Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Ewigkeitssonntag
21. November 1999
Daniel 12, 1b-3

Jürgen Berghaus

Liebe Gemeinde !

Viele von Ihnen sind heute morgen hier in der Kirche, weil sie durch den Tod einen geliebten Menschen verloren haben. Der Totensonntag am Ende des Kirchenjahres bietet sich an als ein wichtiger Schritt unter vielen anderen auf dem Weg der Trauer und der Trauer-Überwindung. Das schmerzhafte Ereignis ist schon eine gewisse Zeit vorbei, aber so richtig zurückgekehrt zur normalen Tagesordnung des Lebens sind wir nun doch noch nicht. Der heutige Gottesdienst will genau dazu einladen, zur Rückkehr ins normale Leben. Er erinnert an den schmerzhaften Verlust, aber er stellt zugleich mein persönliches Leid in einen größeren Zusammenhang. Laßt uns also von der Bibel her nach Wegen des Lebens suchen !

Viele von Ihnen sind heute morgen hier in der Kirche, weil sie durch den Tod einen geliebten Menschen verloren haben. Können Sie sich noch erinnern an die Gefühle, die das damals bei Ihnen auslöste ? Vielleicht haben Sie das Sterben ja persönlich miterlebt. Herzinfarkt oder Schlaganfall in der Wohnung oder unterwegs, vielleicht aber auch die lang erwartete Erlösung von einem schweren Krankheitsleiden. Plötzlich ist jener Mensch nicht mehr da, dem vorher meine ganze Aufmerksamkeit und Zuwendung galt. Fast scheint es, daß der Todesfall einen Teil von mir selbst mit weggerissen hat. Wie in einem Erdbeben fühle ich mich, das vorher Vertraute und Beständige kriegt auf einmal Risse und ist keineswegs so verläßlich, wie ich immer dachte. Es scheint nahezu unmöglich, in solch einer Situation einen klaren Kopf zu behalten - und wenn es mir gelingt, so doch meistens nur für eine gewisse Zeitspanne, und dann bricht das Chaos nur umso härter über mich herein . . .

Unser heutiger Predigttext entstand in einer ähnlichen Verzweiflungs-Situation. Wir schreiben das Jahr 165 vor Christus. Nach den einander ablösenden Großreichen der Assyrer, Babylonier, Meder und Perser hatten zuletzt die Griechen unter Alexander dem Großen die damalige Welt erobert und unter sich aufgeteilt. Damit begann ein Zeitalter, in dem der Mensch wie bis dahin nie zuvor die Größe und die Grenzen seiner Möglichkeiten offenbarte. Aufgrund der überlegenen, alles durchdringenden Kultur, Technik, Zivilisation und Religiosität der Griechen war eine Art Welteinheitsdenken heraufgezogen. Die e i n e Welt und Menschheit, das Ziel und die Vollendung aller geschichtlichen Entwicklungen schien zum Greifen nahe.

Freilich war dies nicht ohne militärischen und auch geistigen Zwang zu erreichen. Die neuen Herrscher trugen deshalb Beinamen wie „Epiphanes“ = „auf Erden erschienener Gott“ oder „Soter“ = „Heiland, Retter“. Für Israel zuständig war damals Antiochus IV. Epiphanes. Mit großer Strenge und Konsequenz unterdrückte er den jüdischen Glauben und entweihte ganz bewußt den Tempel in Jerusalem. Das war Anlaß für den Aufstand der Makkabäer : fromme jüdische Terroristen, für die Geschichte und Gegenwart keineswegs ruhig dahinflossen und einem heilvollen Endzustand entgegenstrebten. Die Makkabäer glaubten vielmehr göttliche Bilder zu sehen, in denen die gegenwärtige, von vielen als so hoffnungsvoll empfundene Weltzeit brutal zuende geht, um Platz zu machen für das völlig neue Reich Gottes. „Apokalyptik“ nennt man diese religiöse Strömung - wegen der besonderen göttlichen Offenbarung, der sich die zeitkritische Sichtweise verdankt.

Die Johannes-Offenbarung im NT und das Danielbuch im AT sind Beispiele für solchen Denken.

Wir hören als P.T. einige Verse aus Daniel 12 (1-3) : (...)

Rettung - Auferstehung - glanzvolles Erinnern : das sind die drei Handlungen, die mit dem erhofften Erscheinen des Engelfürsten Michael verbunden werden. „Michael“ = „Wer ist wie Gott ?“ Ein Name als Programm, unüberbietbare Machtproklamation für den Gott Israels, der seinem Volk hilft auch gegen jene Gottkönige, die nur scheinbar das Sagen im Lande haben. Aus aller Not und Bedrängnis will und wird Gott sein erwähltes Volk erretten.

L.G., am vergangenen Dienstag sahen sich unsere Konfirmanden den Manforter Friedhof genau an. Gelegentlich fanden wir Grabsteine in Form eines Buches mit den Namen der an dieser Stelle Beerdigten. Was für eine tröstliche Vorstellung : Bei Gott sind unser aller Namen aufgeschrieben - damit ER bloß keinen von uns vergißt bei seiner Rettungsaktion. Welch tiefes Gottvertrauen weit über den Horizont des eigenen Lebens hinaus. Und wenn schon Schindler´s Liste Hunderten von Juden während der Nazi-Verfolgung das Leben rettete, wieviel größere Rettung wird dann mit Gottes Liste verbunden sein, auf der sich unsere Namen und die unserer Verstorbenen geschrieben finden ?

„Michael“ = „Wer ist wie Gott ?“ Eine unüberbietbare Machtproklamation für den Gott Israels, der nicht an der Grenze des Todes mit seinem Latein am Ende ist, sondern der die Welt diesseits und jenseits der Todesgrenze gestaltet. Nachdrücklich wird in Dan 12 die von Gott bewirkte Aufersteh-ung angekündigt - es ist die einzige Stelle dieser Art im ganzen AT, zugleich auch die einzige mit der Hoffnung auf das ewige Leben. Umstritten ist unter den Experten die richtige Auslegung. Was heißt es wohl, daß „viele“ auferstehen werden - sind es „unermeßlich viele“ oder nur „viele, aber nicht alle“ ? Und gibt es einen doppelten Ausgang bei der Auferstehung - ewiges Leben auf der einen Seite und ewige Schmach und Schande auf der anderen - oder gilt das Negative bloß für die, die ihre eigene Auferstehung (aus welchen Gründen auch immer) verschlafen ?

Bei diesen strittigen Punkten sind wir Christen ein gewaltiges Stück weitergekommen. Für uns gehört die Auferstehungshoffnung zum Grundbestand unseres Glaubens. Nicht etwa, weil das eine besonders attraktive Zukunftssicht wäre, sondern einzig und allein deswegen, weil Jesus Christus auferstanden ist zu Ostern in Jerusalem und uns auf diese Weise den Weg gezeigt hat, den auch wir und unsere Verstorbenen gehen werden. Auferstehung also nicht bloß ein netter Gedanke, ein frommer Wunsch an der Klagemauer des Todes - sondern vielmehr Auferstehung als in einzigartiger Weise an Jesus vollzogene Machttat Gottes, und als solche Vorbild und Hoffnung für unsere eigene Zukunft. Daß mit dem Tode alles aus und vorbei ist oder daß es danach noch jede Menge Wiederverkörperungen in anderer Gestalt gibt - über solche Ideen läßt sich trefflich streiten, man kann sie glauben oder auch nicht. Aber daß Jesus Christus auferstanden ist und auf diesem Weg den Toten aller Zeiten vorangeht - diese christliche Grundhoffnung entspringt nicht irgendeinem schlauen Kopf, sondern sie zieht eindeutige Konsequenzen aus einem geschichtlichen Ereignis, das wie kein anderes in der Bibel vielstimmig bezeugt ist und dem zu vertrauen wir alle eingeladen sind.

Laßt uns darum niemals irre werden an der Auferstehungshoffnung. So sieht eben der besondere Weg Gottes aus, seine Liebe zu uns auch jenseits der Todesgrenze lebendig und kräftig zu erhalten. Es ist also nicht aus und vorbei mit unseren Verstorbenen, und sie führen auch kein neues Leben als Regenwurm oder Kaninchen - sondern sie warten mit uns zusammen auf die Auferstehung der Toten und werden dann als jene einzigartigen Menschen, die sie zu Lebzeiten waren, in das ewige Leben eingehen - nun aber nicht mehr eingeschränkt durch Krankheit, Leiden und Tod.

„Michael“ = „Wer ist wie Gott ?“ Ein Name als Programm, unüberbietbare Machtproklamation für den Gott Israels, der keinen Menschen verloren gibt und der uns dazu einlädt, es ebenso zu halten. L.G., wir sind die Fachleute für Erinnerungen, wir sind die verantwortlichen Gestalter des Gedächt-nisses unserer Toten. Wir selbst haben es in der Hand, ob unsere Verstorbenen leuchten wie der tag-helle Himmel und glänzen wie die Sterne für ewige Zeiten. Als es noch keine elektronischen Navigationsinstrumente gab, da orientierten sich die Seefahrer an den Sternen, um ihren Weg durch das wilde Meer zu finden. Wäre das nicht auch eine gute Handlungsanweisung für uns ? Als leuchtende Sterne am Himmel können mir meine Verstorbenen doch viel besser weiterhelfen, als wenn ich sie wie eine schwere Last auf dem Buckel mit mir herumtragen müßte. Sie sind dort oben, und ich bin hier unten - wir bleiben auf Sichtweite, aber wir behindern uns nicht gegenseitig. Gebe Gott unseren Toten ihren Platz im Himmel, auf daß wir mit Blick zu ihnen weiterleben können ! (...)
Amen.

Jürgen Berghaus, Pfr.
Ev. Johanneskirche, LEV-Manfort
E-Mail: eki-manfort@telda.net

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