Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Pfingstsonntag
11.6.2000
1. Korinther 2, 12-16

Heinz Behrends

Vorüberlegungen zur Predigt

(Ich nehme einen Blumenstrauß mit auf die Kanzel und stelle ihn auf die Kanzel-Brüstung.)

"Das ist meine Pfingstüberraschung. Pfingsten lebt von Überraschungen.

Da bin ich Pfingstsamstag letztes Jahr mit meinem katholischen Kollegen auf dem Weg zum Hochzeitskaffee nach einer ökumenischen Trauung, da biegt er plötzlich mit seinem Golf links zum Markt ab und kauft mir einen Strauß Blumen - und einen für sich selbst. "Hier, bitte, das ist für Sie!" Ich empfand das mehr als eine Konvention, hatten wir doch gerade im ökumenischen Geist ein Paar getraut. (Hier sollte der Prediger, die Predigerin eigene Erfahrungen von Überrascht-Sein erzählen.)

Pfingsten lebt von Überraschungen. Das Fest kennt keine Bräuche, deshalb auch keine besonderen Vorbereitungen. Da ist kein besonderer Kuchen zu backen, kein Braten, keine Konvention für geladene Gäste vorzubereiten. Und seien wir ehrlich: Das bedeutet: kein Streß, keine Hetze, kein Familienkrampf, keine Verpflichtungen. Da kann man sich einfach hinsetzen und offen sein für Überraschungen.

Überraschen mag Sie auch der Predigttext, aber in ganz anderem Sinn. Er kommt Pfingsten so gelehrig daher, so spröde, ohne spontane Begeisterung.

(Textlesung)

Damit er Sie nicht ganz ratlos macht, muß ich kurz aus der Hafenstadt Korinth erzählen. Da haben sie in der -heute würden wir sagen- multikulturellen Stadt die Worte des Paulus vom Auferstandenen mit großem Eindruck gehört. Einige sind begeistert. Wir haben den Geist Gottes, sagen sie, und reden in Zungen und halten das Abendmahl für eine Himmelsspeise, für ein Medikament. Angesichts dieser himmlischen Euphorie ist die Rücksichtnahme auf Schwestern und Brüder von wenig Belang. Sie putzen sich auf zum Abendessen, setzen sich an den gedeckten Tisch und haben das meiste schon aufgefuttert, wenn die Sklaven nach ihrem späten Feierabend schließlich in die Gemeindeversammlung kommen und die Tische leer vorfinden.

Wir sind durch den Besitz des Geistes Gottes bereits vollkommen, verkünden sie. Ihnen gegenüber definiert der Apostel, was geistlich ist. Geistlich ist, wer weiß, was er von Gott empfangen hat. Weise ist, wer weiß, was ihm von Gott geschenkt ist. Uns leuchtet das ein: Vielleicht haben Sie einen Menschen vor Augen, den Sie als weise empfinden. Das ist nicht die intellektuelle Kanone, nicht der Alleswisser. Es ist der lebenserfahrene Mensch, der still und besonnen das Leben sieht und beurteilt. Häufig sind es die ganz einfachen Leute in der Gemeinde.

Er weiß von der Grunderfahrung des Menschen: Alles Wesentliche habe ich empfangen. Wer offen für das Empfangen ist, erlebt ständig Überraschungen. Er entdeckt ein Wort, das eine Woche mit ihm geht. Sie trifft auf einen Menschen, der lange vermißt wurde. Er sieht etwas, was er jeden Tag sieht, aber dieses Mal völlig neu. Sie hat sich zu etwas verrücktem anregen lassen, das sie bisher vermieden hatte.

Mag sein, daß die Überraschung auch ängstigt. Pfingsten lehrt, daß Überraschungen auch mit Furcht verbunden sind. Erst später ordnen sich die überraschenden Erlebnisse dem Leben ein.

Aus den vielen geschenkten, kleinen Überraschungen wächst die Erkenntnis, daß das ganze Leben nicht von Planung und Organisation lebt, sondern geschenkt ist. Ich lebe und ich bin, wie ich bin. Wer weiß, daß ihm das Leben von Gott geschenkt ist, lebt und denkt geistlich.

Wem diese Erkenntnis fremd und fern bleibt, der lebt natürlich, nicht geistlich, sagt Paulus. Nun ist die Unterscheidung des Apostels in geistlich und natürlich irreführend. Der natürliche Mensch wird als natürlich verstanden, weil er die Welt mit den Kategorien der Natur, der biologischen Gesetze beurteilt. Ich habe mein Leben in der eigenen Hand. Was daraus wird, folgt aus den Gesetzen der Natur. Ich bin der Macher meines Lebens. Der natürliche Mensch ist heute noch nicht ausgestorben. Die technische Entwicklung hat die Macher-Mentalität kräftig genährt. Geräte übernehmen menschliche Arbeit. Was früher ein ganzes Regal füllte, paßt heute auf eine Diskette. Geerntete Äpfel gibt es schon, wenn die Apfelbäume noch blühen. Das ist zunächst nicht schlecht. Wir sind Täter und Gestalter geworden, nicht nur mehr Erdulder unseres Geschickes. Nur dringt die Erfahrung tief in die Selbst-Einschätzung des Menschen ein. Erfolg rechtfertigt jedes Handeln. Der Einzelne orientiert sich an der Lebenserfüllung des Subjektes. So schenkt er die höchste Aufmerksamkeit sich selbst, seiner Gesundheit und seinem Wohlgefühl. Aber in der Selbsterfüllung seines Glücks ist er überfordert. Die Haltung landet schnell in Nicht-Erfüllung, Unglück und Wehleidigkeit. Wieso kann sich sonst eine Gesellschaft voller Reichtum der Massen so unbeweglich und so wehleidig zeigen. Das ist der moderne natürliche Mensch.

Geistlich dagegen lebt, wer alles von Gott erwartet, nicht von seiner eigenen Kraft. Der große Theologe Karl Barth gibt das Schlüsselwort zum Verstehen dieses Textes. "Der Heilige Geist ist der intimste Freund des gesunden Menschenverstandes." Es ist nicht das Ergebnis einer besonderen geistlichen Leistung, zu erkennen, daß ich all die wesentlichen Dinge des Lebens nicht selber machen kann. Das Brot habe ich nicht selber gebacken, das Korn nicht wachsen lassen, das Bier nicht gebraut, meine Gesundheit nicht beschafft. Der geistliche Mensch vertieft sich so sehr in die Geheimnisse des Lebens, daß er selbst das Erkennen der Gnade Gottes als ein Geschenk versteht. Der gesunde Menschenverstand sieht die Dinge wie sie sind. In dem Sinne ist der Geist Gottes ein Geist der Wahrheit und Ehrlichkeit.

Wer geistlich denkt, enthebt sich nicht dieser Welt mit seiner Frömmigkeit. Er ordnet sich dem Gedanken Gottes ein. Und was ich selber als Geschenk sehe, kann mir ein anderer nicht absprechen. Deshalb sagt Paulus: Der geistliche Mensch wird von niemandem beurteilt.

Doch kann die Rede von diesem schenkenden Gott nie ohne Brüche sein. Systematische Systeme vertritt der Geist nicht. Er bleibt immer bezogen auf das Kreuz. Das wahre Leben ist sprunghaft, überraschend, aber auch gebrochen. Das unterscheidet den Geist Gottes von dem Geist der esoterischen Bewegung. Der beschäftigt sich wesentlich mit sich selbst und ist nicht offen für fremde Stimmen von außen.

Der Geist Gottes drängt in die Gemeinschaft. Sie ist Herberge und Werkstatt des Geistes Gottes. Aus ihr muß veränderndes in die Welt dringen. Die Worte über das Wesen des Heiligen Geistes münden in sehr konkreten Worten über die Ehe, über das Verhalten beim Essen und den Umgang mit dem Geld, wenn auch sehr zugeschnitten auf die Situation seiner Zeit.

Jetzt habe ich aber genug über den Geist geredet. Herbeireden kann man ihn nicht. Man muß sich in ihn hineinbeten und vertiefen. Man muß sich singend hineinbegeben. Alle Pfingstlieder sind Gebete. O komm du Geist der Wahrheit. Komm, o komm, du Geist des Lebens. Veni Spiritus sancte. O Heilger Geist, kehr bei uns ein. Bereite doch ein Pfingtfest uns allen nah und fern. Weil Gott an uns denkt, können wir selbstvergessen sein und singen."

Theologisch-homiletische Vorüberlegungen

Der Geist Gottes ist nicht verfügbar. Gott behält in der Hand, was wir von ihm wissen. V. 12 ist der Schlüsselsatz des Textes. Wir haben den Geist Gottes empfangen, daß wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist. Paulus argumentiert final. Das Ziel des Wirkens des Geistes Gottes ist unser Erkennen, daß wir Beschenkte sind. Wir verfügen weder über den Geist noch über die Erkenntnis. Die Tiefen Gottes sind nicht seine unerforschlichen Ratschlüsse, die sich nur dem Glaubenden erschließen, sondern Tiefe Gottes ist, was allen Glaubenden von Gott aus Gnaden geschenkt ist. V.15 erscheint in diesem Kontext zunächst nicht verständlich. Wie kann der Mensch in der Kraft des unverfügbaren Geistes alles beurteilen, selber aber jedem menschlichen Urteil entnommen sein? Das ist keine Selbstüberhebung, weil alles Urteilen an der Weisheit des Kreuzes, nicht am intellektuellen Erkenntnisvermögen zu messen ist. Doch aus der geistlichen Erkenntnis wächst die Urteilskraft.

Die Predigt wird über jeden Grad unterschiedlicher Geistlichkeit der Hörer hinaus eine Plausibilität dafür schaffen müssen, daß der Mensch im wesentlichen ein Empfangender ist.

Im Tonfall muß eine Pfingstpredigt immer von einer Leichtigkeit beseelt und fröhlich sein.

Heinz Behrends, Distelweg 8, 37077 Göttingen Tel/fax 0551/21222
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