Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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2. Sonntag vor der Passionszeit
27.2.2000
2. Korinther 12, 1-10

Elisabeth Tobaben
Liebe Gemeinde!

Fürsten, Könige und Kaiser hielten sich bei Hofe in früheren Zeiten, wenn sie klug waren, ihren eigenen “Hofnarren".
Dieser Witzbold konnte sich erlauben, Mißstände anzuprangern, ohne dafür bestraft zu werden.
Er konnte ohne Risiko ansprechen, was viele dachten.
Die konnten ihn dann dafür beklatschen und bejubeln, und fanden so ein Ventil für ihren eigenen Ärger, ihre Ratlosigkeit oder hilflose Wut dem Mächtigen gegenüber.
Und der Narr konnte dem Herrscher oft sehr direkt und deutlich die Meinung sagen, ohne dass er gleich dafürgeköpft worden wäre sodass die Mächtigen sogar etwas verändern konnten, ohne dabei das Gesicht zu verlieren.
Oft trat er bunt verkleidet auf, hüpfend und tanztend vielleicht und mit bimmelnden Glöckchen.
Jedenfalls war er so, wie normalerweise nie jemand von uns ernsthaft herumlaufen würde, ein bißchen wie ein heutiger Zirkusclown.
Ein Hofnarr konnte die Wahrheit sagen, ohne zu sehr zu verletzen.
Er konnte das treffend aber humorvoll, so dass alle unwillkürlich lachen mußten.
Kabarett und Büttenreden haben vielleicht heute jedenfalls ein bißchen diese Funktion.
“Lachen ist gesund" sagt das Sprichwort, und tatsächlich: was mich erstmal zum Schmunzeln bringt, ist schon nicht mehr ganz so schlimm. Es verliert eher seinen gefährlich-bedrohlichen Charakter.
Allerdings gerade wir in der Kirche sind gewohnt, beides fein säuberlich auseinanderzuhalten, das Witzige und das Ernsthafte, humorvolle und schwierige Gedanken.
Was in der Bibel steht, gehört nach der Meinung der meisten Menschen sicher eher auf die ernsthaft-schwierige Seite.
Oder können Sie sich vorstellen, dass der Apostel Paulus als "Hofnarr" auftritt?
Als "Büttenredner", wenn man so will?
Und doch ist uns für diesen Sonntag -mitten in der Karnevalszeit- ein Text zum Nachdenken vorgeschlagen, der in vielen Bibelausgaben mit "NARRENREDE" überschrieben ist.
Achten Sie doch bitte beim Hören mal darauf, ob Ihnen dabei etwas komisch vorkommt!
Lesung: 2. Kor. 12, 1-10
Was also ist jetzt eigentlich so närrisch an dieser Rede? Und wo steckt die tiefe Wahrheit? Denn dass Paulus eine solche -hofnarrähnlich- verbreiten wollte, davon gehe ich mal aus.
Komisch würden wir sicherlich jeden anderen finden, der sich hinstellte und sagte: "Ich rühme mich meiner Schwachheit."
Wir würden uns vermutlich an die Stirn tippen, anfangen miteinander zu tuscheln und die betreffende Person für etwas gestört erklären oder sie sogar in eine religiös höchst bedenkliche Ecke stellen.
Oder wir hielten das Ganze wirklich für einen guten Witz und würden laut darüber lachen.
Aber bei Paulus???
In Gesprächen über biblische Gestalten fällt mir auf, dass uns meist die nötige Distanz zu fehlen scheint.
’Da lacht man nicht drüber, über das, was Mose, Paulus oder Jesus gesagt haben, heißt es dann wohl.
Und ich erlebe, dass oft das alles, was sie sagen, auch das Nebensächliche, hochstilisiert wird zu einer Art “christlichem Grundwert", einer Handlungs- oder Gesinnungsanweisung für unser Leben.
Aber ganz so einfach ist es eben oft leider doch nicht!
Gerade bei Paulus ist das ja so, dass viele kluge Leute aus seinen Lebenserfahrungen eine Menge dogmatischer Lehrsätze herauszusieben versucht haben.
Ein Extrakt, das dann bei unserm Text ungefähr so klingen könnte wie:
’Als ChristIn muß man sich der eigenen Schwäche rühmen, denn nur darin ist Gott wirksam. Das kann man wirklich ernsthaft so zu hören bekommen!
Aber: "Rühmt euch eurer Schwachheit..."???
Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie das an einem Krankenbett oder in einer Trauerfamilie klingen würde...
Wie spüren hoffentlich schnell: für solch eine auffordernde Umkehrung taugt die paulinische Lebensweisheit nicht!
Sie eignet sich weder als Lehrsatz für Katechismus und Konfirmandenunterricht noch als seelsorgerliche Methode.
Im übrigen glaube ich auch kaum, dass Paulus so etwas gewollt hätte!
Er erzählt ja gerade mit Bedacht aus seiner ganz eigenen Biographie, gibt uns seine Lebenserfahrung weiter, die aus bestimmten Gründen so aussieht und nicht anders!
Rückblickend sagt Paulus: Ich möchte mich am liebsten meiner Schwachheit rühmen!
Und er sagt das auf dem Hintergrund seiner Lebensgeschichte.
Und das ist etwas, was mir sehr einleuchtet.
Da kann ich Paulus Lebensgeschichte nehmen, um mich anregen zu lassen, mir meine eigene Geschichte anzusehen und manches , was ich bisher erlebt habe, besser zu verstehen.
Da kann es denn schon sein, dass ich gerade in Momenten großer Schwäche Gottes Macht sehr deutlich gespürt habe.
Möglich ist es schon, dass gerade da, wo ich nichts mehr erreichen kann, wo ich sehr deutlich an meine Grenzen stoße, Gott etwas in Bewegung setzt.
Nehmen wir also Paulus Geschichte als Anregung und gucken mal etwas genauer hin:
Wie kommt Paulus zu einer solchen Argumentation?
Wir erinnern uns: schon häufiger hatte es Streit gegeben mit der Gemeinde in Korinth. Jetzt schien der Friede gerade einigermaßen wiederhergestellt, da kommt es zu neuen Auseinandersetzungen: Wanderprediger sind aufgetaucht, die sich "Engel des Lichtes" nennen oder "Diener der Gerechtigkeit" (Kap. 11, 14 u. 15).
Und vor allem werfen sie Paulus vor, er sei ja eigentlich gar kein richtiger Apostel! So wie er in Korinth aufgetaucht sei, sagen sie, demütig und unbedeutend, kränklich und schwach, so benehme sich kein echter Apostel. Und erst recht nicht schreibe er aufsässige, aggressive Briefe, kaum dass er weg sei. Paulus wäre eben nichts anderes als ein machtbesessener, hochmütiger Feigling.
Sie dagegen hätten die eigentlichen Führungsqualitäten für die Leitung der kleinen Gemeinde in der riesigen Hafenstadt! Sie könnten mit der nötigen Sicherheit und Durchsetzungskraft von den Dingen des Glaubens reden.
Sie wüßten, wo es langgeht, wie man Menschen zum Glauben bringt und Gemeinde baut, und hätten schließlich auch schon den Großteil der Gemeinde auf ihre Seite bringen können...
Am besten sei, er, Paulus, würde sich überhaupt nicht wieder blicken lassen in Korinth. Er habe ja sowieso keine Ahnung!
Das gibt es immer wieder, dass Leute finden, sie könnten einen Konflikt zu ihren Gunsten entscheiden, wenn sie die andere Position abqualifizieren oder den Gegner auszustechen versuchen.
Das ist gelaufen. Und jetzt Paulus:
Er scheint zunächst mal mit denselben Mitteln zurückzuschlagen. Er läßt sich ein auf die Methode seiner Gegner. "Ich muß ja verrückt sein", sagt er. "Wieso verteidige ich mich überhaupt? Denn: was euch so imponiert an den andern, das kann ich schon lange bieten! Ich bin schließlich auch Hebräer, Israelit, Sohn Abrahams, habe lange genug versucht, mit aller Kraft das Gesetz zu erfüllen!
Und dann habe ich noch mein Bekehrungserlebnis vor Damaskus zu bieten, bin zum Diener Jesu Christi geworden. Was wollt ihr also noch? Und dann zählt er die Abenteuer auf, die er bei seinen Missionsreisen erlebt hat, Schiffbruch, Gefangenschaft, Schläge, Steinigung, Überfälle ... und daneben den witterungsbedingten Schwierigkeiten von Wüste und Meer ausgesetzt, von Frost und Hitze!
’Alles das könnte ich in die Waagschale werfen, sagt Paulus. ’Kein Problem!
’Aber das will ich gar nicht!
Denn meine Erfahrung ist: Gar nicht immer da, wo ich so toll war, Erfolg hatte und ganz groß herausgekommen bin ist Gemeinde gewachsen, sondern oft gerade da, wo ich mir so unendlich schwach vorkam, wo ich ganz und gar nicht das Gefühl hatte, besonders überzeugend geredet zu haben, mich krank und elend fühlte.
Man hat viel darüber spekuliert, was Paulus gefehlt haben mag. Möglicherweise litt er an epileptischen Anfällen, vielleicht plagten ihn Depressionen, man weiß das nicht. In jedem Fall hatte er ein ehebliches Handicap zu tragen, er war wohl nicht der strahlende Sunny-boy-Erfolgstyp, wie er uns auf Werbeplakaten begegnet.
Und trotzdem ist durch diesen Mann, kränklich und anfechtbar, vermutlich auch cholerisch und von nicht ganz einfachem Charakter Gott wirksam gewesen.
Und das Sympatisch-Faszinierende ist für mich an diesem Text, dass Paulus seine Schwäche kennt.
Er weiß das alles, und er vertuscht oder versteckt nicht, was er an Selbsterfahrung gemacht hat, sondern steht genauso verblüfft davor wie wir und entdeckt Gott , gerade mitten in seiner Schwäche.
Wir wissen alle, dass es sehr unangenehm sein kann, die eigenen Schwächen zu entdecken!
Da haben wir alle eine Menge Methoden entwickelt, sie mehr oder weniger erfolgreich zu verdrängen, gut wegzupacken oder zu unseren Gunsten zu verdrehen.
Das ist nicht länger nötig, sagt mir Paulus Lebenserfahrung, so verrückt das auch klingen mag!
Und auch deswegen ist dieser Brief für mich ein Hoffnungstext!
Und auch wenn es immer nur im Rückblick möglich ist, in Erfahrungen der Schwäche Gottes Kraft zu spüren, kann so ein Satz Mut machen für die Gegenwart, ein Satz wie:
"Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in der Schwachheit mächtig."V. 9
Denn er zeigt uns, dass es möglich ist, auch solche Erfahrungen miteinander zu teilen und damit nicht allein zu bleiben, daran zu wachsen und lebendig zu werden.
Das ist allerdings eine Umkehrung aller Werte und kann sogar befreien von allem kirchlichem Spar- und Leistungsdruck.
Vielleicht brauchen wir in Zukunft wieder so etwas wie "kirchliche Hofnarren", die deutlich und spitz die Wahrheit sagen können, aber zugleich humorvoll und freundlich, damit sich etwas ändern kann.
Ach so, ändern können wir uns ja eigentlich jetzt schon.
Amen.


Exegetische Kurzanmerkung:
Im Zentrum von 2. Kor. 11 u. 12 steht die Auseinandersetzung zwischen Paulus und seinen Gegnern, von denen der Apostel sich in die zweifelhafte Rolle des Rühmenden drängen läßt.
Vermutlich haben sie ihn angegriffen, weil er auf Unterstützung aus seinen Gemeinden verzichtete. Sie legen ihm das als Eingeständnis aus, sich selbst eben doch nicht als vollgültigen Apostel zu sehen. Sein Selbstruhm hat eine doppelte Spitze, auf der einen Seite konkurriert er durchaus mit seinen  Angreifern, kann erhebliche Leistungen auf dem Gebiet der Missionstätigkeit etwa vorweisen, die er aber anderseits zurücknimmt und durch Betonung der eigenen Schwäche. In ihr habe er Gottes Wirken eigentlich erst erfahren, so Paulus.

Elisabeth Tobaben, Moringen

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