Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 12. November 2000
Predigt über Hiob 14, 1 – 6, verfaßt von Ernst Arfken

Liebe Gemeinde!

Manche Dinge sind so wichtig, dass wir nicht darum herum kommen, über sie gründlich nachzudenken. Zu diesen wichtigen Dingen gehört auch unser menschliches Leben. Wenn wir es versäumen, darüber nachzudenken, hat das verheerende Folgen. Es ist dann so, als würden wir an einer Reise teilnehmen, ohne zu wissen, wohin. Eine „Fahrt ins Blaue“ kann zwar sehr reizvoll sein, aber jeder weiß: Unser Leben ist nicht nur ein Vergnügungs-Ausflug. Manchmal packt es uns sehr hart an.

Wenn wir nicht gründlich darüber nachdenken, droht uns ein schlimmes Ende. Kommt der Tod in Sicht, haben wir keine Ahnung, warum wir überhaupt gelebt haben. Wir werfen dann unser Leben weg wie einen alten, unansehnlich gewordenen Mantel. Das ist es doch nicht, was wir uns gewünscht haben. Dabei kann unser Leben etwas ganz Wunderschönes und Kostbares sein bis zum letzten Atemzug. Es kommt darauf an, wie wir es betrachten und was wir daraus machen. Weichen wir also der Frage lieber nicht aus, sondern strengen wir uns an, gründlich zu überlegen: Was ist unser Leben?

Viele vergleichen es mit einer Blume (vor allem bei atheistischen Beerdigungen).Sie wächst heran, blüht auf, welkt und vertrocknet. Ein schönes, aber trügerisches Bild! Sterben als ein Vertrocknen - ein entsetzlicher Gedanke! Wie qualvoll Dürsten und dabei nicht trinken Dürfen ist, davon wissen vor allem Patienten nach einer Magen- oder Darmoperation ein Lied zu singen. Werfen wir das Blumenbild lieber beiseite.

Ein anderer Vergleich mit unserem Leben ist das Bild von der Sonne. Sie geht auf, durchläuft ihren Höhepunkt und geht unter. Auf den ersten Blick ein schönes Bild:, hell und freundlich: der Mensch wie die Sonne. Aber auf der Mitte des Weges beginnt schon der Abstieg.. Dabei kann auch die zweite Lebenshälfte noch so viel Schönes bringen. Und mit dem Untergang ist endgültig Schluss, nichts mehr zu erwarten. Es folgt die schwarze Nacht. Ist es das, was wir uns gewünscht haben? Gewiss nicht. Werfen wir also auch das Sonnenbild lieber beiseite.

Stattdessen ist es an der Zeit, den Predigttext dieses Sonntags zu Wort kommen zu lassen. Er steht im Alten Testament im Buche Hiob Kapitel 14 und beginnt:

Der Mensch , vom Weibe geboren,
lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe,
geht auf wie eine Blume und fällt ab,
flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.

Hier begegnen uns wieder die schon bekannten Bilder von der Blume, deren Blätter und Blüten abfallen, und vom Sonnenuntergang, hier dichterisch umschrieben mit den Schatten, die abends immer länger werden und schließlich ganz verschwinden. Aber Hiob begnügt sich damit nicht. Er fährt fort mit einem kräftigen „Doch du“. Das heißt: Hier wendet sich Hiob an Gott und betritt damit eine neue Ebene. Heute sagt man gern: „Er begibt sich in eine neue Dimension. “Er sagt damit: Unser Leben ist nicht nur unsere eigene Privatangelegenheit, sondern hat seinen Ursprung bei Gott. Und noch einen weiteren Gedanken über unser menschliches Leben bringt Hiob hier ins Gespräch – einen Gedanken, der uns zwar unangenehm ist, aber nicht zu umgehen. Er besagt, dass unser Leben unvermeidlich damit verbunden ist, dass wir uns schuldig machen. Keiner ist davon ausgenommen. Niemand bleibt ein Engel. Hiob drückt es so aus:

Doch du tust deine Augen über einen solchen Menschen auf,
dass du mich vor dir ins Gericht ziehst.
Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen?
Auch nicht einer!

Zum Wesen unseres menschlichen Lebens gehört weiterhin, dass es eine Grenze hat, die wir nicht beseitigen können. Der Mensch lebt nicht ewig.

Sind seine Tage bestimmt,
steht die Zahl seiner Monde bei dir
und hast du ein Ziel gesetzt,
so blicke doch weg von ihm,
dass er Ruhe hat, bis sein Tag kommt,
auf den er sich wie ein Tagelöhner freut

Mit diesen Worten wünscht Hiob sich seinen Tod, denn er war ein äußerst gequälter Mann. Er litt an Aussatz.. Nach damaligem medizinischem Brauch saß er auf einem Aschenhaufen und kratzte mit einer Tonscherbe seine Wunden, um den unerträglichen Juckreiz zu lindern. Hiob wusste noch nichts von einer Auferstehung der Toten und vom ewigen Leben. Dieser Glaube hat erst durch Jesus Christus klare Umrisse bekommen. Vorher gab es bestenfalls eine Ahnung davon.

Als Jesus zum Tode verurteilt war und am Kreuz sterben musste, hat er, wie die Bibel im Lukas-Evangelium berichtet, Worte aus einem uralten Sterbegebet gerufen: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.“ Das war ein anderes Sterben als das Verwelken oder ins Nichts Hinübergehen.

Die Worte Hiobs sind ursprünglich ein wunderschönes Gedicht in hebräischer Sprache. Matthias Claudius hat sich dadurch wiederum zu einem Gedicht anregen lassen, das lautet:

Der Mensch lebt und bestehet
nur eine kleine Zeit
und alle Welt vergehet
mit ihrer Herrlichkeit.
Es ist nur einer ewig
und an allen Enden
und wir in seinen Händen

Kommen wir noch einmal auf die Frage vom Anfang zurück: Was ist unser Leben, oder womit können wir es vergleichen? Letzten Endes muss wohl jeder für sich selbst eine Antwort darauf finden. Ich möchte es hier mit folgendem Vergleich versuchen: Das Leben ist eine Wanderschaft. Man kann sie allein antreten. Man kann sich aber auch einen treuen Begleiter wählen. Das Beste ist, man wählt Gott und lässt sich von ihm führen, denn sein Weg führt nicht in ein dunkles Ende hinein, sondern über den Tod hinaus.

Der Dichter Paul Gerhardt bittet Gott:

Stärk unsre Füß` und Hände
und laß bis in den Tod
uns allzeit deiner Pflege
und Treu befohlen sein.
So gehen unsre Wege
gewiß zum Himmel ein.

Amen

Dr.Ernst Arfken
MTS-Str.4
18556 Altenkirchen
Tel.: 038391-12326


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