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Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Predigtreihe "Texte und Gedanken zur Schöpfung", September 1999

Was ist der Mensch nach dem zweiten Schöpfungsbericht?

Von Felizitas von Schönborn

Wie kein anderer Text der Bibel stellt uns die Genesis vor die Frage, ob die Bibel dem modernen, durch die Wissenschaft aufgeklärten Menschen noch etwas zu sagen hat. Vielen kommt die Vorstellung, Gott habe die Welt in sechs Tagen geschaffen, die in die Ruhe des siebten Tages münden, wie eine naive Erzählung aus Kindertagen vor. Man erinnert sich an den Paradiesgarten, an Adam und Eva, an die verführerische Schlange wie an ein Märchen. Der Glaube an Gottes gute Schöpfung hat seine Selbstverständlichkeit verloren, wenn nicht durch eigene Erlebnisse, dann durch die kollektiven Greuelbilder unseres Jahrhunderts. Uns ist das Urvertrauen abhanden gekommen. So gesehen sind wir alle Vertriebene, und es führt kein Weg zurück in den Garten Eden. Wie es in Heinrich von Kleists meisterhafter Erzählung vom Marionettentheater heißt, „..das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.“ Und gerade darum geht es. Die sogenannte Billigungsformel des ersten Teils der Genesis: Gott sah, daß es gut war, ist keine Analyse der Wirklichkeit, sondern ein Glaubensbekenntnis. Es befähigt uns an dem durch den Schöpfer gesetzten Sinn festzuhalten, mit ganzem Einsatz zu leben.

Die Schöpfungsberichte der Bibel sind Kunstwerke. Geben sie doch auf nur wenigen Seiten tiefen Einblick in grundlegende Fragen menschlichen Daseins. Lassen über die großen Zusammenhänge des Lebens und selbst alltägliche und scheinbar selbstverständliche Dinge auf Gott hin transparent werden. Über das Menschenbild, das uns die Genesis vermittelt, kann man mit dem katholischen Theologen Karl Rahner sagen, „der Mensch ist die Frage, auf die es keine Antwort gibt.“ Wir sind postmodern, nüchtern geworden, haben gelernt, daß vermeintlich große Schritte der Menschheit, doch nur Schrittchen sind. Was immer wir in den letzten fünfzig Jahren über die Befindlichkeit des Menschen gelernt haben mögen, das Geheimnis seiner Existenz bleibt größer.

Die Genesis zeigt vor allem, daß der Mensch in Gott gegründet ist. In Genesis 1 wird in sehr nüchterner Weise vom Menschen gesprochen, für dessen Erschaffung nicht einmal ein besonderer Tag reserviert wurde. Staub und Asche ist er. Erst Gottes Odem haucht dem Staubgebilde Lebenskraft ein. Gott ist Ursprung allen Lebens. Schließlich muß der Mensch wieder zur Erde von der genommen wurde zurückkehren. Zugleich aber bildet der Mensch als Krone der Schöpfung die Mitte zwischen Gott und der Welt. Er wurde nach Gottes Bild geschaffen, damit er Gott entspreche und Gott mit ihm in Beziehung trete.

Genesis 2 ist in der Form einer volkstümlichen Erzählung abgefaßt, deren Hauptthema der Sündenfall ist. Die bildhafte Beschreibung, wie Gott den Menschen aus Ton formt und ihm den Lebensatem einhaucht, soll keine Auskunft geben, wie die Schöpfung tatsächlich erfolgte. Im Alten Testament ist Schöpfung nicht Gegenstand einer Offenbarung. Da sie ohne Zeugen erfolgt ist, kann sie ihrem Wesen nach nicht bezeugt werden. Es ist keine Lehre vom wie der Schöpfung, sondern ein Bekenntnis, daß die ganze Welt sich restlos dem souveränen Tun Gottes verdankt. Daher bleiben die Schöpfungsberichte von den jeweiligen Ergebnissen wissenschaftlicher Enstehungslehren unberührt. Die biblischen Redaktoren, für die Wissen und Glauben noch eine Einheit bilden, verwenden in ihren Berichten zeitbedingte und weltanschauliche Betrachtungswiesen, um den Vorgang der Schöpfung zu beschreiben. Die zeitlose Botschaft lautet: die Menschheit bildet trotz aller Unterschiede durch die anfänglichen gemeinsamen Existenzbedingungen eine Schicksalsgemeinschaft.

Der paradiesische Wonnegarten ist ein Bild für das ursprüngliche Sein des Menschen in inniger Nähe und Freundschaft zu Gott. Doch das Paradies ist kein Schlaraffenland des passiven Genießens, sondern ein Ort an dem die Kreativität des Menschen eingesetzt werden soll. Für das Alte Testament ist ein erfülltes Dasein ohne Arbeit nicht denkbar. Sie bildet einen wesentlichen Bestandteil menschlichen Lebens. Durch den Auftrag den Garten zu bebauen und bewahren, hat Gott der Arbeit einen grundsätzlichen Sinn gegeben. Der Mensch ist vor allem ein eigenverantwortliches Wesen. Als erstes Zeichen seiner Autonomie, darf er die Tiere benennen. Sie wurden geschaffen, damit der Mensch nicht allein sei. Die Gemeinschaft mit anderen Wesen steht über dem Alleinsein.

Die Vorstellung, daß die Frau aus der Rippe des Mannes geschaffen wurde, fußt auf einer alten Tradition, die sie zur wesensgleichen Partnerin des Mannes setzt. Auch hier geht es nicht um das wie des Schöpfungvorganges. Mit dem freudigen Ausruf, der „jauchzenden Bewillkommnung“, mit der der Mann die Frau empfängt, erreicht die Erschaffung des Menschen ihr Ziel. Mann und Frau stehen in echter Beziehung zueinander. Von Anfang an sind sie geschaffen, einander zu lieben. Bereits ihre Lebensgemeinschaft im Paradiesgarten macht sie zu Partnern, die einander entsprechen und die für einander da sind. Sie müssen keinen Mangel leiden, dürfen nach eignem Gutdünken von den Bäumen des Gartens zu essen. Erst das Verbot von einem bestimmten Baum zu nicht zu essen, stellt sie in einen Freiheitsraum. Die Möglichkeit, das Gebot zu übertreten, erweitert ihren Bewußtseinsbereich; gibt ihnen den freien Willen Gott zu gehorchen oder sich von ihm abzuwenden.

Das Phänomen, daß der Mensch verführbar ist, bleibt ein Rätsel in Gottes guter Schöpfung und macht seine Begrenzung deutlich. Das Geheimnis des Bösen übersteigt den Horizont des Menschen. Im Verlauf der Erzählung tritt der Versucher als Schlange an die Frau heran und verlockt sie auf raffinierte Weise, sich überhaupt mit ihr in ein Gespräch einzulassen. Sie behauptet, Gottes Verbot gelte für alle Bäume des Gartens. Die Frau stellt die Behauptung richtig, ohne zu ahnen, daß sie durch diese Antwort den Verführungskünsten des gefährlichen Wesens unterliegen wird. Sie wird dem Versprechen der Schlange Glauben schenken, daß man durch einen Bissen der verbotenen Frucht allwissend wie Gott werden könne. Die Sünde, die Sonderung von Gott liegt in maßloser Selbstüberschätzung, sie hat auch mit dem unstillbaren menschlichen Wissensdrang zu tun. So ist das Leben des Menschen eine Gratwanderung. Seine Größe und seine Tragik sind mit dem Streben nach Erkenntnis verbunden, mit der Suche nach Lebenserfahrung, mit dem Mut das Risiko des Lebens einzugehen, verbunden. Ein zuviel führt, wie es die Erzählung vom Turm zu Babel zeigt, in den Abgrund. „Auf, bauen wir uns eine Stadt und eine Turm mit einer Spitze bis zum Himmel.“ (Gen 11,4) Ein zu wenig läßt ihn, neurotisch in sich selbst verkrümmt, aus Angst vor dem Scheitern die geschenkte Zeit ungenützt verstreichen, hindert ihn nach dem verborgenen Schatz seines Lebens zu suchen.

Der Verlust der Unschuld führt zu einer Urschuld, führt zur Vertreibung aus dem Paradies, die schließlich in in der felix culpa, der großen Vergebung in der Osternacht mündet. Wie es eben im Marionettentheater heißt:„..das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.“ Nicht zufällig ist die Schlange ein ambivalantes Sinnbild. Einerseits verkörpert sie zerstörerische Kräfte, ist eine gestaltgewordene Hellsichtigs des Bösen, mit dem der Mensch sich auseinanderzusetzen hat. Anderseits ist sie aber auch ein Inbild der Weisheit. Sogar Jesus fordert seine Jünger auf, klug wie die Schlangen zu sein. Weiters hat das Bild der verführerischen Schlange mit ihrer im Alten Orient üblichen Verehrung als göttliches Wesen zu tun. Hier aber wird ihr verwehrt eine göttliche Gegenmacht zu bilden, denn es wird ausdrücklich betont, daß auch die Schlange von Gott geschaffen worden ist.

Als Reaktion auf ihre Verfehlung schämen sich die beiden voreinander. Das Wissen, daß ihr Handeln verfehlt war, hat sie ihre Unbefangenheit verlieren und sie ihrer Nacktheit gewahr werden lassen. Mit dem Erkennen der eigenen Blöße ist eine Bewußtseinszustand erreicht, der das restlose Vertrauen unter den Menschen und zwischen Mensch und Gott beendet hat. Aber durch den Verlust der Unschuld ist auch das Gewissen erwacht und der Mensch ist fähig geworden, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.

Als eigentliche Sünde erweist sich die Übertretung des Gebotes erst in der Begegnung mit Gott. Ihre Furcht vor Gott, läßt die beiden nach einem Versteck suchen, in der Hoffnung seiner Allwissentheit zu entkommen. Jean-Paul Sartes Kindheitserinnerungen zeigen, daß diese Furcht unerträglich werden und in Gottlosigkeit enden kann. Die folgende Vernehmung durch Gott verdeutlicht die Schuld. Obwohl der Ursprung des Bösen unerklärlich bleibt, muß der Mensch für seine Hinfälligkeit, die ihn der Versuchung erliegen ließ, Verantwortung tragen. Er muß die an ihn gestellten peinlichen Fragen beantworten. Verantwortung übernehmen, heißt auch auf Fragen antworten, heißt Rechenschaft ablegen. Auch der schuldig gewordene Mensch wird in seinem Menschsein ernstgenommen. Er kann sich verteidigen, kann sogar Gott anklagen. Der Mann schiebt alle Schuld auf Gott, der ihm die Frau geben hat, auf deren falschem Rat er gefolgt ist. Die Frau schiebt alles auf die Schlange. In der Sünde kann keine Solidarität entstehen. Sie trennt, weil sie ihrem Wesen nach die Liebe zerstört.

Beim Urteil wird die Reihenfolge des Verhörs umgekehrt. Nur die Schlange wird verflucht, Mann und Frau aber nicht. Das Urteil über die Frau spricht von ihrer besonderen Daseinslasten, von den Schwangerschaftsbeschwerlichkeiten und den Geburtsqualen. Galten sie doch im Alten Testament als Inbegriff des Schmerzes, der Angst und der Bedrängnis. Die Strafworte, in denen von dem Verlangen der Frau nach dem Mann und der Herrschaft des Mannes über die Frau die Rede ist, stellen keine Norm auf, sondern umschreiben eine damals gegebene Wirklichkeit.

Das längste Urteil ergeht an den Mann und macht ihn zum Hauptverantwortlichen. Im altestamentlichen Religionsbegriff hat das Hören auf Gott eine ganz besondere Bedeutung. Der Mann hat, anstatt sich an die Stimme Gottes zu halten, auf die Worte der Frau gehört. Sein Strafspruch stellt das Typische im Leben des Mannes, dem Frauendasein gegenüber: die mühselige Last seiner Arbeit, die künftig von der ständigen Gefahr des Mißlingens bedroht sein wird. Dieser Zustand soll andauern bis der Mensch zum Acker, dem er entnommen, zurückkehrt und seiner Todesverfallenheit erlegen ist.

Hiermit schließt sich der Daseinsbogen, der mit der Erschaffung des Menschen aus der Erde seinen Anfang genommen. In dem Augenblick, als der Mann vom unausweilichen Ende alles Lebens erfährt, benennt er seine Frau Chawah, Eva, Mutter aller Lebendigen. Das ist ein unwiderufliches Bekenntnis, daß das Leben und nicht der Tod stärker ist. Denn die Frau, die Lebensgebärerin wird das Leben auch angesichts des Todes weiter und weiter tragen. Der ursprüngliche Segen ist trotz der Bestrafung nicht aufgehoben. Gott hat den Menschen als Wesen mit aufrechtem Gang in sein irdisches Schicksal geschickt. Er hat seine beschämende Nacktheit mit einer Bekleidung aus Fell umhüllt, die ihm auch in den kalten Tagen, die seiner harren, Schutz gewähren wird. Auch wenn dem Menschen das Paradies verloren ging, so bleibt er doch ein Geschöpf Gottes.

Felizitas von Schoenborn, Schriftstellerin, Genf
Email: philippwittgenstein@yahoo.com