Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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6. Sonntag nach Trinitatis
30.7.2000
Apostelgeschichte 8,26-39

Ludwig Schmidt

Predigttext (Lutherübersetzung)

26 Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist.
27 Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, welcher ihren ganzen Schatz verwaltete, der war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten.
28 Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja.
29 Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen!
30 Da lief Philippus hin und hörte, daß er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest?
31 Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.
32 Der Inhalt aber der Schrift, die er las, war dieser: "Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf.
33 In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen."
34 Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem?
35 Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus.
36 Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, daß ich mich taufen lasse?
(37 Philippus aber sprach: Wenn du von ganzem Herzen glaubst, so kann es geschehen. Er aber antwortete und sprach: Ich glaube, daß Jesus Christus Gottes Sohn ist.)
38 Und er ließ den Wagen halten, und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn.
39 Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus, und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich.

Liebe Gemeinde!

Dieser Bibelabschnitt erzählt von einer geglückten christlichen Mission. In ihm wird berichtet, wie der Finanzminister einer äthiopischen Königin, die im Gebiet des heutigen Sudan regierte, Christ wurde. Nun wird heute oft kritisiert, daß die Kirche mit erheblichem Aufwand Mission betreibt, um Menschen für den Glauben an Jesus zu gewinnen. Die Mission beruht ja auf der Überzeugung, daß es für alle Menschen gut wäre, wenn sie an Jesus glauben. Dagegen wenden die Kritiker ein: Damit überschätzt ihr Christen erheblich die Bedeutung eurer Überzeugung. Es gibt doch viele Religionen und zahlreiche Meinungen über Gott und die Welt. Wie könnt da ihr Christen den Anspruch erheben, daß der Glaube an Jesus für alle Menschen wichtig ist? Die Kirche sollte die Kraft und das Geld, das sie für die Mission einsetzt, ausschließlich dafür verwenden, die Lebensverhältnisse bei uns und in den armen Ländern zu verbessern. So sagen die Kritiker. Aber wenn wir an Jesus glauben, dann haben wir den Auftrag, für diesen Glauben zu werben. Gott will, daß alle Menschen von Jesus hören. Hier gibt es keine Grenze der Religion, der Rasse oder des Kulturkreises, dem jemand angehört. Gott läßt auch nicht gelten, daß man am besten an der Überzeugung festhält, in der man erzogen wurde, wie man gelegentlich hören kann, sondern alle Menschen sind eingeladen, an Jesus zu glauben.

Das zeigt die Erzählung von dem äthiopischen Kämmerer. Die ersten Christen waren ja Juden. Sie teilten mit den anderen Juden die Auffassung, daß Gott Israel erwählt hatte. So lasen sie es in dem Alten Testament, das ihre Bibel war. Deshalb waren diese jüdischen Christen davon überzeugt, daß die Botschaft von Jesus den Juden verkündigt werden mußte. Mit Jesus hatte Gott die Hoffnungen der Juden auf einen Bringer des Heils erfüllt. Die ersten Christen wären über die gegenwärtige Diskussion in unserer Kirche recht verwundert gewesen, ob es Judenmission geben dürfe. Für sie stand fest, daß Jesus das Heil der Juden war, und deshalb missionierten sie eifrig unter den Juden. Freilich waren sie nicht sehr erfolgreich. Aber deshalb haben sie diese Mission nicht aufgegeben. Nun waren aber die Juden das von Gott auserwählte Volk. Sie grenzten sich deshalb scharf von den Nichtjuden ab. So standen jene Christen vor der Frage, ob die Botschaft von Jesus auch den Nichtjuden verkündet werden sollte. Mit der Erzählung von dem äthiopischen Kämmerer wird die Mission unter den Nichtjuden begründet. Sie zeigt, daß Gott will, daß auch diese Menschen von Jesus erfahren und an ihn glauben. Deshalb wird in der Einleitung dieser Erzählung berichtet, daß ein Engel Philippus auf jene Straße schickte, auf der er dem äthiopischen Kämmerer begegnen sollte. Aus demselben Grund wird auch ausdrücklich erwähnt, daß der Geist Philippus befahl, sich an den Wagen des Kämmerers zu halten. Es war eben keine Entscheidung, die Philippus selbst getroffen hatte, als er mit der Botschaft von Jesus die Grenzen des jüdischen Volkes überschritt, sondern Philippus befolgte damit den Willen Gottes. Es darf für die christliche Verkündigung keine Grenze geben. Deshalb können auch wir es uns nicht aussuchen, ob wir Mission für richtig oder falsch halten. Die Geschichte der Mission enthält zwar dunkle Kapitel. Es gab Zeiten, in denen Menschen mit Gewalt genötigt wurden, den christlichen Glauben anzunehmen. Ein Beispiel sind die Eingeborenen in Südamerika, denen die europäischen Eroberer das Christentum aufzwangen. Das war falsch. Der Glaube an Jesus darf nicht erzwungen werden. Sonst wird Jesus zwar mit dem Mund bekannt, aber der Glaube bewegt nicht das Herz. Doch Fehler, die in der Vergangenheit bei der Mission begangen wurden, setzen nicht den Auftrag Gottes an Christen außer Kraft, allen Menschen die Botschaft von Jesus zu verkünden. In der Erzählung von dem äthiopischen Kämmerer hatte Philippus über diesen Mann keine Macht, und der Kämmerer war auch nicht in einer Notlage, die Philippus ausnützen konnte, damit er Christ wurde. Dem Kämmerer ging es im Gegenteil gut. Er war finanziell erheblich besser gestellt als Philippus, der als Missionar durch die Gegend zog.

Freilich suchte der Kämmerer nach dem Sinn seines Lebens. Seine Macht und sein Reichtum genügten ihm nicht für ein erfülltes Leben. Bei seiner Suche hatte der Kämmerer anscheinend von dem Gott gehört, den die Juden verehrten. Ihr Glaube zog ihn an. So nahm er die Strapazen und die Kosten einer Wallfahrt nach Jerusalem auf sich, um dort diesen Gott anzubeten. Freilich durfte er nicht zum Judentum übertreten. In der Lutherübersetzung wird er als Kämmerer bezeichnet. Dafür steht im griechischen Urtext das Wort Eunuch. Dieser Mann war also kastriert worden. Wer kastriert war, konnte aber nicht Jude werden. Weil er trotzdem mehr von dem Gott, den die Juden verehrten, erfahren wollte, hatte er in Jerusalem eine Rolle, die das Buch Jesaja in griechischer Übersetzung enthielt, gekauft. In ihr las er, als ihm Philippus begegnete. Man hat damals laut gelesen. Deshalb hörte Philippus, welche Stelle der Kämmerer gerade las. Es waren Worte über den Knecht Gottes, der klaglos leidet und von Gott erhöht wird. Der Kämmerer verstand sie nicht. Er sagte zu Philippus: "Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von einem anderen?" Philippus war überzeugt, daß sich in Jesu Weg die Worte von dem Gottesknecht, der um Gottes willen klaglos leidet und von Gott erhöht wird, endgültig erfüllt hatten. Deshalb verkündete er dem Kämmerer ausgehend von dieser alttestamentlichen Stelle Jesus. Weil Gott mit Jesus nochmals in der Geschichte seines Volkes gehandelt hat, muß das Altes Testament im Licht des Jesusgeschehens gelesen und gedeutet werden, damit sein vielfältiges Zeugnis von Gott richtig verstanden wird, so daß wir aus seinen Worten Gott und uns selbst erkennen. Das Alte Testament ist ja für sich genommen ein offenes Buch. In ihm wird von vielen verschiedenen Stimmen ein neues Handeln Gottes angekündigt. So weckt das Alte Testament zwar Hoffnung auf Gott. Aber ob man auf die Erfüllung dieser Ankündigungen weiterhin warten muß, ober ob sie gar Illusionen sind, die sich nie erfüllen werden, kann man aus dem Alten Testament nicht ablesen. Wer freilich an Jesus glaubt, der hat die Gewißheit, daß das Alte Testament kein offenes Buch geblieben ist, sondern daß es Gott mit Jesus zu seinem Abschluß und Ziel gebracht hat. Der Kämmerer hatte die Stelle über den Gottesknecht aus dem Buch Jesaja gelesen und nicht verstanden, weil er nichts von Jesus wußte. Erst als Philippus zu ihm von Jesus geredet hatte, wurden seine Augen und sein Herz geöffnet.

Auch heute verstehen viele Menschen nicht die Bibel, wenn sie in ihr lesen. Sie nehmen die Worte zur Kenntnis, aber ihre eigentliche Bedeutung bleibt ihnen verschlossen. Sie brauchen einen Menschen, der zu ihnen von Jesus redet, damit sie mit der Bibel etwas anfangen können. Freilich unterscheiden wir uns darin von den ersten Christen, daß unsere Bibel nicht nur aus dem Alten Testament besteht. Zu ihr gehört das Neue Testament, in dem Jesus als das Heil Gottes für alle Menschen bezeugt wird. Deshalb ist es immer wieder einmal geschehen, daß Menschen Christen wurden, weil sie in der Bibel gelesen haben. Hie und da werden auch noch heute Menschen auf diese Weise Christen. Aber es ist nicht die Regel. Gerade in unserem Land gilt doch die Bibel weithin als ein unverständliches Buch, dessen Lektüre nicht lohnt. Die Bibelkenntnisse sind in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen. Deshalb ist es besonders wichtig, daß Christen auch in Deutschland von Jesus reden. Unser Land ist inzwischen wieder zu einem Missionfeld geworden. Das gilt keineswegs nur für das Gebiet der ehemaligen DDR. Wenn wir den Menschen von Jesus erzählen, werden wir vielleicht auch erleben, was Philippus bei seiner Begegnung mit dem Kämmerer erfahren hat. Durch die Worte von Philippus ist der Kämmerer zum Glauben an Jesus gekommen. Als sie an einem Wasser vorbeikamen, fragte der Kämmerer Philippus: "Was hindert, daß ich mich taufen lasse?" Jude konnte der Kämmerer nicht werden, weil er kastriert war. Aber Christ durfte er werden. Dafür spielt es keine Rolle, was jemand ist oder war.

So taufte Philippus den Kämmerer. Später war man freilich der Meinung, daß Philippus den Kämmerer zu schnell getauft hatte. Man fügte Vers 37 ein. Danach sagte Philippus zu dem Kämmerer zunächst: "Wenn du von ganzem Herzen glaubst, so kann es geschehen". Der Kämmerer antwortete mit dem Bekenntnis: "Ich glaube, daß Jesus Christus Gottes Sohn ist". Aber mit der Bitte um die Taufe, hatte der Kämmerer doch schon zum Ausdruck gebracht, daß er sein Leben Jesus anvertraut. Das korrekte Bekenntnis, das ihm später in den Mund gelegt wurde, besagt nicht mehr. Legen nicht auch wir manchmal zu großen Wert darauf, daß Menschen ihr Vertrauen zu Jesus ganz korrekt ausdrücken? Durch die Taufe ist nun das Leben des Kämmerers mit Jesus verbunden. Damit ist für ihn die Suche nach dem Sinn seines Lebens beendet. Er hat ihn in Jesus gefunden, weil er glaubt, daß ihn nichts in seinem Leben von Jesus trennen kann. Diese Gemeinschaft wird sogar der Tod nicht zerstören. So zieht nun der Kämmerer fröhlich seine Straße. Zu dieser Freude hatte ihm Philippus verholfen, weil er von Jesus redete. Auch heute sollen Menschen fröhlich auf der Straße ihres Lebens ziehen können, weil sie in Jesus den Sinn ihres Lebens gefunden haben. Deshalb haben wir von Gott den Auftrag zur Mission. Amen.

Liedvorschläge
EG 200: Ich bin getauft auf deinen Namen (Wochenlied)
EG 257: Der du in Todesnächten
EG 356: Es ist in keinem andern Heil
EG 349: Ich freu mich in dem Herren

Prof. Dr. Ludwig Schmidt
Institut für Altes Testament
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