Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
(Tipps zum Speichern und Drucken: Hier klicken)

Letzter Sonntag nach Epiphanias
13.2.2000
Offenbarung 1, 9-18

Rudolf Rengstorf

Liebe Gemeinde!

Ich möchte Sie heute morgen in eine Welt entführen, von der uns neunzehn Jahrhunderte trennen und die auch räumlich ein ganz anderes Aussehen hat als die uns vertraute Welt an der Niederelbe. Ich möchte Sie mitnehmen in den Mittelmeerraum, die Wiege unserer Zivilisation. Dieser Raum ist einzigartig darin, daß er von drei Kontinenten umgeben wird und einer Vielzahl von Kulturen. Einzigartig war er zu der damaligen Zeit aber auch deshalb, weil er von einer einzigen politischen Macht zusammengehalten und beherrscht wurde, von der Herrschaft der römischen Kaiser. Ihnen war gelungen, was vorher und nachher keine andere Macht fertiggebracht hat, nämlich die Fülle unterschiedlichster Völker, Kulturen und Religionen in einem Weltreich zusammenzufassen. Möglich war das den Römern deshalb, weil sie auf der einen Seite den Pluralismus dieser Vielvölkerwelt in durchaus liberaler Weise erhielten: Die Menschen konnten weiterhin mit ihrer Muttersprache leben, sie konnten wirtschaften und sich vergnügen, wie sie wollten, und konnten glauben, was sie wollten. Solange eines gewährleistet war – und dies war die andere Seite - , daß sie ihre Steuern zahlten, Recht und Ordnung nicht in Frage stellten und dem Kaiser die Ehre gaben, die ihn als Herrn der Welt weit über alle ihre Götter erhob.

Die einzigen, die sich hartnäckig dagegen wehrten, waren die Juden und die Christen. Mit dem Widerstand der Juden hatten sich die Römer aber halbwegs abgefunden, solange er nicht gewalttätig wurde. Als geradezu beleidigend und als subversiv, weil ihre Herrschaft von Grund auf unterminierend, aber empfanden sie die Religion der Christen. Weil die einen von den Römern gekreuzigten und erledigten Aufrührer als den wirklichen Herrn der Welt propagierten. Damit gaben sie die überall geforderte Anbetung von Macht und Erfolg ja der Lächerlichkeit preis. Am Ende des ersten Jahrhunderts entschlossen sich die Römer erstmalig, dem Treiben der Christen, die in allen Teilen des Weltreiches auftauchten und von sich reden machten, durch systematische Verfolgung Einhalt zu gebieten. Durch gezielte Terroraktionen versuchten sie Angst und Schrecken zu verbreiten. Keine der kleinen Gemeinden war mehr sicher davor, daß einer ihrer Vorsteher aus durch Folter oder Hinrichtung zum Schweigen gebracht oder durch die Verbannung aus dem Verkehr gezogen wurde.

So hatten sie es auch mit Johannes gemacht, einem Prediger, der in sieben kleinasiatischen Gemeinden tätig war. Auf die kleine Felseninsel Patmos hatte man ihn verbannt. Von dort schreibt er seinen in Bedrängnis geratenen Gemeinden einen langen Brief, die sogenannte Offenbarung des Johannes. Da heißt es nach einigen Eingangssätzen im ersten Kapitel: (Text)

Am Tage des Herrn weiß sich der einsame Prediger natürlich besonders verbunden mit seinen Gemeinden, die sich Sonntag für Sonntag an den Worten des Auferstandenen aufrichten: „Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot und siehe, ich bin lebendig und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“ Aber was hilft es, wenn sie sich auch an diesem Sonntag versammeln und sich diese Worte sagen lassen? Wo sie doch zittern vor den römischen Spitzeln, weil es sein kann, daß es das letzte Mal ist, daß sie sich überhaupt treffen können und keiner einen Schlüssel, einen Ausweg aus ihrer bedrängenden Lage hat?! Und erst recht, was hilft es dem Johannes davon zu hören, daß Jesus den Schlüssel für Tod und Hölle hat, wo er hier total abgeschottet leben muß und es auch nicht die geringsten Anzeichen dafür gibt, daß die Römer ein Einsehen haben und ihn wieder auf das Festland lassen?! Was hilft die Geduld, mit der seine Leute drüben und er hier an dem Gekreuzigten festhalten, wenn von Ostern aber nichts zu spüren ist?

Doch, es ist etwas zu spüren. Denn es bleibt nicht bei den Worten. Sie werden gestützt und bewahrheitet durch eine umwerfende Entdeckung. In der Tat: Entdeckung! Er bekommt etwas zu sehen, was alle Vorstellungs- und Einbildungskraft sprengt. Darum ist keine Rede von einem Traum oder einer Vision, die man als Wunschphantasie einer bedrängten Seele erklären könnte. Kein Wort davon. Nein, ihm begegnet eine Wirklichkeit, die mächtiger ist als alles, was er vor sich hat. Er braucht sich bloß umzudrehen, hinzuwenden zu dem, was er im Rücken hat. Da entdeckt er die Wirklichkeit, die bedrängten Christen den Rücken stärkt und ihnen den aufrechten Gang ermöglicht. Da sieht er seine kleinen verängstigten aber standhaften Gemeinden als sieben goldene Leuchter. Oder sind sie etwas anderes, jene Christengemeinden, die durch ihre Standhaftigkeit den Glauben an Christus als glaubwürdig erwiesen und ihm Leuchtkraft verliehen haben – bis in unsere Zeit? Unsere ganze Kultur, unsere humane Werteordnung wäre gar nicht denkbar, wenn sich die Christen damals unter dem Druck der Römer verkrümelt hätten. Was ihnen den Rücken gestärkt hat, war realer, nachhaltiger als die Wirklichkeit, die die Nichtchristen für die einzige hielten.

Und dann kommt das, nein er, der ihnen den Rücken gestärkt hat, selbst in den Blick:

  • eine Gestalt wie ein Mensch, aber eben zugleich viel mehr. Eine Gestalt in göttlichem Glanz – gewandet wie ein Herrscher
  • mit Augen wie Feuer, weil sie alles Dunkel durchdringen, es hell und warm machen
  • auf Füßen, die durchs Feuer gehen und pure Energie verkörpern, denn durch nichts und niemanden kann er aufgehalten werden
  • seine Stimme wie ein großes Wasserrauschen, weil sie unerschöpflich durch die Zeiten und die Kontinente dringt und durch nichts und niemanden zum Verstummen gebracht werden kann
  • und dann die Entdeckung, die in der Mitte steht: Christus hat die sieben Gemeinden wie Sterne in seiner Hand. Auf Münzen der damaligen Zeit wird der römische Kaiser dargestellt mit dem Siebengestirn als Sinnbild des Kosmos in der Hand: der Herrscher des Alls. Nichts als Einbildung. Die Wirklichkeit kommt hier in den Blick. Die Wirklichkeit, von der die Gemeinden, an die Johannes schreibt, leben. Sie leben davon, daß Christus sie wie Schmuckstücke behutsam in seiner Rechten hat. Von ihm gehalten und getragen zu werden, so sieht Johannes, das macht die Wirklichkeit aus!
  • Und schließlich jene Beobachtung, die Johannes auszudrücken versucht mit den Worten von dem Munde Christi, aus dem ein scharfes zweischneidiges Schwert geht: Ist das nicht wirklich so, daß seine Worte eindeutig zwischen Gut und Böse trennen und mit unwiderstehlicher Eindringlichkeit das Recht der Schwachen und Entrechteten und Beleidigten zur Geltung bringen und damit unser Gewissen schärfen?

Ich habe Sie mitgenommen in die Welt am Ende des ersten Jahrhunderts nach Christi Geburt im römischen Weltreich; habe sie mitgenommen, um uns von Johannes hinter der vordergründigen Realität die Wirklichkeit vor Augen führen zu lassen, die sich durchsetzt. Auf dem Weg zurück in unsere Welt lassen Sie mich noch kurz Station machen bei einem Christen, dem in seinem Widerstand gegen die widergöttliche Macht der Nazis auch der Rücken gestärkt wurde von der unbezwingbaren Wirklichkeit Christi. Helmut James Graf von Moltke schreibt nach seiner Verurteilung zum Tode durch den Volksgerichtshof des Herrn Freisler an seine Frau:

„Er, Christus, hat sich die zwei Tage so fest und klar geführt: Der ganze Saal hätte brüllen können wie der Herr Freisler, und sämtliche Wände hätten wackeln können, und des hätte mir gar nichts gemacht. Es war wahrlich so, wie es in Jesaja 43,2 heißt: So du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht sollen ersäufen; und so du durch Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen – nämlich deine Seele.“

Und wenn wir nun wieder zurückkommen in unser Leben und auf das, was uns heute bedrängt und zu schaffen macht: haben wir nicht Grund, es mit anderen Augen zu sehen? Mit Augen, die achten auf die Kraft, die uns bisher davor bewahrt hat, uns und andere aufzugeben, und die uns bei aller Gebrochenheit hält und trägt? Es ist die Kraft des Auferstandenen, der auf uns zutritt mit den Worten „Fürchte dich nicht. Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige!“ Amen.

Superintendent Rudolf Rengstorf, Ritterstr. 15, 21680 Stade, Fax: 04141 - 45510


(zurück zum Seitenanfang)