Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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20. Sonntag nach Trinitatis
17. Oktober 1999
1. Mose 8, 18-22

Thomas Fischer

Liebe Gemeinde,

I

solange die Erde sich dreht, gibt es Tag und Nacht, Sommer und Winter. Solange die Erde sich dreht, wechseln sich für uns Sonne und Mond ab, oder schieben sich auch einmal voreinander. Die Sonne sendet ihr Licht zum Leben und läßt auch Wolken kommen und regnen. Der Mond bewegt das Wasser zu Ebbe und Flut. Solange die Erde sich dreht, gibt es die Bewegung des Lebens.

Solange die Erde steht: In diesem Text aus dem 1. Buch Mose geht es um die Frage nach der Schöpfung und nach unserem Lebensraum. Es geht um die Frage nach unserem Leben und unseren Lebensmöglichkeiten. Wir beginnen, darüber nachzudenken, wenn infrage gestellt ist, ob und wie das Leben weitergeht. In der Bibel ist das auch so. Dort nämlich wird nach der Sintflutgeschichte neu nachgedacht über das Leben.

Noah steigt aus der Arche und dankt Gott - so wie er es gekannt hat: er bringt Gott ein Opfer dar. Er dankt Gott für das Leben, das ihm geschenkt ist nach der Sintflut.

II

Wenn man die Geschichte von der Sintflut, so wie sie in der Bibel erzählt wird, recht verstehen will, muß man sie im Zusammenhang mit der Schöpfungsgeschichte sehen. In der Schöpfungsgeschichte im ersten Buch Mose wird erzählt, wie Gott Himmel und Erde machte. Viele kennen diese Geschichte. Da heißt es: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe, und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: es werde Licht! Und es ward Licht.

Die Erde war wüst und leer. So übersetzt Martin Luther an dieser Stelle. Im Hebräischen steht dort das Wort Tohuwabohu. Das bedeutet: Drunter und Drüber - Chaos. Im Anfang gab es nur Chaos, nur Drunter und Drüber. Der Lebensraum Erde entsteht dann - so beschreibt es die Schöpfungsgeschichte - aus lauter Trennungen und Entflechtungen. Das Drunter und Drüber wird geordnet. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Gott trennt zunächst Licht und Finsternis voneinander und beginnt so, das Chaos zu ordnen. Im nächsten Schritt werden Himmel und Erde voneinander getrennt.

Wir wissen, daß sich die Menschen damals die Erde anders vorgestellt haben, als wir heute. Sie haben damals die Erde nicht für eine Kugel gehalten, sondern sich als große Scheibe vorgestellt. Diese Scheibe ruhte auf großen Säulen oder Pfeilern. Über der Scheibe wölbte sich eine Art riesige Glocke. An dieser Glocke waren die Sterne und die Himmelskörper und darüber oder dahinter war - weil der Himmel ja blau war - wieder Wasser.

Also: Wasser gibt es auf der Erde und vielleicht auch wieder weit unter der Erde; und Wasser gibt es über dem Himmel. So haben sich die Menschen damals den Aufbau der Erde gedacht und diese Vorstellung findet sich in der Schöpfungsgeschichte wieder. Diese große Glocke, die den Himmel bildet und das Wasser dahinter festhält, heißt in der Bibel Feste.

Ich lese die entsprechenden Zeilen aus der Bibel:

Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, die da scheide zwischen den Wassern. Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und Gott nannte die Feste Himmel.

Also: das Wasser wird getrennt und eine Art Luftraum gebildet. Und dann wird erzählt, wie Gott auf der Erdscheibe selbst Wasser und Land trennt: Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Orte, daß man das Trockene sehe. Und es geschah so. Und Gott nannte das Trockene Erde und die Sammlung der Wasser nannte er Meer.

So entsteht durch lauter Trennungen der Lebensraum Erde. Das Chaos wird geordnet. Das Tohuwabohu, das Drunter und Drüber wird entflochten. Das Chaos bekommt eine Ordnung. Danach wird beschrieben, wie Pflanzen und Tiere entstehen und wachsen und wie am Ende der Mensch die Erde bewohnt.

Nun bekommt in der Bibel nicht nur die Erde eine gute Ordnung, sondern auch das Zusammenleben der Menschen. Gott ordnet auch das Zusammenleben der Menschen. Es gibt Gebote und Regeln, die ein Miteinander-Leben ermöglichen.

Aber wie gehen die Menschen mit diesen Geboten und Regeln um? Sie mißachten sie. Die Menschen bringen die gute Ordnung durcheinander. Die Geschichte von Kain und Abel erzählt davon, wie ein Bruder den anderen erschlägt. Beispielhaft werden in der Bibel Momente aufgezählt, wo der Mensch eine Grenze überschreitet, bei Kain und Abel wie im Turmbau zu Babel, dessen Spitze bis in den Himmel reichen soll oder beim Griff nach dem ‘Apfel’, der Allwissenheit und ewiges Leben bringen soll. Der Mensch überschreitet die Ordnungen und Regeln Gottes.

Wir reagiert Gott darauf, daß die Menschen die Ordnung mißachten? Gott nimmt seine Ordnung zurück. Die Sintflutgeschichte ist zu verstehen als eine Rücknahme der Ordnung der Welt. Die Schleusen am Himmel, an der riesigen Glocke, werden geöffnet und das Wasser von oberhalb stürzt auf die Erde und macht alles Leben zunichte. Es herrscht wieder Chaos und Tohuwabohu. Die gute Ordnung wird zurückgenommen.

Die Menschen hatten Gottes Ordnungen mißachtet. Wenn nun auch Gott die Ordnung der Welt vollständig zurücknimmt, dann wäre das Leben zuende. Aber es gibt die Arche Noah. Es gibt von allen Tieren ein Pärchen und es gibt Menschen, die weiter leben sollen. Gott will nicht das Chaos, das Tohuwabohu. Er will Leben ermöglichen und schenken. Er nimmt die Ordnung der Welt nicht auf Dauer zurück.

Das Wasser der Sintflut fließt wieder ab. Noah geht an Land, baut einen Altar und dankt Gott. Da schließt Gott mit Noah einen Bund mit dem Regenbogen als Zeichen. Die Ordnung der Welt soll bleiben. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

III

Die Ordnung des Lebensraumes Erde bleibt. Wie steht es mit der Ordnung des Lebensraumes zwischen den Menschen? Wie verhalten sich die Menschen? Beachten sie Grenzen?

Der holländische Romanautor Harry Mulisch hat in seinem Buch „Die Entdeckung des Himmels“ die Phantasie, Gott könnte auf die Idee kommen, die 10 Gebote zurückzunehmen. Weil die Menschen die Ordnung mißachten, nimmt Gott nun nicht wie in der Sintflut die Ordnung der Welt zurück, sondern die Ordnung des Zusammenlebens der Menschen. In dem Buch werden Engel beauftragt, Menschen zu bewegen, die Steintafeln mit den 10 Geboten aus der Bundeslade so auf den Boden zu werfen, wie Mose das gemacht hat, als er vom Berg Sinai heruntergekommen ist und sein Volk um das goldene Kalb tanzen sah. Da hat er die Tafeln mit der Ordnung des Lebens zerschmissen. - Eine Romanphantasie: Gott nimmt die 10 Gebote den Menschen wieder weg.

Vielleicht muß man gar nicht so viel Aufwand treiben und die Tafeln zerstören. Sie könnten auch einfach in Vergessenheit geraten. Die Ordnung des Lebens geht verloren.

IV

Nun ist die Romanphantasie von Harry Mulisch nicht oder noch nicht in Erfüllung gegangen. Die Rücknahme von Ordnungen und Verabredungen ist vielleicht auch nicht gerade ein Fortschritt im Leben.

Aber etwas anderes ist geschehen. Gott weiß, daß die Menschen unvollkommen sind. Von Anfang an. Aber Gott will das Leben. Seine Ordnung der Welt bleibt bestehen. Die Erde dreht sich und bringt Tag und Nacht, Frost und Hitze, Saat und Ernte.

Nun sind die Früchte des Feldes mehr geworden als einfach nur etwas Gewachsenes. Brot und Wein sind zu Zeichen der Liebe Gottes geworden.

Brot und Wein sind Zeichen für den Sohn, für Jesus Christus, der eine neue Ordnung des Zusammenlebens von Menschen eröffnet hat. Seine Botschaft beginnt nicht bei den Ordnungen und Gesetzen. Er weiß einen anderen Zugang zum Leben. Es ist der Zugang über die Liebe, die Vergebung und Versöhnung kennt.

Solange sie Erde steht, soll nicht aufhören Liebe, die Vergebung kennt. In dieser Hoffnung leben wir.

Amen.

Thomas Fischer, Zürich
E-Mail: thofischer@access.ch


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