Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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3. Sonntag nach Epiphanias
23.1.2000
2. Könige 5, 1-18

Heinz Behrends

Homiletische Vorüberlegungen

"Sie haben Glück heute, liebe Gemeinde.

Denn heute hören Sie eine der schönsten, vielleicht noch für sie verborgensten Geschichten der Bibel: die Geschichte vom Propheten Elisa, dem Feldhauptmann Naaman, seiner Krankheit und seiner Heilung.

Naaman ist ein großer Offizier in Diensten des Königs von Aram im stolzen Damaskus. Er ist zum zweiten Mann im Staat aufgestiegen, denn er hat die letzten Kriege zugunsten seines Königs entschieden können. „In der Kraft des Herrn“, wie der Erzähler verblüffenderweise von dem Feldhauptmann erzählt, der nicht zu dem Volk Jahwes gehört. Der Herr hat ihn schon in den Blick genommen, ehe er selbst darum wußte. Ein stattlicher Mann also, Karriere, Menschen, die ihm folgen, geachtet und respektiert. In seiner äußeren Erscheinung findet sein erfolgreiches Leben seinen Ausdruck.

Nur ein Problem hat er. Er hat eine Hauterkrankung, eine Schuppenflechte vielleicht. "Aussätzig" sagt die Bibel. Wer von uns jemanden kennt, der Schuppenflechte hat, der weiß, wie unangenehm das ist. Da fühlt man sich nicht wohl in seiner Haut. Vielleicht sogar kehrt die Krankheit der Haut das innere Unbehagen, die Anspannung des Feldhauptmannes, die Krankheit der Seele nach außen. Der in seiner Macht und seinem Stand sich unberührbar gemacht hat, den mag man nun wirklich nicht mehr berühren zu dem hält man Distanz. Es sei denn, daß man ihn sehr liebt.

Die Leute des Naaman läßt das Geschick nicht kalt. Es spricht sich herum, bis ein junges Mädchen es hört. Es bleibt namenlos, Soldaten des Naaman haben es bei einem Grenzübergriff nach Israel entführt, einfach mitgenommen. Aber sie hatte Glück, offensichtlich, denn sie darf im Hause des Naaman als Sklavin dienen. Sie hat ihren Herrn in seiner Mischung aus Stolz und Hilfsbedürftigkeit oft genau beobachtet und seine Not erkannt. Ihm selbst kann sie nicht von ihrem stillen Gedanken erzählen. "Ach, wär er bei uns zu Hause in Samaria, der Prophet würde ihm sofort helfen." Darum erzählt sie ihren Einfall aber der Frau des Naaman. Die beiden Frauen, die sich um den großen Mann sorgen. Es gibt so ein stellvertretendes Vertrauen. Ich bin noch nicht so weit, aber andere glauben und hoffen für mich.

Naaman hört auf seine Frau. Alles, was ihn wieder wohl in seiner Haut sein läßt, ist gut. So beginnt er, Grenzen zu überschreiten, woran er vorher im Leben nicht gedacht hat. Seinen König zu bitten, ob er ausreisen darf in das Land des Königs von Israel, damit fängt das schon an. Denn die Beziehungen zwischen den beiden Reichen sind schon immer angespannt. Man beobachtet genau, was der andere tut. Aber der König von Aram sieht die Not seines Feldhauptmannes. Er schreibt einen Brief an den König in Israel. Natürlich schreibt er nicht an den Propheten. So was regeln die Mächtigen unter sich.

Die Abreise des Naaman sorgt kräftig für Aufsehen in Damaskus. Er bepackt seine Lasttiere, aber dieses Mal nicht mit Waffen, um in den nächsten Krieg zu ziehen, sondern mit sechstausend Goldklumpen und zehn Festkleidern, nicht genug, noch zehn Zentner Silber dazu. Ein Silberstück ist der Arbeitslohn eines Arbeiters. Er schleppt also ein ganzes Vermögen mit. Er meint es gut, er will beschenken, aber für den sensiblen Beobachter bricht hier das Bild: Der Mann wählt alle Mittel, die ihn groß machen, aber seine kranke Haut macht ihn ganz klein.

So bricht er mit seinem Gefolge auf nach Israel, erreicht die Burg des Königs und übergibt ihm den Brief des Königs aus Aram. Der staunt nicht schlecht, als er ihn liest. Nein, er ist vor den Kopf geschlagen. "Ich habe meinen Knecht Naaman zu dir geschickt, daß Du ihn von seinem Aussatz befreist," steht da drin. Herrlich, mögen wir denken. Welch Vorstellung die da voneinander haben! Wenn jemand heilen kann, dann nur der Mann, der mit entsprechender Macht ausgestattet ist. Doch Jehoram, der König von Israel, ist ein frommer Mann. "Bin ich Gott, daß ich einen Menschen vom Aussatz heilen könnte!" Diese Frage ist eine Lästerung Gottes. Er zerreißt seine Kleider, wie man das tut, wenn man trauert, weil jemand Gott gelästert hat. Das darf doch wohl nicht wahr sein. Das muß der doch wissen. Das ist wohl wieder eine dieser Provokationen des Königs von Damaskus! Da löst doch die Schuppenflechte des Naaman und seine Suche nach Heilung fast den nächsten Krieg aus.

Wenn da nicht der Mann Gottes wäre, Elisa, der Prophet. Der muß sich selber melden, denn der König ist nicht gut auf ihn zu sprechen. Der hat vor kurzem noch seine Verehrung der Stierbilder in Bethel kritisiert. Aber Elisa ist bekannt für seine unkonventionellen Lösungen überall dort, wo Menschen in Bedrängnis sind. Ein beeindruckend selbstbewußter Kerl. Er hat so gar nichts von der leidenden, selbstgrüblerischen Art seines Lehrers Elia. Er ist sich seines Amtes völlig sicher. "Eh, König, was zerreißt du deine Kleider? Schick ihn zu mir. Du meinst zu erkennen, daß er böses im Schilde führt. Der soll erkennen, daß es einen Propheten in Israel gibt." Am Ende der Geschichte wird es der Heide Naaman sein, der die stärkste Erkenntnis zum Ausdruck bringt, nämlich daß es keinen Gott in allen Landen gibt außer in Israel. So steigt Naaman wieder auf seinen Wagen, die Pferde rücken los von der Burg des Mächtigen und ziehen die ganze Karawane mit Gefolge zum Haus des Propheten. Auf das im Vergleich zur Burg kleine Haus des Elisa hatte er sich ja vielleicht eingestellt, aber dass der nicht in der Höflichkeit und Ehrerbietung aus seiner Tür tritt und den vornehmen Mann aus Syrien begrüßt, das irritiert ihn. Der kommt nicht mal selbst heraus, sondern schickt einen seiner Schüler als Boten. Heute keine Sprechstunde, ist in deinem Fall auch gar nicht nötig.

"Der Prophet läßt dir sagen, geh hin zum Jordan und wasche dich siebenmal im Jordan, so wird dir dein Fleisch wieder heil und du wirst rein werden." Elisa hat das als kluger Mann genau überlegt: Wenn ich jetzt mit ihm persönlich Kontakt aufnehme, dann meint er am Ende, er sei geheilt durch meine Kraft. Aus der Sicht Naamans sieht das anders aus: Nachdem er sich von seiner Verdutztheit erholt hat, steigt Ärger in ihm auf. Hat der es doch nicht mal nötig, herauszukommen. Geschweige denn, daß er hier vor meinen Augen die ganze Kraft seines Gottes entfaltet. Wie soll sein Gott von meiner Not erfahren, wenn er ihn nicht anruft?

Naaman hat sich inzwischen auf so viel neues einstellen müssen, hat soviele Grenzen schon überschritten. Das ist hier jetzt zuviel. Die alten schlummernden Kräfte erwachsen wieder in dem starken Feldhauptmann. Was, hier bei ihm ins Wasser steigen? Wasser haben wir selbst, viel besser und viel mehr. Wir haben die Wasser von Damaskus, von Abana und von Parpar. Baden kann ich auch zu Hause. Dazu muß ich nicht diese weite Reise machen. Ruft es und wendet sich ab vom Hause des Propheten.

Die Bediensteten in seinem Gefolge sind wie benommen. Wollte er nicht wieder gesund werden? Ist er durch seinen Ärger wieder geheilt worden? Die ganze Karawane fängt an, sich Richtung heimwärts zu bewegen, da tasten sich seine treuen Gesellen an ihn heran. Sie lieben ihn. Da ist über die Jahre eine fast vertrauensvolle Beziehung zu ihrem Vorgesetzten gewachsen. "Lieber Vater," sagen sie. Was hat er unmögliches von dir verlangt, Herr? Mach's doch einfach. "Wasche Dich und du wirst rein."

Und wieder ist es der Glaube der anderen, der kleinen Leute, der ihn zu retten beginnt. "Er tauchte unter siebenmal und sein Fleisch wurde rein wie das Fleisch eines jungen Knaben." Es gibt einen stellvertretenden Glauben. Das klingt merkwürdig, aber es ist so. Da bist du irgendwie unten und ein Mensch, der mit dir denkt und fühlt, sagt: Komm, versuch es doch, mach doch mal, steh auf. Das ersetzt nicht mein Tun, aber als vertrauensstärkende Maßnahme ist es oft entscheidend. Naaman jedenfalls läßt sich mitziehen von seinen Knechten, den einfachen Leuten, die immer das stärkere Herz und das verläßlichere Gespür haben für das Mögliche und Unmögliche. Und Naaman taucht unter, siebenmal im Fluß. Der Erzähler muß nicht viele Worte machen, um zu sagen, daß Gott dabei ist. Siebenmal, sieben, die Zahl der Vollkommenheit.

Später werden die Fachleute für die Seele, die Psychologen, uns darauf hinweisen, daß das Untertauchen ein Bild für das Abtauchen ins Unbewußte sein kann. Wie ein Kind taucht er ab, siebenmal, und läßt alles los, läßt alles von sich abfallen, wie ein Kind, das sich vor Freude ins Wasser tauchen läßt. Die Taufe läßt grüßen. Naaman tut es selbst. Frei nun von allen auferlegten Zwängen, die seine Haut spröde gemacht haben, und er taucht tatsächlich auf als ein Knabe.

Der Erzähler entfaltet seine ganze Lust an diesem Teil seiner Geschichte. Mit dem „Fleisch eines jungen Knaben“ ist er wieder rein. Er hat seine alte Haut abgeworfen.

Nun fällt es ihm nicht schwer, die Macht des Gottes Elisas zu erkennen und zu rühmen. Er kehrt zum Haus des Propheten zurück und lobt den Gott, der größer als alle anderen ist. Denn der hat ihn geheilt.

Aber wieder verlangt der Prophet ihm alles ab, daß er ein weiteres Mal über seinen Schatten springen muß. Wer sich auf den Weg des Glaubens macht, der ist eben nicht einfach fertig.

Da will Naaman seine ganze Freude und seinen Dank zum Ausdruck bringen und das ganze Gold und Silber und die zehn Festkleider dem Propheten überreichen. Aber der lehnt einfach ab, gibt ihm nicht die Gelegenheit zur Konvention, zur gönnerhaften Geste, die den Offizier wieder in den Mittelpunkt stellen würde. Elisa lehnt jedes Geschenk ab. Um Gott allein geht es.

Naaman kann sich schnell umorientieren und sich wieder auf seine Heilung konzentrieren. Der da aus dem Wasser wieder aufgetaucht ist wie neugeboren, der hat noch einen Wunsch: soviel Erde aus Israel mit nach Hause nehmen möchte er wie zwei Esel tragen können. Die Erde hat ihn wieder, er möchte sich wieder verwurzeln. Und er gibt Einblick in sein treues Gemüt und spürt, daß er nach all diesen Erfahrungen nicht einfach so weiter leben kann wie bisher. Wie soll das gehen, wenn er wieder zu Hause ist und sein König und seine Familie wieder zu den Göttern des Landes Syrien beten. Brandopfer bringen, das wird er nie wieder tun können, aber mitbeten, das möchte er. Doch wie soll das gehen? "Wenn mein König sich im Tempel an meinen Arm lehnt, um mit mir zum Gott Rimmon zu beten, was mach ich dann?"

Die Geschichte schließt mit der kurzen Antwort Elisas. Eine große Geste der Versöhnung und des Friedens über alle Grenzen der Religion und der Konfession hinweg. "Geh hin in Frieden," sagt der Prophet. Genauer heißt es sogar: Geh hin zum Frieden. Geh nach Hause, wo der Friede auf dich wartet. Bete mit ihm. Der Gott, der dich geheilt hat, ist ein großer Gott, kein kleinlicher Erbsenzähler.

Eine wundervolle Geschichte ist das: Ein Mensch sucht Besserung, er hat die einfachen Leute um sich, die ihn tragen und ermutigen, er findet den Mann Gottes, der einen Weg zeigt. Er handelt selbst und erkennt. Das ist mein Weg des Glaubens. Und ich bin geheilt. "Geh hin zum Frieden." Damit entläßt ihn der Prophet in ein Leben, das nicht mehr umkehrbar ist. "Siehe, nun weiß ich, daß kein Gott in allen Landen ist außer in Israel."

Homiletische Vorüberlegungen

Eine der schönsten Geschichten der Bibel ist das. Sie spricht immerzu von Gott, ohne von ihm zu reden. Eine Erzählung mit vielen Spannungsbögen und Gegensätzen: einflußreicher Herr und Sklavin, König und Prophet, krank und gesund, mächtig und stark. Die Geschichte wird erzählt ohne Abstriche. Die Klammern im Textvorschlag sind zu übersehen. Die Stärke der Erzählung ist die Liebe der kleinen Leute, ihr Vertrauen und ihr Wissen, ist die Souveränität des Propheten und die stolze, tapsende, am Ende erfolgreiche Suche des Naaman. Da sie in der Tradition der Predigthörer nicht sehr bekannt ist, rede ich nicht über die Geschichte, sondern erzähle sie mit reflektierenden, aktualisierenden Einschüben.

Heinz Behrends, In der Worth 7, 37077 Göttingen
Tel/fax 0551/21222
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e-mail elkn@t-online.de


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