Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Silvester
31. Dezember 1999
2. Mose 13, 20-22

Anne Töpfer

Vorbereitende Hinweise

Exodus 13, 20-22

So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste.

Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten.

Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

Liebe Gemeinde!

Aufbruchstimmung

Es ist eine Aufbruchstimmung zu spüren - nicht nur heute abend, sondern schon seit einigen Monaten.

Viele fiebern auf den bevorstehenden Jahreswechsel hin.

Angesichts dieser Aufbruchstimmung ist Geschäfte-machen angesagt.

Geschäfte mit der Angst - was wird mit all den Computern in ein paar Stunden geschehen? - Weltuntergangsängste und Panik, Vorratskäufe - als wäre es am Montag nichts mehr zu bekommen

Geschäfte, die die Kassen klingeln lassen: Millenium Schokolade von Milka - genau 2000 g schwer; 2000g Nutella Gläser; Millenium oder 2000er Sekt; zweiseitig verwendbare Sektgläser für den Jahreswechsel - eine Seite mit der Aufschrift 1999 und auf der anderen ist 2000 zu lesen

Ob wir es wollen oder nicht, die geschaffene oder tatsächlich vorhandene Aufbruchstimmung ist schwerlich zu ignorieren.

Diese Aufbruchstimmung scheint in diesen Tagen an dem einen fast magischen Datum des Wechsels von 1999 in das Jahr 2000 zu hängen.

Was ist das für eine Magie, die an diesen Zahlen hängt?

Als denkende Menschen können wir uns entzaubern lassen durch Erklärungen, dass ja das neue Jahrtausend erst nach Ablauf des Jahres 2000 beginnt. Oder wir können den Fehler bei der Berechnung des Jahres der Geburt Christi heranziehen und erklären, das ja nicht wirklich nun das 2000 Jahr nach Christus beginnt. Wir können die jüdische oder die islamische Zeitrechnung zum Vergleich heranziehen und die Magie verfliegt.

All diese Erklärungsversuche der Entzauberung gibt es und doch bleibt bei vielen eine Spannung zurück angesichts dieses Jahreswechsels.

Aufbruch

Aufbruch heißt: Vertrautes zurücklassen

Manches von diesem Vertrauten lassen wir gerne zurück (wenn wir es denn können), z.B. die weniger guten Erfahrung, die wir im zu Ende gehenden Jahr gemacht haben: Ärger auf der Arbeit, Streit in der Familie, eine überstandene Krankheit.

Solche Erfahrung lassen wir gerne zurück in der Hoffnung, dass das neue Jahr Besseres zu bieten hat.

Aufbruch heißt: Neues wagen; offen sein für Veränderungen

Dazu gehört Mut. Es ist leichter von Veränderungen zu träumen, als sie anzupacken.

Verbunden mit dem Aufbruch ist immer auch ein Risiko. Ich weiß, was ich zurücklasse, aber ich weiß noch nicht wie das Neue wird.

Orgelmeditation

Israel hat sich auf den Weg gemacht. Sie wissen, was sie zurücklassen: Ein Leben in Unfreiheit

So schwer wie das Erlebte auch war, es hat ihrem Leben einen Rahmen gegeben. Was jetzt kommen wird, wissen sie nicht. Es ist zu erwarten, dass nicht alles problemlos sein wird. Und vorsichtshalber, so wird uns erzählt, sollen sie nicht den direkten Weg gehen, sondern lieber einen Umweg für den Aufbruch zu Neuem in Kauf nehmen.

Es scheint einfach, Verhaßtes zurückzulassen, aber die Aussicht auf Besseres muß sehr gut sein, bevor ein solches Wagnis eingegangen wird; bevor Menschen bereit sind, Abschied zu nehmen.

Die Zukunft ist offen

Sicherheit gibt es bei einem Aufbruch über das, was man zurückläßt. Was kommt und wie es wird, ist offen. Ich weiß, was war, aber ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Es gibt sicher Erwartungen und Hoffnungen für das Kommende - sei es das gelobte Land oder das Jahr 2000, aber die Zukunft ist offen.

Die Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft oder die verborgene Gegenwart Gottes

Die Israeliten sind aufgebrochen. Sie haben sich auf die verheißene Zukunft, die Freiheit und das gelobte Land eingelassen. Sie haben dies getan, weil sie etwas mitgenommen haben aus der Vergangenheit in die offene Zukunft: ihr Vertrauen auf den einen Gott, der sie befreit hat. Bei aller Unsicherheit über das Kommende, sind sie sich seiner Begleitung sicher. Jedenfalls zum Zeitpunkt des Aufbruchs. Die Unsicherheit kommt später und dann um so heftiger.

Der Glaube an diesen Gott, war die Sicherheit, die sie brauchen, um sich auf den Weg zu machen. Er ist ihre Verbindung zwischen der Vergangenheit und der ungewissen Zukunft. Er gibt ihnen auch die Kraft, Abschied zu nehmen von Vertrautem und Verhaßtem.

Ihr Aufbruch ist gegründet in dem Versprechen Gottes, mit ihnen zu ziehen. Die Menschen damals wie wir heute sind darauf angewiesen, etwas zu haben, an dem wir uns festhalten können, auch wenn sich sonst alles um uns herum und in uns selbst verändert.

Schön ist es, wenn dies auch sichtbar ist. Neidisch höre ich dann die Erzählung von der Wolken- und der Feuersäule. So haben die Menschen die Gegenwart Gottes erlebt und weitererzählt. Er ist da, nicht zum anfassen nahe, nicht mit direktem Blickkontakt, aber er ist in ihrer Nähe. Er ist verborgen gegenwärtig. Er zeigt den unbekannten Weg während des Tages in der Wolkensäule und in der Nacht in einer Feuersäule. So können sie aufbrechen und Raum gewinnen.

Verborgen gegenwärtig ist er die Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Zukunft.

Die Wolken- und die Feuersäule

Israel hat Worte gefunden seine Erfahrungen mit Gott in Bildern weiterzuerzählen. Diese Bilder sprechen eine Sprache, die bei genauem Hinschauen und Hinhören uns heute noch etwas zu sagen hat.

Beim Aufbruch ist Gott mit dabei als Säule oder Stütze

Eine Säule ist etwas Stabiles, etwas Bodenständiges. Säulen können tonnenschwere Dächer tragen. Säulen können einen Raum schaffen, der vor Wind und Wetter schützt.

Gott als Säule, aber nicht als starre immer gleiche Säule, sondern als eine Säule, die sich auf den Weg macht, die mitgeht, die den Weg weist.

Das klingt absurd: das Feststehende wandelt.

Aber gerade das ist es. Offensichtlich ist Gott erst in der Bewegung eine Stütze für sein Volk.

Mit ihm können die Israeliten den Aufbruch wagen. Sie wissen wer mit ihnen geht. Auf ihn können sie sich verlassen.

Und was für eine Säule wandert da mit ihnen?

Die Wolkensäule

Gewiss - Wolken verbergen das Sonnenlicht; aus Wolken kommt der Regen, der in unseren Breiten nicht immer gern gesehen ist. Für Israel und für die meisten Völker dieser Erde sind Wolken ein Segen. Sie spenden Schatten, wenn die Sonne zu sehr sticht. Sie schenken Regen, der die Felder fruchtbar macht und Nahrung für die Menschen gibt. Im Orient und in weiten Teilen Afrikas sind Wolken überlebenswichtig.

Wolken verheißen Gutes. Sie sind lebensnotwendig. Sie sind ein Segen.

Gott in der Wolkensäule ist mehr als nur verborgen. Der Traum von Freiheit und einem guten Anfang wird darin sichtbar.

Die Feuersäule

Feuer ist die Ursache für Schmerz und Zerstörung. Gasexplosion, ausgebrannte Häuser und Wohnungen, brennende Unterkünfte für Asylsuchende sind keine guten Zeichen.

Jedoch ist Feuer auch eine Energiequelle. Ein Feuer wärmt in kalten Nächten. Feuer schafft Licht in der Dunkelheit. Es steht für Gemütlichkeit und Wärme. In der Nähe eines Feuers im Ofen läßt es sich gut leben. Feuer ist ein Symbol für Lebendigkeit. Wir reden davon in manchen Redewendungen:

Jemand hat Feuer unterm Hintern - sie hat feurige Augen - Feuer und Flamme sein - wir müssen ihn anfeuern - er entfacht Begeisterung -

Da ist Leben drin. Das plätschert nicht so vor sich hin.

Gottes Gegenwart in Aufbruchsituationen

So hat Israel die Gegenwart Gottes erlebt. Vieles hat sich verändert. Sie haben ihr altes Leben zurückgelassen. Aber sie nehmen etwas Kostbares mit vom Alten zum Neuen: ihren Gott, der mit ihnen aufbricht. Und der ist brennend lebendig und dabei auch schützend und lebensspendend.

Gewiss manches haben sie erst im nachhinein so weitersagen können. Vielleicht geht es uns ähnlich. Vielleicht können wir erst nach dem Schritt über die Jahresgrenze sagen: Gott war bei uns und er ist nicht von unserer Seite gewichen.

Aber er ist schon beim Aufbruch nahe. Das können wir vom Volk Israel lernen. Er wandert mit uns von einem Jahr zum andern. Das gilt für das Jahr 2000 genauso wie für all die vergangenen Jahre. Manchmal gibt er sich uns zu erkennen, oftmals ist er verborgen gegenwärtig. Dann helfen uns die Erinnerungen der Israeliten oder unsere eigenen Erfahrungen von diesem mitgehenden Gott.

Er ist bei uns beim Aufbruch und zeigt uns den Weg hinein ins Unbekannte. Ihn dürfen wir bitten:

Zeige, Herr mir deine Wege,
mach mir deinen Pfad bekannt,
daß ich treulich folgen möge
jedem Winke deiner Hand.
Leit in deine Wahrheit mich,
führe mich auf rechte Pfade,
Gott, mein Heil ich suche dich,
täglich harr ich deiner Gnade.

AMEN

Vorbereitender Hinweis:

Ich nehme die Aufbruchsituation des Volkes Israel wie sie im Predigttext erzählt wird, als Spiegel für die Situation der Gemeinde, die sich Sylvester zum Gottesdienst versammelt. Gewöhnlich sind das in Bovenden zu Sylvester mehr Menschen als im Sonntagsgottesdienst. Der Jahreswechsel zum Jahr 2000 birgt für viele (das ist meine Erfahrung aus Gesprächen mit Menschen in der Gemeinde in den letzten Wochen vor Weihnachten) mehr und andere Erwartungen und Befürchtungen als die schon erlebten Jahreswechsel. Diese Befindlichkeit kann ich im Gottesdienst nicht ignorieren. Da kann jedoch die Fremderfahrung des Volkes Israel eine Hilfe sein, die eigene Aufbruchstimmung zu reflektieren, von dem Vertrauen auf Gott und seiner verborgenen Nähe zu hören und Stärkung durch mitgeteilte Erfahrung zu erhalten.

Beim Schreiben sind mir noch einige Liedstrophen eingefallen, die zu der Predigt passen. Die Strophe 2 aus Psalm 25 (Psalmen aus dem EG Ausgabe für die Ev.-ref. Kirche) habe ich an das Ende der Predigt gestellt. Passend ist auch EG 445, 1.5 und 395 besonders Strophe 3.

Geschrieben habe ich die Predigt vor Weihnachten. Manches wird sich vielleicht noch verändern, bevor ich sie Sylvester halten werden.

Pastorin Anne Töpfer
Steffensweg 65
37120 Bovenden
E-mail: annetoepfer@t-online.de


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