Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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5. Sonntag nach Trinitatis
23.7.2000
1. Mose 12,1-4

Charlotte Hoenen

Vorbemerkungen

Liebe Gemeinde!

( 1. Gottes Segenszusagen an Abraham)

Diese alte Erzählung hat für die Geschichte der Menschheit auf unserer Erde eine entscheidende Bedeutung. Jeden Tag lesen wir in der Presse über die Zerstörung der Beziehungen und Verhältnisse durch Egoismus, Haß, Mord und Überheblichkeit. Einige Beispiele aus der Mitteldeutschen Zeitung vom 14. 07.2000: „Reaktion auf tödliche Schüsse: Polizei kontrolliert mit Hand an Waffe.“ Prozeß: „ Angeklagte brachten Ausländer illegal über europäische Grenzen“. Synagogen – Prozeß :“Die Täter hegten fanatischen Haß auf Juden.“

Die in diesen Beispielen sichtbaren Motive haben schon seit Beginn der Menschheitsgeschichte das Verhältnis zu Gott und der Menschen untereinander zerstört, wie die Geschichten auf den ersten Seiten der Bibel anschaulich erzählen. Gott muß sich etwas Neues einfallen lassen, um sich bekannt zu machen und um ein gutes Zusammenleben der Menschen zu ermöglichen. Er spricht einen einzelnen Menschen in besonderer Weise an, nimmt Kontakt mit ihm auf. Der Segen Gottes für diesen Einzelnen soll Neues in den Ablauf der Menschheitsgeschichte bringen. Von Abraham soll in Zukunft Segen und Heil für alle ausgehen.

Segen ist eine Kraft von Gott, die Leben weitergibt und beschützt, die in Gemeinschaft Erfüllung und Glück schenkt. Der Segen Gottes an Abraham soll in dreifacher Hinsicht konkret werden. Gott kündigt an:

  • ich will dich ein neues Land sehen lassen
  • ich will dich zu einem großen Volk machen
  • ich will dir einen großen Namen machen.

(2. Konkreter Segen)

Wie konkret wird der benannte Segen im Leben Abrahams?

(2.1.)

Das verheißene neue Land darf Abraham sehen. Im folgenden 13. Kapitel wird erzählt: Lot, der Neffe, trennt sich wegen des andauernden Streites um die Weideplätze und wählt egoistisch für sich die fruchtbare Jordanebene.
Abraham zieht mit seinen Kleinviehherden ins karge Bergland von Palästina. Dieses Land werden seine Nachkommen bewohnen. Hier weiden ebenfalls die einheimischen Kleintierherden, die Städte sind bewohnt. Ein schwieriges Zusammenleben steht bevor: Absprachen, Verhandlungen und Toleranz sind gefragt. Hungersnöte sind in dürren Jahren vorprogrammiert. Weitere Migrationen bis nach Ägypten stehen bevor.
Das neue verheißene Land fordert innere und äußere Kräfte!
Wird es gelingen, das Leben im „Neuland“ zu gestalten? – Mit Gottes Segen: Ja!-
Aber - bis heute sind die Konflikte da. Um ein Zusammenleben wird gerungen in diesen Tagen z. B. in Camp David (USA) bei den Gesprächen zwischen Barak und Arafat unter Vermittlung Clintons. Wie kann ein friedliches Zusammenleben politisch geregelt werden?

(2.2.)

Die zweite Segenszusage steht hart gegen die Erfahrungen von Abraham und seiner Frau Sara. Früher hatten sie monatlich die Enttäuschung zu verkraften, daß sie zusammen keine Kinder bekamen. Sie hatten in ihrem Alter die Hoffnung auf Kinder begraben..
Dagegen steht die Zusage: Ich will dich zu einem großen Volk machen!
Aber auch nach der Verheißung Gottes tut sich mit einer Schwangerschaft nichts. Abraham hilft schließlich nach: Mit der Magd von Sara zeugt er den Sohn Ismael.
Erst viel später wird der Segen wahr: Sara bekommt trotz ihres Alters den Sohn Isaak! Ein wunderbares Geschenk Gottes!

Doch als Isaak ein selbständiges Kind geworden war, ergeht an Abraham eine unzumutbare Aufforderung: “Geh hin! Ein zweites Mal geh und opfere Isaak auf einem Berg, den ich dir sagen werde.“
Abraham – geht! Er ist zu dem schwersten Opfer bereit!
Die blutige Tat wird verhindert! Gott läßt ihm sagen:
„Lege deine Hand nicht an den Knaben….! Weil du solches getan hast und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont, will ich dein Geschlecht…mehren und durch dein Geschlecht sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, weil du meiner Stimme gehorcht hast.“ (1. Mose 22,12.16f.)

Verheißen war dem Abraham ein ganzes Volk, aber er bekommt nur einen Sohn. Über ihn kommt die Segenszusage Gottes an das künftige Volk Israel. Von diesem Volk ausgehend wird der Segen Gottes allen Menschen Leben und Heil ermöglichen.

(2.3.)

Die dritte Segenszusage betrifft Abrahams Namen. „Ich will dir einen großen Namen machen!“
Auch davon hat Abraham selbst während seiner Lebenszeit nichts gemerkt.
Große Namen wollen sich viele Menschen selbst machen durch Leistung, Karriere oder auffallendes Verhalten. Kurz zuvor wird die Geschichte vom Turmbau zu Babel erzählt. Darin ist das Hauptmotiv das gleiche. Laßt uns einen Turm bauen, damit wir uns einen Namen machen. Im Gegensatz zu menschlichem Bemühen um den eigenen Ruhm macht Gott selbst den Namen Abrahams groß – aber erst in späterer Zeit. Das ist für uns unschwer erkennbar: bis heute wird sein Name in den drei monotheistischen Religionen auf der Welt verehrt: Er ist der Stammvater und das Vorbild im Glauben an den einen, unsichtbaren Gott. Das verbindet Juden, Muslime und Christen!

(3. Segen und Fluch Gottes als Schutzfunktion)

In dem neuen und unbekannten Land wird Abraham auf freundliches Entgegenkommen stoßen, aber auch auf Ablehnung. Einige werden ihm Gutes tun, andere werden Böses gegen ihn in Gang setzen. Er wird als Fremder Freunde und Feinde haben. Gott sagt: „Ich will segnen, die dich segnen, und den verfluchen, der dich verflucht.“ So sagt es der hebräische Text - anders als die Übersetzung Luthers. Als Ausländer soll Abraham Schutz haben durch Gott selbst.
Auffallend ist: Gott selbst vergilt das Gute, das Abraham angetan wird, mit Gelingen des Lebens für viele. Segen wird die guten Kräfte der sozialen Gemeinschaft stärken.

Doch wer Abraham verachtet und Böses über ihm ausschüttet, den wird Gott als einzelnen mit seinem Fluch belegen. An dem, den Gott gesegnet hat, soll sich keiner vergreifen! Der Einzelne trägt allein die Folgen des Fluchs.

Gelten Segen und Fluch als Schutzzusage Gottes auch für die Nachkommen Abrahams in der Gegenwart?
Gesegnet sind diejenigen, die Abrahams Nachkommen bei sich mit Entgegenkommen aufnehmen und ihnen gleichberechtigtes Leben ermöglichen!
Doch wir müssen in Deutschland eine erschreckend gegenläufige Bilanz ziehen: Sechs Millionen Juden wurden durch Menschen unseres Volkes im vorigen Jahrhundert mit dem Fluch belegt: Jude verrecke! Und auch heute sitzen diese zerstörerischen Gedanken in Köpfen von Menschen und gebären Haßtaten gegen Juden und Ausländer. Ein inneres Erzittern läßt uns um Vergebung bitten, damit wir mit Klarheit und Konsequenz umdenken lernen.
Das alte Wort Gottes, das Abraham Schutz gewährt, läßt uns den Zusammenhang unseres Verhaltens mit Gottes Handeln deutlich erkennen. Durch Umkehr kann Böses in Gutes verwandelt werden. Das ist die Chance, die Gott jedem einzelnen gibt.

(4. Universale Wirkung des Segens)

Wie kommt der Segen, der Abraham als Einzelnem zugesagt wurde, zu allen Geschlechtern der Erde?
Mit Abraham wird der Anfang gesetzt, daß Gottes schöpferische Kraft speziell zunächst an einem Menschen wirkt.
Wer in den nachfolgenden Generationen und Geschlechtern in der Tradition mit Abraham verbunden ist, der wird von Gott gesegnet werden. Das trifft nicht nur für das jüdische Volk zu, sondern auch für die Christen und Muslime gleichermaßen.

Die christliche Tradition führt Jesus von Nazareth genealogisch auf Abraham zurück, z.B. durch den Stammbaum des Matthäusevangelims. Jesus weitet den Segen als lebenschaffende und bewahrende Kraft auf alle Menschen aus.
So schließt der christliche Gottesdienst mit dem alttestamentlichen aaronitischen Segen an alle:
Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
dann wird von Gott her Schutz und Kraft zum Leben zugesprochen wie es in ähnlichem oder anderem Wortlaut Glaubende seit Abraham tun.

Diese spürbare, göttliche Kraft bewegt nicht ganze Völker, sondern die kleineren, überschaubaren Einheiten der Geschlechter, Familienverbände und Gemeinden, in denen Glauben und Frömmigkeit gelebt wird in Anknüpfung an die alten Traditionen.

Auch der Islam knüpft an die Traditionen Abrahams an:
Abraham wird als der erste Prophet verehrt, der sich schon vor Mohammed zu dem einen wahren Gott bekehrt und der Götzenverehrung seiner Umwelt eine Absage erteilt hat.
Im Koran heißt es z. B. in der Sure 19,41: „Und gedenke im Buche des Abraham. Siehe, er war aufrichtig, ein Prophet.“ Und Sure 3,67 f :“ Abraham war weder Jude noch Christ; vielmehr war er lauteren Glaubens, ein Muslim….Siehe diejenigen Menschen, die Abraham am nächsten stehen, sind wahrlich jene, die ihm folgen, und das sind der Prophet und die Gläubigen.“
Im Wallfahrtsmonat des islamischen Jahres wird ein Tier beim Opferfest dargebracht, das an Abraham erinnert, der bereit war, seinen eignen Sohn zu opfern.
Abraham glaubte und handelte also auch wie ein Muslim.

Beim Zusammenrücken der Menschen auf dem Erdball in multikulturellen Gesellschaftsformen ist es eine wichtige Aufgabe, daß die drei Glaubensrichtungen weitergehend als bisher ins Gespräch kommen und vom Segen Gottes miteinander trotz der Unterschiede in der Tradition leben.

(5. Die Reaktion Abrahams)

Ist das Verhalten Abrahams eigentlich etwas Außergewöhnliches oder etwas Alltägliches und Normales?
Gott sagt zu ihm: Geh! Geh aus deinem Land, aus deiner Familie und aus deines Vaters Haus. - Und Abraham geht!
Damals wie heute ist das Verlassen der Heimat und Familie einschneidend und eine Herausforderung.
Fortzugehen und allein eine neue Existenz aufzubauen, gehört heute trotzdem zur Biographie von Millionen Menschen.
Damals war vermutlich nach dem Tod von Abrahams Vater Terach das Weideland nicht ausreichend, um die Familien der Kinder alle zu ernähren. Bei den Halbnomaden mit den Kleintierherden war es notwendig, daß dann einer fortzog in die Nähe oder in die Ferne, um neues Weideland aufzutun.
Seit dem vergangenen Jahrhundert hat die Wanderbewegung von Menschen auf der Erde bisher unvorstellbare Ausmaße angenommen. Für alle Seßhaften ist das unverständlich . Es ist aber not – wendend für alle, die Nahrung, Arbeit oder Freiheit suchen!
Das Besondere bei Abraham war jedoch, daß er nicht selbst den Plan faßte zur Auswanderung, sondern daß er die Stimme des unsichtbaren Gottes vernahm. Auf sein Wort hin machte er sich auf den Weg ins Ausland.
Er vertraute keinen anderen Göttern mehr, sondern machte sich an diesem einen Gott fest mit seinem Leben, mit seinem Denken, mit seinen Empfindungen. Er ging den persönlichen Kontakt mit dem neuen und unbekannten Gott ein und blieb mit ihm in Verbindung sein Leben lang. Aus den Geschichten, die uns von Abraham überliefert werden, können wir uns ein Bild machen darüber machen:
Abraham redet mit Gott,
er fürchtet Gott,
er hört auf sein Wort,
er tritt vor Gott fürbittend für andere Menschen ein,
er baut für Gott einen Altar,
er dankt Gott.

Sein persönliches Verhältnis zu Gott – das ist das Neue an Abrahams Glauben.
Für uns im Zeitalter des Individualismus ein beachtenswertes Vorbild! Bei allen Unwägsamkeiten und Herausforderungen in den unterschiedlichen Lebenslagen ist es lohnend, sich für diesen Kontakt zu Gott innerlich zu öffnen, ihn zu wollen und bewußt zu gestalten.
So wird Gott immer erneut seine Segenskräfte und sein Heil in das Leben von Menschen hineingeben und damit auch in die Weltgeschichte, mit dem Ziel: nicht das Böse und Zerstörerische, sondern das Gute und das Heil werden das Leben bestimmen.

Amen.

Vorbemerkungen:

Dem Schwerpunkt des Predigtabschnittes folgend soll in den ersten Teilen der Predigt die Verheißung des Segens bedacht werden. Dem liegt die exegetische Entscheidung zugrunde, dass in V 3c brk – segnen im Niphal passivisch: “ sie werden gesegnet“ übersetzt wird und nicht reflexiv: “sie segnen sich“. Auch die Schutzfunktion des Fluches soll zur Sprache kommen.

Die Reaktion Abrahams als Vorbild des Glaubenden soll – gemäß paulinischer Auslegung – den Schlußteil bilden. Ich verwende in der Predigt den späteren Namen: Abraham, nicht Abram.

Mit der Strukturierung lehne ich mich an die Predigtmeditation von Ed Noort in GPM 54. Jahrgg., Heft 3 S. 319ff. an.

Die in Klammern gesetzten Überschriften sind nicht für die Gemeinde, sondern nur für den/die PredigerIn gedacht.

Charlotte Hoenen, 06120 Lieskau
E-Mail: rhoenen@t-online.de


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