Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Zweiter Weihnachtsfeiertag
26. Dezember 1999
Johannes 1,14

Dorothea Zager

Exegetisches / Zur Gemeindesituation / Anregungen zur Liturgie / Lesefrüchte zum Thema

Das Wort wird Tat
- Eine Predigt über den Wochenspruch zum Christfest, Joh 1,14: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“!

Liebe Gemeinde,

eine Lektion, die wir Menschen sehr schnell lernen ist die: bloßen Worten zu mißtrauen. Ein Kind lernt schnell, daß die Eltern ihre Versprechen manchmal nicht einhalten können. Eltern lernen schnell, daß die guten Vorsätze ihrer Kinder wie Seifenblasen zerplatzen können, wenn Begeisterung oder Wut mit ihnen durchgehen.

Wir haben gelernt, bloßen Worten zu mißtrauen – seien es die Wahlversprechen der Kanzlerkandidaten oder die Sicherheitsbeteuerungen der Atom- und Chemieindustrie, seien es die goldenen Worte der Rundfunkwerbung oder die Erfolgsschwüre auf Pillen gegen Übergewicht, Kopfschmerzen oder Altersbeschwerden. Ja, selbst die Berichte in den Zeitungen lesen wir mittlerweile mit einer gesunden Skepsis – wie wir aus Erfahrung wissen, zu Recht. Wir selbst sind ja nun auch nicht gerade die glaubwürdigsten Täter unserer eigenen Worte. Wir wissen es genau, wie oft wir Reden halten, wie oft wir Gutes von uns behaupten und das Gegenteil tun.

Glaubwürdigkeit ist ein hartes Brot. Manche recht bitter hingeworfene Redensarten zeugen davon, ihr Lieben, daß das Vertrauen in das Wort und die Kraft des Wortes unter uns ziemlich klein geworden sind: „Dein Wort in Gottes Ohr!“, hören wir uns sagen, wenn einer von großen Erwartungen spricht, oder „Laßt Worten Taten folgen.“ „Butter bei die Fische “, selbst Bücher tragen mittlerweile schon solche Titel – und zwischen den Zeilen klingt immer wieder die alltägliche Erkenntnis: Worte sind wertlos, wenn nicht Taten folgen!

Wie konnte eigentlich das Wort so an Wert verlieren? Können Worte denn nicht auch trösten und Mut machen? Können Worte denn nicht auch loben und anspornen? Wie könnten wir lesen und lehren? Singen und predigen? Lehren und diskutieren? Uns kennenlernen und lieben? Unsere Welt wäre bettelarm ohne Worte. Wir Menschen wären völlig hilflos, hätten wir keine Sprache und hätten Zeitungen und Bücher nur leere Seiten.

Es ist nicht immer so gewesen, daß das Wort so an Wert verloren hatte durch so viele gebrochene Versprechen und die häufige Erfahrung von Lüge. Das Alte Testament zeichnet ein ganz anderes Bild von der Kraft und dem Wert des Wortes: Einzig das Wort war Gottes Gefährte, als er die Welt erschuf. Durch das Wort ließ Er das Licht werden und das Wasser vom Land sich scheiden. Das Wort rief ins Leben und setzte Adam die Grenzen für Erlaubtes und Verbotenes. Der Wille Gottes – in Worte gefaßt und auf Steintafeln geschrieben – war das Kostbarste, was Israel besaß, als es sich Kanaan zur neuen Heimat machte und in Jerusalem den Tempel baute. Die Worte des Gesetzes wurden ihm zum Heiligtum im Heiligsten, zum Wohnort Gottes.

Dann aber verblaßte die Kraft des Wortes, weil die Menschen nicht mehr daran glaubten. Die Stimme der Propheten verstummte, weil man ihnen nicht mehr glaubte. Das Wort der Menschen wurde leer und nutzlos. Ja, selbst Jesus machte den Menschen deutlich: Ihr redet zuviel. Ihr sollt nicht plappern wie die Heiden und nicht sinnentleert „Herr, Herr!“ rufen, handeln sollt Ihr! Ihr sollt den Willen meines Vaters im Himmel tun, tun und nicht nur davon reden. Dann seid ihr auf dem richtigen Weg!

Hat Goethe also recht, wenn er seinen Faust beginnen läßt mit einer Neufassung des Johannesprologs: Nicht „Am Anfang war das Wort“, sondern: „Am Anfang war die Tat“? Oder wie er später schreibt in Wilhelm Meisters Lehrjahre: „Worte sind gut, sie sind aber nicht das Beste. Das Beste wird nicht deutlich durch Worte. Der Geist, aus dem wir handeln, ist das Höchste. “

Ja, wenn Sie so wollen, hat Gott seine Menschenkinder erst jetzt richtig verstanden. Ihnen ist tatsächlich mit Worten nicht zu helfen. Kein Gebot, kein Verbot, keine Strafe auf dieser Welt kann einen Menschen davon überzeugen, daß er auf dem falschen Weg ist, wenn er sich von Gott entfernt. Kein Gebot, kein Verbot, keine Strafe auf dieser Welt kann einen Menschen davon überzeugen, daß Gott ihn liebt – wenn nicht eine Tat, die ihn überzeugt; wenn nicht ein neuer Geist, der ihn durchdringt.

Nichts anderes, Ihr Lieben, bedeutet Menschwerdung Gottes. Nichts anderes bedeutet Weihnachten: Die Zeit der Worte ist erfüllt. Die Zeit des Gesetzes ist erfüllt. Gott läßt seinen Worten Taten folgen, damit ihr Menschen ihn versteht. Taten in Jesus Christus.

Ganz deutlich lesen wir dies im Galaterbrief, wo es heißt: „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.“ (Gal 4,4) Darum heißt das Bibelwort, das seit den Anfängen unserer Kirche über dem Christfest strahlt: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“ (Joh 1,14)

Das Wort wurde zur Tat. Und die Menschen, die Jesus kennenlernten und erlebten, konnten mit eigenen Herzen spüren, wie herrlich es ist, Gott in ihm zu begegnen. Aber: Wo sind sie heute – diese Täter Jesu? Haben wir nun nicht eigentlich doch wieder nur Worte? Worte, die uns von den Taten wieder nur erzählen?

Es ist wahr: Jesus Christus ist als der Liebende, als der Glaubwürdige, als der an Körper und Seele Heilende unter uns Menschen tätig gewesen. Und jetzt ist er es nicht mehr. Aber er hat sich Menschen gerufen, von woher auch immer sie kamen. Er rief sie, es ihm gleich zu tun. Und in jedem Nachfolger und in jeder Nachfolgerin bleiben Jesu Taten lebendig. Bis auf den heutigen Tag.

Ein Beispiel: Die Bibel sagt: Gott ist Liebe. Es gibt niemanden, den Gott nicht liebt, den er nicht sucht, den er nicht zurückgewinnen will. Wären das nur Worte, wäre auch diese Gottesliebe nur ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. Darum wurde das Wort zur Tat: Da kam ein Mensch unter die Menschen, der mit Prostituierten und straffällig Gewordenen an einem Tisch saß, der die Zolleinnehmer als seine Freunde behandelte, der einen verachteten Samariter zum Vorbild erklärte und die Ehebrecherin vor den tödlichen Steinwürfen bewahrte. Herrlich war es für einen jeden von ihm zu spüren: Auch wenn ich schuldig geworden bin, auch wenn ich mein Leben so verpfuscht habe, daß es unmöglich vor Gottes Augen bestehen kann, bleibe ich in Gottes Augen wertvoll und liebenswert. Auch wenn ich andere betrogen habe oder meinem Mann untreu war, auch wenn ich meinen eigenen Vorteil gesucht und mich von Gott und seinem Willen völlig abgekehrt habe, Gott will mich wiederhaben. Er gibt mich nicht verloren. Im Gegenteil! Er holt mich zurück auf die Seite der Lebenden.

Das Wort wurde Tat. Und Jesu Liebe hat Menschen verändert, zur Umkehr geleitet, gerettet. Viele haben es ihm gleichgetan. Über Jahrhunderte hinweg. Es ist nicht immer alles gelungen, manche haben übertrieben, manche haben den rechten Weg nicht gefunden. Viele, viele aber haben aus Worten Taten gemacht. Und heute sind wir an der Reihe. Ob es uns auch gelingt, Täter des Wortes zu werden und nicht nur Hörer allein? Wenn wir auch heute sehen wollen, wie herrlich es ist, wenn Gott unter uns gegenwärtig ist, kommen wir nicht darum herum: Gottes Worte wollen Taten werden. Und wir sind die, die es tun können.

Da sind die Kinder, die nicht nur mit ihren neuen Spielsachen spielen wollen in diesen Tagen unter dem Weihnachtsbaum. Sie wollen vielleicht viel lieber eine Geschichte hören oder mit ihnen gemeinsam Lego bauen, vielleicht diskutieren und ihnen ihre neueste CD vorspielen. Schenken wir ihnen die Zeit, die sie brauchen und reden wir nicht immer nur davon.

Da sind die älteren Menschen, die jetzt so manches Mal einsam in ihren Stuben sitzen. Die wenigsten von ihnen wollen Geschenke. Denn unsere Zimmer sind voll und die Tische reich gedeckt. Sie wollen von früher erzählen, die schönen Lieder singen und das Gefühl haben, daß sie dazu gehören.

Da sind Menschen, mit denen wir zerstritten sind. Denen wir nicht geschrieben haben und die uns auch nicht anrufen werden in diesen Tagen. In keiner anderen Zeit ist die Sehnsucht der Menschen nach Frieden größer als in der Weihnachtszeit. Zeit also, die Hand auszustrecken zur Versöhnung. Wenigstens ein Zeichen zu setzen für den Weg aufeinander zu.

Da sind die Kranken, die über die Feiertage in der Klinik bleiben müssen oder nicht aus dem Bett dürfen. Gute Vorsätze, ihnen mit einem Besuch eine Freude zu machen, sind Worte. Wirklich auch hinzugehen, wäre Tat.

Da sind die Hungrigen, die sich keinen Begriff davon machen, wie reich und festlich unsere Tische in diesen Tagen gedeckt sind.

Da sind die Flüchtlinge, für die es kein Zuhause und keine Zukunft mehr gibt.

Jeder von uns weiß, wo anderen Kummer quält. Und jeder von uns weiß genau, wo er ganz persönlich helfen kann, wo er Worte zu Taten werden lassen kann. Vielleicht stehen wir eines Tages einmal auf der anderen Seite, und dürfen spüren, wie herrlich es ist, wenn Menschen unsere Not und unsere Traurigkeit sehen, und das Wort von der Liebe zur Tat werden lassen.

Ich glaube, liebe Gemeinde, das war die beste Idee, die Gott je hatte: daß er uns seine Liebe nicht nur hat in Worten ausrichten lassen, sondern daß er sie uns hat spüren lassen durch das Leben und die Liebe, die Jesus uns schenkte. Dadurch haben wir von der Herrlichkeit der Gnade Gottes nämlich nicht nur gehört, sondern sie auch gespürt. Und das spornt an, diese Herrlichkeit auch andere spüren zu lassen.

Darum, Ihr Lieben, laßt uns lieben, denn Er hat uns zuerst geliebt. Laßt uns Menschen werden. Gott wurde es auch.

Amen

1. EXEGETISCHES

Der theologische Gehalt dieses Wortes aus dem Johannesprolog kann nur erfaßt werden durch eine Klärung der drei Begriffe Logos, Sarx und Doxa.

Logos:
Die Ausprägung des griechischen Logos-Begriffes ist für die Verwendung innerhalb des Johannesevangeliums von entscheidender Bedeutung. Diese Ausprägung geht in zweierlei Richtung einerseits als Wort, Rede, Sprache, Offenbarung im Sinne einer rationalen Kraft, die einsichtig machen kann, und andererseits als kosmologische, weltschöpferische Größe und Hypostase der Gottheit (Deuteros, Theos). Im Johannesevangelium wird Logos zwar in zahlreichen und mannigfachen Wortverbindungen gebraucht; der absolute, prägnante und appositionslose Gebrauch von "O Logos" kommt aber nur im Johannesprolog vor. Das Schwergewicht der Logos-Aussage des Prologs liegt in der Vorzeitlichkeit. Das "Egeneto" in Joh. 1,14 ist der Übergangspunkt von der Präexistenz zur Wirklichkeit: Das „Wort“ wird geschichtliche Erscheinung. Das „Wort“ heißt jetzt: Jesus. Das ganze von Jesus redende Evangelium redet von dem, der das „Wort“ ist.

Sarx
Der Sprachgebrauch des Wortes "Sarx" ist im Johannesevangelium anders als bei Paulus, der „Fleisch“ nicht nur im Sinne von körperlicher, indischer Sphäre verwendet, sondern gleichsam als Subjekt der Sünde und als Objekt des Vertrauens. Die Wendung "Sarx Egeneto" im Johannesprolog heißt gerade nicht, daß der Logos in eine durch die Sünde bestimmte indische Existenz eingegangen ist. Sie besagt vielmehr, daß Gott als der sich offenbarende die Gestalt eines Menschen annahm und sie nicht etwa bloß als Verkleidung trug, sondern mit ihr identisch wurde, damit die aus Gott Geborenen die Doxa des Vaters erblicken konnten, in den krassen und doch mißverständlichen Wundern wie im Gehorsam Jesu bis ans Kreuz.

Doxa
Die neutestamentliche Verwendung von "Doxa" entspricht nicht dem griechischen, sondern dem Sprachgebrauch der Septuaginta. Dabei liegt der Schwerpunkt abgesehen von den Bedeutungen Ruhm und Macht auf der göttlichen Wesensart. Das Neue Testament macht dieses Wort "Doxa" , das Träger der Gottesaussage geworden war, zugleich zum Träger der Christusaussage. Während im Neuen Testament diese Aussagen meist die Verklärung des Erhöhten seit Ostern betreffen, ist im Johannesevangelium mehrfach auch von der Doxa des irdischen Jesus die Rede. Das entspricht der zweifellos bei Johannes besonders ausgeprägten Neigung, das Leben Jesu von der Deutung des Erhöhten her zu beschreiben. Dabei bleibt aber zu betonen, daß das Schauen der Doxa des Irdischen niemals anders als durch die Pistis erfolgen kann. Es ist also auch bei Johannes keineswegs an und für sich an Jesus die Doxa sichtbar, sowenig wie bei den Synoptikern. Das Geheimnis seiner Person muß hier wie dort enthüllt und geglaubt werden. (Vgl. ThWNT II, S. 250 ff.; IV, S. 131 ff.; VII, S: 138 ff.)

2. ZUR GEMEINDESSITUATION

Wachenheim und Mölsheim sind zwei kleine Weinbaugemeinden westlich von Worms an der Grenze zwischen Rheinhessen und der Pfalz. Die Dörfchen liegen idyllisch mitten in Weinbergen, und die „Kirche steht noch im Dorf“. Der dörfliche Zusammenhalt aber schwindet. Die Menschen vereinzeln auch hier Familien und Nachbarn werden einander fremd. Die individuelle Mobilität, weite Entfernungen zur jeweiligen Arbeitsstelle und der Gebrauch vielfältiger Medien haben die persönlichen und beruflichen Horizonte geöffnet für ein je sehr eigenständiges Leben. Die Geborgenheit der Dorfgemeinschaft geht also zunehmend verloren.

Gottesdienstbesucher sind in unseren beiden Kirchen rar. Die meisten Menschen haben auch – oder vielleicht gerade? – an den Weihnachtsfeiertagen anderes, für sie vermeintlich Wichtigeres zu tun, als in die Kirche zu gehen. Diejenigen aber, die kommen – das sind ältere Menschen, interessierte jüngere Paare und Konfirmanden, die hier traditionell noch zum Gottesdienst gehen müssen -, wünschen sich zweierlei: zum einen einen lebendigen Gottesdienst, der wohl feierlich aber nicht langweilig ist, und eine Predigt, die nicht zu lang ist und die man versteht. Sie möchten einen Gottesdienst erleben, der mit ihrem ganz persönlichen, alltäglichen Leben inhaltlich in Zusammenhang steht und von dem sie eine, wenn auch manchmal nur kleine, aber einprägsame Erkenntnis mit nach Hause tragen können. Ich predige möglichst kurz, möglichst frei und möglichst unter Anwendung meiner eigenen „ganz normalen“ Sprache.

3. ANREGUNGEN ZUR LITURGIE

EINGANGSWORT

Sieh nicht an, was du selber bist in deiner Schuld und Schwäche. Sieh den an, der gekommen ist, damit er für dich spreche. Sieh an, was dir heut widerfährt, heut, da dein Heiland eingekehrt, dich wieder heimzubringen auf adlerstarken Schwingen. Sieh nicht, wie arm du Sünder bist, sieh auf den Helfer Jesu Christ- (Quelle unbekannt)

4. APHORISMEN / LESEFRÜCHTE ZUM THEMA

Taten lehren den Menschen, und Taten trösten ihn – fort mit den Worten! (Pestalozzi in: Lienhard und Gertrud)

Was uns not tut, sind nicht die Phrasen, sondern Taten. (Lenin in: Neue Zeiten, alte Fehler in neuer Gestalt)

Des echten Mannes wahre Feier ist die Tat (Goethe in: Pandora)

In Taten liegen mehr hohe Wahrheiten als in Büchern! (Jean Paul in: Brief über die Philosophie)

wahre herrscher legen nicht wert auf worte. (Laotse in: Daudedsching)

Aufs bloße Wort glauben nur Narren. (Lenin in: Über Abenteuertum)

Eine gute Idee für einen besonderen Gottesdienst: Christus – Bruder der Völker der Welt Ein Gottesdienst zur ökumenischen Dimension der Fleischwerdung Gottes, in: Ulrich Fischer, Der Gottesdienst soll fröhlich sein, Stuttgart 1992, S. 34 ff.

Pfarrerin Dorothea Zager, Hauptstr. 22, 67591 Wachenheim / Rhh.
Tel. 06243 - 905465


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