Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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21. Sonntag nach Trinitatis
24. Oktober 1999
Matthäus 10, 34-39

Matthias Petersen

INHALT

Wochenspruch: „Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Römer 12, 21)

Psalm 19, 1-15
AT-Lesung: Jeremia 29,1.4-7.10-14
Epistel: Epheser 6, 10-17
Evangelium: Matthäus 5, 38-48
Predigt: Matthäus 10, 34-39

  1. Morgenlicht leuchtet (455)
  2. Liebe, du ans Kreuz (415)
  3. Gott gab uns Atem (432)
  4. Dein Wort, Herr, nicht vergehet (295, 4)
  5. Bewahre uns, Gott (171)

kyrie eleison

verzeihe mir
gott
meine sünden
auch meine verborgenen
die besonders
wenn ich jetzt vor dich trete
äußerlich so untadelig
und doch
in mir
so zerrissen
so voller abgründe
herr
erbarme dich

gloria

und doch
gott
mein erlöser bist du
singt der psalmist
licht meiner finsternisse
ziel meiner irrwege
trotz allem
immer wieder neu

darum
gott
singen wir deinem namen
unseren lobgesang

ehre sei gott
in der höhe

tagesgebet

dein morgen ist das
gott
dein neuer tag
wir kommen zu dir
wie wir sind
voller dankbarkeit und freude
voller schwermut und sorgen
zweifelnd unsicher zuversichtlich

komm du nun zu uns
zu jedem und jeder
komm mit deinem geist
und nimm uns
an der hand
maranatha
unser herr
komm

Predigt: Matthäus 10, 34-39

Im Herbst des vergangenen Jahres starb mein Freund und langjähriger Weggefährte Herwig Pickert. Ein überzeugender Mensch: Oberst in der Luftwaffe der Bundeswehr, bekennender Christ, Friedensforscher, Synodaler der EKD, unbequemer Querdenker.

Wir lernten uns kennen während der wilden Jahre der Nachrüstungsdebatte am Ende der siebziger Jahre. Denen, die diese Zeit nicht miterlebt haben, ist heute nur schwer zu vermitteln, in welcher hysterisch-aufgeheizten Stimmung die Auseinandersetzungen damals auch innerhalb der Kirche geführt wurden. Herwig Pickert verstand seine Aufgabe als Christ und Soldat als den verzweifelten Versuch, inmitten einer irre gewordenen Welt die Friedensbotschaft des Evangeliums glaubwürdig zu leben. Er bemühte sich, Brückenbauer zu sein und zwischen den verhärteten Fronten der Christen das Gespräch nicht versiegen zu lassen. Nicht weil er gegenüber anderen den größeren Überblick gehabt hätte. Sondern weil er entsetzlich gelitten hat unter der lähmenden Sprachlosigkeit zwischen den Gruppen unserer Kirche und Gesellschaft.

Damit manövrierten er und seine Freunde sich in eine von uns vorher nicht geahnte Isolation: Von unserer Kirche bekamen wir die Prügel für eine Bundeswehr, die vielen Christen schlechthin das Symbol einer friedlosen Welt war. Und die Soldaten klagten uns an für eine Kirche, von der sie sich zunehmend ausgegrenzt fühlten. Wir saßen buchstäblich zwischen allen Stühlen.

Im Predigttext für den heutigen Sonntag lese ich:

Jesus sprach zu seinen Jüngern: „34 Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. 35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. 36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. 37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. 38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. 39 Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.

Der Predigtabschnitt aus dem Matthäusevangelium läßt diese fast vergessenen Erinnerungen wieder lebendig werden. „Meint nicht, ich sei gekommen, den Frieden zu bringen .... Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien ...“

Das war die Erfahrung, die die Jünger Jesu damals tatsächlich machten. Kein Gedanke daran, daß die Welt begeistert auf die neue Botschaft der Christengemeinde geflogen wäre. Im Gegenteil: Die Boten des hingerichteten Hochverräters aus Nazareth hatten einen schweren Stand. In der Erinnerung des Matthäus schlagen sich diese Schwierigkeiten nieder.

Jesus hatte seine Jünger beauftragt, die Botschaft vom Reich Gottes hinauszutragen in die Welt – aus dem Zusammenhang dieser Beauftragung stammt unser heutiger Evangeliumsabschnitt – und er sendet sie „wie Schafe unter die Wölfe“. Ein blumig-orientalisches Bild. Das aber nichts anderes sagt als: Euer Job ist lebensgefährlich. Denn die Menschen sind seit jeher erschreckend humorlos, wenn ihnen ungefragt Botschaften übermittelt werden, die sie nicht hören wollen und die ihr harmonisches Weltbild in Frage stellen. Wenn da einer anders entscheidet, denkt, lebt als die andern - da gibt es Ärger in der heilen Welt von Dorf und Familie. Dafür gab es und gibt es auch heute noch Beispiele ohne Ende

Jeder Lebensentwurf, der meinem eigenen widerspricht, stellt mich mit meiner ganzen Person in Frage. Und das erleben Menschen als konkrete Bedrohung ihrer Existenz. „Ich bin gekommen, die Menschen zu entzweien“ .... Nicht, weil christlicher Glaube auf Zwietracht hinauslaufen würde. Sondern weil der konsequente Versuch, anders zu leben als die andern – in diesem Fall: der Versuch, die Nachfolge Jesu zu leben – immer auf das Unverständnis und die Abwehr derer stößt, die lieber nicht so leben möchten.

In Klammern muß hier die Frage gestellt werden dürfen, wieweit wir als Kirche des 20. Jahrhunderts noch bereit sind, diese Brüche und Konflikte auszuhalten. Wie groß ist der Anpassungsdruck, der uns immer wieder zu Harmonisierungsversuchen mit einer Welt treibt, die in ihren wesentlichen Grundsätzen und Zielen eben doch anders lebt und hofft und träumt als Jesus von Nazareth? Ich erlebe meine eigene Kirche da eher auf Anpassungskurs, getrieben von einem großen Harmoniebedürfnis und sichtlich bemüht, es den „Mächtigen“ unserer Zeit recht machen. „Kirche darf sich nicht ins gesellschaftliche Abseits stellen“, heißt es dann ganz überzeugend. Darf sie wirklich nicht?

Zur Zeit der jungen Kirche – so erlebte es der Evangelist Matthäus am eigenen Leib - fällt die Gesellschaft mit der geballten Macht ihrer Mehrheit über die Ruhestörer her. „Nicht den Frieden“, bringt Jesus, „sondern das Schwert...“ Und das ist beileibe keine Rechtfertigung für Kriege im Namen Gottes. Immerhin hat Jesus – im selben Matthäus-Evangelium - eindeutig Stellung genommen zur Nächsten-und Feindesliebe, hat die Friedfertigen seliggepriesen und dem Petrus im Garten Gethsemane das Schwert aus der Hand genommen.

Nein, „das Schwert“ ist bei Jesus Symbol für das Leiden. Wer mir nachfolgt, heißt das, wird sich auf einiges gefaßt machen müssen. Hier werden keine lockeren, lockenden Versprechungen gemacht. Jesus ist kein Sektenprediger, bei ihm gibt es keine Hochglanzprospekte mit den Bildern einer strahlenden Harmonie. Und er ist auch nicht der „coole“ Typ, der die Dinge schon regeln wird für seine Leute.

Im Gegenteil, er macht ihnen nichts vor. Er selbst hat gelitten, ein Leben lang: Unter der Gegnerschaft der frommen Schriftgelehrten, unter der Teilnahmslosigkeit seiner Zeitgenossen, unter der Begriffsstutzigkeit seiner Jünger, unter der tödlichen Justiz der Römer. Wenn ihr mir folgt, sagt er, dann macht euch auf einiges gefaßt...

„Nehmt euer Kreuz auf euch ...“ Das ist damals noch kein frommer Satz aus dem Schatzkästlein deutscher Zitatensammlungen. Das hat nichts zu tun mit "nehmt euer Päckchen auf euch und lernt zu leiden ohne zu klagen.“ Das heißt vielmehr: Seid bereit, für die Sache des Evangeliums in den Tod zu gehen... Das heißt: Richtet euch darauf ein, unter den Geißelhieben der römischen Soldateska euer eigenes Kreuz auf dem zerschundenen Rücken zum Richtplatz zu schleppen. Das heißt noch einmal: Überlegt euch genau, worauf ihr euch einlaßt.

Und das kann wohl tatsächlich nur, wer sich total und voller Vertrauen fallenläßt in die Liebe Gottes. Wer sein Vertrauen in jedwede menschlich-irdische Bindung – und die Liebe zu Vater und Mutter und Kindern steht hier nur als Symbol für die stärkste denkbare Bindung auf dieser Erde – wer selbst solche Bindung zurückstellt und sich ganz allein Gott in die Hände wirft. Nur der kann – so die Überzeugung des Matthäus - den Weg Jesu gehen. Er weiß, wovon er redet; er spricht aus Erfahrung.

Und als ob das noch nicht genug wäre, wird schließlich sogar die Suche des Menschen nach einem erfüllten Leben abgewiesen: „Wer sein Leben gewinnen will, der wird es verlieren.“

Dabei ist doch die sehnsüchtige Suche nach Sinn und Ziel und Weg und Wahrheit und Leben gerade das, was den Menschen erst zum Menschen macht. Das muß gar nicht die Sucht nach Fun und Action sein, die das Lebensgefühl unserer Tage bestimmt. Obwohl diese Sucht schon einiger Fragen wert wäre: Wie da Selbstfindungsangebote und –gruppen wie Pilze aus dem Boden schießen, wohlstandsübersättigte Großstädter mit karger Notration durch die finnischen Urwälder kriechen und die Regale der Buchhandlungen überquellen mit Literatur zum Thema „Glücklich werden in zwanzig Lektionen“ Aber hat’s was gebracht? Sind wir glücklicher geworden? Die Antwort ist eindeutig nein. „Wer das Leben gewinnen will, der wird es verlieren...“

Diese Sucht nach Leben ist nicht nur ein Betrug an uns selbst. Sie ist mitverantwortlich für das entsetzliche Leiden eines großen Teils der Menschen und unserer Mitgeschöpfe - niedergehalten in Armut durch den exzessiven Lebensstil unserer nördlichen Zivilisation. Sie sterben an der Verknappung von Rohstoffen und Lebensmitteln, die wir verschleudern; sie sterben an den Waffen, die wir zur Mehrung unseres Reichtums verscherbeln; sie sterben an den Schlägen einer Schöpfung, die auf die permanente Vergewaltigung durch den Menschen zunehmend mit Naturkatastrophen antwortet. „Wer sein Leben gewinnen will, der wird es verlieren ...“ und, so muß man hinzufügen, „der zerstört auch das Leben vieler Millionen Unschuldiger.“

Demgegenüber stellt Jesus die Alternative: „Wer das Leben um meinetwillen verliert, der wird es gewinnen....“ Nein, das ist keine Aufforderung zum selbstgewählten Martyrium. Eher der dringliche Rat, ohne Rücksicht auf das Urteil der anderen für sich selbst Prioritäten zu setzen. Und da fallen mir tatsächlich eine Reihe von Menschen ein, an deren Leben sich diese Aussage festmachen läßt.

Herwig Pickert war einer von ihnen. Bestimmt vom Mut zur Zukunft, von einem uneingeschränkten Vertrauen in Jesus von Nazareth. Er ist todkrank und lebt sein verrinnendes Leben doch wie einen kostbaren Schatz. Wenige Tage vor seinem Tod schenkt er mir den Entwurf seines Abschiedsbriefes an seine Mitsynodalen der EKD-Synode. In diesem Brief heißt es zum Schluß:

„Seit der Weltversammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung 1990 in Seoul ist für mich das Lied ‚Bewahre uns Gott, behüte uns Gott‘ zum Inbegriff ... geworden ... dessen, was Auftrag, Sendung, Hoffnung und Ermutigung unserer Kirche ist. Dieses Lied muß eigentlich nicht nur gesungen, sondern auch mit Leib und Seele getanzt werden. Das kann ich nun nicht mehr – ein Stimmband ist gelähmt, und zur sehr langsamen Fortbewegung bin ich auf Krücken und Rollstuhl angewiesen. Aber ich bitte Sie, meine Schwestern und Brüder, mit mir zu Beginn meiner letzten Wegstrecke in dieses Lied einzustimmen – und ich will versuchen, diesen Weg weiter mit dem Kämmerer aus dem Morgenland zu gehen: Er aber zog seiner Straße fröhlich ...“

Amen!

fürbitte

in deine hände
guter gott
legen wir
unseren dank
und unsere not
unsere angst
vor dem was kommt
und
das jubeln unserer seele
für die erfahrung
deiner nähe und gegenwart

dir
ans herz und in die hände
guter gott
legen wir unsere mutlosigkeit
und unsere aufbrüche
unser hadern mit gestern
und unsere furcht vor morgen

dich
bitten wir
um neue kraft
die sterbenden zu begleiten
die trauernden zu trösten
die ziellosen zu begleiten
mit den fertigen
neu aufzubrechen einzustehen
für die würde und das leben
aller deiner geschöpfe

dir
guter gott
danken wir
für deine gegenwart
überall
inmitten unseres lebens

vater unser im himmel

Matthias Petersen
Neuheikendorfer Weg
19 24226 Heikendorf
E-Mail: petersen.m@t-online.de

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