Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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4. Advent
19. Dezember 1999
2. Korinther 1, 18-22

Heinz Behrends

Überlegungen zur Predigt

Predigttext 2. Korinther 1, 18-22:

"Gott ist mein Zeuge, daß unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist.
Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm.
Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe.
Gott ist's aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt
Und versiegelt und in unsere Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat."

Predigt:

"Du redest auch lange, wenn der Tag lang ist. Warum kommst Du denn nicht? Hattest uns doch versprochen, zu kommen. Wir brauchen dich hier."

Leute in Korinth ärgern sich über Paulus. Da hat er schon lange seinen zweiten Besuch angesagt. Diskussionsstoff gibt es genug. Am meisten Unruhe verbreiten die Leute in der Gemeinde, die meinen, schon so nahe bei Gott zu sein, daß sie sich um das Leben hier gar nicht mehr kümmern müssen und die dabei ziemlich über die Strenge schlagen.

Aber Paulus sagt seinen Besuch ab. Um der Liebe willen, sagt er. Das soll einer verstehen. "Ja gilt denn dein Wort in Zukunft noch etwas oder sollen wir jedes Mal abwinken, wenn du anfängst zu reden. Ist dein Ja noch ein Ja?" Der leidenschaftliche Paulus setzt zur Gegenrede an. Und in seiner manchmal verwegen komplizierten Art zu argumentieren, geht er gleich ins Grundsätzliche. Aus dem geringen Anlaß des abgesagten Besuches wird eine Vorweihnachts-Predigt. Paulus erweist sich als der Mann der eindeutigen Rede des Ja und Nein.

"Unser Wort ist nicht Ja und Nein zugleich."

Das ist mehr als eine Rechtfertigung. Wir wissen das aus all seinen Briefen. Man muß wohl sehr erfahren und selbstbewußt sein, um zu einem eindeutigen Verhalten und Leben zu finden. Wenn es das Wort "Jein" gäbe, wäre es das meist benutzte Wort zwischen Menschen. Weil es das Wort aber nicht gibt, kommt das "Jein" dort, wo Menschen sich begegnen, anders daher.

"Ich weiß nicht so recht."
"Ich muß mich erst selber finden."
"Das geht mir zu schnell. Da fühl ich mich überfahren."
"Das muß ich noch überlegen." Und wenn man eine Woche später nachfragt: "Ich bin noch nicht soweit. Ich kann es nicht sagen."

Warum tun Menschen das?
Die Antwort kann sich jeder selber geben.

Wenn ich Stellung beziehe, kann ich Menschen vor den Kopf stoßen, kann ich Menschen verlieren, die mich nicht verstehen. Aber wer möchte sich einfach unbeliebt machen!

Und häufig weiß ich ja wirklich nicht genau zu antworten. Da bin ich froh, wenn andere für mich entscheiden.

In Gremien und Kirchenleitungen hat diese Haltung allerdings lähmende Wirkung. Da wird oft eine Entscheidung ausgesessen. Nur lange genug warten, dann hat sich das von selbst erledigt.

Nur, wer sich aus Entscheidungen durch sein "Jein" heraushält, der nimmt sich aus einem Prozeß, aus einer Entwicklung heraus.

Und er läßt andere Menschen im Ungewissen, zeigt kein Gesicht. Und mit einem Gesicht, das ich nicht sehe, kann ich keinen Kontakt aufnehmen.

"Unser Wort ist nicht Ja und Nein zugleich."

Eine andere Art, sich um ein Ja oder Nein zu drücken, ist das "Ich verstehe Dich".

Die Entwicklung der Psychologisierung aller Lebensbezüge in den letzten drei Jahrzehnten hat diese Haltung groß gemacht.

"Ja, ich verstehe Dich", heißt es am Ende eines Gespräches, in dem der Gesprächspartner lediglich wiederholt hat, was er gehört hat. Der Therapeut als der Spiegel.

Der Sprecher wird in seine Befindlichkeit bestätigt. Alles ist richtig.

Stellung wird nicht bezogen. Der Gesprächspartner muß allein seinen Weg aus sich heraus finden. Eine Gegenrede, eine Provokation darf man ihm nicht zumuten. Es könnte ihn aus der Bahn werfen. Alles, was der Mensch zur Heilung braucht, kann nur in ihm selbst sein.

Schon viel länger im Gebrauch im Umgang von Menschen miteinander ist das "Ja, aber".

Da wird Ja gesagt, aber nicht gemeint. Da wird sofort die eigene Position aufgebaut. "Aber ich." Was ich zu sagen habe, das ist allein wichtig. Das Ja soll nur den raschen Übergang zu meiner eigenen Rede beschleunigen.

Das Ziel jeder Beziehung muß ein Ja oder ein Nein sein.

Das kann man aus dem Geist, in dem Paulus schreibt und lebt, lernen. Nein sagen kann, wer ein großes Ja im Rücken weiß. "In Jesus Christus war das Ja Gottes."

Damit ist kein Ja und Amen Gottes zu all unserem Tun und Wesen gemeint. Das Ja ist sein erklärter Wille, daß ich lebe, daß ich da bin. Ich kann es nur vergleichen mit dem Ja von Mutter und Vater. Sie wollen, daß ich lebe unabhängig von meiner Schönheit, meiner Lernfähigkeit oder Intelligenz, meines unangepaßten Willens. Unsere Beziehung kann nichts erschüttern und grundsätzlich in Frage stellen. Kein Mensch kann gedeihen und heranwachsen ohne diese Vertrauensgrundlage. Das Gefühl wird unter Menschen weniger über Worte als über Gesten vermittelt, über den Blick und die Berührung. In Bezug auf Gott kann ich darauf nur innerlich setzen. Die Generation des Paulus hatte es da noch etwas leichter, denn die Verkörperung, die Konkretion des Ja Gottes lag nur eine Generation zurück: der Stall von Bethlehem, der Mann aus Nazareth. Für uns bleibt das ein Akt des Bewußtseins, der Vertrauens: Ich bin grundsätzlich gewollt und muß mich nicht rechtfertigen oder erklären in meiner Existenz. Ich bin niemandem schuldig zu erklären, daß ich ein Recht auf Leben habe, denn Gott hat es mir verliehen.

Alles Handeln Gottes ist darauf ausgerichtet. "Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja."

Wer diese Vergewisserung in sich aufnimmt, atmet erleichtert aus und spricht "Amen". Das Amen schließt ein Bündnis ab, bestätigt ein Treueverhältnis. Wo Menschen "Amen" sagen, drücken sie ihre Zustimmung aus. Ein "Amen" ist fast körperlich spürbar. Mancher kommt in den Gottesdienst, nur um das letzte Wort, den Segen, zu empfangen und ein innerliches Amen zu sprechen.

Paulus empfindet das in seiner Sprache als eine Salbung, eine Versiegelung und meint damit dasselbe.

Sie merken das vielleicht. Von Weihnachten und Geburt in dem Text keine Spur, aber Gott kommt uns schon ganz nahe heute am 4. Advent, fünf Tage vor Heiligabend.

Das Ja Gottes wird der Boden für unser Ja, aber auch für unser Nein. Den Ort der Anwendung können nur Sie allein benennen.

Pastor Heinz Behrends, Distelweg 8, 37077 Göttingen Tel/fax 0551/21222

Internet-Seite: www.nikolausberg.de

Überlegungen zur Predigt:

"Ja und Amen". Der Text erscheint als Vorlage für die Predigt fünf Tage vor Weihnachten zunächst fremd, berührt aber mit Ja und Amen zwei elementare Erfahrungen des Menschen.

Ja- und Nein-Sagen ist lebensnotwendig und will gelernt sein. Amen als eines der weit verbreitetsten Worte der menschlichen Sprache vermittelt die elementare Erfahrung von Treue, Beziehung und Segen. Die Predigt arbeitet auf dem Hintergrund der Erfahrung mit Bejahung und Verneinung, mit Zustimmung und Ablehnung die Bedeutung des Ja Gottes heraus. In dem Lob eines kraftvollen Nein in Beziehungen versucht sich der Prediger vor einer trivialen Auslegung zu bewahren, die um einem floskelhaftes "Gott sagt Ja zu Dir und darum darfst auch Du..." kreist - oft gehört, selten berührt. Da Ja Gottes im Brief des Paulus markiert die Grundhaltung Gottes zu den Menschen, nicht sein freundliches Nicken zu allen Gefühlen und Haltungen des Menschen.


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