wir nach der Predigt gemeinsam singen wollen:

Herr, wir stehen Hand in Hand,

die dein Hand und Ruf verband,

stehn in deinem großen Heer

aller Himmel, Erd und Meer.

 

Wir können und wir wollen es nicht alleine. Manches wird auch zu schwer zu tragen. Wir brauchen einander.

Das ist für den Posaunenchor unverzichtbar; damit es gut und voll klingt, muss jede Stimme besetzt sein, am besten mindestens doppelt. Damit einer für die andere da ist, damit man sich ergänzt und sich gegebenenfalls auch einmal ersetzt, wenn einer eine Pause braucht.

Es ist für jeden persönlich wichtig, jemanden an der Hand zu haben, in der Ehe, in der Familie, als Freundin oder Freund, in der Gemeinde.

Wir brauchen, helfen, stützen einander.

 

Aber wenn deine Freunde dir in deinem Leid sagen: du bist selbst Schuld; Gott straft dich so für deine Sünden; du musst einsehen, was du falsch gemacht hast. Wenn du dein Verhältnis zu Gott klärst, dann wird Gott dich auch wieder gesund machen.

Wenn du solche Freunde hast, brauchst du keine Feinde mehr. Dann wird dein Leid noch schlimmer.

„Ja, ihr seid die Leute, mit euch wird die Weisheit sterben!“ (Hiob 12,2)Wollte Gott, dass ihr geschwiegen hättet, so wäret ihr weise geblieben.“ (Hiob 13,5)

Anders als so kann Hiob auf die guten Ratschläge seiner Freunde nicht reagieren.

Das Bett ein Aschenhaufen. Da sitzt er, der Mensch, oder liegt, nackt oder im Schlafanzug und muss sich kratzen und kommt nicht hin und es hört nicht auf, sondern wird noch schlimmer. Dunkle Tage, sorgenvolle Nächte und eine Frage: Wie gehört das zusammen, Leid und Gott?

 

Dass wir geboren werden, eine bestimmte Zeit leben dürfen und dann sterben, das wissen wir. Das erleben wir immer wieder. Und auch, wenn wir das Datum für uns persönlich nicht kennen, wissen wir, dass es irgendwann kommt. Das ist der Lauf des Lebens, für alle Menschen.

Das weiß auch Hiob und es ist nicht sein Problem.

Er weiß, dass er sterben muss.

Aber warum er das jetzt so erleben muss, worunter er leidet, das versteht er nicht.

Und er wird zum Urvater all derer, die ‚warum‘ fragen.

Warum ist das so? Warum musste es so kommen? Konnte es nicht anders sein?

Es ist eine Frage an Gott.

Und die Antwort ist: Schweigen.

Mein Gott, warum hast du mich verlassen?

So fragt wie Hiob der Sohn Gottes am Kreuz.

Und erhält keine Antwort.

Warum?

Die größte und schwerste Frage des Glaubens, die viele verzweifeln und resignieren lässt, die andere in große Anfechtungen führt.

 

Es trifft nicht zu, was viele denken: Wer glaubt, hätte es leichter und immer eine Antwort parat. Wer glaubt, sähe in allem immer einen Sinn. Das ist ja der gängige Vorwurf insbesondere der so kämpferischen neuen Atheisten: Wer glaubt, mache es sich irgendwie und unangemessen viel leichter und wähle einen weniger anspruchsvollen Weg der Bewältigung der großen Lebensfrage.

Leichter machen sie es sich, die „neuen Atheisten“ die auf Busse schreiben, es gäbe keinen Gott und man brauche sich keine Sorgen zu machen und könne das Leben genießen. „Amateurgegner“ hat Karl Barth sie genannt, all die Religionsspötter und Atheisten, „arglose, gemütliche Gesellen“ seien sie im Vergleich zu Hiob, der es mit Gott auf sehr ungemütliche Weise zu tun bekommen hat.

Du hast es ja als gläubiger Mensch nicht nur mit den Problemen des menschlichen Lebens zu tun: mit Krankheit und Abschied, mit Katastrophen und Enttäuschungen.

Du musst das Ganze ja auch noch mit Gott zusammenbringen.

Mit dem liebenden Gott.

Mit dem Gott des Friedens und des Lebens.

Das müssen Atheisten nicht.

Sie sagen, das Leben ist eben ungerecht. Schicksal.

Wir zweifeln und verunsichern.

Und ich sehe sie vor mir, die Menschen, die sich öffnen und ihrem Leid und Unverständnis Sprache verleihen,

weil ihre Ehe in die Brüche gegangen ist, weil ihr Partner sie verlassen hat. Wer mehr oder weniger Schuld hat, ist nicht die Frage, sondern dass ein Lebensfundament weggebrochen ist.

Eltern, deren Kind gestorben ist und deren Vertrauen in Gott schwer beschädigt ist.

Eheleute, die kein Kind bekommen, so sehr sie es sich wünschen und nicht verstehen, warum Gott sie übersieht.

Menschen, die viel zu jung schwer erkranken und deren Leben so völlig aus der Bahn gerät.

Alte, deren Ehepartner längst verstorben ist und die keinen Sinn im Leben mehr sehen, die nicht spüren, wo sie gebraucht werden und sich wünschen zu sterben. Warum lässt mich Gott mich nicht sterben?

Wie soll das, was ich erlebe, zusammengehen mit dem, was ich glaube?

 

Hiob ist an den Rand geraten, an den Rand des Glaubens. Er bittet nicht einmal mehr um Hilfe oder Antworten. Er will nur noch, dass Gott ihn in Ruhe lässt. Er braucht seine Kraft, das Elend zu ertragen. Aber er hat keine Kraft mehr für die Auseinandersetzung mit der Frage, wie er das mit seinem Glauben zusammenbringen soll.

Er hat mit seiner Ehrlichkeit einen Weg des Glaubens gezeigt. Auch das gehört dazu.

Wer immer so empfindet, ist nicht ohne Gott, sondern leidet darunter, dass Gott so unangenehm nah sein kann. So nah, dass man sich an ihm reibt, dass es wehtut.

Was du nicht brauchst, sind Freunde, wie Hiob sie hatte, die ihm zu Feinden wurden, weil sie seinen Glauben infrage stellten.

Was du brauchst, sind Freunde, die an deiner Seite stehen.

Herr, wir stehen Hand in Hand.

Denn wir sind alle in der gleichen Verdammnis.

Kein Glaube ist kleiner oder größer, stärker oder schwächer.

Um solche Freunde kannst du Gott bitten.

Hiob erlebt tatsächlich noch einmal den Frieden mit Gott.

Ohne, dass seine Frage beantwortet wäre, warum das alles. Aber er hat Lebensmut und Lebensfreude, sogar großes Glück, größer als zuvor, geschenkt bekommen.

Dass es hier immer wieder gut wird, erwarten wir nicht.

Das ist zu oft einfach nicht wahr.

Aber dass Jesus Christus den Frieden mit Gott hergestellt und uns geschenkt hat, das unterscheidet uns von Hiob. Wir haben den sicheren und zugesagten Blick nach vorn, auf das Leben. Der verschafft die Freude, die bleibt.

Du kannst nur darum bitten, dass du diesen Blick behältst und diese Hoffnung sich erfüllt, weil er es versprochen hat.

Herr, wir gehen Hand in Hand,

Wandrer nach dem Vaterland:

lass dein Antlitz mit uns gehn,

bis wir ganz im Lichte stehn.

Amen.

 

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Lesehilfe: Diese Predigt wurde zum Anlass eines Jubiläums des Posaunenchors unserer Gemeinde geschrieben.



Pfarrer Andreas Schwarz
Pforzheim, Baden-Württemberg, Deutschland
E-Mail: p.andreas.schwarz@gmail.com

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