Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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3. Sonntag vor der Passionszeit
20.2.2000
Jeremia 9,22-23

Peter Kusenberg

Liebe Gemeinde,

es gibt Dinge im Leben, auf die ein Mensch stolz sein kann: dazu gehören insbesondere Leistungen, Erfolge und Verdienste. Stolz sein kann ich vor allem dann, wenn auch andere Menschen der Ansicht sind, dass ich etwas Besonderes darstelle oder kann. Wenn jemand mich mit den Worten lobt: „Darauf kannst du aber stolz sein“, dann drückt das aus, dass er oder sie anerkennt, was ich kann oder leiste.

Auf solche Anerkennung ist jeder Mensch angewiesen. Nicht nur, weil manche Leistungen unerlässlich sind für berufliches Fortkommen, z.B. Prüfungen, Zeugnisse oder Examen – auch im Privaten oder im Vereinsleben hebt Anerkennung das Gefühl, etwas wert zu sein. Menschen, denen Anerkennung versagt bleibt, die nichts haben, worauf sie stolz sein können, werden krank – an der Seele und nicht selten auch körperlich.

Von Dingen, die stolz machen, von Eigenschaften, die Anerkennung bringen, ist im heutigen Predigttext die Rede: „So spricht der Herr: ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums! Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne.“

Lassen Sie sich nicht stören von dem Ausdruck „sich rühmen“: sich einer Sache rühmen, hat nichts mit Angeberei oder Aufschneiderei zu tun – im Gegenteil, die etwas aus der Mode gekommene Formulierung sagt genau das, wovon bisher die Rede war: wer sich einer Tatsache oder Eigenschaft „rühmt“, kann mit Fug und Recht darauf stolz sein, sich etwas darauf einbilden.

Nun sagt aber der Predigttext das Gegenteil: man solle sich nichts einbilden. Und drei Beispiele sind genannt, auf die sich viele Menschen aus gutem Grund eine Menge einbilden und stolz ihre Leistungen vorweisen: Bildung, Macht und Geld. Aber nun höre ich, der Gebildete soll sich nichts auf sein Wissen einbilden, der Einflussreiche soll nicht stolz auf seine Macht sein, und gut zu verdienen sei kein Grund für Anerkennung. – Nur wer klug sei, Gottes Willen zu erkennen, habe das Recht, stolz zu sein.

Ein hartes Wort, das Gott dem Jeremia zu predigen gibt: all das, was Menschen so gern zu erreichen suchen – das war schon damals so – und worauf sie stolz sind, wenn sie es erreicht haben, all das wird hier beiseite getan. Kein Grund, auf Wissen, Einfluss oder Besitz stolz zu sein.

Ein hartes Wort, widerspricht es doch der allgemeinen Lebenserfahrung. Wissen hilft weiter, ob im Beruf oder privat. Autorität und Einfluss vermögen Dinge in die gewünschte Richtung zu lenken, und Wohlstand erlaubt mehr an Freizeit, an Besitz, an Lebensqualität. Warum sich also nicht freuen, nicht stolz sein auf das, was ich bin, was ich habe, was ich kann?

Ist dies unbequeme Wort also wieder einmal so ein erhobener Zeigefinger saurer Moral, wie Kritiker sagen würden? Wieder einmal „typisch Kirche“? Wollte Jeremia seinen Zeitgenossen die Lust am Leben, am Erfolg schlecht machen?

Ich glaube das nicht. Jeremia war nämlich ein Priestersohn, und er kannte sich deshalb in den Überlieferungen der Geschichte Gottes mit seinem erwählten Volk aus. Er sah, wie sehr die Menschen seiner Zeit das Bewusstsein ihrer persönlichen Beziehung und Verantwortung Gott gegenüber verloren hatten – verglichen mit früheren Epochen lebendigeren Glaubens.

Jeremia sieht es als seine Aufgabe, die Leute aufzurütteln, ihnen den Spiegel ihrer Selbstzufriedenheit vorzuhalten. Euer Glaube ist totes Ritual, wenn ihr im Tempel eure Frömmigkeit zur Schau stellt, eure Almosen gebt, und ansonsten meint, für Gott seien die Priester zuständig.

„Wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne: dass ich der Herr bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der Herr.“ In Jeremias Worten kommt zum Ausdruck, dass Gott der Maßstab des Lebens ist. Und mit einem Mal wird deutlich, dass es ihm gar nicht darum geht, die in den voran gegangenen Sätzen erwähnten Werte wie Bildung, Einfluss und Besitz als schlecht zu verwerfen, sondern sie in der richtigen Reihenfolge zu sehen.

Wissen, Macht, Reichtum – schön und gut, sagt Jeremia. Aber das zählt nicht von selbst. Sondern was ihr damit anstellt, darauf kommt es an. Wie jede und jeder einzelne von euch die Gaben gebraucht: lasst ihr andere Menschen Teil haben daran, oder sind sie für euch Mittel, euch über die anderen zu erheben?

Wer sein Wissen nur darauf verwendet, die eigenen Vorteile zu suchen, hat keinen Grund, stolz auf dies Wissen zu sein. Wer seine Machtposition immer weiter ausbaut, um die anderen unten zu halten, braucht sich nichts auf seine Stärke einzubilden. Und an einer rücksichtslosen Vermehrung des eigenen Reichtums ist nichts Rühmliches.

Ich kenne ein russisches Märchen: Darin hat ein reicher Mann, der zeitlebens hartnäckig auf seinem Geld gesessen hat, seinen Dienern befohlen, ihm nach seinem Tod eine große Summe Geld in den Sarg zu legen, damit er für das Leben im Jenseits gerüstet sei. Der reiche Mann stirbt, die Diener tun wie befohlen, und als der Reiche im Himmel anlangt, sieht er eine Tafel schönster Speisen.

Er fragt: „Was kostet eine Mahlzeit hier?“ – „Einen Pfennig“, erhält er zur Antwort. – „Wie billig“, denkt er und beglückwünscht sich im Stillen zu seiner klugen Voraussicht, nicht mittellos ins Jenseits gekommen zu sein. Doch als er eine Münze zum Bezahlen zückt, erlebt der reiche Mann eine böse Überraschung: „Dies Geld hat hier keine Gültigkeit“, wird ihm nach einem prüfenden Blick auf die Münze erklärt. „Wir nehmen hier nicht das Geld, das du besitzt, sondern das, was du verschenkt hast. Hast du solches Geld?“ Da senkte der Reiche die Augen. Solches Geld hatte er nicht.

„Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums! Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, spricht der Herr.“

Das Wesentliche in diesen Worten – so viel habe ich jetzt verstanden – ist nicht eine Bewertung von Gelehrsamkeit, Einfluss oder Finanzkraft – und die Liste lässt sich ja noch beliebig fortsetzen –, sondern der Gedanke: Gott hat ein Interesse daran, wie ich solche Güter verwende. Sind sie nur Selbstzweck, so mag ich mich meinetwegen stolz fühlen oder den Neid anderer auskosten, Gottes Anspruch aber werde ich nicht gerecht.

Gott erwartet Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit. Die können nur Gestalt annehmen, wo Egoismus und Ellenbogen-Mentalität weichen, wo mein Blickfeld nicht beschränkt ist auf das eigene Wohlergehen (und vielleicht noch das derjenigen, die mir nahe stehen).

Helfen kann mir dazu folgender Gedanke: wie selbstverständlich sind mir die Dinge meines Alltags, das, was ich besitze, woran ich mich freue? Ist es nicht so, dass manchmal erst eine berufliche Krise, eine Krankheit oder ein Unfall, oder das Zerbrechen einer Liebesbeziehung mir auf harte Weise klar macht, auf welch dünnem Eis sich meine scheinbar sichere Existenz bewegt?

Wie vielen Zufällen oder glücklichen Umständen verdanke ich im Grunde mein geborgenes und ruhiges Dasein? Meine großen und kleinen Besitztümer – sehe ich sie als etwas, worauf ich ein Anrecht habe, oder als Geschenke? Dass ich lebe – ist es mein Verdienst?

Ich denke, es ist deutlich geworden, dass Gott nicht von mir erwartet, dass ich mich schäme, weil ich etwas besser kann als andere, vielleicht mehr zu sagen habe als andere oder mir mehr leisten kann. Aber einen Grund, stolz darauf zu sein, habe ich erst dann, wenn ich nicht vergesse, von wem es kommt: von Menschen, die mich großgezogen haben, mir ihre Liebe schenken und ihre Erfahrungen vermitteln – und von Gott, der mich mitten unter diese Menschen gestellt hat.

Amen.

peter.kusenberg@kirche-erbsen.de


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