Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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2. Sonntag nach Trinitatis
2.7.2000
1. Korinther 14,1-3 + 20-25

Hans Theodor Goebel

Liebe Gemeinde!

Vor ein paar Tagen war es.
Ich komme über die Schildergasse in Köln, gehe zum Kaufhof. Da steht auf der Straße ein Mann. Er redet laut. Ein paar Leute sitzen und stehen um den Brunnen herum - in der Sonne oder im Schatten. Sie hören ihm zu.
Der Mann erzählt von Jesus und von Gott. Von seinem eigenen ehemals verwilderten und verlorenen Leben. Aus dem er gerettet worden sei. Denn Gott liebe ihn und sein Ruf habe ihn getroffen.
Nun liebe er Gott und Jesus, sagt der Mann.
Die ihm zuhörten, sollten es ihm doch nachtun. Weil Gott sie liebe, sollten sie sich zu ihm bekehren. Er, der Prediger auf der Straße, habe es ihnen jetzt gesagt. Er habe es ihnen auch sagen müssen. Wenn sie jetzt nicht hörten, könne Gott ihr Leben nicht von ihm fordern, sei er nicht schuld an ihrer Verdammnis.
Gottes Gericht werde nämlich kommen. Auch über die Kirchen, den Vatikan und den Weltkirchenrat.

Er selbst - so sagte der Prediger - sei ein einfacher Mann. Nicht studiert. An ihm liege nichts. Auf ihn käme es gar nicht an und er habe nichts vorzuweisen mit seiner Person und seinem Leben. Im Gegenteil. Nur auf die Liebe Gottes käme es an. An der hinge alles. Zu Gott sich hin zu kehren und ihn wieder zu lieben - darum ginge es.

Wer war dieser Mann? Ich weiß es nicht.
War er ein Prophet - von Gott gesandt? Zu den paar Menschen auf der Straße, die sonst vielleicht in keine Kirche gehen, und haben ihm zugehört. Haben vielleicht gelächelt oder sind nachdenklich geworden und er hat sie angesprochen. Hat der Mann für mich prophetisch geredet?

1.
Prophet sein oder prophetisch reden - was ist das?
Was haben wir damit zu tun?
Nach dem, was Paulus hier davon schreibt, ist es eine geistliche Sache. Und geht die christliche Gemeinde an.

Zum Propheten kann niemand sich selbst machen. Nur Gottes Geist kann Menschen dazu bewegen.

Prophet zu sein, kannst du nicht planen und machen wie eine Politiker-Karriere. Und auch nicht wie einen Pfarrer-Beruf.

Du kannst auch nicht machen, dass ein anderer auf seine Knie fällt und Gott die Ehre gibt.

Wenn aber von Gott her der Geist kommt, wenn er da ist in unsrer Gemeinde, dann begabt er uns und setzt einen Prozess in Gang. - Dann können wir uns Mühe geben, seine Gabe zu aktivieren. Wir sollen das auch!

Bemüht euch eifrig um das Geistliche (die Gaben des Geistes), am meisten aber, dass ihr prophetisch redet - schreibt Paulus.

Besonders ans prophetische Reden sollt ihr Eifer und Mühe setzen.
Aber dann müsste der Geist Gottes da sein - in dieser Gemeinde in Köln-Rath und bei euch, lieber Dollenchen-Besuch, in der Niederlausitz.
Können wir denn damit rechnen, dass er bei euch und bei uns ist und dass hier und da Menschen erfüllt vom Heiligen Geist wie Propheten Gottes reden können?

Gott hat seinen Jüngern seinen Geist versprochen. Jesus hat ihnen gesagt, dass sie den Vater im Himmel nicht vergeblich um seinen Geist bitten werden. Und wo er sein Versprechen erfüllt, wird in seiner Kirche immer neu Pfingsten.
Ich frage, ob wir Gott bei seinem Wort nehmen? Ob wir auf Gottes Geist gefasst sind?
Oder ob wir uns doch lieber auf unsere eigene Kunst verlassen. Dann gehen uns vielleicht auch die Propheten aus.

2.
Warum soll nun gerade am prophetischen Reden so besonders viel gelegen sein?

Es hat zur Zeit des Apostels Paulus wie auch heute in den Gemeinden doch auch andere Formen von geistlichem Leben gegeben.
Paulus nennt eine: das Zungenreden. Da sind Menschen von Gottes Geist ergriffen und reden in Lauten oder in einer Sprache, die nur Gott verstehen kann - und nur bestimmte Menschen. Auf die anderen aber, die das Zungenreden nicht verstehen, wirkt es, als redeten da Wahnsinnige.

Seht ihr, sagt Paulus. Das ist das Problem. Es kommt doch gerade darauf an, dass die anderen Menschen euch verstehen können.

Du betest und bist dabei irgendwie verzückt und entrückt. Du bist irgendwie außer dir. Vielleicht einfach religiös ergriffen und persönlich tief bewegt von dem, was du erfahren hast und erahnst und was kein anderer versteht. Das alles kann vom Heiligen Geist sein. Aber - du bleibst dabei privat.
Den anderen bleibst du mit dem, was du erlebst, ein Geheimnis. Sie verstehen es nicht. Darauf legst du es auch gar nicht an. Deine Religion bleibt für dich Privatsache. Du erbaust dich selbst. Vielleicht mit Gottes Geist. Dann danke ihm.

Aber pass auf, dass der Geist Gottes nicht von dir aus schon weiter gegangen ist. Bleib ihm auf der Spur. Denn der Heilige Geist will, dass du die Gemeinde erbaust und nicht nur dich selbst. Dein christlicher Glaube kann nicht deine Privatsache werden.

Darum sollt ihr euch besonders um das prophetische Reden bemühen - schreibt Paulus an die Gemeinde. Denn wer prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung.

Ich denke in unserer Gemeinde daran, dass auch Gruppen so ein Eigenleben führen können, auch ein geistliches Eigenleben. Ich will das nicht schlecht machen. Nur - baut es die Gemeinde auf? Oder bleibt es in sich verkapselt, die anderen bekommen es nicht mit, sie bleiben von ihm ausgeschlossen? -Wenn es so steht, dient es dann dem Aufbau unsrer Gemeinde?

Warum kommt es denn nun so auf die Erbauung der Gemeinde an und nicht nur auf die eigene? Weil es auf die Liebe ankommt. Der Liebe wegen kann die christliche Religion nicht Privatsache bleiben.

3.
Prophetisch reden im Heiligen Geist ist öffentlich und will das Verstehen und den gegenseitigen Austausch.
Um aber was geht es, wenn Menschen durch prophetisches Reden erbaut und ermahnt und getröstet werden?

Ich versuche einmal zu übersetzen. Prophetisch reden heißt, Menschen die Zeit ansagen. Von Gott her und im Auftrag Gottes. In Jesus Christus ist die Liebe Gottes unheimlich nahe an euch herangekommenen. Kehrt zu ihr um!

Das ist anders, als wenn wir uns aus unserer eigenen Sicht heraus die Zeit ansagen.

Du bist vielleicht krank. Aus deiner eigenen Sicht heraus starrst du auf die die Krankheit. Du verstehst sie nicht. Sie läßt dein Leben sinnlos erscheinen. Sie stellt Gott für dich in Frage.
Und dann kommt jemand zu dir und fragt dich: Meinst du denn nicht, dass die Liebe umso mehr für dich da ist?
Und es war eine Prophetin, die dir da von Gott gesprochen hat.
Aus unserer eigenen Sicht heraus sehen wir noch mehr, was uns Angst macht, was uns deprimiert. Viele Zusamenhänge verstehen wir gar nicht. Wer steckt dahinter, wenn sich heute immer mehr wirtschaftliche Macht zusammenballt? Große Banken und Konzerne fusionieren. Wem kommt das zugute? Werden die Habenichtse unserer Welt etwas davon haben, die Länder Afrikas, die immer mehr verelenden, die Arbeitslosen bei uns? Sieht es nicht eher danach aus, dass auf der einen Seite wirtschaftliche Macht und Reichtum wächst und gleichzeitig Armut Elend auf der anderen Seite produziert wird?

Gewinnen wir mit dieser Entwicklung die Zukunft für eine Welt, die von immer mehr Menschen bewohnt wird?

Heute fordern alle wirtschaftliches Wachstum und wollen es gefördert sehen. Aber es gab doch vor ein paar Jahrzehnten einmal die Einsicht, die Grenzen des Wachstums seien erreicht. Wo ist diese Einsicht heute? War sie damals falsch oder ist sie heute nicht mehr aktuell? Es redet keiner mehr davon.

Welche Politik kann die Entwicklung heute noch steuern oder gestalten?
Kann uns jemand prophetisch da reinreden?

Wenn wir von uns aus sehen, gibt das schnell eine pessimistische Zeitansage: Die Zukunft ist zum Fürchten. Zumindest ist ungewiss, unter welchen Bedingungen große Teile der Menschheit überleben können.

Immerhin könnte die Furcht die Verantwortlichen ja zum Innehalten und Nachdenken bringen. Aber sieht es in unserer Welt danach aus?

Wie sagt uns ein Prophet im Namen und Auftrag Gottes heute die Zeit an?
Jedenfalls wird er uns sagen: Gottes Liebe, die in Jesus Christus ist, - sie ist nahe an euch herangekommen. Es ist an der Zeit, dass ihr umkehrt zu dieser Liebe.
Gebt euch nicht selbst auf, lasst euch selbst nicht fallen. Diese Liebe trägt euch! Haltet das für die entscheidende Tatsache eures Lebens!

Gebt unsre Welt, gebt die nachkommenden Generationen nicht auf! Gott hat die Welt so geliebt, dass er seinen eigenen Sohn für sie hergab. Die Welt soll sich nicht selbst verlieren und verloren geben.

Da drängen Menschen aus den armen und ärmsten Ländern in unsere europäischen Wohlfahrtsstaaten. Weil sie zu Hause keine Lebenschance mehr haben oder keine mehr sehen.
Müssen wir uns dann nicht politisch und wirtschaftlich dafür engagieren, dass ihren Heimatländer sich entwickeln können und sie da nicht verhungern und mit Recht und Würde da leben können? Ihr Problem ist unser Problem.

Da kommen Menschen nach Köln, die hier Asyl suchen. Die an Leib und Seele vielleicht schwer traumatisiert sind. Einigen von ihnen werden die Ämter und die Gesetze unseres Staates nicht gerecht. Schützen sie nicht. Können wir sie denn dann verloren geben? Sich selbst überlassen?
Aber manche Flüchtlinge könnten uns ausnutzen oder täuschen?
Ja und? Martin Luther hat gesagt: Die Liebe denkt von jedem nur das Beste und ist nicht argwöhnisch. Mag sie irren. Es gehört zur Liebe betrogen, zu werden. Sie ist dem Gebrauch und dem Missbrauch aller preisgegeben. (WA 18,652). Steile Worte. Ich kommen ihnen nicht nach.

Aber meinst du denn, Gott hätte dich anders geliebt?

Von uns aus sehen wir Ängste. Das ist wahrscheinlich in Brandenburg nicht anders als in Köln. Dann denken wir, die Fremden könnten uns etwas wegnehmen. Arbeit oder Geld aus den öffentlichen Kassen, das Geld von unseren Steuern.
Manche denken, wir würden überfremdet. Andere meinen, die kirchliche Gemeindearbeit werde vernachlässigt, wenn das Presbyterium sich hier um die Fremden kümmert.
Und da redet vielleicht einer prophetisch dazwischen und sagt: Wieso spielt ihr das denn gegeneinander aus?
Die Liebe gilt doch nach innen in der Gemeinde und nach außen gegenüber den Fremden. Wollt ihr denn Gottes Liebe auch aufteilen - dahin oder dorthin? Gottes Liebe ist doch unteilbar.

Da kommen Politiker und sagen: Wir brauchen Einwanderer für unsere Wirtschaft, aber dafür nehmen wir dann nur noch eine bestimmte Zahl von Asylbewerbern auf. Dann stehen hofffentlich Propheten auf und sagen:
Ihr könnt doch die Grenzen unseres Staates nicht vor einem Verfolgten dicht machen, nur weil eine Zahlenquote überschritten ist. Kehrt um zu der Liebe Gottes!

Wenn Propheten so oder ähnlich in der Kirche und in unserer Gemeinde von der Liebe Gottes reden und sagen: Kehrt zu ihr um! - denken vielleicht viele: Das ist aber zu einseitig. Oder: Das ist aber politisch, und damit hat die Kirche doch nicht zu tun.

Paulus schreibt ein paar Verse weiter an die Gemeinde in Korinth: Von den Propheten lasst zwei oder drei reden, und die anderen lasst darüber urteilen (V 29).
Ich glaube, das brauchen wir in unserer Gemeinde auch: Eine Gesprächs- und Diskussions- und Streitkultur, in der wir uns miteinander zu verständigen suchen, was heute die Liebe will? Denn der Pfarrer hat nicht immer recht. Aber die ihn kritisieren haben auch nicht immer recht.

Wie war das denn vor Jahren?
Als Menschen in den Kirchen der DDR das prophetische Wort aufnahmen: Schwerter statt Pflugscharen!. Und sich die Embleme an ihre Jacken hefteten.
Und als Christen in den Niederlanden und bei uns zu den Kernwaffen ein Nein - ohne jedes Ja! sagten und auf den Kirchentagen lila Halstücher trugen?
Das waren wohl prophetische Worte und Zeichen. Aber sie waren nicht unumstritten.

Unumstritten sind prophetische Worte nie. Sie führen uns in die Auseinandersetzung um der Liebe Jesu Christi willen. Sie stellen uns in Frage. Sie decken auch kritisch auf, was in uns ist. Lasst uns dieser Herausforderung nicht ausweichen. Sie erhält uns lebendig.
Die Auseinandersetzung gehört, wenn es gut geht, zu einem Verstehensprozess. Die Auseinandersetzung selbnst ist dabei nicht das Letzte.
Es kann in der Gemeinde zum Verstehen kommen. Paulus schreibt sogar von einem Außenstehenden, der in die Gemeinde hineinkommt, das prophetische Reden hört und erkennt:
Gott ist wahrhaftig unter euch.
Wenn das geschieht, ist der Heilige Geist in der Gemeinde am Werk gewesen.

4.
Und der Prediger auf der Schildergasse? Schon möglich, dass auch er uns in der Kirche prophetisch etwas zu sagen hat. Wenn seine Predigt nur im Rahmen der Liebe Jesu Christi bleibt und die Menschen nicht erschlägt mit der Angst vor der Strafe und dem Gericht. Denn Richter ist Jesus Christus allein.
Prophetische Stimmen, die von Gott her kommen, können jedenfalls auch von draußen, von den Straßen und Plätzen in die Kirchen hineinrufen. Gottes Geist, der Menschen prophetisch reden lässt, ist nicht gebunden an die Ämter und Institutionen der Kirche. Gott sei Dank nicht! Darum gibt es von ihm her Hoffnung auf Leben - auch in unserer Kirche.

Amen.

Nachbemerkung:
Die Predigt wird am 2. Juli 2000 in Köln-Rath gehalten. An diesem Sonntag ist der Kirchenchor aus der Partnergemeinde Dollenchen in der Niederlausitz zu Gast.

Literaturhinweis:
Peter Zimmerling, 2. Sonntag nach Trinitatis - 2.7.2000, in: GPM, 54.Jg., 297-306.

Dr. Hans Theodor Goebel,
Im Wasserblech 1c, 51107 Köln
Tel.: 0221 / 861135


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