Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Christi Himmelfahrt
1.6.2000
Apokalypse 1, 4-8

Hans-Georg Babke

Liebe Gemeinde!

„Jesus ist Sieger!“
So lautet die Botschaft des Sehers Johannes. Jesus ist Sieger über die dämonischen, finsteren und lebensfeindlichen Mächte. Sieger auch über die Menschen, die verblendet im Bannkreis dieser Mächte stehen.

Johannes mutet diese Botschaft Menschen zu, die alles andere erfahren als das, dass das Gute siegreich ist. Menschen, vor denen Gott sich verborgen und denen er sich entzogen hat, für die die Existenz Gottes, geschweige denn seine Macht in ihrer persönlichen und gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit höchst fraglich geworden ist. In ihrer Gottesfinsternis mögen sie laut oder leise geschrieen haben: „Wo bist du, Gott? Wann warst du eigentlich lieb, lieber Gott?...Wir kennen dich nicht mehr so recht, du bist ein Märchenbuchliebergott.“ (Wolfgang Borchert) Wo warst du, als die römischen Soldaten gewaltsam in unsere Häuser eindrangen und uns unsere Kinder stahlen? Warst du da, als sie den Kindern Väter und Mütter raubten? Warst du lieb, als sie Christen, unsere Schwestern und Brüder im Glauben an dich, lieber Gott, warst du lieb, als du sie in die Kerker werfen und den wilden Tieren vorwerfen ließest? Und das nur, weil sie an dich glaubten und sich weigerten, dem römischen Kaiser als Gott zu huldigen? O, wie hatten wir gehofft und gebetet. Wie hatten wir deinem Sohn vertraut, als er uns versprach, es würde Friede auf Erden geben ohne Leid, ein Paradies, in dem das Lebensrecht aller Menschen geachtet würde und die Tränen von allen Gesichtern abgewischt sein würden. Wie hatten wir gehofft, dass eine neue Zeit anbrechen würde, ohne Gewalt und Hass, eine Zeit, wo Andersartiges und Fremdes nicht mehr zum Sündenbock abgestempelt würde, wo Menschen ihre Vernunft gebrauchen würden und – nicht mehr größenwahnsinnig – die Grenzen ihres Vermögens anerkennen würden. Wie haben wir die neue Zeit herbeigesehnt, in der sich das Gute erkennbar über das Böse durchsetzt. Gott, wo bist du? Spürst du nicht unsere Angst vor der drohenden Gefahr, dem qualvollen Sterben? Hörst du nicht unser Schreien?

So haben sie wohl empfunden. Die Menschen, denen der Seher Johannes seinen Brief geschrieben hat. Christen in Kleinasien am Ende des 1. Jahrhunderts. Verfolgt von einer größenwahnsinnigen römischen Staatsmacht, die die Christen für die Miseren in der Gesellschaft verantwortlich machte und die sich selbst anmaßte, anstelle Gottes den Menschen ewiges Glück und Heil garantieren zu können. Dafür mussten eben Menschenopfer in Kauf genommen werden, wie man meinte. Statt der versprochenen Friedensherrschaft Gottes erlebten die Christen jetzt die Übermacht des römischen Machthabers und seiner willfährigen Schergen. Statt Licht und Frieden bedeckten nun Gewalt und Finsternis das Erdreich, zumindest die Erde, auf der sie wohnten.

In solch einer Situation mutet der Seher Johannes diesen Menschen die Botschaft zu: „Jesus ist Sieger!“ Er ist der Herr über die Könige auf Erden, der Herr über alle Machthaber und über die vielen, die den Machthabern erst zu ihrer Macht verhelfen. Habt Geduld!, fordert Johannes. Lasst euch nicht vom Augenschein und den sichtbaren Tatsachen trügen! Bald wird eure Not zu Ende sein. Nur noch eine kleine Weile, dann wird sich erfüllen, was Jesus verheißen hat. Noch herrschen zwar die Mächte der Finsternis. Aber bald kommt die Zeit Gottes. Dann wird er sich mit seiner Macht der Liebe durchsetzen und euch, die ihr an ihn und seine Zukunft geglaubt habt, ins Recht setzen. Eindeutig und für jedermann sichtbar. Auch für die, die Jesus seiner Mutter und seinen Jüngern geraubt und getötet haben. Dann wird die Wahrheit dessen, woran ihr geglaubt habt, offenbar werden. „Siehe, er kommt mit den Wolken, und es werden ihn sehen alle Augen und alle, die ihn durchbohrt haben...Ich bin das A und O, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige.“

„Jesus ist Sieger!“

Auch wenn jetzt der Augenschein noch dagegen spricht. Jesus ist Sieger über die dämonischen, finsteren und lebensfeindlichen Mächte. Sieger auch über die Menschen, die verblendet im Bannkreis dieser Mächte stehen. Ihr dürft nicht meinen, dass das Böse nur etwas ist, das im Willen einzelner Menschen existiert. Damit würdet ihr das Böse verharmlosen. Das würde auch der Wirklichkeit nicht gerecht. Wer immer in gesellschaftlichen Kämpfen steht und sich für das Gute und Richtige einsetzt, wer immer sich stark macht für die Menschenwürde, für die göttlichen Menschenrechte und die Gebote Gottes, wird erleben: Noch so vernünftige, einsichtige und überzeugende Argumente reichen in der Regel nicht hin, um andere Menschen von ihren Lebenseinstellungen, von ihrem anmaßenden Größenwahnsinn und ihrem Verhalten abzubringen. Insbesondere dann nicht, wenn es den Einfluss-Eliten gelingt, an die Ressentiments und Verlustängste der Massen zu appellieren und wenn Einstellungen und Wirklichkeitsdeutungen zu herrschenden Trends geworden sind. Es ist geradezu das Wesen herrschender Trends, dass sie wie eine überpersönliche Macht Besitz ergreifen von den Massen und sie andererseits sich verstärken durch das Wollen und Denken der vielen Einzelnen in der Masse. Wie anders ist es zu erklären, dass in eurer Vergangenheit die Juden von überwiegend tugendhaften Bürgern immer wieder als Untermenschen verunglimpft, verfolgt und getötet wurden. Ihr braucht hier nur an die Verfolgung durch die Griechen 170 Jahre vor der Geburt unseres Herrn zu denken. Wie anders ist es zu erklären, dass eure Nachbarn, zu denen ihr eben noch ein gute Verhältnis hattet, jetzt tatenlos zusehen und dazu schweigen, wie sie euch eure Kinder rauben und euren Kindern Väter und Mütter stehlen. Nein, das Böse ist eine Macht, die in herrschenden Trends wirksam wird und weit über den Willen des einzelnen Menschen hinaus greift. Deshalb ist es so schwer, Menschen gegen herrschende Trends mit guten und vernünftigen Argumenten von dem zu überzeugen, was richtig ist.

So sagt es Johannes den verfolgten Mitchristen. Und er fährt fort: Gott hat mir einen Blick in den Himmel vergönnt. Und ich sah, wie dort die Mächte des Bösen bereits besiegt waren. Gott saß auf dem Thron des Weltenherrschers, zusammen mit Jesus. Die Entscheidung ist gefallen, der Kampf entschieden zugunsten der menschenfreundlichen Macht Gottes. Diese Macht wird bald Platz greifen auch auf der Erde. Den Größenwahnsinn politischer Machthaber, ihre Gewalttaten und das Leid, das sie über euch bringen – das alles ist nur noch ein letztes Aufbäumen der dämonischen und lebensfeindlichen Mächte, deren Werkzeuge sie sind. Vielleicht müsst ihr noch einige Zeit leiden. Aber sie wird kommen, die Zeit Gottes. Es wird wahr werden, was Jesus verheißen hat: dass das Lebensrecht aller Menschen und ihre von Gott geschenkte Würde geachtet werden. „Jesus ist Sieger!“ Darum lasst euch nicht unterkriegen, verliert nicht euren Mut und eure Hoffnung! Bleibt standhaft gegenüber denen, die euch bedrohen! Verbündet euch mit der göttlichen Macht des Guten! Werdet Werkzeuge dieser Macht! Denn das ist das Äußerste und Letzte, was ihr dieser größenwahnsinnigen, gewalttätigen und absurden Weltwirklichkeit entgegensetzen könnt. Gott ist durch die Übel in der Welt nicht ins Unrecht gesetzt worden. Vielmehr ist er der stärkste Partner, mit dem ihr euch gegen die Übel verbünden könnt. Im couragierten Widerstand gegen herrschende lebensfeindliche Trends, im couragierten Widerstand gegen Machthaber, die ihre Grenzen nicht respektieren, bewahrt ihr euch eure Freiheit. Im Vertrauen auf den ultimativen Sieg des göttlichen Willens in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, in die ihr verstrickt seid, greift die göttliche Wirklichkeit schon Raum in der Weltgeschichte. Nur wenn Menschen sich nicht mehr ducken, wenn sie Widerstand gegen das ersichtlich Böse leisten, nur wenn die Hoffnung auf die bessere Zukunft Gottes ihrer selbst ansichtig wird im hörbaren Bekenntnis der Wahrheit und in sichtbaren Taten , hat die menschenfreundliche Macht Gottes eine Chance, in eurem gesellschaftlichen Leben zum objektiven Geist und zur Macht zu werden. Drum seid diese Menschen, die sich nicht bange machen lassen in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen von der Übermacht der Gegner, die nicht nach Gott fragen.

Denkt daran: „Die Herren der Welt kommen und gehen – unser Herr kommt.“ (Gustav Heinemann) Denn „Jesus ist Sieger!“

Amen

Pfarrer Dr. Hans-Georg Babke
E-Mail: Hans-Georg.Babke@t-online.de


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