Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Predigt zum Beginn der 13. Ökumenischen Bibelwoche

Jesaja 40, 1-11

Hans-Joachim Schliep

Text: Jesaja 40, 1-11

[.....] wird nicht gelesen, da es sich um Regieanweisungen im biblischen Text handelt

1. Stimme – Altar: Tröstet, tröstet mein Volk:
[sprich euer Gott].
Redet Jerusalem zu Herzen
und verkündet der Stadt,
daß ihr Frondienst zu Ende geht
daß ihre Schuld beglichen ist:
denn sie hat die volle Strafe erlitten
von der Hand des Herrn
für alle ihre Sünden.

2. Stimme – Lesepult: [Eine Stimme ruft:]
Bahnt für den Herrn
einen Weg durch die Wüste!
Baut in der Steppe eine ebene Straße
für unseren Gott!
Jedes Tal soll sich heben,
jeder Berg und Hügel sich senken.
Was krumm ist, soll gerade werden,
und was hügelig ist, werde eben.
Denn offenbart sich die Herrlichkeit des Herrn,
alle Sterblichen werden sie sehen.
Ja, der Mund des Herrn hat gesprochen.
[Eine Stimme sagte:]
Verkünde!

3. Stimme – Kanzel: [Ich fragte:]
Was soll ich verkünden?
Alles Sterbliche ist wie das Gras
und all seine Schönheit ist wie die Blume auf dem Feld.
Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt,
wenn der Atem des Herrn darüber weht.
Wahrhaftig, Gras ist das Volk:

2. Stimme – Lesepult: Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt,
doch das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit.

1. Stimme – Altar: Steig auf einen hohen Berg,
Zion, du Botin der Freude!
Erheb deine Stimme, fürchte dich nicht!
Sag den Städten in Juda:
Seht, da ist euer Gott.

3. Stimme – Kanzel: Seht, Gott der Herr kommt mit Macht,
er herrscht mit starkem Arm.
Seht er bringt einen Siegespreis mit:
Alle, die er gewonnen hat, gehen vor ihm her.
Die Lämmer trägt er auf dem Arm,
die Mutterschafe führt er behutsam.

2. Stimme – Lesepult: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte
Gemeinde: und ein Licht auf meinem Wege!

Jesus Christus – gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.
Amen.

Tröstet, tröstet mein Volk.
Himmlische Worte, liebe Gemeinde, am Beginn unserer 13. Ökumenischen Bibelwoche.

Auch der „Messias“ (1742), das große Oratorium, beginnt mit der Tenor-Arie: „Tröste dich, mein Volk“. Schon im Barock hat der Komponist und Theatermann Händel empfunden, wie neuerdings die Lieder und Sprüche im zweiten Jesaja-Buch ausgelegt werden: als Text- und Dreh-Buch eines „liturgischen Dramas“.Gottesdienst als Szenen-Spiel, aufgeführt von Tempelsängern, verfaßt nach alten Texten in Priester- und Propheten-Kreisen. Einst gehörten sie zum Jerusalemer Tempel. Der liegt seit 587 v. Chr. in Schutt und Asche. Die große Mehrheit des Volkes von Juda und Jerusalem wurde verschleppt nach Babylon.

Tröstet, tröstet mein Volk... Worte vom Himmel. Ein heiliges Spiel beginnt, das auf Erden aufgeführt wird. Auf Erden: in einer schwierigen und schmierigen, beschädigten und schuldbeladenen Welt Die >Scena<, zu deutsch: das Zelt, die Bühne für dieses heilige Stück steht am unheiligen Ort. Verbannte spielen es für Verbannte. Selbst in Konzentrationslagern wurden heilige Stücke gespielt: „Sie werden uns das Leben rauben, aber nicht unsere Hoffnung!“ Und die Steine schreiben, wie es schon beim alten Propheten heißt (Hab 2,11). Am 27. Januar 1945 endlich betraten die Häftlinge von Auschwitz die Straße der Freiheit. „Zu Ende die Fron. An der Straße durch die Wüste wird schon gebaut.“ So klingt es durch die Jahrtausende vom zweiten Jesaja her: Mitten im alten ein neues Spiel. Zwischen irdischen Dissonanzen ein himmlisches Lied.

Ist noch bei Trost, wer solchen Trost spenden will – an keine Bedingungen mehr knüpft? „Nur aus dem Unmöglichen heraus kann die Welt gerettet werden.“ – sagt Dietrich Bonhoeffer, als sich unser Volk völlig verrannt, gleichsam selbst verbannt hat in der organisierten Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus. Am 30. Januar 1933 ergriff er auch offiziell die Macht.

„Nur aus dem Unmöglichen heraus kann die Welt gerettet werden.“ So ist dieses heilige Spiel angelegt: Hinter dem Vorhang, ohne ansage, völlig unvermittelt der Zu-Spruch: Tröstet..! Ein Zu-Ruf, der eine Ruf-Kette in Gang setzt: Redet...! Bahnt...! Baut...! Steig...! Erheb...! Sag...! Seht...!

Dieser >Prolog im Himmel< ist das Vor-Spiel für das Spiel, das in den folgenden Akten, den weiteren Kapiteln des prophetischen Buches ohne eigenen Namen vorgeführt wird. Wie bei Hiob, wie in Goethe’s „Faust“.

Ein solcher Trost-Ruf muß erst einmal aus dem >Off< kommen, kann keine andere als eine Stimme vom Himmel sein. Denn auf Erden ist von alledem noch nicht das Geringste zu spüren, da rührt sich noch nichts. Aber im Himmel werden längst die letzten Vorbereitungen zur Rettung der Welt getroffen. Das ist Prophetie: gläubiges Wahrnehmen dessen, was sich im Verborgenen entwickelt. Prophetie sagt an, was dran ist, wenn man die Welt im Lichte Gottes betrachtet.

Lasse ich nur mein eigenes Licht leuchten – schnell stocke und stolpere ich. Das Wort, das mir weiterhilft, ist das Wort, das mich an-spricht. Der hier den Trost weitergeben soll, drückt es so aus: Was soll ich verkünden? Alles Sterbliche ist wie das Gras und all seine Schönheit ist wie die Blume auf dem Feld. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, wenn der Atem des Herrn darüber weht. Ihm selbst wird erst einmal eine Antwort zuteil: Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, doch das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit.

„Sag mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben?“ Wird hier zum wiederholten mal die allgemeine Vergänglichkeit beklagt? Keineswegs. Es geht um wahren und falschen Trost. Wer noch halbwegs bei Trost ist, weiß ja: Alles, was Menschen ersinnen, kann keinen letzten Trost und Halt bieten.

„Wann wird man je verstehn? Wann wird man je verstehn?“ Ein Trost, der in Ablenkung und Vergnügen gesucht wird, kommt ganz schnell abhanden. Die epidemische Lustigkeit unserer Zeit scheint mir nur Ausdruck tragisch-trostloser Lustlosigkeit zu sein. Aber gerade um fröhlich und lebens-zugewandt, kreativ und phantasievoll zu sein, brauchen wir tiefes Getröstet-Sein.

Ein Trost, der durch Gerichts- und Buß-Predigt wie mit Stahlruten erzwungen werden soll, ist ein Widerspruch in sich. Immer wieder haben Fanatiker des Zorns ganze Länder aufgeschreckt. Über die redet man zwar lange, aber sie scheitern doch alle. Wirklich aufrütteln, meinetwegen auch anklagen kann doch nur, wer mit Vollmacht trösten kann! Ja, trösten kann nur, wer etwas von Gott auszurichten hat!

Was also soll gepredigt werden? Daß alles vergänglich ist, ist ein zwar ernüchterndes, aber trostloses Wissen. Gepredigt werden soll von der Ewigkeit, von der Beständigkeit und Kraft also des Gottes-Wortes, das wirksam bleibt und Neues wirkt. Davon wissen wir nur aus Gottes Wort selbst.

Lied – EG 449,8: „Alles vergehet, Gott aber stehet..“

Tröstet, tröstet mein Volk...!

Das Wort Gottes schafft neue Beziehungen. Dieser Zu-Ruf knüpft ein neues Band zu den Verbannten. Sie denken ja, sie haben Jerusalem, den Tempel und damit ihren Gott verloren. Nun werden sie selbst an-gesprochen als „Jerusalem“. Auch fern von dieser Stadt kann Jerusalem zu Herzen geredet werden, in die Lebens-, Verstehens- und Willens-Mitte hinein. Denn das Herz dieser Stadt sind sie, diese Menschen – und bleiben es. Ja, bald werden sie wieder in dieser Stadt leben als ihr pulsierendes, menschliches Herz.

Soll etwa die Zukunft nur die Vergangenheit wiederholen? Es ist anders. Zwar werden die Verbannten im heiligen Spiel erinnert an das, was einmal war. Das ganze Spiel ist auch eine An-Spielung darauf, wie einst Israel aus der Knechtschaft in Ägypten herausgeführt wurde. So bleibt ihnen ihr Gott, den sie in den Trümmern des Tempels verloren glaubten, nah und lebendig. So getröstet lernen sie eine neue Seite kennen an ihrem Gott: So sehr der Mensch einen Ort für seinen Glauben braucht, so sehr Gott im Menschen selbst seinen Ort haben will, Gott ist allem weit voraus, begegnet auch in der Fremde und im Fremden, auch in der Verbannung, auch in den finsteren Tälern, im Allerheiligsten ebenso wie in den Trümmern des Tempels. Denn dieser Gott ist der Gott des ganzen Erdkreises. Davon zeugen andere Texte, die in dieser Bibelwoche bedacht werden.

Als das herauskam bei diesem Spiel, wird es nicht nur Beifall, sondern auch Buh-Rufe gegeben haben. Können Sie sich das vorstellen? Für uns hört es sich selbstverständlich an, viele Israeliten machte es erst einmal fassungslos. Denn daraus folgt: Dieser Gott JHWH kann völlig fremde Menschen in Dienst nehmen – Menschen, denen JHWH gleichgültig ist, die den Glauben Israels nicht einmal kennen, geschweige denn teilen. Das sollen wir glauben?

Wir sollen wirklich glauben, daß dieser wildfremde Perser-König Kyros einen Erlaß herausgegeben hat, der uns die Rückkehr nach Jerusalem gestattet? So geschehen 538 v. Chr., nach fast 50 Jahren Exil. Das ist mehr als Gorbatschows Bereitschaft, die Mauern fallen zu lassen, die Schlagbäume zu heben.

Sollen wir wirklich glauben, daß es in der Wüste unseres Lebens, durch die Mauern unserer Angst hindurch Straßen der Freiheit gibt? Straßen, auf denen wir heimziehen können im Licht des Glanzes unseres Gottes wie einst in der Wüste Sinai angesichts der Wolken- und Feuersäule?

Ein jüdisches Sprichwort sagt: „Schwerer als Israel aus dem Exil zu holen, ist es, das Exil aus Israel zu holen.“ Das gilt ja auch für uns. Es gibt eine Verkettung in die eigenen Ketten, ein Hängen am eigenen Verhängnis, daß man aus alledem gar nicht heraus will.

Und man gerät da wieder hinein, wenn man einen wie Kyros zum Gott erhebt. Das ist ja die andere Seite, um die es in den folgenden Akten dieses Stückes geht: Kyros, der den Rückkehrwilligen Wege bahnt, ist ein Werkzeug Gottes – nicht weniger, vor allem nicht mehr. Gott muß Gott bleiben, damit der Mensch Mensch werden kann. Denn der Über-Mensch ist allemal der Un-Mensch. Kyros‘ irdische Macht ist nur verliehen. Gott beauftragt ihn und begrenzt ihn.

Dieses heilige Spiel aus der Wende vom 6. zum 5. Jahrhundert vor Christus ist für mich an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert nach Christus wichtig und aktuell.

Kyros hat ein moderneres Regierungs- und Wirtschaftssystem eingeführt. In dem ausgeweiteten Perser-Reich hatten die Regionen und Religionen mehr Freiheit – sie mußten nur ordentlich Tribut zahlen, also Geld bringen. Heute nennen wir so etwas >Globalisierung<. es kommt darauf an, Gewinne zu erzielen – wie und wo, das ist gleich.

Die Probleme sind ähnlich: Israel erhält neue Freiheit – die ebenen Straßen sind zuerst die offenen Handelswege. Zugleich bekommt die Geldwirtschaft ein größeres Gewicht. Wer aber nur in Oliven, Wein und Getreide zahlen, wer nur seine Arbeitskraft verkaufen kann, macht schnell Schulden und gerät in Schuldknechtschaft.

Wie kann vermieden werden, daß Ausweitung zu Ausweidung führt? Priester- und Propheten-Kreise entwickeln dazu noch im Exil ein Sozial- und Wirtschafts-Programm, nach dem nach einer gewissen Zeit die Schulden erlassen und die persönlichen Rechte und Freiheiten wieder hergestellt werden.

Die christlichen Kirchen fordern im Jahr 2000 einen begrenzten Schulden-Erlaß für die ärmsten der armen Länder. Weltbank und Internationaler Währungsfonds halten das für vernünftig.

Das Programm der >Sozialen Marktwirtschaft< wurde, angestoßen durch Pastor Dietrich Bonhoeffer, von evangelischen und katholischen Christen in Zeiten schwerer Bedrückung – 1943 – für Zeiten der Freiheit entwickelt.

Das alles schwingt mit, wenn vom Ende des Frondienstes und von der bereits beglichenen Schuld die Rede ist. Es wird im Laufe der Bibelwoche noch eine Rolle spielen, wenn es um >Recht und Gerechtigkeit< geht. Und am Ende stehen werden Worte aus Jesaja 55: „Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser! Auch wer kein Geld hat, soll kommen.“

Lied – EG 10,2: „Bereitet doch fein tüchtig..“

Die Trostgemeinschaft, die da ein heiliges Spiel aufführt, ist auch eine Widerstandsgemeinschaft, die für sozialen Ausgleich eintritt. Der >Trost<, von dem hier die Rede ist, ist zugleich persönlich und politisch. Das hebräische Wort für >Trost< (n-h-m) ahmt das seufzende Einatmen und das befreite Ausatmen nach. Es wird in den Texten des zweiten Jesaja als Wortspiel – eines der vielen – mit dem Wort für >Erbarmen< verwendet: r-h-m – und das kommt von „Mutterschoß“! Der starke Arm, von dem am Schluß die Rede ist, übt ja auch eine fürsorgliche, bergende Tätigkeit für die Lämmer aus.

>Trost< ist also dort, wo ein Mensch wieder durchatmen kann. Luther hat >Trost< gelegentlich übersetzt mit >Raum gewinnen<. Die ebene Bahn, der freie Weg: da sind sie wieder. Das deutsche Wort >Trost< kommt von >Treue<. Es hat also mit Festigkeit zu tun. Es geht um Standvermögen und neue Horizonte. Dazu gehören Lebensrechte und Lebenschancen auf einer festen Lebensbasis.

Dazu gehört ebenso die persönliche Zuwendung. >Trösten< heißt im Lateinischen >con-solari<. mit dem sein, der allein ist, alleingelassen mit seinem Schmerz, mit seinem Verlust, mit seiner Not. >Tröster< ist dann, eintreten bei dem, der in sich selbst verschlossen ist, dem die Not, die Gewalt, die Schuld den Mund und das Herz verschlossen hat. Trösten kann im Grunde nur, wer die Wege mitgeht und die Tränen mitweint, die abgewischt werden sollen.

Nicht jeder kann das. Aber der Knecht Gottes, der tut es. Morgen Abend geht es um eines der Gottes-Knecht-Lieder: Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus. Und dann kann>Trost< bedeuten, daß das Loch, in das du gefallen bist, zur Quelle wird, aus der du lebst.

So wie in diesem Spiel, so wurde bis dahin noch nirgends das Herz Gottes freigegeben. Es ist kein Wunder, daß die frühe Christenheit von diesen Texten her das Wirken Jesu gedeutet hat. Und wir? Werden wir diesem Trost gewachsen sein? Werden wir uns ansprechen, retten lassen aus dem Un-Möglichen, also aus dem allein Gott Möglichen heraus?

Zum Schluß zwei Fragen: Wer soll hier >trösten<? am Ende ist es Zion selbst, aber nicht mehr die Steine, sondern die lebendigen Menschen, das Herz Jerusalems. Sie sollen auf den Berg steigen als Boten der Freude: „Geh, ruf es von den Bergen!“ Mit der Kraft, die sie eingesetzt und deshalb gewonnen haben, als sie das Exil aushielten, werden sie Juda stärken.

Warum hat dieses großartige prophetische Busch keinen eigenen Namen, wird es nur „Deutero-„, der „zweite“ Jesaja genannt? Wie auch immer das zu erklären ist: es gibt uns die Chance, unsere Namen dort mitzulesen und zu vernehmen: Laßt euch trösten und werden selbst zu Tröstenden! Was im Prolog noch hinter dem Vorhang gesprochen wird, gehört nach vorne auf die Bühne unseres eigenen Lebens:

Tröstet, tröstet mein Volk...

Amen.

Nachtrag: Die Predigt ist die für den Gottesdienst zum Auftakt der Bibelwoche. Die ganze Woche wurde von einer Gruppe vorbereitet. Darum kann der Text zu Beginn von verschiedenen Sprechern gesprochen werden, und ist die Predigt etwas lang geraten. Da zu kürzen leicht ist, wird die Predigt hier in voller Länge wiedergegeben.

Die Auslegung des Textes orientiert sich im wesentlichen an: Klaus Baltzer, Deutero – Jesaja, KAT, X / 2, 1999.

Verfasser: Pastor Hans-Joachim Schliep, Berlagenweg 4, 30559 Hannover, Tel/Fax: 0511 – 9 50 70 85/86


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