Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias , 02.02.2020

Das Schlüsselerlebnis
Predigt zu Offenbarung 1:9-18, verfasst von Manfred Mielke

Liebe Gemeinde,

haben Sie ein Schlüsselbund dabei? Mit ihrem Haustürschlüssel? Ich denke, dass jeder von uns den Schlüssel dabeihat, mit dem er nachher wieder in seine Wohnung kommt und den weiteren Sonntag zuhause verbringen kann. An unserm Schlüsselbund haben wir meist mehrere Schlüssel befestigt, die unterschiedlich wichtig sind. Auf die wirklich wichtigen passen wir besonders auf; ihr Verlust würde uns in arge Probleme bringen.

 

Im übertragenen Sinne sind wir von Schlüsselerlebnissen geprägt. Ich hatte ein Schlüsselerlebnis, von dem kann ich exakt Tag und Ort erinnern, und auch die Farben und Klänge. Es war Heilig Abend 1958, in einem Gottesdienst mit Krippenspiel. Kinder standen auf der Kanzeltreppe und spielten in weißen Gewändern auf Trompeten. Das kam für mich wie aus dem Himmel und hat mich als Kind tief ergriffen. Es wurde die Initialzündung des Hobbies, das mich seit Jahrzehnten in Schwung hält.

 

Von einem viel imposanteren Schlüsselerlebnis berichtet der Prophet Johannes. Sein originaler Buchtitel „Apokalypse“ spricht eine gewaltige Krise an unter dem Blickwinkel einer grandiosen Klärung. Johannes will Verborgenes so erklären, dass es seinen Lesern hilft. Um ihnen seine Glaubwürdigkeit aufzuzeigen, lässt er sein Berufungserlebnis Revue passieren. Mit präzisen Details zum Tag und Ort, zu Farben und Klängen, zu Worten und Blicken. Wir hören und sehen im 1. Kapitel der Johannesoffenbarung:

 

Ich, Johannes, war aufgrund meines Eintretens für Jesus auf der Insel Patmos. An einem Sonntag ergriff mich der Geist Gottes. Ich hörte hinter mir eine Stimme, laut wie eine Posaune, die mir befahl: „Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an sieben Gemeinden auf dem Festland.“ Ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Da erkannte ich - umringt von 7 Leuchtern - einen, der war einem Menschensohn gleich. Er trug ein langes Gewand, gehalten durch einen goldenen Brustgürtel. Seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht. Seine Gesichtshaut und Haare weiß wie Schnee. Seine Augen wie Stichflammen. Seine rechte Hand gefüllt mit 7 Sternen. Aus seinem Mund ragte ein zweischneidiges Schwert, und seine Stimme rauschte wie ein Wasserfall. Dies alles sehend, fiel ich wie tot zu seinen Füßen. Doch er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: „Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“ (Offenbarung 1, 9-18, bearbeitet)

 

Liebe Gemeinde,

Johannes vermutet, Gott und Christus in eins zu sehen, als ehrfurchtgebietendes Wesen. Das wirft ihn aus dem Gleichgewicht; wörtlich schreibt er: „Ich wurde ein Toter“. Dennoch kann er sehen und spüren, dass dieses Wesen nicht auf seine Vernichtung zielt. Zwar erscheint Gott wie ein stummer Sternenkrieger, aber was er dann sagt und in welcher Körperhaltung, passt eindeutig zum auferstandenen Christus. Das regt Fragen an. Ist dieselbe Person einmal Majestät und einmal Diakon? Und wie verteilen sich Zorn und Liebe auf Gottvater und Jesus Christus? Gibt es da eine Entwicklung, die Mut macht auch in Krisenzeiten?

 

Johannes reagiert auch nicht mit Kampf oder Abwehr. Gott baut sich zwar auf wie ein übermächtiger Goliath, aber Johannes zielt mit keinerlei Steinschleuder auf ihn. Um es vorweg zu sagen: Es wird einen Sinn haben, dass Gott sich so gibt, aber das Schlussbild zeigt ihn als Tröster, der sich so herabbeugt, dass Johannes wieder aufsteht. Was soll Johannes nun werden? Ein Unheilsprophet oder ein Heilsprophet? Wohin klärt sich Johannes, und wird er uns damit zu einem Vorbild?

 

Liebe Gemeinde,

mit einem Schlüsselbund in der Hand und sich herabbeugend – von diesen zwei Aspekten können wir zurückgehen zu den Anfängen, zu Johannes auf Patmos und zu dessen Hilfen gegen die Gotteskrisen damals wie heute.

Zuerst zur Person des Johannes. Beim Beschreiben der vielen Details seiner Gottes-Vision wiederholt er seine Nahtod-Erfahrung und auch seine Wiederbelebung. Vielleicht nur einmal, vielleicht mehrmals über Jahre. Auch wir können Erlebnisse von Übermacht/Ohnmacht besser eindämmen, wenn wir ihren seelischen Wiederholungen mit neuem Mut begegnen. Dafür hilft uns ein Gott, der uns seine Schlüssel anvertraut und ein Christus, der uns berührt und zumutet: „Fürchte dich nicht noch einmal!“

Für Johannes war es nicht die erste Ohnmachtserfahrung. Denn er ist raus aus seiner Berufung als Gastprediger in den Christengemeinden der Westtürkei. Auch von Paulus kennen wir Berichte, dass er verfolgt und ausgepeitscht wurde. Ihm, Johannes und anderen Jesus-Bekennern drohte ein schnelles Todesurteil, z.B. durch Knochenarbeit in Erzgruben oder zwischen Raubtieren bei Volksfesten.

Vielleicht war Johannes zur Strafe für seine Kompromisslosigkeit auf die kleine Felseninsel Patmos verbannt, vielleicht hat er sich erschöpft dorthin zurückgezogen – als Felsenmönch. Im Bild der Schlüssel gesprochen war er jedenfalls ausgeschlossen vom Netzwerk der jungen Kirche und eingeschlossen in seine inneren Bilder. Doch innerlich blieb er verbunden mit denjenigen, die weiterhin Strafaktionen des heidnischen Staates befürchten mussten. Die einzige Möglichkeit zu deren Ermutigung war eine seelsorgerliche Briefsammlung. Mit rätselhaften Bildern, verschlüsselt formuliert und praktisch gut zu schmuggeln.

 

Liebe Gemeinde,

die Christenverfolgung als geschichtlicher Hintergrund regt uns zu einem weiteren Gedanken an. Bisher dachten wir, dass die monumentale Gottgestalt sich selbst „entäußerte“ und zum barmherzigen Beistand wurde. Andersherum sehen wir, dass sich Gott gegen die Quälgeister seiner Christen selbst radikalisiert haben könnte. Gott kann angesichts von heidnischer Gewalt zum brüllenden Löwen werden, zu einer Sintflut oder einem Schwefelregen. Das erlaubt uns aber nicht, ihn zur Galionsfigur eigener Untergangsszenarien zu machen. Denn Gott sagt ja nicht: „I want you to panic – Ich möchte euch in Panik versetzen!“ Sondern er sagt als Christus: „Fürchte dich nicht!... Ich war ähnlich tot wie ihr, und bin auferstanden und halte die Schlüssel des Todes und der Hölle.“

Dazu kann er auf Stichflammen und Stichwaffen verzichten, wohingegen seine eher „soften“ Attribute unser Vertrauen wecken.

 

So verweist der goldene Brustgürtel darauf, dass der „Menschensohn“ in der Vollmacht eines Hohenpriesters für uns handelt. So verweisen die 7 Sterne in seiner Hand darauf, dass er für uns den Kosmos regiert. So verweist sein Schlüsselbund darauf, dass er Gottes Heilsordnung bewacht – für uns und mit uns. Diese Attribute der Majestät Gottes wandern über von seinem Outfit zu unseren Erkennungszeichen. Er trägt den priesterlichen Brustschmuck, was unser aufrechtes Handeln prägt. Er bewegt 7 Sterne, was uns die Verantwortung für seine Schöpfung in die Hände legt. Er beaufsichtigt die Schlüssel, was uns befähigt, weite Räume zu schaffen.

 

In diesem Sinne haben biblische Vorbilder ihre Schlüsselerlebnisse für uns zugänglich gemacht. Der Prophet Johannes erschließt uns, Gottesbilder zu unterscheiden; der Apostel Petrus erschließt uns Seelsorge und Nachfolge. Johannes wurde „entfürchtet“, Petrus wurde verpflichtet. Und beides – Entfürchtung und Verpflichtung – ergänzen sich. Sie sind die Initialzündung unseres Glaubens und prägen unsere Nachfolge.

 

So konnte sich der Prophet Johannes daran machen, sein Buch zu schreiben. Seine Seele war genesen und seine Berufung trug ihn für lange Zeit. Das lässt mich noch einmal zurückschauen auf seine Reaktion auf den Auftritt Gottes. Warum hat Gott ihm die zugemutet und sich selbst auch? Warum hat sich Gott nicht an sein eigenes Bilderverbot gehalten, so wie damals bei Mose? Als Mose seine Beauftragung hörte, wollte er sich „face-to-face“ bei Gott absichern, doch der erwiderte ihm: „Wenn meine Herrlichkeit vorüberzieht, stelle ich dich in den Felsspalt und halte meine Hand über dich, bis ich vorüber bin. Dann ziehe ich meine Hand zurück und du wirst meinen Rücken sehen. Mein Angesicht kann niemand schauen.“ (2. Mose 33, 22f)

 

Johannes, der Prophet auf Patmos, kannte dieses Schlüsselerlebnis des Moses, bei dem Gott auf eine Konfrontation verzichtete. Kann es sein, dass Johannes sich schützte, indem er sich totstellte? Dass er wartete, bis Gott in Christus sich herabbeugen würde und ihm in seine neue Aufgabe hineinhilft?

 

Wir brauchen wie Johannes die Neubelebung durch Christus und wir belassen wie Johannes das Gewaltmonopol bei unserem Schöpfergott. Für die Zeitphasen und die Zwischenstadien dazu hat er die Schlüssel in Händen, wobei er uns ja sein Ziel schon mitteilte: „Siehe, ich mache alles neu!“ Das ist zugleich Ziel und Anfang – für Johannes, für uns, für Gottes Zeit und Ewigkeit.

Amen.

 

____________ 

Vorschlag für ein Lied:

Das wird ein Tag sein, großer Gott,

an dem du kommst, dem Tod zum Spott,

zum Abbruch all des Bösen.

Ein Traum wird wahr. Ganz wunderbar

kommst Du, uns zu erlösen.

 

Das wird ein Fest sein und ein Tanz,

die Dunkelheit vertreibt dein Glanz,

wir werden froh sein, lachen.

Und unser Mund, von Herzensgrund,

rühmt dich, du Trost der Schwachen.

 

Das wird dein Tag sein, deine Zeit,

du wischst die Tränen ab und Leid

wird Menschen nicht mehr plagen.

Du, Gott bist treu, machst alles neu.

Wir müssen nicht verzagen.

 

(Text zu Psalm 126 von Eugen Eckert 1993; Melodie Andreas Neuwirth 1994; auch zur Melodie EG 473 Mein schönste Zier und Kleinod)

 

____________ 

Vorschlag für eine Fürbitte:

 

Gott, Grund unserer Hoffnung, widersprüchliche Gefühle bewegen uns, in uns sind Angst und Hoffnung, wenn wir an die Zukunft denken. Du bringst beides zusammen. Dich rufen wir an:

R: Kyrie eleison.

Du erinnerst uns an das Ende der alten Welt, indem du (von neuem) kommst (mit deinem Reich). Wir warten auf dich. Wir warten auf Frieden für unsere Welt. Wir warten auf Frieden für uns, Hoffnung, die sich durchsetzt. Dich rufen wir an:

R: Kyrie eleison.

Wir bitten dich für die Enttäuschten: Bewahre sie vor Verzagen und Resignation. Schenke ihnen neuen Mut. Dich rufen wir an:

R: Kyrie eleison.

Wir bitten dich für die Einsamen: Gib ihnen Menschen an ihre Seite, die sie die Liebe wieder fühlen lassen. Dich rufen wir an:

R: Kyrie eleison.

Wir bitten dich für alle, die das Leben in sich gerade nicht spüren können. Gib ihnen Träume, die kleine Hoffnungen wachsen lassen. Dich rufen wir an:

R: Kyrie eleison.

Wir bitten dich für uns selbst: Hilf uns, einander anzunehmen. Schenke uns Geduld für das, was wachsen will bei uns und bei anderen. Dich rufen wir an:

R: Kyrie eleison.

Als deine Söhne und Töchter beten wir gemeinsam (um das Kommen deines Reiches):

 

Aus: E. Domay / H. Köhler (Hg): der gottesdienst. Liturgische Texte in gerechter Sprache, Band 1: Der Gottesdienst, Gütersloh 1997, S. 607

 

____________

Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn und Ruanda. Instrumentalist und Arrangeur.

 



Pfarrer. i.R. Manfred Mielke
46519 Alpen, Deutschland
E-Mail: Manfred.Mielke@ekir.de

(zurück zum Seitenanfang)